Leseprobe
Inhaltverzeichnis
1. Einleitung – Hamlet und der deutsche Zeitgeist – Eine Rezeptionsgeschichte
2. Hamlets Rezeption im Theater des 20. Jahrhunderts
2.1 Hamlet inszeniert durch Leopold Jessner – Politisierung des Hamlet in der Weimarer Republik
2.2 Hamlet mit Gustaf Gründgens – Hamlet als Propagandainstrument des Nationalsozialismus
2.3 Hamlet in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – Suche nach neuen Wegen
3. Ergänzung: Der Hamlet der Gegenwart als universales Medium
3.1 Hamlet inszeniert durch Thomas Ostermeier
4. Fazit – Ständige Aktualität eines Klassikers
1. Einleitung – Hamlet und der deutsche Zeitgeist – Eine Rezeptionsgeschichte
Seit der ersten Inszenierung des Hamlet fasziniert Shakespeares Klassiker die verschiedensten Gemüter der nachfolgenden Epochen auf der ganzen Welt bis heute. Daher ergibt sich ein ungemein weites Feld der Shakespeare Rezeption, welches vollständig wohl kaum in das Ausmaß einer kurzen wissenschaftlichen Arbeit zu fassen sein kann – ja selbst mehrbändige lexikale Reihen fokussieren sich nur auf einige wenige Spezifika. So wird im Folgenden ein kleiner Teil der deutschen Rezeptionsgeschichte auf der Bühne betrachtet.
Hierbei ergeben sich bereits die ersten Schwierigkeiten, eine deutsche Rezeptionsgeschichte zu beschreiben, ändert sich die Definition von Deutschem und den dazugehörigen staatlichen Territorien seit scheinbar ewiger Zeit ständig. Die weiteren Untersuchungen beschäftigen sich mit dem Hamlet des 20. Jahrhunderts und beleuchten so verschiedene Inszenierungen der Weimarer Republik, des dritten Reiches, der Nachkriegszeit und zuletzt - als Ausblick - eines (wiedervereinten) Deutschlands im 21. Jahrhunderts.
Vorher sei aber ein kurzer Überblick der „deutschen“ Rezeptionsgeschichte Shakespeares und seines Hamlet bis in das letzte Jahrhundert zu geben. Im deutschen Sprachraum erlangt Shakespeares Werk nach gelegentlichen Erwähnungen im 17. Jahrhundert im darauffolgenden Centennium erstmals größere Beachtung. Auch wenn es noch keine deutschen Übersetzungen gibt, beschäftige sich eine breitere Leserschaft mit den Dramentexten. Lessing stellt als Teil einer Gegenbewegung zum französischen Klassizismus Shakespeares Genialität in den Vordergrund,[1] ihm folgen die berühmten Lobpreisungen von Goethe: „Natur! Natur! nichts so Natur als Shakespeares Menschen!”[2] Ebenfalls gegen die französischen Klassizisten wenden sich die Romantiker, die besonders das Wunderbare in Shakespeares Dramen schätzen. Mittlerweile liegen gleich mehrere berühmte Übertragungen in die deutsche Sprache vor, die bis heute meist gerühmte ist die von Friedrich Schlegel. Mit der Gründung der deutschen Shakespeare Gesellschaft im 19. Jahrhundert wird deutlich, dass der Brite sich zum deutschen Kulturgut entwickelt: Shakespeare wird als dritter deutscher Klassiker neben Goethe und Schiller bezeichnet.[3]
Im 18. Jahrhundert wird besonders Hamlet weiten Gesellschaftskreisen als geistiger Besitz vertraut. Es gibt einerseits genaue Übertragungen auf die deutschen Bühnen, es werden aber auch viele neue Freiräume genutzt;[4] es komme zu „anregende[n] als auch politisch kontroverse[n]“[5] Inszenierungen. Dementsprechend will fast jeder berühmte Schauspieler auch den Hamlet darstellen, um die intellektuellen Raffinessen des Stückes darzustellen. Gleichzeitig nehmen sich Laiengruppen im Rahmen entstandenen Hamlet-Fiebers den spektakulären Aspekten des Dramenstoffes um den Dänenprinz an.[6] Auch die Reichsgründung unterstützt diesen „völkischen Zugang“[7] einer Nationalisierung vom Hamlet[8]. Josef Kainz stellt Ende des 19. Jahrhunderts den wohl berühmtesten deutschen Hamlet dar, er spiele gewollt gegen die Interpretation Goethes von einem Hamlet als Menschen, der seinen moralischen Pflichten nicht gewachsen sei[9] – und besticht durch „klassische[s] Virtuosentum und moderne[n] psychologischen Realismus“[10].
2. Hamlets Rezeption im Theater des 20. Jahrhunderts
Auch Anfang des Jahrhunderts dominiert jene romantische Hamlet Verehrung mit völkischer aber auch chauvinistischer Konnotation. Der Schwerpunkt der Interpretationen liege hier auf der einzelnen Figur des Hamlet,[11] die restlichen Charaktere agierten nur als „seine Medien“[12]. So kommt es beispielsweise zu Adaptionen, die ganze tragende Rollen außen vor lassen und Hamlet zuletzt als heroischen Retter Dänemarks präsentieren wie zum Beispiel die Schröders.[13]
Erst nach dem ersten Weltkrieg bildet sich eine Opposition zu der Nationalisierung des Hamlet Stoffes.[14] Das äußert sich in einer neuen Politisierung, die sich von nationalistischen (und nationalsozialistischen) Tendenzen und der Heroisierung des Dänenprinzen als deutschen Klassiker abwendet. Unterstützt werden diese Ideen durch neue Konzepte der Inszenierung wie betonte Historisierung - auch mit gegenwärtigen Mitteln – und Bearbeitungen und Adaptionen mit neuen Zugriffen auf die Thematiken des Dramas.[15]
Dennoch sei ebenfalls zur Politisierung eine Opposition zu ebendieser zu nennen. Max Reinhardt werde maßgeblich durch seine Zusammenarbeit mit Josef Kainz 1894 beeinflusst. Seine Arbeit als Direktor am Deutschen Theater in Berlin etabliert erstmals Gesamtkonzepte der Inszenierungen und lässt gleichzeitig noch Raum für schauspielerische Freiheit.[16] Reinhardt hält an einer Romantisierung fest, welche besonders gestärkt wird durch das Bühnenbild von Ernst Stern. Das führt aber zu einer mehrfach kritisierten Exklusion der Problematiken des Stücks.[17] Gleichzeitig schafft Reinhardt aber mit Hamlet Darstellern wie Alexander Moissi und Albert Bassermanns eine Aktualisierung des historischen Dramenstoffes.[18] Die Charaktere werden versehen mit Eigenschaften der Persönlichkeiten der Akteure und so des aktuellen Zeitgeists. Wenn auch unabsichtlich - greift Reinhardt so die Arbeit Leopold Jessners vor.[19]
2.1 Hamlet inszeniert durch Leopold Jessner – Politisierung des Hamlet in der Weimarer Republik
Der jüdische Sozialdemokrat Jessner inszeniert 1926 trotz dieser Gemeinsamkeit dennoch eine vollkommen andere Darstellung des Hamlet. Der damalige Intendant des Staatlichen Schauspielhauses in Berlin[20] fordert ein „zeitgemäßes Theater […] ohne verbrauchte Konventionen und abgestandene Klischees“[21] und bringt so eine skandalträchtige Inszenierung hervor.[22]
Ziel Jessners sei eine neue Dramaturgie des Zeitausdrucks,[23] einer „sozialrelevanten Dramaturgie im Spannungsverhältnis zum alten Text“[24] – auch mittels deutlicher Kürzungen des Originaltextes. Die eigene Interpretation des Dramas steht somit in vollkommenem Gegensatz zum Grundsatz der Werktreue. Die Dramaturgie eines bestimmten Grundmotivs zur entsprechenden Aktualisierung des Stückes bedeutet ein politisches und öffentliches Theater, denn Privates wird beeinflusst durch Gesellschaft und Politik.[25]
[...]
[1] Vgl. Anonymus (Deutsche Shakespeare Gesellschaft): Deutsche Shakespeare Gesellschaft. Warum sind die deutschen so fasziniert von Shakespeare? In: FAQs about Shakespeare > Reception, 10.07.2011, URL: http://www.shakespeare-gesellschaft.de/en/info/faqs/shakespeare/reception.html (21.07.2011).
[2] Ebd.
[3] Vgl. ebd.
[4] Vgl. Mehl, Dieter: Shakespeares Hamlet. Nördlingen 2007, S.81f.
[5] Ebd.
[6] Vgl. ebd.
[7] Moninger, Markus: Shakespeare inszeniert. Das westdeutsche Regietheater und die Theatertradition des >dritten deutschen Klassikers<. Tübingen 1996, S. 48f.
[8] Vgl. ebd.
[9] Vgl. Anonymus (Deutsche Shakespeare Gesellschaft).
[10] Ebd.
[11] Vgl. Moninger, S. 49.
[12] Ebd.
[13] Vgl. Mehl, S. 84f.
[14] Vgl. Moninger, S.49f.
[15] Vgl. ebd., S. 50f.
[16] Vgl. Mehl, S. 87.
[17] Vgl. Moninger, S. 52ff.
[18] Vgl. Mehl, S. 87.
[19] Vgl. Moninger, S. 54f.
[20] Vgl. Mehl, S. 87f.
[21] Mehl, S. 87.
[22] Vgl. ebd.
[23] Vgl. Moninger, S. 55f.
[24] Ebd., S. 52.
[25] Vgl. Moninger, S. 56f.