Kur- und Badeorte im 18. Jahrhundert – unter diesem Arbeitsthema soll in der vorliegenden Arbeit die gesellschaftliche Bedeutung solcher Orte am besonderen Beispiel der Reichsstadt Aachen und seiner Bäder untersucht werden.
Anliegen dieser Arbeit ist es, zwei bisher noch kaum zusammen untersuchte Themen in einen Kontext zueinander zu bringen: Bäder der Frühen Neuzeit und Aufklärung. Das 'Bad' in seiner historischen Entwicklung darf nicht nur, wie es bisher in der Forschung der Fall war, unter medizinhistorischen Aspekten, sondern soll auch als ein "sozialer Ort" der Aufklärung betrachtet werden und in seiner möglichen Funktion während der Aufklärung mit den anderen Formen von Soziabilität und 'Vergesellschaftung der Gesellschaft' – die in Universitäten, Akademien, Lesegesellschaften etc. Ausdruck fanden – verglichen werden.
Inhalt
Einleitung
Zur Forschung
A. Aufklärung und Geselligkeit im 18. Jahrhundert
1. Geselligkeit und Soziabilität
2. Aufklärung
3. Bürgertum
4. Orte und Organisation der Aufklärung
Akademien / Gesellschaften
Lese- und Schriftkultur
5. Öffentlichkeit – "ein kritischer Begriff"
B. Bad Aachen
1. Aachen im Ancien Régime
1.1 Politisch
1.2 Konfessionell
1.3 Wirtschaftlich
Zwischenresümee
2. Entwicklung des Bades Aachen
2.1 Von Rom zur Renaissance
2.2 Badeärzte – beginnender balneologischer Diskurs
2.2.1 Franciscus Blondel
2.3 Vom Thermalwasser zur Trinkkur
3. Städtebau für die Mode? – Ein neuer Badebezirk für ein neues Publikum
3.1 Der untere Quellbezirk 'Komphausbadstraße'
3.2 Der obere Quellbezirk am 'Hof'
3.3 Der Aufstieg zum 'Modebad'
Trinken
Baden
Was machte Aachen zum Modebad?
4. Aufklärung in Aachen
4.1 Zeitungslektüre in des "Gasconiers Caffeé-Haus"
4.2 "La Constance" – Die Loge in Aachen
4.3 Friedrich von der Trenck in Aachen
4.4 Der "Menschenfreund" (Trencks Wochenschrift)
4.4 Die 'Mäkelei' von 1786 als Zeichen für Aufklärung
5. Synthese: Die Aufklärung geht Baden
5.1 Trinken am Brunnen
5.2 Der 'Spatziergang'
5.3 Tanzt Isaac von Lövenich mit Gräfin von Goltstein?
Resümee und Ausblick
Quellen
Literatur
Sozialgeschichte / Gesellschaftlicher Wandel
Bädergeschichte (allgemein)
Aachen
Abbildungen
Einleitung
Kur- und Badeorte im 18. Jahrhundert – unter diesem Arbeitsthema soll in der vorliegenden Arbeit die gesellschaftliche Bedeutung solcher Orte am besonderen Beispiel der Reichsstadt Aachen und seiner Bäder untersucht werden.
Anliegen dieser Arbeit ist es, zwei bisher noch kaum zusammen untersuchte Themen in einen Kontext zueinander zu bringen: Bäder der Frühen Neuzeit und Aufklärung. Das 'Bad'[1] in seiner historischen Entwicklung darf nicht nur, wie es bisher in der Forschung der Fall war, unter medizinhistorischen Aspekten, sondern soll auch als ein "sozialer Ort"[2] der Aufklärung betrachtet werden und in seiner möglichen Funktion während der Aufklärung mit den anderen Formen von Soziabilität und 'Vergesellschaftung der Gesellschaft' – die in Universitäten, Akademien, Lesegesellschaften etc. Ausdruck fanden – verglichen werden.
Im ersten Teil der Arbeit muss der gesellschaftliche Kontext hergestellt werden, in den die Badeorte einzuordnen sind. Zu diesem Zweck sind zunächst die entscheidenden Begriffe zu klären: ständische Gesellschaft, Aufklärung, Bürgertum und Öffentlichkeit sind die Schlagwörter, die die Forschung für das 18. Jahrhundert geprägt hat.
Neben dem Jahrhundert des aufstrebenden Bürgertums liefert die Betrachtung des 18. Jahrhunderts als "geselliges Jahrhundert"[3] das Stichwort für einen weiteren unübersehbaren Aspekt bei der Auseinandersetzung mit Kur- und Badeorten: Badeorte müssen in den Kontext der Vergesellschaftung des 18. Jahrhunderts eingeordnet werden, um sie mit den anderen entstehenden Formen und Funktionen von Geselligkeit (Clubs, Lesegesellschaften, Logen etc.) zu vergleichen.
Vor dem Hintergrund der im ersten Abschnitt analysierten gesellschaftlichen Entwicklung soll im zweiten Teil der Arbeit das Bad Aachen aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden:
Das Badewesen der Stadt Aachen ist in seiner zeitlichen Entwicklung und seiner Bedeutung als Wirtschaftsfaktor, aber vor allem in seiner Abhängigkeit von gesellschaftlichen Einflüssen und Entwicklungen darzustellen – was machte Aachen zum Modebad des 18. Jahrhunderts, zum Anziehungspunkt für den Adel und das Bürgertum? Die Beantwortung dieser Frage wird in mehreren Abschnitten erfolgen: Grundlegend für das Wachstum der Badekultur war ein sich änderndes Verhältnis zum flüssigen Element – Wasser galt nicht mehr als gefährlich sondern als heilend. Für Aachen ist besonders das Wirken seines Badearztes Franciscus Blondel als Beispiel für einen wichtiger werdenden Medizinaldiskurs über die innerlich und äußerlich heilende Wirkung des Wassers zu beachten.
Die städtebauliche Entwicklung Aachens seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert, besonders die Neu-Anlage des Komphausbad-Viertels am Stadtrand in der Nähe zur Natur, entsprach dieser Tendenz. Die Form der Neubauten folgte der Funktion: Neue Redoute, Trink-Brunnen und Wandelhalle dienten dem Amüsement, der Gesundheit und der gesundheitsfördernden Bewegung.
Die Aufklärung und ihre Verbreitung im Badeort Aachen wird in einem eigenen Abschnitt untersucht. Beispielhaft werden einige Orte der Aufklärung aufgezeigt: Aachens 'Kaffee-Häuser' im Komphausbad-Bezirk dürfen hierbei genauso wenig fehlen wie die Loge 'La Constance'. Der 15jährige Aufenthalt Trencks in Aachen und die Edition seiner aufklärerischen Wochenschrift 'Der Menschenfreund' sowie der 'Mäkelei' genannte Verfassungsstreit von 1786 als Manifestation politischer Aufklärung in der Stadt sind weiterer Bestandteil.
Doch wem kam der neue Badebezirk überhaupt zu gute, welche gesellschaftlichen Gruppen hatten Teil am neuen Aachener Badeleben? Die Kur-Anlagen wurden für die 'gute Gesellschaft' der adligen und bürgerlichen Kurgäste angelegt. Dies wird in den von Arens edierten Kur- und Badelisten der Stadt Aachen, dem Bericht von Ludwig von Pöllnitz und auch im vorliegenden Reisetagebuch des Freisinger Fürstbischofs ersichtlich.
Mit Hilfe der letztgenannten zwei Quellen soll eine Art gesellschaftliches Profil der Kurgäste und ihres sozialen Umganges in Aachen in einem Zeitraum vom Ausgang des 17. Jahrhunderts bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erstellt werden. Es ist zu untersuchen, wie gesellig ein Kurort – insbesondere Aachen – im Jahrhundert der Aufklärung tatsächlich war. Waren Kurorte nur "Mondäne Orte einer vornehmen Gesellschaft"[4] oder ist ihnen eine im Prozess der Aufklärung wichtige Funktion zuzuweisen?
Das als 'Synthese' betitelte, abschließende Kapitel soll zeigen, ob, warum und wie Badeorte in der Frühen Neuzeit als Orte der "ständeübergreifenden Kommunikation"[5] dienen konnten. Dazu werden innerhalb des Ortes 'Kurort Aachen' beispielhaft einzelne Orte wie der Trinkbrunnen, der Spaziergang oder das Amüsement bei Spiel und Tanz in ihrer Funktion als 'Orte der Aufklärung' untersucht.
Zur Forschung
In den letzten Jahrzehnten hat die Forschung zur Sozialgeschichte allgemein zugenommen und besonders in den letzten Jahren ist eine Vertiefung im Bereich der Netzwerke zu erkennen. Im Gegensatz ist festzustellen, dass die Forschungssituation zu Badewesen und Badeorten eher zu wünschen übrig lässt.
Einstiegswerke in die Sozialgeschichte der Frühneuzeit sind neben dem grundlegenden Werk von Hans Ulrich Gumbrecht zur Sozialgeschichte der Aufklärung in Frankreich Richard van Dülmens Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit sowie Barbara Stollberg-Rilingers Untersuchung Europas im Jahrhundert der Aufklärung, die die Epoche aus den verschiedensten Blickwinkeln anschaulich und umfassend beleuchten.
Zum Begriff der Aufklärung verschafft Winfried Müller einen enzyklopädischen Überblick, während die Standardwerke hinsichtlich der sozialgeschichtlichen Untersuchung der Verbreitung und Verortung aufgeklärten Gedankenguts Horst Möllers Vernunft und Kritik und van Dülmens Gesellschaft der Aufklärer sind. In sozialgeschichtlicher Hinsicht besonders interessant ist die jüngste Netzwerkforschung, die z. B. Ausdruck in Zaunstöck und Meumanns Sammelband von 2003 gefunden hat und in stetem Wachstum begriffen ist.
Das Bürgertum und der Umbruch der ständischen Gesellschaft zeichnen sich in den beiden Bänden der Enzyklopädie deutscher Geschichte von Gall und Roeck ab. Michael Sobania verdeutlicht diese gesellschaftlichen Veränderungen in einem weiteren von Lothar Gall herausgegebenen Forschungsband der Beihefte der Historischen Zeitschrift. Allgemein spielt aber die Badekultur des Bürgertums nur eine untergeordnete Rolle in der Forschung.
Die Diskussion um Habermas' Thesen der bürgerlichen Öffentlichkeit wurde zuletzt von Peter-Uwe Hohendahl (2000) und Jürgen Schiewe (2004) erneut aufgegriffen und mit wertvollen neuen Erkenntnissen erweitert.
Für den zweiten Teil der Arbeit fehlte eine jüngere, umfassende und wissenschaftliche Darstellung der Geschichte des Badewesens, die nach wie vor aussteht – schon Ute Lotz-Heumann hat dies in ihrem Beitrag zum Sammelband von Raingard Esser und Thomas Fuchs bemängelt. Die Werke von Julian Marcuse und Alfred Martin datieren bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, während jüngere Darstellungen stark populärwissenschaftlich orientiert sind.
Eine Ausnahme bilden sicherlich Burkhard Fuhs und Reinhold P. Kuhnert, die sich stärker der sozialen Funktion von Badeorten widmen und besonders Fuhs auch auf Aachen als bürgerlicher Kurort eingeht. Anke Ziegler beschäftigte sich 2004 in ihrer Dissertation stärker mit dem architektonischen Funktionswandel von Badeorten.
Letztlich ausschlaggebend für die Idee hinter meiner Arbeit war die jüngste Forschung von Ute Lotz-Heumann zur Bedeutung von Badeorten als Kommunikationsraum unterschiedlicher gesellschaftlicher Schichten und die Verbindung von Freimaurerei und deutschen Kurorten.
Die Entwicklung des Aachener Kur- und Badelebens ließ sich mit Hilfe von Beissel, Hoffmann und Bernhard sehr gut darstellen und durch die bereits älteren Werke von Huyskens und Kaemmerer ergänzen. Axel Hinrich Murken, Klaus Müller – seine Beiträge in der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins und die Studie in den Rheinischen Vierteljahresblättern – sowie der herausragend detailliert erarbeitete Katalog zur Aachener Ausstellung 'Auf dem Weg in die Moderne' von Thomas Kraus repräsentieren die jüngste Forschung. Neben Müllers Studie zu Bürgerkämpfen und Patriotenbewegung in Aachen und Köln gilt auch Horst Carls Untersuchung der Aachener Mäkelei als ein Standardwerk im Kontext von Reich und Reichsstadt.
Die Freimaurerei und die Verfolgung derselben in Aachen ist bereits 1928 von August Pauls detailreich geschildert worden und erwies sich auch in der ersten Untersuchung des Tagebuchs des Fürstbischofs von Freising als sehr nützliches Werkzeug – insbesondere die Auflistung aller Logenmitglieder bis 1794. Zur Aufklärungsarbeit des Freiherrn von der Trenck in Aachen, die zunächst nur in alten Forschungsbeiträgen von Alexander von Reumont und Justus Hashagen beachtet wurde und teilweise schon als überholt gilt, war mir die in jüngerer Zeit häufiger zitierte Magisterarbeit von Elisabeth Franck ebenfalls zugänglich. Sie untersucht eingehend Trencks Aufenthalt in Aachen und seine Arbeit am 'Menschenfreund'.
Schließlich bin ich auch sehr dankbar, dass Manfred Heim im Anhang seiner Habilitationsschrift das Tagebuch des Fürstbischofs Ludwig Joseph Freiherr von Welden abgedruckt hat. Erst durch die umfassende Biografie Heims konnte der Fürstbischof in ein aufgeklärtes Licht gerückt werden.
Erster Teil
A. Aufklärung und Geselligkeit im 18. Jahrhundert
Die vorliegende Arbeit versteht sich als Beitrag zur Sozialgeschichte der Epoche der Aufklärung und stellt sich damit in die Reihe anderer mikrohistorischer Studien. Bevor man mit der Arbeit 'in medias res' beginnen kann, erscheint es mir jedoch unerlässlich, einige für die Zeit geprägten Begriffe vorab zu klären und in ihren Forschungskontext zu stellen.
Der von Hans Ulrich Gumbrecht 1981 herausgegebene Sammelband für eine Sozialgeschichte der Aufklärung in Frankreich kann als Initiator des Aufklärungsdiskurses in den historischen Wissenschaften aus sozial-historischer Perspektive gelten. Die Arbeit dieser Aufsatzsammlung steht
"(…) für eine 'Sozialgeschichte der Aufklärung' als epocheprägender, kollektiver Bewusstseinsprozeß in maßgebenden Gruppen der Gesellschaft des Ancien Régime (…) "[6]
Sozialgeschichte in diesem Zusammenhang meint also nicht nur: Was will die Aufklärung? Sondern vor allem: Wo will sie es und wie soll es passieren? Es geht weniger um die Ideen, die mit ihr verbreitet wurden als vielmehr um die Orte – auch im übertragenen Sinne –, an denen sie stattfand.
Die Studie hat gezeigt, dass nicht das Bürgertum allein die Trägerschicht der Aufklärung war, sondern auch der niedere Klerus und der niedere Adel ihren Teil dazu beitrugen, sich Gehör zu verschaffen.[7] Der aufgeklärte, oder der an Aufklärung interessierte Bevölkerungsteil setzte sich hauptsächlich aus Mitgliedern der oberen Gesellschaftsschichten zusammen und bildete so eine Art geistiger Führungselite.
Dies bedeutet nicht automatisch, dass Aufklärung 'von oben nach unten' stattfand,[8] aber die Volksaufklärung – die zunächst ja auch einmal Bildung der unteren Schichten voraussetzte kann in meiner Arbeit keine Rolle spielen. In Badeorten ist Volksaufklärung während des Untersuchungszeitraums, bedingt durch die soziale Zusammensetzung der Badegäste, die auch in der vorliegenden Arbeit deutlich werden soll, nur von nebensächlicher Bedeutung.
Die drei anzuwendenden Schlüsselbegriffe, die einer sozialgeschichtlichen Untersuchung zu Grunde liegen, entsprechen denen der Forschungsarbeit von Gumbrecht, Reichardt und Schleich:
Ich beschäftige mich also vor allem mit den "Trägerschichten" der Aufklärung und sicher auch mit einer Form von "Medien". Die "Wirkungen" äußern sich im Verhältnis der Bevölkerungsgruppen, sozialen Schichten untereinander an den unterschiedlichen Wirkungsstätten.[9] Kurz gefasst: Wer verbreitet neue Ideen wo und wie?
Die Trägerschicht der Aufklärung beschränkt sich im Rahmen meiner Untersuchung auf das im Badeort anwesende Publikum. Ihr lässt sich nicht eine einzelne Gesellschaftsschicht zuordnen. Im Badeort, in meinem Fall Aachen, sind nicht nur Mitglieder einer sozialen Schicht anwesend. Sie rekrutieren sich aus den unterschiedlichsten Ebenen: Von außerhalb der Stadt wurden die Bäder vor allem von Mitgliedern der obersten Gesellschaftsschichten, vornehmlich Adligen – darunter geistlicher und militärischer Adel – besucht, während aus dem innerstädtischen Bereich die wirtschaftliche Elite, also reiche Bürger, zum Baden kamen. Lediglich der gesellschaftliche 'Rahmen' ist also erkennbar, es handelte sich um eine Art 'Bäderelite'.[10] Vielleicht können die Badeorte und ihr Publikum als eine (Teil-)'Gesellschaft' interpretiert werden.
Das Medium ist der Badeort an sich – weiter spezifiziert lassen sich die noch näher zu besprechenden Bereiche 'Bad', 'Brunnen', 'Spaziergang' und Orte der 'Amusemens'[11] unterscheiden. In der Entwicklung der Badekultur und seiner Teilaspekte die unten ausführlich geschildert werden, kristallisierten sich diese Bereiche als besonders beachtungswürdig heraus, da sich dort die Zentren des gesellschaftlichen Lebens herausbildeten.
Die Wirkungen zeigen sich im Badeort am Verhältnis und Umgang der unterschiedlichen gesellschaftlichen 'peer-groups' miteinander, die am Badeleben teilhaben. Wie stehen die Gruppen zueinander und welche Reaktionen zeigen sie? Pierre Bourdieu beschäftigte sich bereits mit der kulturellen Imitation durch sozial aufsteigende Gruppen.[12] Diese Erkenntnis scheint mir durchaus auch anwendbar auf die neuen Kurgäste des Bürgertums, die die Adligen zunächst imitierten, um auf gleicher Ebene mit ihnen kommunizieren zu können. Doch zeigen sich im Kontakt der Gruppen untereinander sicherlich noch andere Wirkungen – möglicherweise die Öffnung des Zugangs zur Gruppe für andere oder die Isolation einer Gruppierung gegenüber einer anderen.
In der Verbreitung der Aufklärungsideen müssen die kulturelle Elite und deren Ausdrucksformen von den Medien der Aufklärung mit Breitenwirkung unterschieden werden.[13] Die in der Arbeit zum Untersuchungsziel erklärten Badeorte sind meines Erachtens nach in einer Grauzone zwischen diesen beiden Bereichen zu positionieren – nicht rein elitär, prinzipiell frei für jedermann/-frau. Die angesprochene Klientel in den Badeorten wird allerdings durch die Zahlung der Kurgelder sehr eng begrenzt.
Die Ideen der Aufklärung lassen sich nur vermitteln, wenn auf beiden Seiten der Diskurs-Teilnehmer, beiden sozialen Gruppen der gleiche kommunikative Hintergrund, der gleiche "Wissenskontext",[14] zur Verfügung steht. Die Aufklärung "von oben nach unten" ist eher schwierig durchzuführen.[15] Für ein Gelingen der Aufklärung ist die Zusammensetzung der Trägerschicht von Bedeutung.
Es gibt nach Fred E. Schrader in der Geschichte der Frühen Neuzeit ein 'fait social', das bislang vernachlässigt wurde:
"(…) eine autonome, von Staat, Kirche und anderen gesellschaftlichen Institutionen unabhängige individuelle Intellektualität, die sich selbständig sozial organisiert, wobei beide Momente der Intellektualität und der Soziabilität (…) aufeinander angewiesen sind."[16]
Sozialgeschichte der Aufklärung ist also mehr als nur Ideengeschichte – diesem Grundsatz muss auch die vorliegende Arbeit folgen. Es geht nicht um die Erforschung der Intellektualität sondern um die Ausdrucks- und Organisationsformen derselben. Denn genau dort ist Konfliktpotenzial zu orten – an den neuen Reibungslinien zwischen der sich verbreitenden Intellektualität und den überkommenen Gesellschaftsstrukturen.[17]
"Insbesondere für die Aufklärungssoziabilität – Akademien, gelehrte Gesellschaften, Museen, Lesegesellschaften, Freimaurer- und andere, sogenannte irreguläre Logen, Clubs, Salons, Cafés – wird qualitativ ein egalitäres, protodemokratisches, als radikal-bürgerlich interpretiertes Verhalten und quantitativ ein stark demokratisches Potenzial belegt, das als politisch-kulturelles Transformationspotenzial gewirkt habe."[18]
Passen Badeorte – insbesondere in diesem Fall Aachen – in oben zitiertes Schema der Typologie für Aufklärungssoziabilität? Kann die beschriebene Intellektualität am Publikum in Badeorten nachgewiesen werden? Finden sich Belege für einen Zusammenhang zwischen dem Bad als Ort der Geselligkeit und dem Bad als Ort der Intellektualität? Dies soll im letzten Kapitel erneut aufgegriffen werden.
Für meine Arbeit sind zunächst die "Geschichtlichen Grundbegriffe" Geselligkeit (A.1), Aufklärung (A.2) und Bürgertum (A.3) näher zu beleuchten. Darauf folgend bedürfen auch die Orte und Organisation der Aufklärung – beispielsweise Akademien, Medien und Kaffeehäuser – einiger einleitender Worte (A.4). Schließlich muss auch die von Jürgen Habermas angestoßene Debatte um die Entstehung der Öffentlichkeit – insbesondere der "bürgerlichen Öffentlichkeit" –, aufgegriffen werden, um zu zeigen, welcher Teil der Gesellschaft der letztendlich ausschlaggebende der Aufklärung gewesen ist (A.5). Ohne diese Vorarbeit würde sich die zum Ziel erklärte Fragestellung zum Bezug von frühneuzeitlichen Badeorten und der Aufklärung nicht erforschen lassen.
1. Geselligkeit und Soziabilität
Die Einführung des Begriffs der 'Soziabilität' zur besseren Erklärung des 18. Jahrhunderts als ein Jahrhundert der Geselligkeit und das der daraus entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit erfolgte im Forschungsrahmen der Sozialgeschichte der 1980er-Jahre. Denn es geht um "mehr als um Geselligkeit im konvivialen Sinne."[19]
Geselligkeit galt seit der Frühen Neuzeit als wieder entdeckter menschlicher Grundsatz, denn der Mensch wurde von nun an als 'animal sociale' angesehen, dessen ureigenes Bedürfnis es war, sich in Gesellschaft zu begeben.[20] Das aristotelische Verständnis der Vergesellschaftung des Menschen bedeutete jedoch nicht nur reine "Herdenbildung" (agelaios) sondern vielmehr den Wunsch nach Gestaltung und Formung der Gesellschaft nach seinen, ihm eigenen rationalen Vorstellungen. Denn durch Verstand und Sprache war jeder zur Äußerung seiner Wünsche und zur Erkenntnis von Gut und Schlecht fähig.[21]
Der Wunsch nach Austausch neuer Ideen verband sich alsbald mit neuen sozialen Umgangsformen und der Ideen- und Informationsaustausch überbrückte allmählich ständische oder korporative Barrieren.
"An die Stelle innerständischen Umgangs traten ständeüberschreitende Geselligkeitsformen, an die Stelle kleinräumiger Sozialkreise traten überregionale Kommunikationsnetze."[22]
Kommunikationsnetze konnten sich aus der Verflechtung alter und früher standesinterner Netzwerke bilden, deren Grenzen nun überschritten wurden.
Die z. B. bei Im Hof geschilderte,[23] noch ständisch geordnete Welt des 18. Jahrhunderts erodierte allmählich. Die Bedürfnisse nach Geselligkeit und Versammlung verschoben sich, besonders die Freiwilligkeit der Vereinigung trat in den Vordergrund bei der Soziabilisierung und verdrängte auf diese Weise das bis dahin geltende geburtsständische Prinzip. Standen bislang Zunft und Gilde als einziges Synonym für Geselligkeit, so kamen seit dem späten 17. Jahrhundert weitere Orte und Möglichkeiten hinzu, die sich ganz nach Vorlieben und Interessen frei zugänglich gestalteten.
Der "Marktplatz der Ideen"[24] entwickelte sich in Gestalt neuer Geselligkeitsformen: Einerseits die institutionalisierten 'Gesellschaften' – gemeinnützige, wissenschaftliche oder Lesegesellschaften –, Logen und später die Clubs. Ihnen gegenüber standen die privaten Zirkel und die – häufig von Frauen geführten – Salons. Unter ihnen waren besonders die französischen berühmt, aber auch im Badeort Aachen, bei der Gräfin von Goltstein, traf man sich im privaten Kreis zum Spiel[25] und wahrscheinlich auch zu Kaffee und Tee.
Denn die beiden neuen Genussmittel aus dem Orient entwickelten sich zu den Getränken der sich herausbildenden besitz- und bildungsbürgerlichen Schichten, die die Luxus- und Genussgewohnheiten des Adels zu Beginn des 18. Jahrhunderts übernahmen.[26]
Durch das Wachstum der Verkehrsinfrastruktur – Ausbau der Wegenetze, der Post(kutschen)verbindungen zwischen den Städten – und einer damit verbundenen erleichterten und beschleunigten Kommunikation ließen sich die neuen Ideen zudem besser unter den europaweit verteilten Netzwerkknoten verbreiten.[27] Damit wurde "Kulturkonsum" in Europa quer durch alle Stände möglich und führte zur Bildung neuer gesellschaftlicher Gruppierungen, die sich über die Partizipation an Kultur identifizieren konnten.[28]
2. Aufklärung
Allein aus diesem einzelnen Kapitel, das nur einen groben Überblick über den geistigen Rahmen und die Hauptaussagen einzelner Aufklärer liefern kann, ließen sich mehrbändige Bücher schreiben. Da die Arbeit aber ganz ohne Beschäftigung mit den Ideen und Hintergründen der Aufklärung nicht auskommen kann, müssen sie im Folgenden kurz angesprochen werden.
"Leben wir denn jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter?" – "Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung"[29]
Schon die zitierte Antwort Kants auf die Frage nach dem aufgeklärten Zeitalter zeigt, dass die Aufklärung sich selbst als einen Prozess, als eine Bewegung interpretierte. Diese Meinung wird auch von der heutigen Forschung noch weiter getragen, denn Aufklärung bezeichnet "ein prozessual verstandenes Denkprinzip"[30] und der sozialhistorische Vorgang der Aufklärung muss als ein Prozess der durch Wissenszirkulation ermöglichten Wissenstransformation verstanden werden.[31]
Die Aufklärung überdachte das gesamte 18. Jahrhundert – aber sie war mehr. Sie begann in England spätestens mit der Glorious Revolution 1688 – Möller verweist auf die Verbindung von Philosophie und Wissenschaft bei Newton und Locke in der Mitte des 17. Jahrhunderts[32] – und in Frankreich mit dem Edikt von Nantes 1685[33] oder der "querelle des anciens et des modernes" 1687/88.[34] Für Deutschland lässt sich ein einheitlicher Beginn 1687 an der ersten universitären Vorlesung in deutscher Sprache festmachen.[35] Die Bedeutung einer einheitlichen Sprache war und ist nach wie vor für die Verbreitung neuen Gedankenguts unerlässlich.[36]
Die Aufklärung zielte zunächst auf das Lesepublikum[37] – will heißen, ihre Ideen verbreiteten sich über die immer stärker wachsenden und verbreiteten Printmedien – sie baute aber auch schon parallel zur Ebene der 'Schriftlichkeit' auf eine Verbreitung ihrer Ideen auf der Ebene der 'Mündlichkeit'.[38] Die Kommunikation in den zu untersuchenden Badeorten ist gemäß diesem Verständnis 'konzeptionell mündlich', was eine Untersuchung derselben erschwert, da die Wissenschaft auf medial überlieferte Quellen angewiesen ist.
Neben der Betrachtung der Aufklärung als Prozess muss es aber auch um die Inhalte und die Beteiligten des Diskurses gehen. Die in Europa zum Absolutismus tendierende Monarchie – rechtfertigt durch den Zweck der Ordnungsherstellung nach den Glaubenskriegen des 17. Jahrhunderts[39] – sollte durch die Aufklärung verändert werden. Das Ziel der Aufklärung waren zunächst Reformen, nicht die Revolution. Die Verbesserung der Gesellschaft sollte durch Veränderung eines jeden einzelnen erfolgen. Die Philosophie allein war dazu nicht brauchbar, sie verband sich während der Aufklärung mit der Wissenschaft, um rationale Erkenntnisse zum Nutzen der Gesellschaft zu verwenden und ging dabei eine "Symbiose" mit der Literatur ein, die sie zur Verbreitung der neuesten Erkenntnisse selbstverständlich benötigte.[40]
Aufklärung verstand sich aber auch als eine Reaktion auf schlechte gesellschaftliche Zustände: Unvernunft und Unverstand der Religionen, Aberglaube, Schwärmerei und Intoleranz sollte sie bekämpfen. Leibniz' Begriff des 'éclairer', der schließlich die ganze Epoche prägen sollte, fand in diesem Zusammenhang in den 1720er-Jahren seine erste Anwendung.
Eine Besonderheit der Aufklärung im Deutschen Reich ist die "Polyzentrik der Aufklärung"[41] – es gab nicht einzelne, wenige Zentren im Reich wie London für England oder Paris für Frankreich. Bedingt durch die politische Struktur konnte jede Reichs- oder Universitätsstadt, jeder Handelsknotenpunkt als geistiges Zentrum seines Umlandes gelten. Aachen als Reichs- und Handelsstadt in der Nähe zu Frankreich rückt dadurch automatisch enger in den Focus des Betrachters.
Der "soziale Ort der Aufklärung"[42] – also die Gruppe der wichtigsten Förderer der Bewegung – wird von Müller in der bürgerlichen Schicht ausgemacht, doch wird sich auch am Beispiel Aachens zeigen, dass durchaus andere Gruppen Anteil an der Verbreitung der ihrer Ideen hatten.
3. Bürgertum
Das Bürgertum der Frühen Neuzeit – im engeren Sinne seit dem Beginn der Aufklärungsepoche – muss als die "Trägerschicht"[43] der Aufklärung gelten. Auch wenn das Verständnis der frühneuzeitlichen Gesellschaft als 'Ständische Gesellschaft' als Begriff nach Max Weber, ein nicht existierender Idealtypus, eine Vorstellung also, die aus unserem neuzeitlichen Verständnis geprägt worden ist, kann die Differenzierung nach bestimmten Teilen der Gesellschaft doch helfen, die Aufklärung zu lokalisieren.
Die Befreiung aus der ständisch-korporativen Ordnung und der Bindung an das noch vorherrschende geburtsständische Prinzip – Stand, Korporationen, Beruf, Familie – war Ziel der Aufklärung geworden. Die Herkunft des Standesprinzips nach einem bereits antiken, ordnungsgerichteten Denken, also die natürliche und gottgegebene Ordnung der Gesellschaft wurde im Naturrechtsdiskurs hinterfragt.
Die bereits angesprochene ständische Gesellschaft entsprach also der Berufs- und Lebensordnung der Menschen – inklusive der mit ihr verbundenen und bis zu einem gewissen Grad auch akzeptierten Rechtsungleichheiten.[44] Innerhalb dieser Ordnung existierten bereits drei Stränge – Krieger, Bauern und Klerus – zu dem sich der neu formierende bürgerliche Stand etablierte. Die Definition dieses vierten Standes des 'Bürgertums' bleibt problematisch, weil er sich nicht vergleichbar mit den anderen drei Ständen in ihren gesellschaftlichen und bis dahin anerkannten Funktionen vergleichen ließ. Das recht statische Gefüge der Gesellschaftsordnung sollte durch den neuen Stand beträchtlich ins Wanken geraten – begünstigt durch den in Landwirtschaft und Handel fortschreitenden Wandlungsprozess auf Grund von Rationalisierung und Reformen.[45]
Die bürgerliche Bewegung entstand in den Städten: und hier besonders aus dem sich neu formierenden städtischen Bürgertum, das sich nicht länger als ein mittelalterliches Zunftbürgertum sah.
Es entwickelte sich eine Ausdifferenzierung des Bürgerbegriffs, weg vom rein mittelalterlich-rechtlichen Aspekt. Bürger war nun nicht mehr nur derjenige, der in einer Stadt die Bürgerrechte besaß. Die neuen, ausschlaggebenden Kategorien wurden 'Bildung' und 'Besitz' und der bisher standesbestimmende Faktor Geburt wurde ersetzt durch die neuen bürgerlichen Tugenden 'Fleiß' und 'Tüchtigkeit'. Die Französische Revolution beschleunigte den Wandlungsprozess der Gesellschaft und konnte ihn etablieren.[46]
Konnte sich dies in Aachen noch verstärkt bemerkbar machen? Die Nähe zum französischsprachigen Bereich war gegeben, auch der Kontakt bereits durch den Handel hergestellt. Doch auch wenn die Städte allgemein als Zentren dieses Umbruchs gesehen werden,[47] so ist für Aachen bekannt, dass die Ausläufer der Französischen Revolution eher zurückhaltend aufgenommen wurden.[48]
Vor einem wirtschaftlichen Hintergrund lassen sich die gesellschaftlichen Zielvorstellungen einer "bürgerlichen Gesellschaft" nach zeitgenössischem Verständnis am besten in der Symbiose aus Handwerk, Klein- und Fernhandel fassen.[49] Die frühindustrielle Reichsstadt Aachen bildete hierin sicherlich eine Ausnahme, wie sich in ihrer wirtschaftlichen und daraus resultierenden politischen Entwicklung zeigen lässt.[50]
Die entstehende bürgerliche Gesellschaft stellte sich als eine "offene Gesellschaft" dar, zu der theoretisch jedem der Zugang möglich war, de facto aber beschränkt wurde durch das Aufbringen eines notwendigen Besitzes oder Einkommens. Daraus ergab sich wohl auch der Umstand, dass sich zur gesellschaftlichen Schicht 'Bürger' im 18. und 19. Jahrhundert nur 5-15% der Gesamtbevölkerung der deutschen Staaten rechnen lassen konnten.[51]
Die Aufklärung hatte das Bürgertum mit Bildung verknüpft und suchte nun nach Orten, an denen die Bildung allen Ständen zugänglich gemacht werden konnte. Vereine, Assoziationen und Gesellschaften boten sich als "überständisches Element", in denen die "Gebildeten aller Stände" zusammen kommen sollten, der Bildung an.[52]
4. Orte und Organisation der Aufklärung
Die Aufklärung und die Verbreitung ihrer Ideen führte zu einem wachsenden Drang nach Kommunikation, dieses Bedürfnis äußerte sich auf verschiedene Weise: In der Zunahme der Briefwechsel, in immer häufiger neu geknüpften 'Freundschaften' und damit möglich werdenden Diskussionen, Disputen und Diskurs.
Die schriftliche und mündliche Kommunikation zieht sich als roter Faden durch das Jahrhundert der Aufklärung. Sie war elementarer Bestandteil auf dem Weg zur Bildung einer literarischen Öffentlichkeit. Kommunikation, schriftlich wie auch mündlich, war die Grundvoraussetzung für ein neues Verständnis von Öffentlichkeit in der Aufklärungsepoche. Es ist also als Vorarbeit für spätere Forschung zu untersuchen, wie und wo die Ideen der Aufklärung Verbreitung fanden und kommuniziert werden konnten.
Einige Orte und Medien der Aufklärung sollen im Folgenden beispielhaft betrachtet werden.
Akademien / Gesellschaften
Die Aufklärung entfaltete sich noch unter dem Dach einer ständischen Gesellschaft, es war zunächst noch kein Umbruch zu erkennen[53] – höchstens eine Erosion. Nach wie vor lagen die vier klassischen "Ordnungsprinzipien" der Gesellschaft zu Grunde, die ihren widerstandsfreien und schnellen Wandel behinderten: Adelshof, Kirche, Stände und das 'ganze Haus'. "Der Hof blieb bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die zentrale Machtstelle"[54] Demnach konnte nur aus dem Privaten die erste aufgeklärte Artikulation stattfinden, die dann auf Gleichgesinnte traf und möglicherweise "überständisch" vereinigt werden konnte.[55]
Im Verlauf dieser Arbeit wird zu überprüfen sein, ob dem 'Bad' eine besondere Funktion im "Prozeß der Ausbildung neuer Kommunikationsformen"[56] zuzuweisen ist, und wenn ja, welche. Doch zunächst müssen die bisher bekannten Orte der Aufklärung untersucht werden.
Eine erste Organisationsform der Aufklärung waren die humanistischen Sodalitäten, die Gelehrtenzirkel des 16. und 17. Jahrhunderts – beispielsweise der Kreis um Conrad Celtis in Heidelberg, dem eine reichsweite Organisation des humanistischen Austauschs vorschwebte.[57] Sprachgesellschaften wie die 'Fruchtbringende Gesellschaft' und der 'Pegnesische Blumenorden' verfolgten das Ziel der Verbreitung nationaler und patriotischer Kultur auf Basis der gemeinsamen deutschen Sprache.[58]
Alle bisherigen Organisationsformen standen außerhalb der althergebrachten Gesellschaftsordnung auf privater Basis. Für das 18. Jahrhundert, und damit den eigentlichen Beginn der Institutionalisierung der Aufklärung durch Gesellschaften standen die Gelehrtengesellschaften und die literarischen Gesellschaften.
Gottfried Wilhelm Leibniz gilt als der Initiator der gelehrten Gesellschaften[59] im deutschsprachigen Raum – er gründete zusammen mit Jablonski und unter Protektion des brandenburgischen Kurfürsten im Jahr 1700 die Berliner Akademie mit dem Ziel, die Wissenschaften für den Staat nützlich zu machen.[60] Die Verbindung von Theorie und Praxis, die Zusammenarbeit von Philosophie und Wissenschaft sollte sich positiv auf die staatliche Entwicklung auswirken.
Die Politisierung einer solchen gelehrten Gesellschaft zeigte sich in der Entwicklung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, die – 1759 von Georg Lori in München gegründet – nach einer Phase der rein wissenschaftlichen Diskussion zunehmend durch aufgeklärte Strömungen beeinflusst wurde. Seit 1776 fanden sich nach anfänglich nur aufgeklärt-politischem Einfluss auch Illuminaten in den Akademiekreisen, was 1785 zur Auflösung der gesamten belletristischen Klasse der Akademie führte.[61]
Ebenfalls zu den gelehrten Gesellschaften sind die literarischen Gesellschaften zu rechnen, die zunächst auf die deutsche Sprache, ihre Verbreitung und den Ersatz des Lateinischen durch das Deutsche ausgerichtet waren. Aus diesen entstanden die 'Deutschen Gesellschaften' – z. B. von Johann Christoph Gottsched in Leipzig – und die moralisch-politischen Gesellschaften, die die 'moralischen Wochenschriften' herausgaben.[62]
Frühaufklärerische Gesellschaften verstanden sich nicht als politisch instrumentalisierbar durch Obrigkeiten, sie wollten selbst den Gebrauch der Instrumente zur Reform der Welt bestimmen.[63] Im Zentrum Ihres Interesses standen Naturwissenschaften, die deutsche Sprache und die Vermittlung von 'bürgerlichen' Tugenden sowie das Ideal einer bürgerlichen Selbstbestimmung.[64]
[...]
[1] Der Begriff 'Bad' wird in dieser Arbeit stellvertretend für Badeort, Kurort, Heilbad und Wildbad verwendet.
[2] Müller: Aufklärung, S. 12 verwendet diesen Begriff zur Lokalisierung der Aufklärung in bestimmten Gesellschaftsschichten.
[3] Vgl. u.a. Stollberg-Rilinger: Europa im Jahrhundert der Aufklärung, S. 114ff.; Im Hof: Das gesellige Jahrhundert.
[4] Vgl. Fuhs: Mondäne Orte.
[5] Vgl. Lotz-Heumann: Unterirdische Gänge.
[6] Gumbrecht: Sozialgeschichte der Aufklärung I, S. 3 (Hervorhebung durch Gumbrecht).
[7] Gumbrecht: Sozialgeschichte der Aufklärung I, S. 12f.
[8] Gumbrecht: Sozialgeschichte der Aufklärung I, S. 17.
[9] Zur Definition der Begriffe 'Trägerschichten, 'Medien' und 'Wirkung' vgl. Gumbrecht: Sozialgeschichte der Aufklärung I, S. 48f.
[10] Die umfassend analysierten Bäderlisten der Jahre 1768-1818 in Arens: Kurgäste vermitteln einen sehr guten Überblick über diese Elite.
[11] Der Begriff 'Amusemens' wird bewusst durchgängig in der gesamten Arbeit in dieser heute falschen französischen Schreibweise verwendet, da er auch in der zeitgenössischen Literatur (Pöllnitz) entsprechend angewandt wird.
[12] Vgl. Pierre Bourdieu: Zur Soziologie symbolischer Formen, Frankfurt a. M. 1974, S. 60ff.
[13] Gumbrecht: Sozialgeschichte der Aufklärung I, S. 59.
[14] Koch / Oesterreicher: Gesprochene Sprache, S. 10f.
[15] Zur Aufklärung 'von oben nach unten' und der so genannten 'Sickertheorie': Gumbrecht: Sozialgeschichte der Aufklärung I, S. 69.
[16] Schrader: Soziabilitätsgeschichte, S. 177.
[17] Vgl. Schrader: Soziabilitätsgeschichte, S. 186.
[18] Vgl. Helmut Reinalter: Österreich und die Französische Revolution, Wien 1988 und ders.: Die Französische Revolution und Mitteleuropa. Erscheinungsformen und Wirkungen des Jakobinismus, Frankfurt a.M. 1988, zitiert nach Schrader: Soziabilitätsgeschichte, S. 190.
[19] Schrader: Soziabilitätsgeschichte, S. 181.
[20] Stollberg-Rilinger: Europa, S. 114.
[21] Vgl. Peter Weber-Schäfer: Aristoteles, in: Hans Maier / Horst Denzer (Hg.): Klassiker des politischen Denkens Bd. 1, Von Plato bis Hobbes, München 2001, S. 33-52, hier S. 46.
[22] Stollberg-Rilinger: Europa, S. 115.
[23] Im Hof: Das gesellige Jahrhundert, S. 17-68.
[24] Stollberg-Rilinger: Europa, S. 118.
[25] Huyskens: Aachener Leben, S. 126f.
[26] Vgl. North: Genuss und Glück, S. 195.
[27] Siehe hierzu z.B. Gerteis, Klaus: Das «Postkutschenzeitalter». Bedingungen der Kommunikation im 18. Jahrhundert, in Eibl, Karl (Hg.): Entwicklungsschwellen im 18. Jahrhundert, Hamburg 1989 (= Aufklärung 4 (1990)), S. 55-78; Zur Rolle der Thurn und Taxis in der Entstehung der Ordinari- und Extra-Post: Behringer, Wolfgang: Thurn und Taxis. Die Geschichte ihrer Post und ihrer Unternehmen, München 1990.
[28] Dazu North: Genuss und Glück, S. 217ff.
[29] Berlinische Monatsschrift IV (1784), 491, zitiert nach Möller: Vernunft und Kritik, S. 16, Anm. 19.
[30] Möller: Vernunft und Kritik, S. 15. "Aufklärung wurde als Prozeß, als Lernprozeß verstanden und geführt." – so R. Vierhaus: Zur historischen Deutung der Aufklärung. Probleme und Perspektiven, in: Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 4 (1977), S. 39-54, hier S. 47, zitiert nach Kopitzsch: Sozialgeschichte, S. 377.
[31] Gumbrecht: Sozialgeschichte der Aufklärung I, S. 38.
[32] Möller: Vernunft und Kritik, S. 35.
[33] Schneiders: Aufklärung, S. 16.
[34] Möller: Vernunft und Kritik, S. 35.
[35] Dazu weiter unten.
[36] Man denke hierbei nur an die Bedeutung der Entwicklung des Italienischen als Nationalsprache in der Frühen Neuzeit, die so genannte 'questione della lingua' auf dem Weg der italienischen Einigung zum Nationalstaat.
[37] Möller: Vernunft und Kritik, S. 24.
[38] Zur theoretischen Begriffsklärung zwischen 'Schriftlichkeit' und 'Mündlichkeit' vgl. Peter Koch / Wulf Oesterreicher: Die gesprochene Sprache in der Romania, Tübingen 1990.
[39] Vgl. Schneiders: Aufklärung, S. 9.
[40] Schneiders: Aufklärung, S. 14.
[41] Müller: Aufklärung, S. 7.
[42] Müller: Aufklärung, S. 12.
[43] Vgl. oben.
[44] Vgl. Stollberg-Rilinger: Europa, S. 69f.
[45] Gall: Ständische Gesellschaft, S. 12.
[46] Gall: Ständische Gesellschaft, S. 17f.
[47] Gall: Ständische Gesellschaft, S. 17f.
[48] Vgl. Kaemmerer: Geschichtliches Aachen, S. 93; Kraus: Weg in die Moderne, S. 25; Müller: Aachen im Zeitalter der Franz. Revolution, S. 298; Sobania: Aachener Bürgertum, S. 206 bestätigt, dass die Sympathiebekundungen zur Französischen Revolution "nicht über das Tragen von Kokarden hinausgingen."
[49] Gall: Ständische Gesellschaft, S. 26.
[50] Vgl. Kapitel B.1.1 und B.1.2.
[51] Frey: Der reinliche Bürger, S. 90.
[52] Gall: Ständische Gesellschaft, S. 31.
[53] Van Dülmen: Gesellschaft der Aufklärer, S. 11.
[54] Van Dülmen: Gesellschaft der Aufklärer, S. 12.
[55] Vgl. van Dülmen: Gesellschaft der Aufklärer, S. 15.
[56] Van Dülmen: Gesellschaft der Aufklärer, S. 17.
[57] Vgl. van Dülmen: Gesellschaft der Aufklärer, S. 18f.
[58] Vgl. van Dülmen: Gesellschaft der Aufklärer, S. 20ff.; eine vergleichbare Bedeutung hatte auch der Diskurs über die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sprache während des nationalstaatlichen Entwicklungsprozesses Italiens in der aufgeklärten Sozietät 'Il caffè'. Hierzu jüngst Jacobs, Helmut C. (Hg.): Die Zeitschrift Il caffè: Vernunftsprinzip und Stimmenvielfalt in der italienischen Aufklärung (= Europäische Aufklärung in Literatur und Sprache 16), Frankfurt a. M. 2003.
[59] Van Dülmen: Gesellschaft der Aufklärer, S. 30.
[60] Zur Gründung der Berliner Akademie auch Möller: Vernunft und Kritik, S. 250ff.
[61] Vgl. van Dülmen: Gesellschaft der Aufklärer, S. 42f.
[62] Vgl. van Dülmen: Gesellschaft der Aufklärer, S. 43ff.
[63] Möller: Vernunft und Kritik, S. 252.
[64] Van Dülmen: Gesellschaft der Aufklärer, S. 53.
- Arbeit zitieren
- Philippe Metzger (Autor:in), 2006, «Die Aufklärung geht Baden.», München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/176636
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