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Können wir etwas wissen?
Dass Zweifel in vieler Hinsicht eine große Hilfe sein können, um bestimmte Sachverhalte besser zu verstehen, wird wohl jeder bestätigen. Ohne Nach- und Hinterfragen gibt es kein neues Wissen. Aber was passiert wenn Personen, genannt Skeptiker, uns versuchen deutlich zu machen, dass wir im Grunde überhaupt nichts wissen? Die Folgen wären drastisch, denn wir dürften das Wort „Wissen“ nur noch sehr selten verwenden und müssten unserer Intuition misstrauen, die uns trotz aller Einwände ziemlich häufig das Gefühl gibt, etwas zu wissen. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, was die Position des Skeptikers ist und wie man trotz seiner Angriffe daran festhalten kann, Wissen zu haben. Dabei soll der Wissensbegriff etwas abgeschwächt und die Einwände des Skeptikers zurückgewiesen werden.
Die Form des Skeptizismus, um die es hier gehen soll, besagt, dass wir Menschen über kein Wissen verfügen. Er ist ein Angriff auf die herkömmlichen Konzepte und Vorstellungen von Wissen. Sein Kampfruf ist: „Woher weißt du, dass du dich nicht täuscht?“ Auf diese Weise wird dem Angesprochenen abverlangt, dass er mit 100%iger Sicherheit nachweisen kann, warum er dies oder jenes weiß. Sollte ihm das nicht gelingen, so hat er kein Wissen. Wenn der Skeptiker erfolgreich mit seinen Forderungen ist, so bleibt man mit Meinungen und Vorstellungen, aber nicht mehr mit Wissen zurück.
Welche Möglichkeiten gibt es, um auf die Herausforderung des Skeptikers zu reagieren? Ein fehlschlagender Versuch könnte darüber laufen, dass man bestimmte Kriterien festlegt, anhand denen sich danach feststellen lässt, was Wissen ist und was nicht. Zum Beispiel könnte das Kriterium „was durch die fünf Sinne erfahrbar ist“ als hinreichende Bedingung für Wissen festgelegt werden. Folglich würden wir alles wissen, was durch unsere fünf Sinne erfahrbar ist. So würden wir unser Wissen über die Existenz von Bäumen, Äpfeln und Lederschuhen erhalten. Nun kann der Skeptiker jedoch einwenden, und das zu recht, dass wir gar keine Kriterien für unser Kriterium „was durch die fünf Sinne erfahrbar ist“ haben. Er könnte die Frage stellen, woher wir denn wissen, dass dieses Kriterium hinreichend ist?. Geben wir aber weitere Kriterien an, so stehen diese wieder vor dem gleichen Problem. Auch sie müssen begründet werden. Der Regress von Kriterien oder Gründen für Kriterien und Gründe ist leicht zu erkennen.
Es scheint jedoch so, dass wir Menschen wirklich Wissen haben. In vielen Fällen können wir es jedoch nicht begründen. Wir wissen, dass wir existieren, andere Personen auch existieren, wir heute Morgen gefrühstückt haben und Barmherzigkeit eine Tugend ist. Selbstverständlich besteht die logische Möglichkeit, dass jede dieser Aussagen falsch sein könnte, aber außerhalb des Seminarraums für Philosophie missachtet man diesen Umstand geflissentlich.
Irgendetwas muss also an den Forderungen des Skeptikers nicht stimmen, mit denen er an den Wissensbegriff herantritt. Es muss eine Alternative zu ihnen geben. Eine, die wir im Alltag häufig verwenden, beginnt mit unsicheren Dingen, die wir ohne Voraussetzungen zu wissen meinen, und folgern aus ihnen andere Dinge.[1]
Wir wählen im Alltag, ganz intuitiv, einen dem des Skeptikers entgegengesetzten Ansatz. Anstatt nur das als „Wissen“ zu bezeichnen, worin wir uns nicht täuschen können, halten wir etwas für Wissen, solange wir keine guten Gründe dafür haben, dass wir uns (wahrscheinlich) täuschen. Wie das aussieht, soll gleich erläutert werden. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass wir Wissen von dem Maßstab des Skeptikers (der 100%ige Sicherheit fordert) lösen. Aber der Skeptiker kann darauf einiges erwidern.
Wie verteidigt man diesen Ansatz gegen den Vorwurf des Skeptikers, zirkulär zu argumentieren, indem man den zu begründenden Punkt (das wir etwas wissen) einfach für bestimmte Dinge voraussetzt? Wenn der Skeptizismus eine ernst zunehmende Position sein soll, dann muss der Skeptiker ihn begründen. Woher nimmt er jedoch die Gründe, wenn er nichts wirklich weiß? Also muss auch er Wissen voraussetzen. Er muss z.B. wissen, dass wir uns in allem täuschen können und dass 100%ige Sicherheit eine notwendige Bedingung für Wissen ist. Man befindet sich folglich in keiner schlechteren Position als der Skeptiker. Man kann ihn auf diese Weise zwar nicht widerlegen, aber dennoch zurückweisen, indem man ihn auf die Probleme seines Ansatzes aufmerksam macht und sich darum bemüht den eigenen zu stärken.
Ein weiterer Vorwurf, den der Skeptiker erheben kann, ist, dass die Möglichkeit der Täuschung eigentlich ein hinreichender Grund ist, um uns Wissen in diesem Sachverhalt abzusprechen. Ob das wirklich sinnvoll ist, soll an einem Beispiel überprüft werden. Beispielsweise könnte jemand behaupten, er wisse, dass der Saft einer tropischen Pflanze einen Wirkstoff gegen nahezu alle Krebserreger enthalte. Grund für diese Behauptung sei einer seiner Träume der letzten Nacht. In diesem Fall hat die Möglichkeit der Täuschung eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit. Folglich ist es geboten, diese Aussage nicht als Wissen, sondern als noch zu prüfende Hypothese abzutun.
Dennoch gibt es einen Unterschied zwischen unserem Ansatz und dem des Skeptikers. Er würde das Beispiel nicht als „Wissen“ bezeichnen, weil es logisch möglich wäre, dass sich der Träumer täuscht. Wir würden es als Wissen ablehnen, weil die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass der Träumer sich täuscht, solange der Stoff nicht getestet wurde.
Es zeichnet sich also ein Unterschied zwischen einem logischen „möglich“ und einem epistemischen „möglich“ ab.[2] Der Skeptiker würde das zweite Newtonsche Axiom[3] nicht als Wissen bezeichnen, weil es logisch möglich wäre, das Isaac Newton sich geirrt hat. Wir hingegen würden es als Wissen bezeichnen, auch wenn Newton es nicht aus früheren Gesetzen hergeleitet (und selbst wenn, so müsste er auch diese auch noch begründen müssen), sondern aus vielen Beobachtungen geschlossen hat, obwohl er sich bei keiner einzigen Beobachtung hätte sicher sein dürfen. Unser Grund das Gesetz in die Kategorie dessen einzuordnen, was wir wissen, wäre ganz einfach, dass es viele Phänomene der Physik erklärt und wir keine Gründe gegen es haben.[4]
Auch ist es logisch möglich, ohne Hilfen durch den Atlantik zu schwimmen oder auf den Mond zu springen. Es ist nur sehr unwahrscheinlich, dass jemand das schafft. Genauso ist es logisch möglich, dass das zweite newtonsche Axiom falsch ist, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass es wirklich stimmt. Die logische Möglichkeit, dass wir uns täuschen können, reicht folglich nicht aus, um einem Sachverhalt die Bezeichnung „Wissen“ abzusprechen.
Wir haben in diesen Ausführungen einen anderen Ansatz als den des Skeptikers gewählt, um uns dem Thema Wissen zu nähern. Dabei haben wir nicht nur den Angriff des Skeptikers zurückgewiesen (wenn auch nicht widerlegt). Vielmehr dürfen wir bei unserer schwächeren Bedeutung des Wortes „Wissen“, an vielen Dingen als Wissen festhalten, wenn die Möglichkeit der Täuschung unwahrscheinlich ist.
Literaturverzeichnis:
Craig, W. L. & Moreland, J. P. (2003) Philosophical Foundations for a Christian Worldview, Downers Grove, IL: InterVarsity Press.
Giancoli, D. (2006) Physik, München: Pearson Studium.
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[1] Ein Beispiel wäre das Wissen, dass Mord ist falsch ist. Daraus könnte gefolgert werden, dass bewusstes Fahren auf der falschen Straßenseite auch falsch ist.
[2] Vgl. Craig & Moreland 2003, 101.
[3] Es lautet a = F/m (wirkt eine konstante Kraft F auf eine Masse m, so wird diese mit der Beschleunigung a beschleunigt). Vgl. Giancoli 2006, 109.
[4] Vgl. Giancoli 2006, 1312. Alle hier gemachten Aussagen beziehen sich nur auf die klassische Mechanik. In der Quanten- und relativistischen Mechanik gilt das Newtonsche Axiom in der von ihm festgelegten Form nicht.