Literatur im Hörfunk der zwanziger und dreißiger Jahre am Beispiel Günter Eichs


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

53 Seiten, Note: 2


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Entwicklung von Radio und Hörspiel Einleitung
1.1. Die Hörspielrevolution, oder: Wie alles begann
1.2. Erste Überlegungen zum Zeck und zur Wirkung des Hörspiel
1.3. Erste Entwürfe zur Hörspieltheorie
1.4. Die Rundfunkrevolution, oder: Wie alles endete

2. Der Dichter und sein Werk
2.1. Günter Eich – Zur Person
2.2. Günter Eich – Zum Werk

3. „Ein Traum am Edsin-gol“
3.1. Fazit der Untersuchung

4. Die Weiterentwicklung des Hörspiels
4.1. Das traditionelle Hörspiel
4.2. Das neue Hörspiel

Schlusswort

Literaturverzeichnis

Das Wort gehört zur Hälfte dem,

welcher spricht,

und zur Hälfte dem,

welcher hört.

Michel de Montaigne

Einleitung

Am 14.März 2000 war die meist besuchte Internetseite, die des amerikanischen Autors Stephen King. Als erster Schriftsteller hatte er das neue Medium Internet für sich entdeckt und seinen Roman „Riding the Bullet“ als Online-Ausgabe ins Netz gestellt. Der Kultautor von Bestsellern wie „Shining“ und „Es“ machte zunächst keine guten Erfahrungen mit dem neuen Medium. Drei Wochen nach Erscheinen der Online Ausgabe geisterte das - eigentlich kopiergesicherte - ´Grusel-E-Book` als geknackte Raubkopie im Internet herum. Dabei hätte der Download von der Verlagshomepage planmäßig nur gegen Bezahlung erfolgen dürfen.

Obwohl das Misstrauen in die elektronische Distribution von Literatur angestiegen war, konnte bereits einige Wochen später der deutsche Fantasy- und Science-Fiction Autor Wolfgang Hohlbein für die Veröffentlichung seines neuesten Werkes in ausschließlich elektronischer Form gewonnen werden. Vom Augsburger Online-Buchhändler „Booxtra“ konnte Hohlbeins Roman "Das zweite Gesicht" für fünf Mark direkt aus dem Netz geladen und am heimischen PC ausgedruckt werden. Booxtra hoffte durch die Kooperation mit Hohlbein noch mehr Autoren und Leser für die literarische Arbeit bzw. die literarischen Angebote im Internet zu begeistern.

Hohlbein zählt mit der rein elektronischen Veröffentlichung von "Das zweite Gesicht" zu den Pionieren aus dem deutschsprachigen Raum, die das neue Medium Internet für die Verbreitung ihrer literarischen Arbeit nutzen

.

Die Firma ´T-Online` hat gemeinsam mit dem Deutschen Taschenbuchverlag (dtv) einen Wettbewerb ausgeschrieben, um die „literarische Kunstformen des digitalen Zeitalters zu fördern“ (unter: www.t-online.de/literaturpreis).

Anlass für die Ausschreibung von ´Literatur.digital2001` ist das vierzigjährige Jubiläum von dtv. Während der Ausschreibung können alle Beiträge online abgerufen werden. „Literatur.digital2001“ untergliedert sich in einen Publikumspreis und einen Jurypreis.

Eine Vorjury der Veranstalter wählt in einem ersten Schritt bis zu 20 Arbeiten aus. Anschließend stimmen die Internet-Nutzer per Online-Voting über den Publikumspreis ab. Eine fünfköpfige Jury bestimmt den Gewinner des Jurypreises. In beiden Kategorien erhalten die erstplatzierten Gewinner je 5.000 Mark. Alle Einsendungen, die den Anforderungen entsprechen, werden im Internet publiziert.

Thomas Holtrop, Vorstandsvorsitzender von T-Online in einem Interview bei www.t

online.de/literaurpreis:

"Das Internet steht nicht für das oft kolportierte Ende des Buches, sondern bietet eine Chance für neue Kunstformen. Autoren werden für die Leser nicht nur erleb- und greifbarer, die Internet-Nutzer haben zudem die Möglichkeit, direkt mit den Künstlern in Kontakt zu treten [...]. G emeinsam mit dem dtv möchten wir Interesse für diese Kunstformen wecken und bieten den digitalen Visionen ein attraktives Forum."

In einem Grußwort an die Teilnehmer erklärt Wolfgang Balk, Verleger des Deutschen

Taschenbuch Verlages auf der selben Internetseite:

„Das Internet beflügelt die Phantasie der Menschen. Aus der einfachen Idee, mehrere Computer zu vernetzen, um Informationen schneller und besser austauschen zu können, ist eine weltweit verknüpfte Community geworden.

Jedes Medium generiert offensichtlich eigene Kunstformen. Das Radio führte zum Hörspiel, das Video zur Videokunst . Auch der Computer regte zu neuen literarischen und visuellen künstlerischen Ausdrucksweisen an, die im Internet ein breitgefächertes Forum finden, und auch bereits durch Preise wie beispielsweise den "Pegasus" der Wochenzeitung "Die Zeit" gefördert werden Der Deutsche Taschenbuch Verlag , der dieses Jahr seinen vierzigsten Geburtstag feiert, sieht es als seine wesentliche Aufgabe an, die Literatur von der Frühzeit bis in die unmittelbare Gegenwart jenseits des Bestsellergeschäfts in ihrer ganzen Bandbreite vorzustellen und zugänglich zu machen. In diesem Sinne engagieren wir uns für die sich neu entwickelnden literarischen Formen im Internet, für die wir durch diesen Preis auch eine größere Öffentlichkeit interessieren wollen.

Wir wünschen allen Teilnehmern viel Erfolg und auch viel Vergnügen, und sind gespannt darauf, ob der Computer eine neue literarische Dimension erschließt..“

Der Wettbewerb läuft noch bis zum 15.August 2001.

Mit jeder Entwicklung eines neuen Mediums wächst die Hoffnung, dass die Ausdrucksmöglichkeiten, die es bietet, die Distanz von Produzent und Rezipient verringert oder sogar beseitigt , und dass das passive Publikum (Leser, Hörer und Zuschauer) zu Akteuren gemacht wird. Zum Einen, indem der Hörer zum Beispiel beim Radio anrufen kann und sich so ins Programm integriert. Zum Anderen, weil der Zuschauer sich durch bewegte Bilder intensiver in ein Geschehen hineindanken kann und zum Dritten, weil der Leser sich an im Internet veröffentlichter Literatur interaktiv beteiligen kann.

Neben einigen Künstlern und Gelehrten, die neue Medienformen ablehnen, sie als beängstigend empfinden (wie zum Beispiel Theodor von Adorno), gab und gibt es zahlreiche Schriftsteller die sich – im Gegenteil - sogar viel von den neuen Ausdrucksmöglichkeiten versprochen haben.

Walter Benjamin beschäftigte sich 1936 in seinem gleichnamigen Werk mit dem ´Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit` und versprach sich viel von der kollektiven Rezeptionssituation im Kino. Hans Magnus Enzensberger hoffte darauf, dass die Erfindungen Fernseher und Video sich als Kommunikationsmedien im Dienste einer gesellschaftlichen Progressivität entwickeln würden. Was daraus wurde, erleben wir täglich selber: die Fernbedienung macht uns unabhängiger von den Programmgestaltern, das Fernsehangebot erst recht, und Video hat sogar den kreativen Urlaubsfilmer hervorgebracht, der als ´Nicht- Medienschaffender` Otto-Normal-Verbraucher renommierte Sendungen wie „Pleiten, Pech und Pannen“ beliefert.[0]

Berthold Brecht hoffte mit Blick auf das Radio, dass nun jeder Zugang zum Mikrofon bekäme. Ergebnis: Zuhörer dürfen während der Übertragung anrufen, Quizaufgaben lösen, ihre Verwandten grüßen oder sich Musikstücke wünschen.

So wie der Computer als allerneueste Erfindung des Menschen zu neuen literarischen und visuellen künstlerischen Ausdrucksweisen anregt, die ´im Internet ein breitgefächertes Forum finden sollen` (siehe Zitat Balk), so regte vor rund 80 Jahren das damals neue Medium Radio zu neuen literarischen und auditiven künstlerischen Ausdrucksweisen an: dem Hörspiel.

Nahezu die gesamte literarische Intelligenz der Weimarer Republik- Alfred Döblin, Arnold Zweig, Bertholt Brecht, Walter Benjamin, Joseph Roth, Ernst Bloch, Kurt Weill, u.a.- haben eine mehr oder weniger intensive Beziehung zu diesem neuen Medium entwickelt.

Gutenbergs geniale Erfindung des Buchdrucks scheint Literaten ab einem bestimmten Zeitpunkt – nämlich ab dem Zeitpunkt der Entdeckung einer neuen Technik als eine Art ´Spielwiese` - nicht mehr gänzlich zu befriedigen. Warum dies so zu sein scheint, möchte ich in dieser Arbeit am Beispiel des Autors Günter Eich und dem vor rund hundert Jahren entwickelten Radio untersuchen.

Eich ist geradezu ein Paradebeispiel für den Entdecker und zeitweise gänzlichem ´Überläufer` zu dem damaligen neuen Medium Radio, und der Möglichkeiten, die es bot, sich literarisch auszudrücken.

Eich, der ursprünglich -und nach eigenen Angaben– in erster Linie Lyriker war, verdiente sogar seinen Lebensunterhalt größtenteils mit dem Verfassen von Hörspielen.

Am Manuskript von Eichs erstem, vollständig erhaltenen Hörspiel „Der Traum am Edsin-gol“, das er 1932 schrieb (welches allerdings erst 1950 in umgeschriebener Form gesendet wurde), möchte ich im praktischen Teil dieser Arbeit herausfinden, inwiefern ihm das Radio neuartige künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten bot und was er daraus machte bzw. wie er sie nutzte.

Während der Literatur-Recherche zu dieser Arbeit fiel mir auf, dass der frühe Eich in der Sekundärliteratur fast ausschließlich an Hörspielen gemessen und beurteilt wird, die er nach dem Krieg verfasst hat. Meist wird die Thematik der „Träume“ und die Thematik des „Königswusterhäuser Landboten“ oder der „Rebellion in der Goldstadt“ miteinander verglichen und daraus Rückschlüsse auf den Menschen Eich und sogar seine politische Gesinnung getroffen.

Die Bearbeitung des Hörspiels „Der Traum am Edsin-gol“ ist für mich interessant geworden, nachdem ich festgestellt habe, dass es als eines seiner ersten Hörspiele (vor dem „Landboten“ und vor der „Goldstadt“) bereits Elemente enthält, die rund zwanzig Jahre später Eichs Hörspiel-Gesamtwerk geprägt und berühmt gemacht haben. Warum Eich es zunächst aufgab und später wieder aufnahm diese Art von Hörspielen zu schreiben möchte ich ebenso beleuchten, wie die Frage warum er überhaupt für den Rundfunk arbeitete.

Dazu ist es notwendig, zunächst die grobe Entwicklung und die damaligen technischen und politischen Gegebenheiten des Mediums zu skizzieren.

Dies und die Frage, ob für das Hörspiel damals bereits dramaturgische Vorgaben existierten, werde ich im ersten Kapitel erläutern. Es werden Überlegungen verschiedener Theoretiker der Vorkriegszeit vorgestellt.

Im zweiten Kapitel widme ich mich der Person Günter Eich und seinem Werk.

Seine persönlichen Daten, sowie ein Versuch der Einordnung seines Werkes, werden dabei eine zentrale Rolle spielen.

Im dritten Kapitel werde ich die ausgearbeiteten Aspekte über die Gattung Hörspiel auf der einen und dessen Nutzung durch Günter Eich im „Traum am Edsin-gol“ auf der anderen Seite in Einklang zu bringen versuchen. Dieses wird den praktischen Teil dieser Arbeit ausmachen.

Im vierten und letzten Kapitel werde ich die Weiterentwicklung der Hörspieltheorien skizzieren.

Um die Arbeit abzurunden werde ich im Schlusswort auf die Frage eingehen, welche Chancen Literaten wie Eich in der Nutzung „Neuer Medien“ gesehen haben und was die Verwendung des Mediums Internet heute für literarische Herausforderungen bietet.

Ziel dieser Arbeit ist es, heraus zu finden, was den jungen Schriftsteller Günter Eich zum Hörfunk hingezogen hat, und erneut die Frage aufzugreifen warum er die Möglichkeiten des neuen Mediums Radio nicht spätestens bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten gegen deren Anschauungen genutzt har, anstatt sie durch diverse Arbeiten im Auftrag der Nazis zu unterstützen, wie viele seiner Kritiker ihm vorwerfen. Die Arbeit beschränkt sich hauptsächlich auf die Anfänge des Rundfunks und des Hörspiels.

Weitere Entwicklungen werden nur angerissen und ausschließlich dann erwähnt, wenn rückblickend ein wichtiger Bezug zu der Pionierzeit besteht.

Günter Eich dient aus zwei Gründen als Beispielfigur. Zum Einen weil davon auszugehen ist, dass ihn das neue Medium in bestimmter Hinsicht geprägt hat und er wie kaum ein anderer Literat die Entwicklung des Hörspiels beeinflusst hat. Und zum Anderen weil sich das Seminar, in der die Idee zu diesem Thema entstanden ist, explizit mit diesem Autor beschäftigte.

1. Die Entwicklung von Radio und Hörspiel

Einleitung

Der Rundfunk in Deutschland hatte zunächst die Funktion des Militärfunks und wurde während des Ersten Weltkriegs von der sogenannten Telegraphentruppe ausgebaut. Die Soldaten waren auch die erste Zielgruppe, die mit Musiksendungen und Vorlesungen aus Zeitungen und Büchern bei Laune gehalten werden sollte.

Nach dem Ersten Weltkrieg diente das Radio zur Übertragung von Börsennotierungen und Marktinformationen. 1919 wurden von der Hauptfunkstelle in Königswusterhausen Nachrichten- und Musiksendungen an 80 Postämter in ganz Deutschland übertragen. Dort wurden sie von den Empfangsanlagen telegraphisch aufgenommen und an ´Abonnenten` (Banker und Journalisten) telefonisch oder per Post weitergeleitet. Der Rundfunk befand sich ausschließlich unter staatlicher Kontrolle bis Arbeiter- und Soldatenräte ihn zur Koordination revolutionärer Aktivitäten entdeckten.

Am 9. November, dem Tag der Kaiserabdankung und der Revolution in Berlin, wurde die Sendestation der wichtigsten Nachrichtenagentur des Deutschen Reichs von Arbeitern und Soldaten besetzt. Dies war der Umbruch vom staatlichen zum öffentlichen Rundfunk in Deutschland.

Nachdem die Firma Telefunken die ersten Empfangsgeräte auf den Markt brachte, lag das eigentliche Interesse der meisten Bürger darin, die Geräte in akribischer Heimarbeit nachzubauen.

Für das Programm interessierten sich die Bastler zunächst nicht wirklich. Das Radio war nur ein technisches Hilfsmittel, die passenden Inhalte sollten noch folgen.

Was 1923 als „Vergnügungsrundspruch belehrenden und unterhaltenden Inhalts sowie Musik- und Gesangsvorträge“[1] angekündigt wurde, schreckte wohl etwas ab. Erst als daraus schlicht der „Unterhaltungs-Rundfunk“ spitzten mehr und mehr Bürger ihre Ohren.

1.1. Die Hörspielrevolution, oder: Wie alles begann

Einige Wissenschaftler setzen das Datum der "Geburtsstunde" des Hörspiels schon vor der Erfindung des Radios an. Völkerkundler entdeckten zum Beispiel, dass die Kurnai, der älteste Stamm der Australier, die Knabenweihe als eine Art sakrales Hörspiel feierten. Die Jungen mussten sich, um nichts zu sehen, in Gruben verstecken, die mit Sträuchern abgedeckt wurden. Bald hörten sie die Schritte einer nahenden Gottheit, akustisch inszeniert vom Rhythmus tanzender Männer,

„[...] die einmal rechts, und einmal links Rindenstreifen hallend auf den Boden schlugen und dieses klangliche Szenarium immer näher an die angstvoll horchenden Knaben heranklopfen ließen. [...]“[2].

Manche Hörspieltheoretiker sehen auch in der Geschichte von Homer, der als "blinder Rhapsode" seine Gesänge von Haus zu Haus trug, ein Hörspiel vor dem Hörspiel. Darüber hinaus gab es, lange vor dem Rundfunk Vorleser und Vorleserinnen, die zunächst zur Unterhaltung kurzsichtiger oder blinder Leute aus der Oberschicht – später auch vor breiterem Publikum - Geschichten akustisch inszenierten.

Schon Goethe und Schiller schrieben 1797 in einem gemeinsamen Aufsatz über die Wirkung von ausschließlich ´Gehörtem`:

"Er läse hinter einem Vorhang am allerbesten, so daß man von aller Persönlichkeit abstrahiere und nur die Stimme der Musen im allgemeinen zu hören glaubte".[3]

Spätestens nach Goethe und Schiller, einer Zeit, in der das Vorlesen florierte, wusste man, ´das Dichtung klingen und singen kann`[4] - und zwar durch die menschliche Stimme und mit Hilfe des Gehörs.

Abb.1+2: Die beiden ersten Programmankündigungen in der ersten Programmzeitschrift „Der deutsche Rundfunk“, Berlin im Dezember 1923.

Aus: a.a.O::Lerg, , 1965, S.214.

´Gesungen` und ´geklungen` haben in den ersten anderthalb Jahren des Sendebetriebs vor allem die Gedichte von Heinrich Heine. Die erste gesendete Gedichtrezitation im November 1923 war „Das Seegespenst“ von Heine.

Würffel sieht in dieser Wahl der Verantwortlichen ein Indiz für die anfängliche Aufgeschlossenheit der Rundfunkredakteure[5].

Ihre Arbeit in den deutschen Rundfunkanstalten war anfangs, zwangsläufig auf Improvisation angewiesen.

„[...]Das Fehlen verbindlicher Leitbilder, die von einem im Untertanengeiste erzogenen Volk schmerzlich vermisst wurden, gab den Programmleitern den Weg frei zum Experiment nach vielen Seiten, inhaltlich , intentional und formal.[...]“[6]

Erste Versuche dem Programm kulturellen Rang zu verschaffen, stützten sich also erst einmal auf bereits vorhandene literarische Werke, die oft von den Autoren selber, meist aber von Schauspielern, „on air“ vorgelesen wurden. In den ersten Jahren hatte sich der Rundfunk-Hörer mit eben diesen Gedicht- Rezitationen und adaptierten Monologen aus Theaterstücken unterhalten lassen. Ab 1924 kam es zur Übertragung von Dialogpartien aus epischen und dramatischen Stücken, die man, zusätzlich zur Unterhaltung, als bildungserweiternd betrachtete. Diese Stücke wurden zunächst als Sendespiele bezeichnet. Sie wurden wie ein Bühnenstück aufgeführt, indem sich die Akteure vor der Aufnahme verkleideten und die Aktion in den Szenen wurde das Verlesen der Regieanweisungen simuliert. Bei Szenenwechsel ertönte ein Gongschlag.

Schnell erkannte man jedoch, dass ohne das Geräusch die ´Wirklichkeit` nicht hörbar gemacht werden konnte. Durch zunächst spärliche Geräuschverwendung sollten bestimmte Situationen wirklichkeitsgetreuer werden, wie zum Beispiel die Symbolisierung der Zeit durch das Ticken einer Uhr oder – etwas fortgeschrittener - das Rattern eines Zuges bei der Darstellung von Bahnhofsszenen.

Alfred Braun, damals Ansager, literarischer Leiter und Regisseur, bezeichnete solche Wirklichkeitsausschnitte als Hörbilder[7].

Durch das leiser und lauter werden der Geräusche (Ausblenden und Einblenden) konnte von einer Szene in die andere übergeleitet werden ohne das die Handlung und der Ton abrupt unterbrochen werden. Die Entdeckung der Blende erinnerte Braun an den Film:

„[...] Das Decrescendo, das Abblenden, oder, um es ins Akustische zu übersetzten, das Abdämpfen, das Abklingen einer Szene leitet über in das Aufklingen, das Crescendo der nächsten Szene. Eine einfache, typisch primitive Kintopphandlung mit Verfolgungen, Irrungen, Wirrungen und all den unbegrenzten Möglichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten, die wir aus den ersten Filmen her kennen[...]“[8]

Die Aneinanderreihung solcher Hörbilder wurde als Hörfolge bezeichnet. Darin wurden verschiedenen Szenen durch ein sinngebendes Thema zusammengehalten.

In der experimentellen Anfangsphase solcher Hörfunk-Unterhaltung beschloss man unter anderem auch mal, dass die fehlende Bühnendramatik eben nicht durch Geräusche kompensiert werden könne, und man versuchte wieder mehr Wert auf das Wort zu legen und

„[...]mit Hilfe der Wortbehandlung auf die Phantasie des Hörers einzuwirken, um in dessen Vorstellung eine Bühne entstehen zu lassen, die den Nachvollzug jeder nur denkbaren Spielhandlung ermöglicht.“[9]

Die ersten Hörspiele in Europa, waren „A comedy of danger“, von Richard Hughes, dessen deutsche Übersetzung im August 1925 in Hamburg über den Äther rauschte und Rolf Gunolds „Spuk“. Die Handlung von „A comedy of danger“ spielt im Dunkeln eines Bergwerkes, in dem nach einem Unfall im Bergwerk drei Menschen auf ihre Rettung warten. Während dieser Zeit lassen sie ihr Leben und ihre Gefühle Revue passieren und versuchen, gegen die aufsteigende Panik anzukämpfen. Das Stück setzt, dadurch dass nur drei Stimmen von Bedeutung sind, auf einen sehr intensiven Höreindruck. Erwin Wickert spricht in diesem Zusammenhang rückblickend von einer „inneren Bühne der Einbildungskraft“[10]. Durch die Konzentration auf die Stimmen und die Ausblendung jeglicher äußeren Umstände, zu denen auch die gesellschaftliche, politische und soziale Wirklichkeit gehört, ist eine Individualisierung und Verinnerlichung des Hörens nicht zu vermeiden.

Eine Individualisierung und Verinnerlichung ist nach Hughes und anderen Anhängern des „realistischen Hörspiels“[11] nur möglich, indem man akustische Abbilder der Wirklichkeit schafft.

Bezogen auf Hughes` „A comedy of danger“ war dies gelungen, aber es bedeutete, dass die Handlung gezwungenermaßen im Dunkeln spielen musste, da das Hörspiel an sich ja nicht sichtbar sondern ausschließlich hörbar ist. Hughes ging sogar noch einen Schritt weiter. Er ließ sein Werk im Dunkeln produzieren. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass es eine Grenze der Gattung realistisches Hörspiels gibt: Laut Hughes hätte man nur solche Hörspiele realistisch ´rüberbringen` können, die ausschließlich in der Dunkelheit spielen. Das wäre auf die Dauer nicht sehr unterhaltend geworden.

Die darauffolgenden Hörspiele orientierten sich an den Bedingungen und Möglichkeiten des Rundfunks und versuchten nicht mehr die äußere Wirklichkeit – Szenenausschnitte aus dem Leben – wiederzugeben, sondern beschränkten sich von vornherein auf Handlungen und Handlungsorte die den Bedingungen des Rundfunks als bildlosem Medium angemessen schienen.

Die Stücke, die nicht mehr hauptsächlich mit Stimmen sondern mit akustischen Mitteln arbeiteten, wurden durch lange Einführungen eines Ansagers vor dem Stück in die Situation hineingelenkt. Dem Hörer wurde die Entwicklung der Bilder durch eigene Phantasie und das eigene Interpretieren des Gehörten abgenommen.

Einen Vorschlag zur Nutzung von Wortanteil und Geräuschanteil, speziell der Musik, machte Hegemann, erster Berliner Rundfunkintendant, den Braun 1929 zitierte:

„[...] Musik wird zur Darstellung von nur optisch aufnehmbaren Vorgängen benutzt. Musik ist die akustische Kulisse zur Verdeutlichungder inneren und äußeren Situation einer Szene, zur Charakterisierung eines bestimmten Schauplatztes. Musik wird zur Untermalung von Dialogpartien verwendet, zur Akzentuierung, zur Stilisierung der Geräusche.[...]“[12]

[...]


[0] Online im Internet : http//www.t-online.de/literaturpreis.htm

[1] Lerg, Winfried B. : Die Entstehung des Rundfunks in Deutschland. Bd.1, Frankfurt, 1965, S.21.

[2] Vgl.: http://www.hoerspiel.com/historie.htm

[3] ebenda

[4] Vgl.: http://www.hoerspiel.com/historie.htm

[5] Vgl.: Würffel, Stefan Bodo: Das deutsche Hörspiel, Stuttgart, 1978, S. 12.

[6] Fischer, Kurt E.: Das Hörspiel. Form und Funktion. Stuttgart, 1964, S.16.

[7] Vgl.: ebenda, S13.

[8] Braun, Alfred: Hörspiel, 1929, in: Bredow, Hans: Aus meinem Archiv, S.150. Zitiert nach: a.a.O.: Würffel, 1978, S.13.

[9] a.a.O.: Würffel, 1978, S.12.

[10] http://www.hoerspiel.com/historie.htm

[11] ebenda

[12] Hegemann, zitiert nach Alfred Braun, in: Bredow, Hans: Aus meinem Archiv, 1950, S.149. Zitiert nach: Vohwinkel, Antje: Collagen im Hörspiel, 1995, S.92.

Ende der Leseprobe aus 53 Seiten

Details

Titel
Literatur im Hörfunk der zwanziger und dreißiger Jahre am Beispiel Günter Eichs
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (FB Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Günter Eich, Lyrik-Prosa-Hörspiel
Note
2
Autor
Jahr
2001
Seiten
53
Katalognummer
V1758
ISBN (eBook)
9783638110785
Dateigröße
702 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In der Arbeit sind vier Abbildungen nicht enthalten - diese sind aber über die genauen Quellenangaben gut nachvollziehbar.
Schlagworte
Literatur, Hörfunk, Jahre, Beispiel, Günter, Eichs, Günter, Eich, Lyrik-Prosa-Hörspiel
Arbeit zitieren
M.A. Tamara Olschewski (Autor:in), 2001, Literatur im Hörfunk der zwanziger und dreißiger Jahre am Beispiel Günter Eichs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1758

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