Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Grundlegungen
2.1 Kollaboration innerhalb der Supply Chain
2.2 Betreibermodelle
3 Kriteriengeleitete Analyse
3.1 Ansatz der Prinzipal-Agenten-Theorie
3.2 Bewertungskriterien
3.2.1 Monetäre Aspekte
3.2.2 Nichtmonetäre Aspekte
3.2.3 Technische Aspekte
3.3 Integrativer Ansatz
4 Abschließende Bemerkungen
5 Literaturverzeichnis
6 Anhang
1 Einleitung
Steigender Wettbewerbsdruck im Umfeld national und international verschmelzender Produktionsnetzwerke stellt für Unternehmungen immer neue Herausforderungen dar. Zum einen schafft die Zunahme der globalen Arbeitsteilung gerade in der Zulieferin- dustrie eine wachsende Konkurrenzsituation1, zum anderen steigen die Forderungen der Endkunden an die Erschließung von Ratiopotentialen und Partizipation an technischen Neuerungen2. Neben den klassischen Werkzeugen der Reorganisation wie Produktivi- tätssteigerung, Durchlaufzeitverkürzung und Qualitätssteigerung3 bietet gerade die un- ternehmensübergreifende Kooperation entlang der Wertschöpfungskette geeignete An- satzpunkte, um die globale Leistungsfähigkeit zu stärken. Im Wandel zur tertiären Aus- richtung - auf dem Gebiet des Maschinen- und Anlagenbaus - beschreiben gerade in- novative Kooperationsansätze hierzu eine steigende „Integration von Produkten und Dienstleistungen zu hybriden Produkten“4. Durch den Einsatz von Betreibermodellen wird hierbei ein Wandel vom reinen Produktgeschäft zum problemlösenden Servicege- schäft vollzogen5. Die Wirkungen der tertiären Ausrichtung durch die Anwendung von Betreibermodellen in kollaborativen Supply Chains sollen hierzu im Rahmen der vor- liegenden Seminararbeit untersucht werden. Explizit gilt es hierbei, die entstehenden Chancen und Risiken für die Kollaboration zu untersuchen.
Zunächst ist es wichtig, den Ansatz der Kollaboration innerhalb des Supply Chain Ma- nagements eingehend zu erläutern. Anschließend erfolgt eine Einführung in die Her- kunft und den Gebrauch von Betreibermodellen im Umfeld der Investitionsgüterindust- rie, welche zudem eine Abgrenzung zur klassischen „make-or-buy“- Entscheidung be- schreiben. Die Untersuchung der Chancen und Risiken für die Kollaboration aus Sicht aller beteiligten Akteure erfolgt weitergehend mit Hilfe einer kriteriengeleiteten Analy- se. Hierbei werden neben dem Ansatz der Prinzipal-Agenten-Theorie sowohl monetäre als auch nicht monetäre sowie technische Einflussfaktoren und deren Wirkungen auf die Zusammenarbeit berücksichtigt. Den Abschluss der Analyse bildet ein integrativer Be- trachtungsansatz entlang der kompletten Wertschöpfungskette. Im Rahmen der weiteren Ergebnisauswertung erfolgt eine vergleichende Zusammenstellung der zuvor gewonnenen Ergebnisse. Zudem werden erfolgskritische Ausblicke und Empfehlungen für den Einsatz von Betreibermodellen in kollaborativen Supply Chains gegeben.
2 Grundlegungen
2.1 Kollaboration innerhalb der Supply Chain
Immer weiter schrumpfende Produktlebenszyklen bei stetig steigenden Anforderungen an die Individualisierung der arbeitsteilig erstellten Leistungen stellen die größte Her- ausforderung an die Planungs- und Koordinationskompetenz von Unternehmungen6 dar. Sind die unternehmungsinternen Ratiopotentiale ausgeschöpft, lassen sich weitergehen- de Optimierungen der logistischen Zielgrößen nur noch aus einer synchronisierten Zu- sammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette generieren. Im Allgemeinen gilt die Beherrschung des Bullwhip-Effekts als wichtigstes Ziel im Rahmen des Supply Chain Managements7. Der Effekt beschreibt das Aufschaukeln relativ stabiler Endkunden- nachfragen über die diversen Tiers der Wertschöpfungskette bis hin zu den Rohstofflie- feranten. Aufgrund des fehlenden Informationsaustausches können bereits geringe Schwankungen des Endkundenbedarfes zu starken Nachfrageschwankungen führen, wodurch sich weitere negative Effekte ergeben. Die verminderte Leistungsfähigkeit der Supply Chain wird folglich in Form von Überbeständen, schlechter Kapazitätsauslas- tung, mangelnder Flexibilität sowie steigenden Kosten bis an den Endkunden weiterge- geben8. Die Ursachen des Bullwhip- Effekts lassen sich laut Lee9 auf eine mangelnde Abstimmung zwischen den einzelnen Supply Chain Partnern zurückführen. Besondere Aufmerksamkeit erhält hierbei der wechselseitige Informationsfluss entlang der Wert- schöpfungskette, durch den es möglich ist, die Leistungsfähigkeit der Supply Chain maßgeblich zu verbessern10.
Durch die Anwendung etablierter Logistikkonzepte auf Grundlage empirischer Untersu- chungen lässt sich die überorganisationale Gesamtleistung unternehmungsspezifisch optimieren11. Auf dem Weg von der rein intern geprägten Ressourcenkoordination hin zur vollständig synchronisierten Wertschöpfungskette stellt die Kollaboration im Supp- ly Chain Management einen entscheidenden Lösungsansatz dar. Unter dem Ansatz der Kollaboration wird die offene Kooperation zweier Wertschöpfungspartner auf Grundla- ge gemeinsamer Informations- und Wissensstände beschrieben12. Die Kollaboration setzt hierbei an den Schnittstellen zwischen den Grenzen der an der Wertschöpfungsket- te beteiligten Unternehmungen an, um Transparenz zu schaffen und die Planungs- und Steuerungsprozesse zu harmonisieren13. Neben dem Aufbau und Erhalt von Wettbe- werbsvorteilen14 als Resultat einer intensiven Zusammenarbeit lassen sich laut Lange- mann weitere Teilziele ermitteln15:
- Abbau von Beständen in der Supply Chain
- Erhöhung der Variabilität
- Verbesserung der Transparenz
- Erhöhung der Reaktionsfähigkeit
- Erhöhung der Planungsfrequenz
- Senkung von Transaktionskosten
Die Annäherung an die beschriebenen Ziele lässt sich laut Wildemann über verschiede- ne Instrumente erreichen, die darauf abzielen, die Komplexität der Kollaboration zu reduzieren, zu beherrschen und zu vermeiden. Beispielsweise werden hierbei gemein- same Datenbestände und Prognosen, der Abgleich verschiedener Kapazitäten und Be- stände sowie unternehmensübergreifende Parallelisierungen genannt16. Im Rahmen der „Forecast Collaboration“ wird hierbei versucht, mittels verbindlicher Prognosen im mit- tel- bis langfristigen Planungshorizont die Kundennachfrage an die Supply Chain Part- ner zu kommunizieren. Ziel ist das gemeinsame Erkennen und Beheben von Abwei- chungen anhand vorgeschriebener Kooperationsabläufe. Um weiterhin das Auftreten von Kapazitätsengpässen einzudämmen, erfolgt im Rahmen der „Capacy Collaboration“ ein Abgleich der in der Supply Chain zur Verfügung stehenden Kapazitäten. Ziel dieser Abstimmung ist eine gesteigerte Kapazitätsauslastung bei gleichzeitiger Vermeidung von Produktionsverzögerungen (siehe Abbildung 1)17. Auch die gemeinsame Abstim- mung der Transportkapazitäten („Transportation Collaboration“) liefert mit einer ter- min- und kostengerechten Distribution Beiträge zur unternehmensübergreifenden Supp- ly Chain Optimierung. Auch die Optimierung der Auftragsabwicklung mit Hilfe der „Order Collaboration“ sowie eine abgestimmte Bestandsplanung „Inventory Collabora- tion“ stellen bedeutende Maßnahmen der Kollaboration dar. Der Anwendungsbereich der beschriebenen Instrumente lässt sich grundsätzlich auf sämtliche Unternehmensbe- reiche ausdehnen18. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung werden hingegen Akti- vitäten im Bereich der Produktion untersucht. Der Fokus liegt hierbei in der Kollabora- tion auf dem Gebiet der Ausstattung von Produktionsbetrieben mit anlagentechnischer Infrastruktur.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Von der Ressourcenplanung zur Kollaboration
2.2 Betreibermodelle
Die gesteigerten Anforderungen global agierender Märkte stellen auch die Hersteller von Produktionsanlagen für die Original Equipment Manufacturer (OEM) vor neue Herausforderungen, um auf dem Markt bestehen zu können19. Für die Hersteller von Investitionsgütern zeigt sich hierbei, dass eine rein produktbezogene Geschäftsausrich- tung dauerhaft kein Garant für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit ist20. Tendenziell zeigt sich dabei der Wandel von der Vermarktung technisch anspruchsvoller und quali- tativ hochwertiger Produktionsanlagen zu serviceorientierten Problemlösungen, die sich flexibel in die Wertschöpfungskette des Kunden integrieren lassen21. Eine konkrete Verschmelzung von Investitionsgütern und Dienstleistungen findet in Betreibermodel- len22 ihre Anwendung.
Ihren Ursprung und die bisher am meisten verbreitete Anwendungsform haben Betrei- bermodelle in bautechnischen Infrastrukturprojekten aus öffentlicher Hand. Da diese durch sehr hohe Investitionsvolumina gekennzeichnet sind, werden Errichtung und Be- trieb dieser Großmaßnahmen an private Unternehmungen vergeben. Über den Zeitraum einer definierten Nutzungsdauer sind nun Nutzungsgebühren an den privaten Betreiber zu entrichten. Nach Ablauf der Betreiberphase geht das Projekt in der Regel anschlie- ßend in öffentlichen Besitz über23.
Eine Definition von Betreibermodellen für Investitionsgüter lässt sich aus der DIN 32541 ableiten24. Unter Betreiben wird demnach die „Gesamtheit aller Tätigkeiten, die an Maschinen und vergleichbaren technischen Arbeitsmitteln von der Übernahme bis zum Ausmustern ausgeübt werden“25 verstanden. Da in der Literatur starke Differenzen über den Leistungsumfang von Betreibermodellen vorherrschen26, erfolgt deren Be- schreibung im Weiteren unter Verwendung eines Modelles. Konkret geht es hierbei um die Integration von Betreibermodellen in das Umfeld der klassischen „make or buy“ Entscheidung. Da sich die Beschreibung von Betreibermodellen im Bereich der Investitionsgüter komplexer darstellt, lassen sich die verschiedenen Ausprägungen übersichtlich mit Hilfe eines Morphologischen Kastens darstellen27.
Der von Lay et al. aufgestellte Morphologische Kasten zeigt hierbei die Vielfalt der diversen Geschäftsmodelle eines Betreibermodelles im Maschinen- und Anlagenbau. Betreibermodelle nehmen hierbei eine Stellung im „coorporate“-Bereich zwischen den klassischen Entscheidungen, dem Fremdbezug „buy“ und der Eigenfertigung „make“ ein.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Morphologischer Kasten Betreibermodell
Da auf literarischer Ebene große Inkonsistenz über die Abgrenzung von Betreibermo- dellen aus den oben aufgezeigten möglichen Variationen besteht, wird auch an dieser Stelle von einer engen Definition Abstand genommen. Vielmehr soll der bewusste Ver- zicht auf definitorische Restriktionen eine breite Basis für die Beschreibung der Chancen und Risiken bereitstellen28.
3 Kriteriengeleitete Analyse
Die Initiierung von Betreibermodellen in Wertschöpfungsnetzwerken lässt sich weitest- gehend auf unterschiedliche Motive und Zielsetzungen zurückführen29. Ebenso variie- ren die sich ergebenden Risiken nach Inhalt, Träger und Verteilung im Zeitverlauf30. Die für die Kollaboration bedeutenden Chancen und Risiken der vertikalen Integration von Betreibermodellen in Supply Chains erfolgt im Weiteren anhand einer kriteriengeleiteten Analyse.
3.1 Ansatz der Prinzipal-Agenten-Theorie
Die Eingliederung von Betreibermodellen in kollaborative Supply Chains bedarf zu- nächst einer eingehenden Betrachtung des zugrunde liegenden Beziehungsverhältnisses der verschiedenen Wirtschaftssubjekte. Unterschiedlichste Interessen und stark asym- metrische Macht- und Informationsverhältnisse zeigen hierbei die Brisanz des beschrie- benen Wechsels vom reinen Produkt- zum integrierten Dienstleistungsgeschäft. Als geeignetes Medium für die Untersuchung der Vertragsbeziehung bietet sich hier die Prinzipal-Agenten-Theorie an31. Die Theorie beschreibt das Agenturverhältnis, welches auftritt, wenn ein Auftraggeber (Prinzipal) Leistungen an einen Auftragnehmer (Agen- ten) vergibt32. Den Prinzipal stellt im Falle des Betreibermodelles den OEM dar, der den Agenten - den Betreiber der Anlage - mit der Erbringung einer Dienstleistung beauf- tragt und hierfür diesem gegenüber eine Kompensationsleistung entrichtet. Kennzeich- nend für diese Beziehung ist eine ausgeprägte Interessendivergenz, die dem stark auf eigenen Vorteil bedachten Handeln der zwei Vertragsparteien zugrunde liegt.
[...]
1 Vgl. Völker/Neu (2008), S. 1
2 Vgl. Brost/Leins (2004), S. 86
3 Vgl. Wildemann (2004a), S. 330
4 Vgl. Hypko (2008), S. 15
5 Vgl. Hornschild/Kinkel/Lay (2004), S. 65f
6 Vgl. Langemann (2004) S. 437f
7 Vgl. Sucky (2004) S. 21; Ireland (2005) S. 7
8 Vgl. Langemann (2004) S. 437; Völker/ Neu (2008) S. 6
9 Vgl. Lee/Padmanabhan/Whang (2004) S. 1875- 1885
10 Vgl. Gavirneni/Kapuscinski/Tayur (1999) S. 23f; Chen/ Drezner/Ryan/Simchi-Levi (2000) S. 442
11 Vgl. Völker/ Neu (2008) S. 29f
12 Vgl. Völker/Neu (2008) S. 48
13 Vgl. Wildemann (2005) S. 502ff, Sucky (2004) S. 282
14 Vgl. Zuther (2004) S. 22
15 Vgl. Langemann (2004) S. 440f
16 Vgl. Wildemann (2005) S. 509ff
17 Vgl. Langemann (2004) S. 446
18 Vgl. Völker/Neu (2008) S. 59ff
19 Vgl. Spath/Demuß (2001) S. 35
20 Vgl. Wiendahl/Harms (2001) S. 6
21 Vgl. Hornschild/Kinkel/Lay (2004) S. 65f; Meier (2004) S. 4
22 Eine synonyme Bedeutung kann dem englischen Begriff „Performance Contracting “ zugeordnet werden. Vgl. Lay (2007) S. 1
23 Vgl. Wiendahl/Harms ( 2001) S.6f
24 Siehe hierzu Anhang A: Tätigkeiten des Betreibens nach DIN 32 541, S. 19
25 Vgl. DIN 32 541 (1977) S.1
26 Vgl. Lay (2007) S. 2ff
27 Vgl. Lay/Meier/Schramm/Werding (2003) S. 9, Hypko/Tilbein/Gleich (2010b) S. 637
28 Vgl. Lay (2007) S. 4
29 Vgl. Wünsche (2010) S. 20f; Lay (2007) S, 137ff
30 Vgl. Dey/Ogunlana (2004) S. 336ff; Wildemann (2004a) S. 349- 353
31 Alternativ können auch die Synonyme wie Agency-Theorie, Principal-Agency-Theorie und Agenturtheorie zur Anwendung kommen
32 Vgl. Gomm (2008) S. 183