1. Einleitung
Franz Kafka zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Von ihm selbst sind aber nur wenige Bücher zum Druck freigegeben worden. Diese fanden in der Öffentlichkeit zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Interesse. Der Schriftsteller gelangte erst nach seinem Tod zu Weltruhm, indem seine Hauptwerke (Tagebücher und Briefe) z.B. durch Max Brod, einem Freund Kafkas, veröffentlicht wurden.
Das Interesse an Kafka erscheint um so erstaunlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Kafka eigentlich eher ein provinzielles Dasein führte. Im Vergleich zu anderen Dichtern und Schriftstellern fehlten ihm weite Reisen, Bildungserlebnisse, Begegnungen mit berühmten Kollegen oder auch gewisse Ortswechsel.
„Der Fall des Schriftstellers Kafka ist ungewöhnlich insofern, als zu seinen Lebzeiten die Nebenwerke, nach seinem Tod die Hauptwerke veröffentlicht wurden, soweit sie ihr Verfasser vor seinem Sterben nicht zerstörte.“
Diese Äußerung von Franz Blei über die Ungewöhnlichkeit Kafkas teilen die meisten Leser. Seine Werke seien abstrus, dunkel, verworren und mit dem Verstande kaum nachvollziehbar.
Warum schreibt Franz Kafka in einem derartigen Stil, der als kafkaesk bezeichnet werden kann?
Um zu einer Antwort auf diese Frage zu kommen, wird im Folgenden zunächst die Frage nach dem autobiographischen Schreiben Kafkas mit Hilfe von Zitaten erörtert. Im Anschluss daran werden die Hauptfiguren in Franz Kafkas Werk „Die Verwandlung“ direkt mit denen der Familie Kafka in Beziehung gesetzt. Es sollen hierbei Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Ausdruck gebracht werden. Die Arbeit soll mit einer Zusammenfassung der bisher gewonnenen Ergebnisse. abgerundet werden. An ihrem Schluss findet sich die eigene Meinung der Verfasserin.
Inhaltsverzeichnis
1. Franz Kafka, ein Schriftsteller wie jeder andere?
2. Autobiographisches Schreiben bei Franz Kafka
3. Familie Samsa im Vergleich mit Familie Kafka im Hinblick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede
3.1 Frau Samsa und Julie Kafka
3.2 Herr Samsa und Hermann Kafka
3.3 Grete Samsa und Ottilie Kafka
3.4 Gregor Samsa und Franz Kafka
3.4.1 Gregor Samsa vor der Verwandlung im Vergleich mit Franz Kafka
3.4.2 Gregor Samsa nach der Verwandlung im Vergleich mit Franz Kafka
4. Ergebniszusammenfassung mit eigener Meinung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Franz Kafka zählt zu den bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Von ihm selbst sind aber nur wenige Bücher zum Druck freigegeben worden. Diese fanden in der Öffentlichkeit zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Interesse. Der Schriftsteller gelangte erst nach seinem Tod zu Weltruhm, indem seine Hauptwerke (Tagebücher und Briefe) z.B. durch Max Brod, einem Freund Kafkas, veröffentlicht wurden.
Das Interesse an Kafka erscheint um so erstaunlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Kafka eigentlich eher ein provinzielles Dasein führte. Im Vergleich zu anderen Dichtern und Schriftstellern fehlten ihm weite Reisen, Bildungserlebnisse, Begegnungen mit berühmten Kollegen oder auch gewisse Ortswechsel.
„Der Fall des Schriftstellers Kafka ist ungewöhnlich insofern, als zu seinen Lebzeiten die Nebenwerke, nach seinem Tod die Hauptwerke veröffentlicht wurden, soweit sie ihr Verfasser vor seinem Sterben nicht zerstörte.“1
Diese Äußerung von Franz Blei über die Ungewöhnlichkeit Kafkas teilen die meisten Leser. Seine Werke seien abstrus, dunkel, verworren und mit dem Verstande kaum nachvollziehbar.2
Warum schreibt Franz Kafka in einem derartigen Stil, der als kafkaesk bezeichnet werden kann?
Um zu einer Antwort auf diese Frage zu kommen, wird im Folgenden zunächst die Frage nach dem autobiographischen Schreiben Kafkas mit Hilfe von Zitaten erörtert. Im Anschluss daran werden die Hauptfiguren in Franz Kafkas Werk „Die Verwandlung“ direkt mit denen der Familie Kafka in Beziehung gesetzt. Es sollen hierbei Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Ausdruck gebracht werden. Die Arbeit soll mit einer Zusammenfassung der bisher gewonnenen Ergebnisse. abgerundet werden. An ihrem Schluss findet sich die eigene Meinung der Verfasserin.
2. Autobiographisches Schreiben bei Franz Kafka
Auffallend ist die Gleichartigkeit bei den Texten Kafkas, nicht nur die Stilistik sondern z.B. auch die Ähnlichkeit der jeweiligen Mittelpunktsfigur mit der Individualität des Autors. Martin Walser bemerkt ebenfalls den Bezug von Autor und Werk:
„Bei Kafka muss man das Leben aus dem Werk erklären, während das Werk auf die Erhellung durch die biographische Wirklichkeit verzichten kann.“3
Welche Gründe Kafka dennoch dazu gebracht haben, seine Autobiographie in die Werke mit einzubauen, soll im folgenden Abschnitt verdeutlicht werden.
Der Dichter muss in seiner Kindheit und Jugend starke Eindrücke erfahren haben. Denn sonst würde er wohl kaum so viele Jahre später noch darüber schreiben! Es mangelt z.B. an gegenseitigem Verständnis von Familie und Sohn. Als besonders erwähnenswert gilt hier der Vaterkonflikt (siehe 3.4.2).
Das Schreiben erleichtert Franz Kafka, mit der Konfliktsituation besser zu Rande zu kommen. Der Dichter hat so die Möglichkeit zu klagen, was er bei seinem Vater offenbar nicht kann.4
Durch die neu erworbene Tätigkeit gelingen Kafka erstmals „kleine Selbstständigkeitsversuche, Fluchtversuche mit allerkleinstem Erfolg“.5
So schafft er es, von seinem dominanten Vater wegzukommen. Kafka sucht eine Bezugsperson, der er seine Sorgen und Ängste mitteilen kann. Natürlicherweise ergibt sich in den meisten Familien eine eher stärkere Mutter-Tochter-Beziehung bzw. Vater-Sohn-Beziehung. Da der junge Kafka bei seinem Vater diese Art des Verständnisses nicht findet, sucht er dieses im Vorgang des Schreibens. Um vollste Befriedigung erreichen zu können, konzentriert er sich in ganzer Weise auf Letzteres.
In einem Tagebucheintrag vom 3. Januar 1912 schreibt Franz Kafka, dass das Schreiben die ergiebigste Richtung seines Wesens sei. Seine Kräfte waren in ihrer Gesamtheit so gering, dass sie nur gesammelt dem Zweck des Schreibens halbwegs dienen könnten. Je intensiver sich Kafka mit seinem „inneren“ Leben, dem Schreiben, befasst, desto mehr kann er Zufriedenheit erlangen.
Das Vertrauen, das ihm in seiner „äußeren“ Welt fehlt, gewinnt er „nur in glücklichen Zeiten des Schreibens“ wieder.6
Das Dichtersein gibt ihm einerseits einen Teil der Geborgenheit wieder, die er bei seinem Vater nicht finden kann. Andererseits bewegt sich Kafka fast ausschließlich nur noch in seiner erschriebenen Welt, was Vereinsamung zur Folge hat. Er verfasst unzählige Briefe an seine Verlobte Felice und meint ihr dadurch nahe zu sein. Auf diese Weise glaubt er nicht einsam zu sein, obwohl er es in Wirklichkeit zu sein scheint.
Kafka scheint regelrecht vor der „äußeren“ Welt zu fliehen. Er versucht sich von der Welt, „die er im Kopfe hat, durch Schreiben zu befreien.“7 Währenddessen stellt er sein sog. traumhaftes, inneres Leben dar. Bald ist für ihn die erschriebene Welt die „einzige innere Darstellungsmöglichkeit“.8
Nur im Traum gibt es keine kontrollierenden und einschränkenden Regeln und Rücksichten gesellschaftlichen Lebens.9 Der Rückzug aus der Wirklichkeit um eins mit der Literatur zu sein und von nichts und niemandem gestört zu werden. Nur seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und bei Felice zu sein, das scheint für den Autor des Werkes „Die Verwandlung“ ein Leben in Harmonie und Glück zu sein. Wenn auch nicht dauerhaft, so um zumindest einige Glücksmomente erfahren zu können.
Flucht vor dem Vater und Angst vor einer „äußeren“ Welt, das sind wohl die Hauptmotive Kafkas für sein Schreiben. Das Ziel seines Schreibens kann eine friedvolle, vertraute, zufriedene Welt mit einzelnen Glücksmomenten in seinem traumhaften Inneren, wie es die Verwandlung in ihrem Schluss zeigt, sein. Indem er zusätzlich die Nacht zum Tage macht, bleibt der Alltag als Störungsfaktor außer Acht. Das Leben scheint für ihn so erträglich zu sein.
Es ist aber auch denkbar, dass der Dichter seine Situation in der Familie in dem Moment verarbeitet, in dem er sie niederschreibt.
Franz Kafka hat sich eine Daseinsmöglichkeit, in der er selbst der Herr über die Dinge sein kann, geschaffen. Den genauen Grund für sein autobiographisches Schreiben können wir nicht bestimmen, sondern nur erahnen.
3. Familie Samsa im Vergleich mit Familie Kafka im Hinblick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Besonders auffällig ist eine äußerliche Ähnlichkeit der Nachnamen. Samsa klingt wie ein Kryptogramm für Kafka. Jeder Familienname umfasst fünf Buchstaben. Dabei hat das S bei Samsa dieselbe Stellung wie das K im Wort Kafka. Das A behält in beiden Nachnamen seine Position bei.
In Jakob Wassermanns Roman „Die Geschichte der jungen Renate Fuchs“ tritt ein Herr Samassa auf. Es ist denkbar, dass Kafka das eben genannte Werk gekannt hat. Ein Hinweis dazu könnte der Satz sein: „Ich brauchte nämlich zwei Namen für einen Roman und wählte endlich die unterstrichenen: Johannes und Beate (Renate war mir schon weggeschnappt) wegen ihres dicken Glorienscheins.10 Es liegt die Vermutung nahe, dass er bei dem Namen Renate an die junge Frau in Jakob Wassermanns Roman denkt.
Wahrscheinlich hat Franz Kafka die Form des Nachnamens derart verändert, dass dieser als Kryptogramm für seinen eigenen Zunamen dienen konnte.
3.1. Frau Samsa und Julie Kafka
Neben der eben gezeigten Ähnlichkeit in Bezug auf die Namen beider Familien gibt es auch familiäre Gemeinsamkeiten. Wie stark sich die Figuren und Personen biographisch decken und an welchen Stellen es Unterschiede gibt, das soll im Folgenden erörtert werden. Hierbei werden nur die Familienmitglieder berücksichtigt.
Frau Samsa ist Mutter zweier Kinder und vor der Verwandlung ihres Sohnes nicht berufstätig. (Danach steigt sie als Näherin für ein Modegeschäft wieder in die Berufswelt ein.) Sie teilt sich ihre häuslichen Pflichten mit einer Hausangestellten in
der Familie. Um ein Geschäft des Ehemannes braucht sie sich nicht zu kümmern, da es vor fünf Jahren Bankrott gegangen ist. Die Ehefrau ist einer geringeren Belastung ausgesetzt als ihre Vergleichsfigur in der Familie Kafka. So kann man sich die verringerte Zahl an Hauspersonal auch erklären. Selbst die Wohnverhältnisse sind anders: Während die Kafkas eine größere Wohnfläche zu hegen haben, müssen die Samsas mit wenigen Zimmern auskommen.
Als Gregor Samsa nicht wie gewöhnlich seiner Arbeit nachgeht, macht sich dessen Mutter sofort Sorgen. Mit behutsamer, „sanfte(n) Stimme“ erkundigt sie sich nach dem Grund seines Versäumnisses.11 Sie ist die erste, die mit Gregor Kontakt aufnimmt. Es ist auch wieder Frau Samsa, die den ungehaltenen und verärgerten Prokuristen zu beruhigen versucht, indem sie ihren Sohn vor ihm als idealen Angestellten darstellt (S.9/Z.22ff.). Während der Vater einen Schlosser holen lässt, schickt die Mutter nach einem Arzt (S.12/Z.30f.). Erst am Ende der Novelle ändert sich ihre Fürsorge und Sanftheit in eine eher resolute Art.
Sie scheint eine besondere Nähe zu Gregor zu haben. Hätte die Mutter nicht spontan eingegriffen, so wäre dieser wahrscheinlich vom Vater getötet worden (S.39/Z.7ff.). Sie schützt ihren Sohn nicht nur vor dem Ehemann, sondern vertritt seine Interessen auch vor der Tochter Grete (S.32/Z.34-38). Die Mutter scheint als Einzige die schlimmen Folgen zu durchschauen, die sich durch das Ausräumen des Zimmers ergeben. Aber sie ist zu schwach und unsicher, um sich gegen ihre Tochter durchzusetzen (S.33/Z.19ff.).
Vielleicht, so könnte man annehmen, liegt die Ursache dafür in ihrem Gesundheitszustand? Frau Samsa ist nicht nur gelegentlich krank, sondern leidet dauerhaft an Asthma. Erst auf der letzten Seite des Buches „Die Verwandlung“ gesundet sie. Durch ihr fortgeschrittenes Alter und die nervlicher Anspannung ist sie kaum belastbar. Frau Samsa scheint in ihrem Leben schon einiges mitgemacht zu haben. Denn woher kämen sonst die Ohnmachts- und die hysterischen Anfälle? Den einzigen möglichen Belastungsfaktoren, die der Leser erfährt, ist der Vater-Sohn-Konflikt und die finanzielle Knappheit. Auch hier in der Geschichte nimmt die Mutter eine Zwischenstellung ein, die mit der, der Julie Kafka zu vergleichen ist (siehe nächster Abschnitt). Doch die Umstände scheinen durch die geringere Kinderzahl, den Geschäftsverlust und ein eher ruhigeres Leben im Alter gemildert zu sein. Das
Verhältnis zu Herrn Samsa ist ähnlich. Obwohl die Pflicht des Berufes nicht mehr ruft, ist das Band der Eheleute sehr eng geknüpft (S.39/Z.11ff.). Der Vater ist überwiegend nicht dominant. Er scheint vielmehr in all den Ehejahren ein guter und treuer Mann gewesen zu sein, was die enge Verbundenheit der Eheleute erklärt. In jungen Jahren kann es schon öfters vorkommen, dass Eheleute getrennte Wege gehen, im Alter jedoch hält man noch mehr zusammen. Ein hektisches wird durch ein ruhiges Leben in der Pension abgelöst.
Frau Samsa weist am meisten Gemeinsamkeiten mit Julie Kafka ( geborene Löwy), der Mutter Franz Kafkas auf. Die Verhaltensweisen beider Frauen sind nahezu identisch. Mit ihrer Fürsorglichkeit werden beide Personen ihrer Mutterrolle gerecht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Julie Kafka kümmert sich um ihren Sohn Franz wie es eben einer guten Mutter entspricht. In einem Brief Kafkas an seine Eltern wird dies deutlich: „... . Die letzte Sendung ist ja prachtvoll, so viel Gutes und Süßes und Saftiges und Banknotliches und so schön ausgewählt und zusammengelegt, ... .“12 Frau Kafka schickt ihrem Sohn Pakete, damit er auch in Notzeiten gut versorgt ist. Sie sucht dabei die Sachen mit Liebe aus und legt sie mütterlich zusammen.
Beide Figuren verkörpern Fürsorge und Liebe zu ihrem Sohn. Es ist anzunehmen, dass die gleichen Gefühle in beiden Familien auch den Geschwistern zuteil werden.
Doch bei Julie Kafka ist es eher eine oberflächliche Sorge. Sie versorgt ihren Sohn mit materiellen Dingen. Da sie im Alltag vieles zu erledigen hat, fehlt ihr vermutlich auch die nötige Zeit, um eine innigere, tiefere Beziehung zu ihrem Sohn einzugehen.
Frau Samsa hat dagegen mehr Zeit, um sich mit ihrem Sohn Gregor vertrauter zu machen. Dies soll noch genauer auf den nächsten Seiten der Arbeit behandelt werden.
Die Mutter Franzens und Ehefrau von Hermann hat es nicht leicht: „Sie hat sich im Geschäft, im Haushalt geplagt, alle Krankheiten der Familie doppelt mitgelitten, aber die Krönung alles dessen war das, was sie in ihrer Zwischenstellung zwischen uns und dir gelitten hat.“13
Die Mutter von Franz ist nicht berufstätig und kann daher ihrem Mann eine Stütze in seinem Galanteriewarengeschäft sein. Sie vernachlässigt aber keinesfalls ihre häusliche Pflicht sowie die Fürsorge um die eigene Familie. Julie Kafka scheint zwischen ihrem Mann und den Kindern hin- und hergerissen zu sein. Doch da der Vater eine dominante Persönlichkeit ist, besteht zwischen Mutter und Vater ein enges Verhältnis. Dieses verstärkt sich im Laufe der Zeit noch.14
Frau Kafka orientiert sich fast ausschließlich an ihrem Mann und überlässt die Kindererziehung dem angestellten Hauspersonal. Die Ehe beschreibt der Sohn als mustergültig im Hinblick auf Treue, gegenseitiger Hilfe und der Kinderzahl.15
Julie Kafka ist Mutter von fünf Kindern, von denen zwei in sehr jungen Jahren starben. Derartig belastet und eingespannt bleibt der Familienmutter nur wenig Zeit für sich selbst. Wenn es in der Familie Streit gibt, so ist es wahrscheinlich, dass Hilfe und Schutz bei der Mutter gesucht wird. Dies ist besonders bei ihrem Sohn Franz der Fall(Genaueres in 3.4). Manchmal scheint aber auch ihr die Belastung zu hoch zu sein. Die viele Arbeit im Geschäft sowie zu Hause und der Vater- Sohn- Konflikt (siehe 3.4.2) ist auch manchmal für eine kräftige Frau wie Julie zu viel.
Die Folgeerscheinung ist in einigen Fällen Krankheit. In dem Brief von Franz an seinen Vater erfährt der Leser, dass die Mutter des öfteren krank ist.16
In solchen Situationen sorgt sich der Vater rührend um die Mutter. Sonst scheint er eher seine Gefühle für sich zu behalten (genauere Behandlung der Vaterperson in 3.2).
Für Franz Kafka ergibt sich daraus folgendes Mutterbild:
Er erlebt eine fürsorgliche Mutter, der jedoch die nötige Zeit fehlt, um sich mit ihrem Sohn genauer zu befassen. Franz sieht sie von einer Pflicht zur nächsten eilen. Das Geschäft des Vaters braucht Unterstützung von ihrer Seite, der Haushalt wird ihr auch nicht ganz von den Hausangestellten abgenommen und dann wären da noch ihre anderen vier Kinder, die nach der Mutter verlangen. Doch das ist noch nicht alles. Selbst bei Streitereien ist es sie, die schlichtet. Sie ist es, bei der man Schutz sucht. Die Bezugsperson in der Familie sollte in derartigen Situationen neutral bleiben. Oft sieht sie sich aber zwischen Ehemann und Kinder hin- und hergerissen.
Manchmal reduziert sich die wenige Zeit, die noch für ihre Kinder bleibt, auf ein Minimum. Das kann z.B. durch eine Krankheit der Mutter bedingt sein, die der großen Belastung nicht ganz gewachsen scheint.
An wen soll sich Franz nun wenden, wenn er Probleme hat, Streicheleinheiten sucht oder nur reden möchte? Vielleicht an eine Schwester oder gar den Vater?
3.2 Herr Samsa und Hermann Kafka
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Um richtig charakterisiert werden zu können, muss die Verhaltensweise von Herrn Samsa im Stadium vor der Verwandlung seines Sohnes Gregors in einen Käfer sowie danach genau betrachtet werden.
Herr Samsa ist erfolglos, nachdem sein Galanteriewarengeschäft vor fünf Jahren zusammengebrochen ist. Durch sein Alter sind Gang und Bewegungen schwerfällig. Er sitzt oft tagsüber in seinem Lehnstuhl und liest Zeitung. Der Familienvater ist in seiner Lage hilflos und scheint einen bequemen Weg vorzuziehen. Sein Sohn Gregor ist scheinbares Familienoberhaupt und Ernährer. Er ist es, der täglich für die Familie Geld verdient. Der Vater hat zu dieser Zeit wohl keinen Einfluss mehr auf die Erziehung seiner-Jährigen Tochter. Er überlässt solche Dinge, die eine Aktivität erfordern, lieber seinem Sohn. Die Eheleute scheinen einfach nebeneinander herzuleben. Die Ehe sieht mustergültig aus, ohne Streit und böse Worte. Der Leser bekommt den Eindruck, Herr Samsa lebe in den Tag hinein und schaue, was das Leben so mit sich bringe. Es kommt ihm so vor, als ob in dem alten Herrn kein Leben mehr herrsche.
[...]
1 Joachim, Unseld: Franz Kafka. Ein Schriftstellerleben. Die Geschichte seiner Veröffentlichungen. Mit einer Bibliographie sämtlicher Drucke und Ausgaben der Dichtungen Franz Kafkas 1908-1924. München 19833, S.11.
2 Vgl. http://www.asamnet.de/~kassecch/content/home.html
3 Martin, Walser: Beschreibung einer Form. Versuch über Franz Kafka. Frankfurt am Main u.a.: Ullstein Verlag 1973 (Literatur als Kunst. Ullstein- Buch, 2878), S.14.
4 Franz, Kafka: Brief an den Vater. Frankfurt am Main: Fischer 20002, S.42.
5 Vgl. ebd., S.56.
6 Franz Kafka: Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit. Hrsg. Erich Heller und Jürgen Born. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 1967, S.349.
7 Franz, Kafka: Tagebücher 1910-1923. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag GmbH 1983, S.224.
8 Vgl. ebd., S.367.
9 Vgl. Friedrich Beißner: Kafkas Darstellung des >traumhaften innern Lebens<. Bebenhausen: Verlag Lothar Rotsch 1972, S.16.
10 Max, Brod: Über Franz Kafka. Eine Biographie. Franz Kafkas Glauben und Lehre. Verzweiflung und Erlösung im Werk Franz Kafkas. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1966, S.58.
11 Franz Kafka. Die Verwandlung. Dietrich Steinbach (Hrsg.). Stuttgart u.a.: Ernst Klett Verlag 1998, S.4/Z.32-34. (Belege im Folgenden im Text in Klammer)
12 Franz Kafka: Briefe an die Eltern aus den Jahren 1922-1924. Josef Čermák und Martin Svatoš (Hrsg.). Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag GmbH 1990, S.49.
13Vgl. F. Kafka: Brief an den Vater. (Anm.4), S.30.
14 Vgl. ebd., S.29.
15 Vgl. ebd., S.56.
16 Vgl. ebd., S.21.
- Arbeit zitieren
- Monika Reichert (Autor:in), 2001, Autobiographisches Schreiben am Beispiel von Franz Kafkas "Die Verwandlung", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17568
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