Caravaggio und die Exerzitien des Ignatius von Loyola

Faszination der Imagination


Hausarbeit, 2010

15 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Vorwort und Übersicht

Die "als ob" Vergegenwärtigung der Hypotyposis, die Verlebendigung rhetorischen Inhalts bildet die Grundlage der folgenden Betrachtung des Oeuvres Michelangelo Merisi da Caravaggios'. Im Zusammenhang mit den sich abzeichnenden Entwicklungen der Bildsprache innerhalb der jesuitischen Bewegung - besonders unter deren spirituellem Führer Ignatius von Loyola - soll versucht werden, einen neuen Blickwinkel auf die Bildwelten Caravaggios zu werfen, die in ihrer Drastik und Dramatik einen Wendepunkt in der europäischen Kunstgeschichte darstellen und bis heute nichts an ihrer Faszination eingebüßt haben.

Seit im Jahre 1517 der deutsche Mönch Martin Luther seine 95 Thesen an das Tor der Klosterkirche zu Wittenberg nagelte, war Europa in Bewegung geraten - die Spaltung der Kirche und der drohende Machtverlust für die römisch katholische Kirche bilden die Bühne für den sich abzeichnenden Kampf der Kirchen um ihre Gläubigen, um Macht und um Einfluss.

Die Konzepte die zum jeweiligen Erfolg führen sollen, könnten unterschiedlicher nicht sein, so steht schon am Anfang aller reformatorischer Bewegung eine tiefe Ablehnung aller bildlicher Zeugnisse innerhalb des liturgischen Rahmens. So treten Marien und Heiligenverehrung in den Rang eines Götzendienstes. Bereits Luthers Mitstreiter, der Karlsstadt gennannte Andreas Rudolff-Bodenstein spricht schon früh von einer, wie er es formuliert, Abttung der Bilder. "Das wir bilder in Kirchen vnd gots hewßern haben / ist vnrecht / vnd wider das erste gebot. Du solst nicht frombde gotter haben. Das geschnitzte vnd gemalthe Olgotzen vff den altarien stehnd ist noch schadelicher vnd Tewffellischer. Drumb ists gut / notlich / loblich / vnd gottlich / das wir sie abthun / vnd ire recht vnd vrteyl der schrifft geben."[1] und auch Luther stellt der Bildhaftigkeit der Kirche das reformatorische Schriftprinzip gegenüber - sola scriptura[2], allein durch die Schrift soll der Mensch zum Seelenheil gelangen.

Die reformatorischen Bewegungen bedingen wiederum eine programmatische Neuausrichtung der römisch katholischen Heilslehre, die vor allem im Konzil von Trient[3] abgefasst wurde. So stellte man zur Frage des Bilderverbotes im Gegensatz zu den reformatorischen Strömungen fest, dass „Die durch die Reformation in Frage gestellte Grundlehre der Bilderverehrung entschied Trient bejahend unter Bezugnahme auf das Zweite Konzil von Nicäa (787). Stärker jedoch als Nicäa rückte Trient den religionspädagogischen Zweck der kirchlichen Bilder in den Vordergrund“[4]. Diese Doktrin beinhaltet vor allem eine dem Protestantismus scharf entgegentretende Ansicht, dass sich Bilder sehr wohl zur Verbreitung von Glaubensinhalten beitragen können und auch sollen.

Als Zugpferd der Gegenreformation wirkt vor allem der im Jahre 1534 gegründete Orden der Jesuiten unter seinem Führer und Gründer Ignatius von Loyola. Dieser Orden verpflichtet sich neben den drei üblichen Ordensgelübden - Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam - zu einem besonderen Gehorsam gegenüber dem Papst. Leitlinien der jesuitischen Erziehung sind die "Ejercicios espirituales“[5] des Ignatius, diese bilden Handlungsanweisungen für den Gläubigen um Gott durch bestimmte Übungen näher zu kommen.

Ein wichtiger Aspekt der Exerzitien ist die Imagination, die die Gläubigen zu leisten haben. So wird von Teilnehmern nicht nur verlangt sich zum Beispiel die Qualen der Hölle nur vorzustellen, sondern sie mit allen Sinnen zu erfahren, die Hölle zu sehen, zu hören zu riechen und zu schmecken. Diese Praktiken in Verbindung mit der persönlich körperlichen Erfahrung der Exerzitianten bilden die Basis der jesuitischen Heilslehre und strahlen auch in andere Bereiche des jesuitischen Schaffens aus.

Einer dieser Bereiche ist das theatrum sacrum, das Heilige Theater oder auch Jesuitentheater, dessen Wirkung vor allem auch in seiner plastischen und mitreissenden Theatererfahrung bestand, die durch den Einsatz "sämtlicher Effekte der damaligen Bühnentechnik: Explosionen, Blitz und Donner, feuerspeiende Drachen, an Leinen herabfliegende Engel und bei infernalischem Lärm von der Erde verschluckte Gespenster"[6] hervorgerufen wurde.

Es wurde versucht, dass Drama von "der Exertitia her, speziell von deren Anleitungen zur sinnhaften Vergegenwärtigung heilgeschichtlicher Orte und Vorgänge - vor allem der Hölle und des heiligen Landes-"[7] zu lesen. Also eine unmittelbare Verbindung zwischen den Heilslehren des Ignatius und der im Theater verkündeten Botschaft herzustellen.

Auf diesem Humus der Infragestellung althergebrachter Traditionen und dem Auftreten neuer Formen der Glaubens -und Wissensvermittlung gerieten auch die bildenden Künste ins wanken. Die Prinzipien der Renaissance, die Frage nach der Richtigkeit der Darstellung, der Perspektive und eines angemessenen Decorums verschwanden zusehends. Die Lücke, die der Barock schließen sollte, ist die Chance des Michelangelo Merisi da Caravaggio.

Die Erschütterung die Caravaggios Bilder unter seinen Zeitgenossen auslösten waren enorm. Zwar wurden die Bildregeln der Renaissance schon vor Caravaggio durch das Aufkommen des Malerischen in der Bildkunst Stück für Stück der Frage nach der Überzeugung des Ausdrucks angepasst, doch niemals zuvor in diesem Ausmaß.

"Die helle, flache Malerei verschwindet. ins Bild zieht Finsternis ein, in der das Licht als aktive Kraft auftritt, die die Figuren aus dem Dunkel holt und auf ihnen die Farbe zu heftiger, berückender Schönheit aufleuchten lässt."[8]

Caravaggios Malerei zeichnet sich vor allem durch das ausgeprägte Spiel zwischen Licht und Schatten, der realistischen Darstellung seiner Modelle, der Überschreitung der Bildgrenze und dem Verzicht auf einen, die Handlung rahmenden, Umraum aus.

Der Zusammenhang seiner Plastizität, der damit verbundenen Illusion der Vergegenwärtigung des Gesehenen, und den Mitteln und Methoden jesuitischer, gegenreformatorischer Gestaltungsprinzipien soll auf den folgenden Seiten erläutert werden. Hierbei soll untersucht werden, ob die Protestantische Fokussierung auf die heilige Schrift in ihrer katholischen Reaktion eine Bildsprache hervorbringt, die in der Tradition antiker Rhetorik und der damit verbundenen Anschaulichkeit der Ereignisse, der Illusion und der Überwältigung des Betrachters verpflichtet ist.

Reformation und Gegenreformation

Die Bedeutung der Hypotyposis im Werk Caravaggios und die damit verbundenen Erstarkung antiker rhetorischer Prinzipien[9] innerhalb des barocken Bildraumes hat ihren Ursprung in den Vorgängen die das Europa des 16. Jahrhundert maßgeblich prägten und in ihrer Brisanz bis heute nachwirken - der Abspaltung der Protestanten von der heiligen Mutter Kirche Roms und der damit unmittelbar verbundenen Reaktion der katholischen Kirche - der Rekatholisierung[10].

Aus einer Protestbewegung gegen Ablasshandel, persönlicher Vorteilsnahme und der als willkürlich wahrgenommenen Auslegung der - bis dato ausschliesslich in lateinisch verfassten - heiligen Schrift, erwächst nördlich der Alpen eine neue Konfession in Europa - der Protestantismus.

Im Gegensatz zum Pomp und der Üppigkeit der katholischen Obrigkeit und deren Manifestation in den kirchlichen Bauten, stellt für den entstehenden Protestantismus die Schrift und nur die Schrift alleine den Weg zum Heil dar. Diese Haltung wird exemplarisch in Luthers Paradigma der Sola Scriptura (lat. „Allein (durch) die Schrift“) - dem reformatorischen Schriftprinzip.[11] Simultan zur Konzentration auf die Schrift beginnt auch die Abkehr von der bildlichen Heiligenverehrung, der Abbildung an sich - diese Haltung führt in ihrer finalen Konsequenz zum Ikonoklasmus frömmlerischer Gruppierungen, so zum Beispiel in Bremen im Jahre 1528 unter dem reformierten Theologen Christoph Pezel[12].

Als Vordenker des Bildersturms ist ebenfalls der bereits im voran gegangenen Kapitel erwähnte, anfängliche Weggefährte Luthers, Andreas Rudolff-Bodenstein von Karlstadt zu nennen der in seiner Schrift von der Abtuung der Bilder, die Problematik bildlicher Verehrung zur Sprache bringt und in weiterer Ausführung für einen bildfreien Glauben plädiert.

"Das wir bilder in Kirchen vnd gots hewßern haben / ist vnrecht / vnd wider das erste gebot. Du solst nicht frombde gotter haben. Das geschnitzte vnd gemalthe Olgotzen vff den altarien stehnd ist noch schadelicher vnd Tewffellischer. Drumb ists gut / notlich / loblich / vnd gottlich / das wir sie abthun / vnd ire recht vnd vrteyl der schrifft geben."

Mit dem Erstarken der reformatorischen Bewegung und der zunehmenden Abspaltung großer Teile der Gläubigen, beginnt innerhalb der katholischen Kirche die Suche nach probaten Antworten und Gegenmittel, die die römische Kirche in die Lage versetzen sollten, dem Schwund der Gläubigen und dem drohenden Machtverlust innerhalb Europas Einhalt zu gebieten.

Diese Bemühungen bilden die Grundlage für das neunzehnte vatikanische Konzil, das als Konzil von Trient[13] in die Geschichte eingegangen ist. Im Fokus des Konzils stand die neu zu justierende Ausrichtung der katholischen Kirche im Anblick der Reformation. Neben den Stellungnahmen, die sich unter anderem gegen den Missbrauch des Ablasswesens und der Ämterhäufung im Bischofsamt richten, ist als Ergebnis vor allem zu nennen, dass sich in dem selben Maße wie sich der Protestantismus von der Bildlichkeit abwendet, sich der Katholizismus mit dem Bilderdekret einer neuen, gesteigerten Bildlichkeit verschreibt[14]. Der Enthaltsamkeit und Nüchternheit wird die gesamte Emotionalität und die Drastik der Heilsgeschichte gegenübergestellt.

Zwischen diese Front gerät nun im ausgehenden 16. Jahrhundert auch zunehmend die Kunst, da sie nun vor die Wahl gestellt wird, sich einerseits vollständig in das Profane oder das Metier der Genremalerei zurückziehen zu müssen, oder sich im anderen Falle darauf einzulassen den bis dato in der Heiligendarstellung verwendeten Konsens der Imitatio hinter sich zu lassen und im Zuge der Aufspaltung der kirchlichen Strömungen eine emotionalisiertere, affektreichere und realistischere Kunst zu produzieren.

Diese Werke sollten in der Lage sein, allein durch ihr betrachten und ihre Anwesenheit, einen Beitrag zur "Glaubenssicherheit" beizutragen, eine Methode, die in "einer Gesellschaft, die zwar das langwährende Bildungsmonopol der Kleriker schon durch die spätmittelalterliche Laienschriftbarkeit überwunden hatte , aber nach wie vor im Rahmen ein es christlich normierten und theologisch ausgelegten Weltverständnisses lebte",[15] ein durchaus wirkungsmächtiges Mittel darstellt.

[...]


[1] Andreas Brodenstein von Karlstadt, Von abtuhung der Bylder / Vnd das keyn Betdler vnther den Christen seyn soll Wittenberg / 1522

[2] Martin Luther, Assertio omnium articulorum M. Lutheri per bullam Leonis X. novissimam damnatorum

[3] Konzil von Trient, Trient/Italien 13.12.1545 - 04.12.1563

[4] Ralf van Bühren: Kunst und Kirche im 20. Jahrhundert. Die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils, Paderborn 2008

[5] Rom, 1548

[6] Wienfried Abel, Verkündigung auf vielen Kanälen, Fulda, 2009

[7] R. Wimmer, Jesuitentheater / Didaktik und Fest Frankfurt am Main, 1982

[8] Erich Hubala, Die Kunst des 17. Jhrdt

[9] Als Beispiel ist hier die Ekphrasis zu nennen, die eine lebhafte und intensive Beschreibung von Gegenständen und Situationen mittels der Sprache darstellt. Nach Nikolaus von Myra versucht die Ekphrasis „den Zuhörer zum Zuschauer zu machen“. Siehe auch: vgl hierzu: Das Historienbild im Zeitalter der Eloquenz: von Raffael bis Le Brun - Seite 250 Atrocitas: Das Vorbild Caravaggio

[10] Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Rekatholisierung

[11]...dass allein die Heilige Schrift der einig Richter, Regel und Richtschnur“ („sola sacra scriptura iudex, norma et regula“) sowie „Probierstein“ („Lydius lapis“) sei. aus Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche S.769

[12] Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Pezel

[13] Konzil von Trient, Trient/Italien 13.12.1545 - 04.12.1563

[14] Die durch die Reformation in Frage gestellte Grundlehre der Bilderverehrung entschied Trient bejahend unter Bezugnahme auf das Zweite Konzil von Nicäa (787). Stärker jedoch als Nicäa rückte Trient den religionspädagogischen Zweck der kirchlichen Bilder in den Vordergrund“ aus: Bühren 2008, S. 635f.;

[15] Lutz, Heinrich: Reformation und Gegenreformation Oldenburg, 2002, S. 11

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Caravaggio und die Exerzitien des Ignatius von Loyola
Untertitel
Faszination der Imagination
Hochschule
Universität Stuttgart  (Institut für Darstellen und Gestalten)
Veranstaltung
Neuer Illusionismus in den Bildkünsten - Grundlagen, Geschichte, Kritik
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
15
Katalognummer
V175598
ISBN (eBook)
9783640967476
ISBN (Buch)
9783640967216
Dateigröße
515 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Caravaggio, Ignatius von Loyola, Exerzitien, Jesuiten, Jesuitentheater, Gegenreformation, Judith und Holofernes, Illusion, Imagination, Chiaruscuro, Ekphrasis, Hypotyposis
Arbeit zitieren
Dipl. - Ing. Stefan Staehle (Autor:in), 2010, Caravaggio und die Exerzitien des Ignatius von Loyola, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/175598

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