Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Transformationsproblem. Was ist das?
2. Das Transformationsproblem und dessen Lösung im Taylorismus und Lean Production
2.1 Die theoretischen Grundlagen von Taylorismus und Lean Produktion:
2.2 Taylorismus: „Der richtige Mann am richtigen Platz“
2.3 Lean Produktion: „Von allem die Hälfte“
3. Schluss: Transformationsproblem- optimale Lösungsmöglichkeiten?
4. Literaturverzeichnis:
1. Transformationsproblem. Was ist das?
Es stimmt, dass Arbeit noch nie irgendjemanden umgebracht hat.
Aber warum das Risiko eingehen?
Ronald Reagan
Das Zitat bietet einen guten Einstieg in das, was in der Arbeits- und Industriesoziologie als Transformationsproblem bezeichnet wird: den Unterschied zwischen dem vorhandenen Arbeitsvermögen und der tatsächlichen Arbeit d.h es geht um die Transformation von Arbeitskraft in Arbeit. Marx setzte sich u.a. mit diesem Thema in seinem „Kapital“ auseinander: „Wer Arbeitsvermögen sagt, sagt nicht Arbeit“ (Marx 1989: 189). Er behauptet, dass das Abschließen eines Vertrags zwischen dem Käufer (also in diesem Fall dem Kapitalisten) und dem Verkäufer der Arbeitskraft (dem Arbeiter) keine Garantie dafür liefert, dass der Arbeiter sein Arbeitsvermögen auch gewissenhaft in die tatsächliche Arbeit umsetzen wird. Der Vertrag wird meist vor dem Arbeitsbeginn beschlossen: „Die Veräußerung der Kraft und ihre wirkliche Aeußerung, d.h. ihr Dasein als Gebrauchswert, fallen daher der Zeit nach aus einander“ (ebd.).
In dieser Arbeit wird dem Transformationsproblem und dessen Lösungen in folgender Weise nachgegangen: erst werden die historischen Bedingungen skizziert, unter denen sich die Arbeit und die Notwendigkeit zu ihrer Organisation entwickelt hatten. Im weiteren Schritt werden Taylorismus und Lean Production als zwei unterschiedliche Arbeits- und Organisationsweisen vergleichend analysiert, um zum Schluss die Frage zu beantworten, inwiefern und mit welchen Mitteln das Transformationsproblem behoben oder zumindest minimiert werden kann.
Wie bereits angedeutet, ergibt das Transformationsproblem die Notwendigkeit zur Kontrolle. In den Anfängen der Industrialisierung wurde dies vor allem durch Technisierung und Automatisierung der Produktionsprozesse erreicht. Es ging darum, das Störfaktor Mensch auf ein Minimum zu reduzieren und den Produktionsprozess möglichst so zu gestalten, dass der Arbeiter einen minimalen Einfluss auf die Arbeitsvorgänge ausüben kann. Unter anderem wurde auch im Taylorismus danach gestrebt, die Relevanz der menschlichen Arbeitskraft durch strikte Ablauf- und Zeitvorgaben zu minimieren. Die Kontrollmöglichkeiten haben sich heutzutage seit der raschen Entwicklung der Computertechnologien intensiviert und vervielfältigt. Außerdem ist ein Übergang von der tayloristischen direkten Kontrollform zur „verantwortungsvollen Autonomie“ zu verzeichnen (Vgl. Minssen 2006: 70).
Marx weist in seinem Werk darauf hin, dass der Verbrauchsprozess der Arbeitskraft gleichzeitig der Produktionsprozess von Ware und Mehrwert ist (Vgl. Marx 1989: 191). Dies ist insofern wichtig, weil von der Arbeitskraftäußerung die Produktion von Gütern (auch Dienstleitungen) abhängt. Ein Arbeitsvertrag enthält jedoch in der Regel nur allgemeine Arbeitsbedingungen wie Arbeitszeit oder -entgelt. Er beinhaltet (und das wäre auch schwer vorstellbar!) keine/kaum Angaben zu der Arbeitsweise an sich z.B zu dem Arbeitstempo. Mann kann schließlich keinen zur verantwortungsvollem Arbeiten verpflichten, welches noch mit Vergnügen und Eigeninteresse gleichgesetzt wird.
Wenn sich ein Arbeitskraftkäufer und ein Arbeitskraftverkäufer gegenüber treten, dann verfolgen sie nach Marx unterschiedliche Interessen- der Arbeiter besitzt nur seine Arbeitskraft und ist auf sie lebenslang angewiesen d.h. er muss sie schonen. Der Kapitalist aber möchte ihn mehr arbeiten lassen, als er dafür bezahlt hatte, um einen Mehrwert zu produzieren. Um diesem Problem aus dem Weg zu gehen, werden diverse Strategien verfolgt- Technisierung und Mechanisierung der Arbeitsabläufe, welche auch im Taylorismus angewandt wurden, oder auch Verlängerung der Arbeitszeit und Verdichtung der Arbeitsweise. Die größte Herausforderung besteht jedoch darin, die Arbeiter (auch Angestellte) dazu zu bewegen, dass sie arbeiten wollen (Vgl. Minssen 2006: 21, Hervorhebung vom Autor). Wichtig ist: „Während früher die Transformationsproblematik vor allem als Herrschafts- und Kontrollthematik behandelt wurde, haben mittlerweile Kooperationsbezüge verstärkte Aufmerksamkeit gefunden“ (ebd.: 71f). Man will also heutzutage stärker denn je bei der Kooperation der am Arbeitsprozessbeteiligten ansetzen, um dem Transformationsproblem möglichst zu entgehen.
Eine bewusst vereinfachte historische Entwicklung zeichnet folgenden Weg der Wandlung von Arbeit und Arbeitsinhalten ab: am aller Anfang gab es die handwerkliche Fertigung. Ihre Merkmale sind Einzelfertigung, hoher Facharbeiteranteil, komplette Bearbeitung und Herstellung eines Produkts durch einen einzelnen oder eine Gruppe von Arbeitnehmern. Heutzutage ist diese Arbeitsform ausschließlich bei Spezialausführungen vorhanden.
Am Aufbruch des zwanzigsten Jahrhunderts vor allem in Folge der Trennung von Besitzt und Kontrolle hielt der Taylorismus seines Siegeszug. In den Fabriken des neunzehnten Jahrhunderts war die Produktion weitgehend in Händen der Arbeiter selbst d.h. dass die Unternehmer weitgehend auf die Fertigkeiten und Selbstqualifizierung der Arbeiter angewiesen waren. Taylor, der selbst als Arbeiter tätig war, beobachtete wie die Arbeiter versuchten, sich von ihren Tätigkeiten zu drücken und entwickelte aus dem Grund seine Theorie der wissenschaftlichen Betriebsführung. Er setzte auf Arbeitsteilung im Sinne von „Artenteilung“ (Lang/Ohl 1994: 101f), auf Leistungslohn, auf strenge Vorgabe der Arbeitsinhalte, Zeiteinheiten und kontinuierlicher Kontrolle- alles in allem- auf „vollständige Durchrationalisierung menschlicher Arbeit“ (Lang/Ohl 1994: 100). Taylor selbst stellte sich das so vor: „Bisher stand die Persönlichkeit an erster Stelle, in Zukunft wird die Organisation und das System an erste Stelle treten“ (Taylor 1977: 4). Das Transformationsproblem wurde als ein Kontrollaspekt angesehen. Die Arbeiter sollten überwiegend durch ein Wundermittel motiviert werden- Geld.
Im Bezug auf die Motivation ist die Bedürfnispyramide von Maslow sehr interessant. Die Pyramide hat eine hierarchische Struktur d.h. es müssen zuerst die „unteren“ Bedürfnisse (physiologische Grundbedürfnisse und Sicherheitsbedürfnisse) befriedigt werden, damit man nachher eine Befriedigung der „oberen“ Bedürfnisse (soziale Bedürfnisse, Anerkennung, Selbstverwirklichung) anstreben kann. Die unteren Bedürfnisse- also Grundbedürfnisse wie Schlaf oder Hunger sowie Sicherheitsbedürfnisse haben in ihrer Bedeutung für unsere Gesellschaft den darauf aufbauenden Bedürfnissen- soziale Beziehungen, Anerkennung und Selbstverwirklichung gewichen. Das Prinzip der Bedürfnispyramide ist ganz einfach- die unbefriedigenden Bedürfnisse wirken motivierend, wobei natürlich an dem Konzept eine Vernachlässigung situativer Bedingungen zu kritisierend ist. Vereinfacht kann man sagen, dass durch die Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen in den kapitalistischen Gesellschaften im Vergleich zum neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert heutzutage fast ausschließlich die „oberen“ Bedürfnisse als motivierend anzusehen sind.
Man spricht in dem Zusammenhang von einem postmaterialistischen Wertewandel (v.a. in den 80gern Jahren zu verzeichnen), der sich bezogen auf den Arbeitssektor durch mangelnde Akzeptanz der verantwortungs- und entscheidungsarmen Plätzen in der Produktion kennzeichnete d.h. die Motivation der Beschäftigen ist nicht mehr nur durch Lohnanreize zu steigern. Es bildete sich ein „Wunsch nach Zugehörigkeit, Wertschätzung, Befriedigung intellektueller und ästhetischer Ansprüche“ (Litzbauer 1994: 10). Der Drang nach Wohlstand wich dem Drang nach einer Tätigkeit aus, die nicht- materielle Bedürfnisse wie Anerkennung und Freude am Arbeiten sättigen kann. Das Transformationsproblem wird somit durch engere Identifikation mit der Arbeitsaufgabe und mehr Autonomie am Arbeitsplatz behandelt.
2. Das Transformationsproblem und dessen Lösung im Taylorismus und Lean Production
Das Transformationsproblem bedarf in jedem Produktionssystem eine Kontrolle. Doch deren Variationen sind sehr unterschiedlich. Eine historische Abfolge der unterschiedlichen Kontrollformen nach Edwards ging folgendermaßen von statten:
Die Ursprungsvariante der Kontrollmöglichkeiten war stark personifiziert und direkt- die Kontrolle erfolgte einfach durch den Vorgesetzten. Diese Kontrollform stand wie bereits erwähnt an den Anfängen der Industrialisierung im Vordergrund. Zunehmend gewann die technische Kontrolle an Bedeutung, deren tragendes Beispiel das Fließband darstellt. Diese Entwicklung von einer direkten persönlichen Kontrolle zu einer indirekten versachlichten Kontrolle wird durch die Kontrolle über Bürokratie ergänzt und verstärkt (Vgl. Minssen 2006: 70) d.h. das Aspekt der Kontrolle hat nicht an seine Bedeutung verloren und durch eigenverantwortliches Arbeiten überflüssig geworden. Die Kontrolle ist präsent, bloß in einer anderen Form.
„Auf Basis neuer Techniken [v.a Datenverarbeitung] steigen einerseits die Chancen einer weitgehenden Taylorisierung durch Automatisierung von Handlungsspielräumen manueller und geistiger Tätigkeiten. Andererseits erhöhen sich die Möglichkeiten der Kontrolle (und damit leistungspolitischer Eingriffe) auch bei autonomen Tätigkeiten“ (Wotschak 1987: 23). Es handelt sich z.B. um Effektivitätsvergleiche, ob im Bezug auf Ausfall- oder Produktionszeiten, die eine neue Form der Kontrolle darstellen. Das sind alles Prozesse, die unter dem Stichwort „kontrollierte Autonomie“ bekannt geworden sind (ebd.).
Wichtig ist aber dabei einzuräumen, dass dennoch von einer Ohnmacht der Beschäftigten keine Rede sein kann. Es geht in einem Betrieb auch um den Einfluss informeller Gruppen, der unter anderem in den Hawthorne – Experimenten entdeckt wurde sowie um die Verfügung über Ungewissheitszonen (beispielsweise Expertenwissen) und um die Möglichkeit, die Arbeit jeden Moment niederzulegen, die den Beschäftigten durchaus gewisse Machtressourcen zur Verfügung stellt. Die Kontrolle also „erfordert ein grundsätzliches Einverständnis der Kontrollierten, sich auch kontrollieren zu lassen; es erfordert letztlich Konsens“ (Minssen 2006: 74).
[...]