Leseprobe
Gliederung
1 Einleitung
2 Hauptteil
2.1 Hintergrund
2.1.1 Der literarische Expressionismus
2.1.2 Großstadterfahrung im Expressionismus
2.1.3 Das Menschenbild im Expressionismus
2.1.4 Georg Heym und die Großstadt
2.2 „Die Dämonen der Städte“
2.2.1 Formale Analyse
2.2.2 Darstellung der Dämonen
2.2.3 Die Städte
2.2.4 Der Mensch in der Stadt
2.2.5 Naturerfahrung
2.2.6 Mythologisierung
2.2.7 Fazit: Apokalyptische Endzeitstimmung
2.3 Stadt und Menschenbild in weiteren Gedichten von Georg Heym
2.3.1 „Der Gott der Stadt“
2.3.2 „Umbra Vitae“
2.3.3 „Die Stadt“
3 Schluss
4 Literaturverzeichnis
4.1 Primärliteratur
4.2 Sekundärliteratur
1 Einleitung
„Sie [i.e. die Dämonen, K.N.] lehnen schwer auf einer Brückenwand
Und strecken ihre Hände in den Schwarm
Der Menschen aus, wie Faune, die am Rand
Der Sümpfe bohren in den Schlamm den Arm.“
Georg Heym, Die Dämonen der Städte
Als sich in der Übergangszeit vom 19. ins 20. Jahrhundert der technische und industrielle Fortschritt rasant entwickelt, verändert sich besonders in den Großstädten das Leben der Menschen gravierend. Wie dieser Wandel sich in der Lyrik Georg Heyms darstellt, möchte ich exemplarisch anhand des Gedichts „Die Dämonen der Städte“ und dreier weiterer ausgewählter Gedichte untersuchen.
Der Hauptteil meiner Arbeit gliedert sich in drei Abschnitte. Nach einer kurzen Einführung in den literarischen Expressionismus und in die Situation der Großstadt zur damaligen Zeit folgt eine ausführliche Interpretation des Gedichts „Die Dämonen der Städte“. Von besonderem Interesse ist dabei zunächst, mit welchen Mitteln das titelgebende Dämonische dargestellt wird und welchen Einfluss es auf die Städte und die darin lebenden Menschen hat. Mit der Frage, ob das Gedicht einen Lösungsansatz dafür anbietet, wie der Mensch mit dem Dämonischen, mit der Bedrohung, die von den „Dämonen der Städte“ ausgeht, umgehen kann oder soll, beschäftige ich mich im Anschluss daran.
Im dritten Teil meiner Arbeit ziehe ich die Heym-Gedichte „Umbra Vitae“, „Der Gott der Stadt“ und „Die Stadt“ zu einem Vergleich heran. Eine ausführliche Interpretation ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich; es erfolgt daher eine Konzent-ration auf ausgewählte Themen. So untersuche ich, wie es sich mit der Darstellung der Menschen in diesen Gedichten verhält und was sie gegebenenfalls von den „Dämonen der Städte“ unterscheidet. Von Interesse ist auch die Frage, ob es eine Möglichkeit für den Menschen gibt, sich aus der Dämonenherrschaft und den Zeitverhältnissen zu befreien oder ob der Mensch rettungslos verloren in einer sterbenden Welt ist.
Die Ergebnisse meiner Arbeit fasse ich im Schlussteil zusammen.
2 Hauptteil
2.1 Hintergrund
2.1.1 Der literarische Expressionismus
Die Epoche des literarischen Expressionismus oder die gesamte literarische Moderne klar von anderen Stilrichtungen in der Literatur abzugrenzen, ist wie jede Epochenzuordnung schwierig. Erstmals verwendet wird der Begriff „Expressionismus“ für die Bezeichnung einer neuen Kunstrichtung und bezeichnet hier vor allem einen Stil, der „sich gegen passive Eindrucksschilderung richtet und das aktive Bewusstsein verwirklicht“[1]. So grenze sich der Expressionismus deutlich vom Impressionismus ab, indem er nicht-objektiv ein inneres Erleben darzustellen versuche.[2] Auf die Literatur wird der Begriff jedoch erst mehrere Jahre später nach Beginn des Ersten Weltkriegs übertragen.
Frank Krause zufolge lässt sich zwar eine Hauptströmung im literarischen Expressionismus von etwa 1910 bis 1920 ausmachen, doch die Stiltypen der expressionistischen Literatur seien „so unterschiedlich, dass sich […] keine definierenden und zugleich abgrenzenden Epochenmerkmale herausarbeiten lassen“[3]. Jost Hermand ist der Ansicht, dass sich selbst „im Hinblick auf das Bild der großen Stadt, das für ihn [den Expressionismus, K.N.] so zentral ist, […] kein durchgehendes Konzept herauspräparieren“[4] lässt. „Die gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse der Zeit und deren Auswirkungen“[5] „die Auflösung tradierter Werte und Normen“ und der „Verlust von Wahrheit, Sinn und Einheit“[6] lassen sich nach Klaus Vondung als vorherrschende Themen festhalten. Man könne außerdem zwei Wellen in der expressionistischen Literatur erkennen: Zum einen die Vorkriegsjahre bis 1914, zum anderen das Ende des Ersten Weltkrieges und die unmittelbare Nachkriegszeit.[7]
2.1.2 Großstadterfahrung im Expressionismus
Kennzeichnend für die expressionistische Epoche ist insbesondere die technische und industrielle Entwicklung, die in der Übergangszeit vom 19. zum 20. Jahrhundert rasant fortschritt. Zentren der Industrialisierung waren die Großstädte. Die große Zahl neuer Arbeitsplätze löste eine „Landflucht“ von Arbeitern aus, die zu einem raschen Anstieg von Bevölkerungszahl und –dichte in den Städten führte. Ein zunehmendes Gefühl des Ich-Verlusts und der Anonymisierung waren die Folge. Auch strömte auf den einzelnen Menschen eine ungeheure Vielzahl von Reizen ein. Damit sei für den Menschen der Eindruck entstanden, „dass Prozesse in der Welt der vom Menschen geschaffenen Dinge sich gegenüber dem Willen der von ihnen betroffenen Akteure verselbständigt haben und zu fremdbestimmtem Verhalten zwingen“[8]. Die gewohnte Beziehung von Person und Ding –Person dominiert Ding, i.e. Mensch beherrscht Technik- habe sich somit umgekehrt. In der frühen Phase des Expressionismus, so Jost Hermand, sei „vor den Gefahren der wachsenden Reizsamkeit, Nervosität, […], Entartung gewarnt“[9] worden, während die Expressionisten zwischen 1912 und 1914 „von solchen Phänomenen nachgerade berauscht“ gewesen seien.[10] Auch hier ist zu erkennen, dass sich keine eindeutige Tendenz im Expressionismus feststellen lässt; der Hauptakzent in der Stadtdarstellung lag Hermand zufolge jedoch auf dem „Wilden“ in der Darstellung. Häufig wurde in der expressionistischen Lyrik jedoch auch das Bild der Dämmerung verwendet. Einerseits kann dieses Bild die Abenddämmerung und damit den Untergang symbolisieren, andererseits aber ebenso die Morgendämmerung bedeuten und damit als Aufgang angesehen werden.[11] Lothar Müller spricht im Zusammenhang mit der Stadtdarstellung von einem „Umschlag von höchster Zivilisation in tiefste Wildnis und Öde“[12].
[...]
[1] Krause, Frank: Literarischer Expressionismus. Paderborn 2008, S. 41f.
[2] Lea, Henry A.: Gustav Mahler und der Expressionismus. In: Wolfgang Paulsen (Hrsg.): Aspekte des Expressionismus. Periodisierung, Stil, Gedankenwelt. Heidelberg 1968, S. 86.
[3] Krause, Frank: Literarischer Expressionismus. Paderborn 2008, S. 50.
[4] Hermand, Jost: Das Bild der <großen Stadt> im Expressionismus. In: Scherpe, Klaus: Die Unwirklichkeit der Städte. Reinbek bei Hamburg 1988, S. 75.
[5] Vondung, Klaus: Mystik und Moderne. Literarische Apokalyptik in der Zeit des Expressionismus. In: Anz, Thomas/Stark, Michael: Die Modernität des Expressionismus. Stuttgart 1994, S. 142.
[6] Ebd..
[7] Ebd., S. 144.
[8] Krause, Frank: Literarischer Expressionismus. Paderborn 2008, S. 109.
[9] Hermand, Jost: Das Bild der <großen Stadt> im Expressionismus. In: Scherpe, Klaus: Die Unwirklichkeit der Städte. Reinbek bei Hamburg 1988, S. 75.
[10] Ebd., S. 72.
[11] Ebd., S. 73.
[12] Müller, Lothar: Die Großstadt als Ort der Moderne. Über Georg Simmel. In: Scherpe, Klaus: Die Unwirklichkeit der Städte. Reinbek bei Hamburg 1988, S. 15.