Menschen mit geistiger Behinderung und Sport

Unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung einer Fußballmannschaft und der Organisation eines integrativen Fußballturniers


Bachelorarbeit, 2011

80 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1.EINLEITUNG

2. SPORT
2.1 DEFINITION VON SPORT
2.2 SPORT UND GESELLSCHAFT
2.3 FUßBALL IN DEUTSCHLAND

3. GEISTIGE BEHINDERUNG
3.1 BEGRIFFSDEFINITION
3.1.1 Behinderung in Gesetzestexten
3.1.2 Begriffsbestimmung der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
3.1.3 Geistige Behinderung nach dem ICD-10
3.1.4 Geistige Behinderung nach der „ American Association on Mental Retardation “ (AAMR)
3.1.5 Geistige Behinderung nach Otto Speck
3.2 LEBENSLAGEN VON MENSCHEN MIT BEHINDERUNG IN DEUTSCHLAND
3.2.1 Schule, Ausbildung und Beruf
3.2.2 Wohnen
3.2.3 Freizeitgestaltung

4. NORMALISIERUNGSPRINZIP

5. INTEGRATION
5.1 INTEGRATION - BEGRIFFSDEFINITION
5.2 INTEGRATION IN DER BEHINDERTENHILFE
5.3 INTEGRATION DURCH SPORT

6.FÖRDERUNG SOZIALER KOMPETENZEN BEI MENSCHEN MIT GEISTIGER BEHINDERUNG DURCH SPORT
6.1 SELBSTWERTGEFÜHL UND SELBSTBEWUSSTSEIN
6.2 SELBSTSTÄNDIGKEIT
6.2.1 motorischer Bereich
6.2.2 kognitiver Bereich
6.2.3 sozialer Bereich
6.2.4 emotionaler Bereich
6.3 SOZIALE KONTAKTE
6.4 GRUPPENDYNAMISCHE PROZESSE

7. DIE SPECIAL OLYMPICS
7.1 GESCHICHTE VON SPECIAL OLYMPICS
7.2 ENTWICKLUNG VON SPECIAL OLYMPICS IN BAYERN
7.3 PHILOSOPHIE VON SPECIAL OLYMPICS
7.3.1 Auftrag und Ziel von Special Olympics
7.3.2 Maßnahmen von Special Olympics im Sinne der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung
7.3.3 Vorteile für Menschen mit geistiger Behinderung durch Special Olympics
7.4 DER GEDANKE DES UNIFIED AM BEISPIEL FUßBALL

8. DIE FUSSBALLMANNSCHAFT DES CHRISTOPHORUS-HEIMS IN NEUENDETTELSAU
8.1 ENTSTEHUNG UND ZIELE
8.2 DAS FUßBALLTRAINING
8.2.1 Aufwärmphase
8.2.2 Erarbeitungsteil
8.2.3 Ausklangphase
8.3 PÄDAGOGISCHE ERKENNTNISSE
8.4 PERSPEKTIVEN DER FUßBALLMANNSCHAFT

9. ORGANISATION UND DURCHFÜHRUNG EINES INTEGRATIVEN FUßBALLTURNIERS
9.1 DEFINITIONSPHASE
9.2 PLANUNGSPHASE
9.3 DURCHFÜHRUNGSPHASE/REALISIERUNGSPHASE
9.4 ABSCHLUSSPHASE
9.4.1 Auswertung der Fragebögen
9.4.2 persönliche Reflexion des Turniers

10. QUELLENVERZEICHNIS

1.EINLEITUNG

Vom 6. bis 9. Juni 2011 fanden in der mittelfränkischen Stadt Ansbach die Special Olympics Bayern, sozusagen die olympischen Spiele für Menschen mit geistiger Behinderung, statt. Auf der Website der bayrischen Special Olympics Sommerspiele in Ansbach (SPECIAL OLYMPICS ANSBACH) finden sich folgende beeindruckende Zahlen:

- 850 teilnehmende Sportler
- 300 Betreuer
- 200 Familienangehörige
- 200 Helfer

Es fanden Wettkämpfe in den Sportarten Fußball, Tennis, Tischtennis, Basketball, Boccia, Leichtathletik, Schwimmen und Radsport statt. Diese Zahlen und Informationen zeigen welche Bedeutung Sport für Menschen mit geistiger Behinderung hat. Doch wie kann Sport gezielt für die Förderung von Menschen mit geistiger Behinderung eingesetzt werden und welche Erfolge können erzielt werden? Diese Fragen beziehen sich nicht nur auf Special Olympics, sondern auch auf die Paradigmen der Behindertenhilfe, wie Normalisierung und Integration.

In der heutigen Zeit werden viele Wege der Integration von Menschen mit geistiger Behinderung beschritten. Der Bereich Sport grenzt sich jedoch davon ab, da in erster Linie nicht das Ziel der Integration verfolgt wird, sondern das Ziel der Sportart, also beispielsweise „Tore schießen“. Um dieses Ziel zu erreichen, wird Integration gelebt. Integration ist also nicht das Ziel, sondern der Weg zum Ziel.

Diese Bachelorarbeit beschäftigt sich nicht nur mit den Themen geistige Behinderung und den Paradigmen der Behindertenhilfe, sondern auch mit der Möglichkeit soziale Kompetenzen bei Menschen mit geistiger Behinderung durch den Sport zu fördern. Dabei unterscheidet sich diese Förderung nicht so sehr von der Förderung Jugendlicher in Sportvereinen, sondern passt sich nur den motorischen und kognitiven Einschränkungen der teilnehmenden Menschen an.

Special Olympics wird als Organisation vorgestellt, die diese Förderung und Begeisterung für den Sport für und mit Menschen mit geistiger Behinderung weltweit organisiert und eine Lobby für diese Menschen schafft. Die Organisation Special Olympics agiert damit sowohl auf der institutionellen als auch auf der politischen Ebene.

Die Beschreibung einer Fußballmannschaft für Menschen mit geistiger Behinderung zeigt die Arbeit auf der Individualebene. Durch regelmäßiges Training formt sich eine Mannschaft. Ein Mannschaftsgeist entwickelt sich und jeder einzelne Spieler verbessert fußballerische Fähigkeiten und soziale Kompetenzen.

Die Organisation eines integrativen Fußballturniers beinhaltet die Arbeit auf der Ebene der sozialen Netzwerke. Die Organisation selbst ist die Durchführung eines Projekts. Die Teilnahme an dem Turnier ist für die Menschen mit geistiger Behinderung eine Erfahrung, die ihr Leben bereichern kann.

2. SPORT

2.1 Definition von Sport

Der Brockhaus definiert Sport mit folgenden Worten: „ Sammelbezeichnung für die an spielerischer Selbstentfaltung sowie am Leistungsstreben ausgerichteten vielgestaltigen Formen körperlicher Betätigung, die sowohl der geistigen und körperlichen Beweglichkeit als auch dem allgemeinen Wohlbefinden dienen sollen “ (BROCKHAUS 2000, S.859). Diese Definition beschreibt Sport bezogen auf das Individuum also den Menschen selbst. Aber Sport hat noch weitere, vielfältigere Dimensionen.

Sport beeinflusst weite Teile des menschlichen Lebens. Sport kann die wirtschaftliche Lage eines Landes beeinflussen, wenn beispielsweise eine große Sportveranstaltung in diesem Land stattfindet. Sport kann Einfluss auf die Politik haben, aber auch umgekehrt. Sport kann der Integration von Migranten dienen. Sport kann aber auch missbraucht werden, wie beispielsweise in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Sport hat also unendlich viele Facetten, so dass eine umfassende Definition kaum möglich ist.

Otmar Weiß, Professor für Sportsoziologie an der Universität in Wien, definiert Sport als soziales Phänomen: „ Sport ist eine soziale Institution, in der Kommunikation körperlicher Leistungen stattfindet “ (WEIß 1999, S.10).

Des Weiteren steht Sport in engem Zusammenhang mit der vorherrschenden Gesellschaft.

„ Sport ist ein Kulturprodukt; er existiert nicht unabhängig von der Gesellschaft, sondern entwickelt sich im Kontext sozialer Systeme “ (WEIß 1999, S.10).

2.2 Sport und Gesellschaft

Um das Phänomen Sport in einer Gesellschaft näher zu betrachten, ist es zunächst einmal notwendig den Begriff ‚Gesellschaft’ näher zu definieren. „ Gesellschaft ist eine Bezeichnung für die Gesamtheit des Sozialen und kennzeichnet die zwischenmenschliche Verbundenheit bzw. die besondere Art der sozialen Beziehungen, Prozesse, Handlungen oder Kommunikation “ (WEIß 1999, S.17).

Die Soziologie beschäftigt sich auf einer wissenschaftlichen Ebene mit dem Thema Gesellschaft, mit gesellschaftlichen Strukturen, Funktionen und Prozessen. Max Weber definiert die Soziologie als „ eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und in seinen Wirkungen ursächlich erklären will “ (KORTE 2009, S.109).

Im großen Forschungsgebiet der Soziologie hat sich die sogenannte Sportsoziologie auf die Verknüpfung von Sport und Gesellschaft spezialisiert. Die Sportsoziologie „ ist jene Wissenschaft, die sich mit der Erforschung sozialen Handelns (soziale Strukturen, Prozesse, etc.) im Sport sowie mit den Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Sport befasst “

(WEIß 1999, S.23).

Sport und Gesellschaft beruhen auf gleichen Wertemustern und Verhaltens-Konfigurationen. Der Sport bildet sich in einer Gesellschaft und ist zugleich Ausdruck des soziokulturellen Systems (WEIß 1999,S.30).

Um die bisher genannten Definitionen und Behauptungen zu verdeutlichen und zu unterstreichen, ist es notwendig sich die dominierenden Sportarten verschiedener Länder in Gedächtnis zu rufen. Diese sagen viel über die Gesellschaft aus.

Beispielsweise hat der Fußball in Brasilien einen anderen Stellenwert als in europäischen Ländern. Kinder, Jugendliche und auch deren Eltern setzen alles daran später in europäischen Fußballligen zu spielen. Nur so scheint es möglich der Armut in Brasilien zu entkommen. Der Sport wird zu einem Mittel gesellschaftliche Schranken, die durch Armut geschaffen wurden, zu überwinden.

Ein weiteres Beispiel ist das Schachspiel in Russland. In Deutschland wird Schach in der öffentlichen Meinung kaum als Sportart wahrgenommen, obwohl es auch in Deutschland Schachvereine gibt.

In Russland dagegen ist Schach ein Nationalsport und pflegt dort eine lange historische Tradition. In Schachschulen werden schon Kinder frühzeitig gefördert. In Russland erfährt ein guter Schachspieler mehr Respekt und Anerkennung in der Öffentlichkeit als in Deutschland.

Verschiedene Sportarten haben also in verschiedenen Ländern einen unterschiedlichen Stellenwert.

Um die Entwicklung und den Stellenwert einer Sportart in Deutschland näher zu beschreiben, wird im folgenden Abschnitt der Fußball eine tragende Rolle spielen.

2.3 Fußball in Deutschland

Die Wurzeln des modernen Fußballs liegen in England. Dort entwickelte sich der Fußball von einem Volkssport ohne festgelegte Regeln zu einem Sportspiel (WEIß 1999, S.38). 1863 wurden die ersten offiziellen Regeln festgelegt (FEDERATION INTERNATIONALE DE FOOTBALL ASSOCIATION 2007). Schon 1857 wurde der Fußballverein FC Sheffield gegründet, der damit der älteste Fußballverein der Welt ist.

In den 1870er und 80er Jahren wurden dann auch in Deutschland zahlreiche Fußballvereine gegründet. Im Jahr 1900 wurde dann schließlich der Deutsche Fußball Bund gegründet, der heute 6,5 Millionen Mitglieder in 26.000 Vereinen zählt. Damit ist Fußball die beliebteste Sportart in Deutschland (DEUTSCHER FUßBALLBUND 1998).

Fußball hatte und hat auch heute noch einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert in Deutschland. Der Weltmeisterschaftstitel der deutschen Fußballnationalmannschaft 1954 hatte für das deutsche Volk nach der Zeit des Nationalsozialismus und dem verlorenen Weltkrieg eine besonders hohe Bedeutung. Ein „Wir-sind-wieder-Wer-Gefühl“ stellte sich bei der Bevölkerung ein. Der Titel war so bedeutsam, aber auch so überraschend, dass man noch heute vom „Wunder von Bern“ spricht. (FOCUS)

Auch heute noch herrscht in Deutschland Ausnahmezustand, wenn ein großes Fußballturnier ansteht. Während der Fußballweltmeisterschaft 2006, die in Deutschland stattfand, beherrschte kaum ein anderes Thema die Medien und die Öffentlichkeit. Die Stimmung in der Öffentlichkeit stieg und fiel mit dem Erfolg der deutschen Nationalmannschaft. Keiner anderen Sportart in Deutschland gelingt es die Öffentlichkeit in dieser Weise zu beeinflussen.

Fußball ist ein Massensport und mittlerweile auch ein bedeutsamer wirtschaftlicher Zweig.

3. GEISTIGE BEHINDERUNG

3.1 Begriffsdefinition

Geistige Behinderung ist ein weitreichender Begriff. Im folgenden Abschnitt sollen mehrere Definitionen von geistiger Behinderung und Behinderung im Allgemeinen dargestellt und kritisch hinterfragt werden.

Noch in den 50er Jahren waren Begriffe, wie „Schwachsinn“, „Blödsinn“, „Idiotie“ und „Oligophrenie“ auch in Fachkreisen akzeptiert und gebräuchlich. Diese Begriffe stigmatisierten die betroffenen Menschen in einem hohen Maße. Die Elternvereinigung „Lebenshilfe“ brachte dann in den 50er Jahren den Begriff „geistige Behinderung“ ein, der die stigmatisierenden Begriffe ersetzen sollte (THEUNISSEN 2005, S.13). Auch heute noch unterliegen Begriffe einem Wandel. So wurde der Begriff „Behinderter“ in der modernen Behindertenhilfe durch den Begriff „behinderter Mensch“ und dann durch „Mensch mit Behinderung“ abgelöst. Diese Umformulierung soll verdeutlichen, dass der Mensch als Mensch akzeptiert wird und sich nicht nur durch seine Behinderung definiert. In der Gesellschaft ist diese Begriffswandlung noch nicht vollzogen, was auch daran liegt, dass Medien immer noch den Begriff „Behinderter“ benutzen.

3.1.1 Behinderung in Gesetzestexten

„ Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist “ (SGB IX §2 Abs.1).

Diese Definition von Behinderung finden sich im Neunten Sozialgesetzbuch und im Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen wieder.

Sie bezieht sich nicht nur auf geistige Behinderung, sondern auch auf körperliche und seelische.

3.1.2 Begriffsbestimmung der Weltgesundheitsorganisation (WHO)

Schon im Jahr 1980 veröffentlichte die WHO einen dreistufigen Behindertenbegriff:

- Impairment: Schaden, Schädigung
- Disability: Beeinträchtigung von Fähigkeiten
- Handicap: soziale Beeinträchtigung

Dieser findet sich im ICIDH-1 (International Classification of Impairment, Disability and Handicap). Da diese Begriffsbestimmung sehr defizitorientiert war, folgte 1999 die ICIDH-2 als Arbeitsvorlage für das ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health). Das ICF wurde auf dem Grundmodell des bio-psycho-sozialen Gesundheitsmodells aufgebaut. Dieses Modell geht davon aus, dass die Gesundheit eines Menschen auf drei Ebenen entsteht:

- bio (Körper)
- psycho (Seele)
- sozial (äußere Lebensbedingungen)

Das ICF orientiert sich dabei nicht nur an Defiziten, sondern auch an Ressourcen. Die grundlegenden Aspekte können dabei wiederum in drei Punkten zusammengefasst werden:

- Körperfunktionen und -strukturen; Störungsbegriff: Schädigung (Funktionsstörung, Strukturschaden)
- Aktivitäten; Störungsbegriff: Beeinträchtigung der Aktivität
- Partizipation/Teilhabe; Störungsbegriff: Beeinträchtigung der Partizipation/Teilhabe

Auf diesen drei Ebenen kann also eine Behinderung beschrieben werden (ICF 2005).

Die bisher aufgezeigten Begriffsbestimmungen beziehen sich auf körperliche, seelische und geistige Behinderungen. Im Folgenden sollen nun Begriffsbestimmungen und Definitionsansätze ausschließlich zur geistigen Behinderung aufgezeigt werden.

3.1.3 Geistige Behinderung nach dem ICD-10

Beim ICD-10 handelt es sich um die „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“, herausgegeben von der Weltgesundheitsorganisation. Im ICD-10 wird geistige Behinderung als Intelligenzstörung bezeichnet und findet sich im Kapitel V „Psychische und Verhaltensstörungen“. Folgenden Beschreibung findet sich dort: „ Ein Zustand von verzögerter oder unvollständiger Entwicklung der geistigen Fähigkeiten; besonders beeinträchtigt sind Fertigkeiten, die sich in der Entwicklungsperiode manifestieren und die zum Intelligenzniveau beitragen, wie Kognition, Sprache, motorische und soziale Fähigkeiten. Eine Intelligenzstörung kann allein oder zusammen mit jeder anderen psychischen oder körperlichen Störung auftreten “ (ICD- 10, 2010; Kap. V F70-79).

Sieben verschiedene Kategorien werden im ICD-10 beschrieben.

- „ leichte Intelligenzminderung: IQ-Bereich 50-69; wird auch als leichte geistige Behinderung bezeichnet
- mittelgradige Intelligenzminderung: IQ-Bereich 36-49; wird auch als mittelgradige geistige Behinderung bezeichnet
- schwere Intelligenzminderung: IQ-Bereich 20-34; wird auch als schwere geistige Behinderung bezeichnet
- schwerste Intelligenzminderung: IQ-Bereich unter 20; wird auch als schwerste geistige Behinderung bezeichnet
- Dissozierte Intelligenz: deutliche Diskrepanz, z.B. zwischen Sprach-IQ und Handlungs- IQ
- Andere Intelligenzminderung: Beurteilung der Intelligenzminderung ist mit den üblichen Verfahren nicht möglich, z.B. bei schwerer Verhaltensstörung
- Nicht näher bezeichnete Intelligenzminderung: zu wenige Informationen vorhanden, um in eine der oben genannten Kategorien einzuordnen “ (ICD-10, 2010; Kap. V F70- 79).

Bei dieser Kategorisierung von geistiger Behinderung muss wiederum kritisiert werden, dass sie defizitorientiert ist und die Kategorien durch die Angaben eines genauen Intelligenzquotienten sehr eng gefasst sind.

3.1.4 Geistige Behinderung nach der „ American Association on Mental Retardation “ (AAMR)

Die AAMR ist weltweit die größte Interessensvereinigung von Angehörigen und Freunden von Menschen mit geistiger Behinderung.

Sie definiert geistige Behinderung wie folgt:

„ Mental retardation is a disability characterized by significant limitations both in intellectual functioning and in adaptive behavior as expressed in conceptual, social, and practical adaptive skills. This disability originates before age 18 ” (SCHUPPENER 2005, S.24). Für die Diagnose geistige Behinderung müssen also nach der AAMR folgende Kriterien gegeben sein:

- intellektueller Funktionsgrad (IQ) liegt unter 70-75
- die Behinderung ist vor dem 18. Lebensjahr aufgetreten
- es gibt signifikante Einschränkungen in mindestens zwei Adaptionsfähigkeiten

Unter Adaptionsfähigkeiten versteht man Fähigkeiten, die man benötigt um sein Leben zu bewältigen: Kommunikation, Eigenverantwortung, Wohnen, soziale Fähigkeiten, Freizeit, Gesundheit und Sicherheit, Selbstbestimmung, funktionales Wissen, Gemeinschaft und Arbeit (WOLFFERSDORFER, 2005).

Aufbauend auf dieser Definition unterscheidet die AAMR vier verschiedene Formen von Unterstützung. Anders als das ICD-10 wird hier nicht der Schweregrad der Behinderung beschrieben, sondern der notwendige Unterstützungsgrad:

- Periodische Unterstützung (intermittent supports): Unterstützungsleistungen werden nur zeitweise, periodisch benötigt.
- Begrenzte Unterstützung (limited supports): Unterstützungsleistungen werden regelmäßig in einzelnen Lebensbereichen benötigt.
- Ausgedehnte Unterstützung (extensive supports): Die Unterstützungsleistungen werden permanent und zeitlich unbegrenzt in mehreren Lebensbereichen benötigt.
- Umfassende Unterstützung (pervasive supports): Die Unterstützungsleistungen sind charakterisiert durch ihre zeitliche Konstanz und hohe Intensität. Unterstützung wird in vielen Lebensbereichen gebraucht und ist zumeist lebenserhaltender Natur (LINDMEIER 2004).

3.1.5 Geistige Behinderung nach Otto Speck

Otto Speck verzichtet auf eine ganzheitliche Definition von geistiger Behinderung. Er unterteilt diese in die verschiedenen Fachrichtungen:

- Medizinische Sichtweise: Die medizinische Sichtweise beschränkt sich auf Symptome und mögliche Entstehungsursachen (z.B. pränatale oder perinatale Komplikationen oder postnatale Ursachen). Die Medizin geht also von organisch-genetischen Bedingungsfaktoren für geistige Behinderung aus. Dementsprechend hat die Medizin eine defizitäre Sichtweise von geistiger Behinderung.
- Psychologische Sichtweise: In der Psychologie werden vor allem Intelligenztests angewandt um verschiedene Behinderungsstufen zu definieren, bzw. den Intelligenzquotienten zu ermitteln (z.B. Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder). Die Leistungsfähigkeit eines Menschen wird jedoch nicht allein durch den Intelligenzquotienten bestimmt. Darüber hinaus werden Teilbereiche, wie beispielsweise die emotionale Intelligenz, nicht erfasst.
- Soziologische Sichtweise: Die Soziologie sieht den Menschen mit einer geistigen Behinderung als Teil der Gesellschaft. Sie geht davon aus, dass geistige Behinderung auch sozial begründet sein kann (z.B. bei schwerer sozialer Deprivation). Darüber hinaus untersucht die Soziologie die Schichtzugehörigkeit von Menschen mit einer geistigen Behinderung.
- Epidemiologische Sichtweise: Die Epidemiologie untersucht die Verbreitung und Aufteilung von Schädigungen und ihren Bedingungen. Dabei spielen die Begriffe Inzidenz (z.B. Auftretenshäufigkeit von einer geistigen Behinderung in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe in einem definierten Zeitraum) und Prävalenz (z.B. Anzahl von Menschen mit einer geistigen Behinderung in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe) eine große Rolle.
- Pädagogische Sichtweise: Für die Pädagogik ist geistige Behinderung eine Umschreibung, um den Personenkreis definierbar zu machen, für den pädagogische und soziale Hilfen gedacht sind (SPECK 1990, S.45ff).

Die Aufteilung der Definition von geistiger Behinderung auf die verschiedenen Fachbereiche erscheint einerseits sinnvoll, da jeder Fachbereich andere Schwerpunkte setzt. Andererseits steht es dem Grundsatz entgegen, wonach der Mensch als Einheit gesehen werden soll (Prinzip der Ganzheitlichkeit).

Der vorangegangene Abschnitt über die Definition von geistiger Behinderung zeigt, dass es viele Möglichkeiten gibt sich der Definition von geistiger Behinderung zu nähern. Aber keine der genannten Definitionen kann von sich behaupten eine umfassende Definition zu sein, die alle Aspekte des Menschen berücksichtigt. Daher ist es immer wichtig zu berücksichtigen, in welchem Kontext man von einer geistigen Behinderung spricht.

3.2 Lebenslagen von Menschen mit Behinderung in Deutschland

Der bekannte deutsche Soziologe Jürgen Habermas beschreibt die moderne Gesellschaft als „neue Unübersichtlichkeit“. Die traditionelle Stabilität verschwindet langsam. Durch erhöhte Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen an den einzelnen Menschen verlieren soziale Milieus an Zusammenhalt. Was daraus folgt sind Individualisierungsprozesse (Interessen werden ausdifferenzierter) und Pluralisierungsprozesse (Normen und Werte sind nicht mehr allgemeingültig) (GLÖCKLER 2010, S.20).

In dieser modernen Gesellschaft wird es für Menschen mit einer geistigen Behinderung immer schwerer sich zu integrieren und zu behaupten.

3.2.1 Schule, Ausbildung und Beruf

Der Abschnitt zum Thema Schule, Ausbildung und Beruf soll bewusst kurz gehalten werden, da das Hauptaugenmerk der Arbeit auf dem Bereich Freizeit bzw. Sport liegt. Im Folgenden finden sich Zahlen und Fakten aus dem Bericht der Bundesregierung über die Lage von Menschen mit Behinderung für die 16. Legislaturperiode. Diese Zahlen umfassen nicht nur Menschen mit geistiger Behinderung, sondern auch Menschen mit seelischer und körperlicher Behinderung, bzw. Menschen die einen Schwerbehindertenausweis besitzen. Ungefähr 8 Millionen Menschen mit Behinderung leben in Deutschland, die folgenden Zahlen sollen die Lebenslagen von Menschen mit Behinderung in Deutschland darstellen. In Deutschland besuchen nur 15,7% der Schüler mit Behinderung gemeinsam mit nichtbehinderten Schülern eine Schule. Im Ausbildungsjahr 2007/2008 nahmen 72% der Bewerber mit einer Behinderung eine Ausbildung auf, 27% nahmen ein Alternativangebot, z.B. berufsvorbereitende Maßnahme, wahr. Von 2005 bis 2008 sank die Arbeitslosenquote von schwerbehinderten Menschen um 14%. Menschen mit geistiger Behinderung arbeiten aber größtenteils immer noch in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Auch in den Werkstätten stieg die Zahl der Angestellten in den vergangenen Jahren. Die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung bei privaten Arbeitgebern stieg von 4% im Jahr 2003 auf 4,3% im Jahr 2006 nur sehr leicht an (BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT UND SOZIALES 2009, S.9ff).

Zum Thema Freizeit, das auch im Hinblick auf Arbeit wichtig wäre, werden in dem Bericht leider keine Angaben gemacht.

3.2.2 Wohnen

Neben Beruf und Schule ist der Bereich Wohnen der zweite große Lebensbereich des Menschen. Für Menschen mit einer geistigen Behinderung stellt selbstständiges Wohnen oft eine große Hürde dar. Selbstständiges Wohnen beinhaltet beispielsweise die Bereiche „Ordnung halten“, „sich verpflegen“, „Hygiene“ und „der Umgang mit Behörden und Ämtern“. Je nach Schwere der geistigen Behinderung können diese Aufgaben für Menschen mit geistiger Behinderung überfordernd sein.

Daher leben 50% der Menschen mit einer geistigen Behinderung in Deutschland bei ihren Familien, die sie unterstützen. Weitere Wohnformen sind meist institutionalisiert. Es handelt sich dabei um Einrichtungen eines Trägers, beispielsweise der Diakonie oder Caritas. Es wird zwischen vollstationären, teilstationären und ambulanten Wohnformen unterschieden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: „Wohnformen für Erwachsene mit geistiger Behinderung“ (BUNDSCHUH/DWORSCHAK 2003; S.12)

Vollstationäre Wohnformen schließen die Lebensbereiche Wohnen, Beruf und Freizeit mit ein. Die dort lebenden Menschen werden ganztägig betreut. Seit das Paradigma der Normalisierung in der deutschen Behindertenhilfe Einzug erhalten hat, stehen diese Komplexeinrichtungen unter einem Legitimationsdruck. Sie stellen kein normales, sondern ein geschütztes Lebensumfeld dar. Dorfgemeinschaften haben meist eine bestimmte Weltanschauung. Beispielsweise die anthroposophische Lebens-und Arbeitsgemeinschaft. In einer Dorfgemeinschaft leben Menschen mit und ohne geistige Behinderung zusammen. Wie bei Komplexeinrichtungen schließen sie die Lebensbereiche Wohnen, Beruf und Freizeit mit ein.

Teilstationäre Wohnformen sind beispielsweise Wohnheime, eigenständige Wohngruppen und Außenwohngruppen mit dem Ziel sich in die Gemeinde zu integrieren. Die Wohngruppen befinden sich meist in Mietshäusern. Die Betreuung wird durch ein Team pädagogischer Fachkräfte sichergestellt. Langfristiges Ziel ist es die Menschen in selbstständigere Wohnformen auszugliedern.

In den letzten Jahren sind teilstationäre und ambulante Wohnformen vermehrt in den Vordergrund getreten.

Ambulante Wohnformen, wie integrative Wohngemeinschaften oder betreutes Einzel- und Paarwohnen, fordern von den Bewohnern eine große lebenspraktische Selbstständigkeit, da sich die Betreuung durch Fachkräfte auf wenige Stunden in der Woche beschränkt (BUNDSCHUH/DWORSCHAK 2003; S.10ff).

Da sich die Behindertenhilfe in Deutschland auf die Paradigmen Normalisierung, Selbstbestimmung und Integration ausrichtet und dies auch teilweise politisch unterstützt werden, nimmt der Druck auf die großen Träger der Behindertenhilfe zu, nicht nur große Komplexeinrichtungen zu betreiben. In anderen europäischen Ländern, wie beispielsweise Dänemark, sind große Komplexeinrichtungen kaum noch zu finden. Die gesamte Behindertenhilfe hat sich auf teilstationäre und ambulante Wohnformen umgestellt. Dieser Abschnitt wurde bewusst kurz gefasst und soll nur eine kurze Übersicht über die Wohnmöglichkeiten für Menschen mit geistiger Behinderung in Deutschland aufzeigen.

3.2.3 Freizeitgestaltung

Der Brockhaus definiert Freizeit als, „ die dem Berufstätigen au ß erhalb der Berufsarbeit verbleibende Zeit, die in einer selbst bestimmten und selbst gestalteten Tätigkeit zur Verfügung steht “ (BROCKHAUS 2000, S.302). Die Gestaltung der Freizeit wird für Menschen mit einer Behinderung häufig zum Problem. Sie fühlen sich wegen ihrer Behinderung von bestimmten Freizeitmöglichkeiten ausgeschlossen oder sind bei Freizeitaktivitäten auf die Unterstützung eines Dritten angewiesen.

Die führte in den vergangenen Jahren dazu, dass Sport- und Freizeitvereine gegründet wurden, in denen ausschließlich Menschen mit Behinderung aktiv sind. Dieser Prozess ermöglichte jedoch eine weitere Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung. Die größte Organisation für die Gestaltung der Freizeit von Menschen mit Behinderung ist der Deutsche Behindertensportverband, kurz DBS. Der DBS ist der Dachverband für Vereine, die Sport für Menschen mit Behinderung anbieten. Der Verein besteht aus 17 Landesverbänden, 2 Fachverbänden und 7 außerordentlichen Mitgliedern. (DEUTSCHER BEHINDERTENSPORTVERBAND 1a)

Am Beispiel des DBS soll gezeigt werden, wie sich die sportliche Betätigung von Menschen mit Behinderung in den vergangenen Jahren geändert hat. Der Verein wurde 1951 gegründet, 1956 hatte er bereits 13.000 Mitglieder, 1991 ungefähr 207.000 Mitglieder und 2009 über 500.000 Mitglieder (DEUTSCHER BEHINDERTENSPORTVERBAND 1b). Natürlich ist Sport nicht die alleinige Freizeitaktivität von Menschen mit Behinderung.

Um nicht das Thema aus dem Blick zu verlieren, soll nun spezifisch auf die Freizeitgestaltung von Menschen mit geistiger Behinderung eingegangen werden.

Die Gestaltung unterscheidet sich nicht so sehr von der Freizeitgestaltung nicht behinderter Menschen, aber die Bedeutung von Freizeit für Menschen mit geistiger Behinderung ist meist größer.

- Integration: In der Freizeitgestaltung kann die gesellschaftliche Isolierung eines Menschen mit einer geistigen Behinderung leichter aufgehoben werden.
- Persönlichkeitsentfaltung: Durch Freizeitaktivitäten kann das oft geringe Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein von Menschen mit geistiger Behinderung gestärkt werden.
- Erholung und Kompensation: Wie bei nicht behinderten Menschen dient Freizeit Menschen mit geistiger Behinderung zur Erholung, aber auch zur Kompensation (z.B. von angestauten Aggressionen).
- Weiterbildung: Wie auch bei nicht behinderten Menschen können Menschen mit geistiger Behinderung ihre Freizeit zur Weiterbildung nutzen.
- Entlastung von Familien: Durch die Betätigung in einem Sportverein oder einer anderen Freizeitgruppe können Familien entlastet werden, z.B. Familien, die sich ausschließlich um ihr behindertes Kind kümmern (BRUMBERG 2001).

Der Bereich Freizeitgestaltung nimmt also im Leben eines Menschen (mit oder ohne Behinderung) einen großen Platz ein. Daher sind Begriffe wie Selbstbestimmung, Normalisierung und Integration in diesem Bereich von besonderer Bedeutung.

4. NORMALISIERUNGSPRINZIP

Das Normalisierungsprinzip wurde in den 50er Jahren von dem Dänen Niels Erik BankMikkelsen entwickelt. Im dänischen „Gesetz über die Fürsorge für geistig Behinderte“(1959) findet sich der Gedanke des Normalisierungsprinzips wieder:

„ Normalisierung bedeutet den geistig Behinderten ein so normales Leben wie möglich zu gestatten “ (BANK-MIKKELSEN 1959). Für Bank-Mikkelsen bedeutete dies, dass wichtige Lebensbereich, wie z.B. Wohnen, Arbeit und Freizeit, voneinander getrennt werden müssen. Menschen mit geistiger Behinderung lebten zu dieser Zeit meist in großen Einrichtungen und waren praktisch von der Außenwelt abgeschlossen, da sich alle Lebensbereiche innerhalb der Einrichtung befanden.

Der Schwede Bengt Nirje griff Bank-Mikkelsen Gedanken der Normalisierung 1969 auf und entwickelte sie weiter. Er sah „ das Normalisierungsprinzip als ein Mittel an, das dem geistig Behinderten gestattet, Errungenschaften und Bedingungen des täglichen Lebens, so wie sie der Masse derübrigen Bevölkerung zur Verfügung stehen, weitgehend zu nutzen “

(KUGEL/WOLFENSBERGER 1974).

Nach Nirje hat die Umsetzung des Normalisierungsprinzips Auswirkungen auf acht Bereiche des Lebens:

1. Normaler Tagesrhythmus: Der Tagesrhythmus solle dem altersgleicher nicht- behinderter Menschen angepasst werden (Schlafen, Aufstehen, Anziehen, Mahlzeiten, Arbeit, Freizeit).
2. Trennung von Arbeit, Freizeit und Wohnen: Wie auch Bank-Mikkelsen fordert Nirje die klare Trennung von Arbeit, Freizeit und Wohnen, vor allem im Bezug auf Ort und Kontaktpersonen.
3. Normaler Jahresrhythmus: Es sollen im Jahreslauf wiederkehrende Ereignisse stattfinden (z.B. Ferien, Besuche, Familienfeiern).
4. Normaler Lebenslauf: Angebote und Behandlungen sollen auf das jeweilige Lebensalter abgestimmt sein.
5. Respektierung von Bedürfnissen: Wünsche, Entscheidungen und Willensäußerung von Menschen mit Behinderung müssen berücksichtigt werden.
4. Normalisierungsprinzip 21
6. Angemessener Kontakt zwischen den Geschlechtern: Menschen mit Behinderung müssen geschlechtliche Kontakte ermöglicht werden, wenn sie dies wollen.
7. Normaler wirtschaftlicher Standard: durch die Sozialgesetzgebung zu ermöglichen
8. Standards von Einrichtungen: Größe, Lage und Ausstattung von Einrichtung sind an die Maßstäbe nicht-behinderter Menschen anzugleichen.

Um Normalisierung umzusetzen müssen also große stationäre Einrichtungen geschlossen und durch teilstationäre Einrichtungen oder offene Sozialhilfen ersetzt werden. Dieser Prozess muss auf den Ebenen der Sozialpolitik, der Einrichtungskonzeptionen und der Betreuungskonzepte in der Praxis angegangen werden (THIMM 1979, S.20ff). In Dänemark ist die Umsetzung des Normalisierungsprinzips auch in der Sozialpolitik schon viel weiter vorangeschritten als in Deutschland.

Wolf Wolfensberger entwickelte das Prinzip der Normalisierung durch Systematisierungsversuche (1972) weiter fort.

Er schlägt zunächst eine Neuformulierung des Normalisierungsprinzips vor: „ Anwendung von Mitteln, die der kulturellen Norm so weit wie möglich entsprechen, mit der Absicht, persönliche Verhaltensweisen und Merkmale zu entwickeln bzw. zu erhalten, die den kulturellen Normen so weit wie möglich entsprechen “ (BIEWER 2009, S.119). Wolfensberger bezieht die Normalisierung auf drei Handlungsebene und jeweils zwei Dimensionen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: „Die sechs Bereiche des Normalisierungsprinzips nach Wolfensberger“ ( STOEPPLER 2002, S.24)

In den drei Handlungsebenen sind also nicht nur die Handlungen gegenüber Menschen mit geistiger Behinderung wichtig, sondern auch deren Außendarstellung. In Deutschland findet sich mit Walter Thimm ein Vertreter des Normalisierungsgedankens. Er unterstützte Forschungsprojekte zur Normalisierung, zu familienentlastenden Diensten, zu gemeindeorientierter Hilfe und zu Wegen der Unterstützung von Familien mit behinderten Kindern (THIMM 2005, S.237).

In Deutschland hat sich das Normalisierungsprinzip noch nicht durchgesetzt. Die großen Wohlfahrtsverbände unterhalten immer noch große stationäre Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, in denen das Prinzip nur auf der Ebene der Betreuungsgesetze teilweise umgesetzt werden kann. Im Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG) werden einige Aspekte des Normalisierungsprinzips umgesetzt (z.B. Barrierefreiheit). Auch das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung ist ein ^chritƚ ŝn ZichtunŐ Eormalisierung.

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Details

Titel
Menschen mit geistiger Behinderung und Sport
Untertitel
Unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung einer Fußballmannschaft und der Organisation eines integrativen Fußballturniers
Hochschule
Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg  (Fachhochschule)
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
80
Katalognummer
V175820
ISBN (eBook)
9783640969777
ISBN (Buch)
9783640969517
Dateigröße
1052 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Anlagen (Fotos) wurden aus datenschutzrechtlichen Gründen vor der Veröffentlichung gelöscht.
Schlagworte
Sport, Behinderung, Menschen mit Behinderung, geistige Behinderung, Fußball, Turnier, Integration, Normalisierung, Soziale Arbeit, Pädagogik
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Matthias Dietrich (Autor:in), 2011, Menschen mit geistiger Behinderung und Sport , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/175820

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Titel: Menschen mit geistiger Behinderung und Sport



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