Hans Jonas und die Utopie

Hans Jonas' Prinzip der Verantwortung als Gegenmodel zur Utopie


Hausarbeit, 2011

9 Seiten, Note: 2,1


Leseprobe

Inhalt

1.0 Begriffserklärung Utopie

2.0 Jonas Kritik an Bloch und Marx

3.0 Gegenmodell zum Utopiegedanken

4.0 Fazit

5.0 Quellen

1.0 Begriffserklärung Utopie

Der Begriff Utopie ist ein Kunstbegriff, der sich aus den Wörtern „nicht“ und „Ort“ aus dem Griechischen zusammen setzt und kann mit "der Ort, der nirgends ist, Nirgendsort" sinngemäß übersetzt werden.

Der ursprüngliche Begriff, war zuerst ein Raumbegriff. Er beschrieb das Land Utopia außerhalb der bekannten Welt, mit einem idealen Gemeinwesen. Es stand, wie heute auch der Utopiebegriff, für eine Kritik der Wirklichkeit und dem Wunsch nach einer besseren Welt.

Im Allgemeinen bezeichnet Utopie einen nicht durchführbaren Plan bzw. eine hypothetische Gesellschaftsform, die nicht entwickelt werden oder erst in später Zukunft real werden kann. Jedoch muss eine gewisse Doppeldeutigkeit beachtet werden. Utopie ist zum einen positiv belastet - durch den Wunsch nach einer besseren Welt, zum anderen aber auch negativ, durch die Kritik an der Vorstellung einer utopischen Welt.

Seit dem 19. Jahrhundert wurde der Begriff der Utopie ein politscher Kampfbegriff mit dem die sozialistischen und kommunistischen Ziele in Frage gestellt wurden. Utopie wurde nicht länger als unrealisierbares Wunschbild behandelt, sondern immer mehr in politischen Zusammenhang gebracht und somit dazu gedrängt, ein realisierbares Ziel in der Zukunft zu werden.

Kurz nach dem ersten Weltkrieg beschäftigte sich Ernst Bloch mit dem Utopiebegriff und definierte sie als eine „ anthropologisch sowie ontologisch begründete Kategorie der Hoffnung “. Sein „Prinzip der Hoffnung“ beschreibt ein Potential der Hoffnung, dass durch den Wunsch erst eine bessere Welt in der Zukunft möglich sei. Durch die Hoffnung wird die Utopie zu einer „konkreten Utopie“.

Seit dem 20. Jahrhundert beinhaltet der Begriff Utopie nicht nur positive Zukunftsbilder, sondern ebenso auch negative, die Schreckensbilder von Unterdrückung und Gewalt zum Ausdruck bringen. Diese Art der Utopie ist unter dem Begriff „schwarze Utopie bekannt“. Einer der Gründe für das Aufkommen der schwarzen Utopie ist der Wandel der Wertschätzung von Technik und dessen Verhältnis zum Fortschrittsglauben. So schreibt Sloterdijk beispielsweise:

"Seit der Fortschritt selbstläufig geworden ist, hat sich der Zukunftsoptimismus in Prozeßmelancholie verwandelt."1

Die Selbstläufigkeit des Fortschritts spricht gegen jegliche Vernunft. Dieses wird in der Gegenwart unter anderem von Hans Jonas kritisiert mit der Begründung, dass der Gedanke der Utopie nie das leisten könne, was im Grundgedanken beabsichtigt sei.

2.0 Jonas Kritik an Bloch und Marx

Die Denkansätze von Marx und Bloch waren für Jonas dahingehend ausschlaggebend, dass sie versuchen ein „Reich der Freiheit“ jenseits einem „Reich der Notwendigkeit“ zu gründen2. Er untersucht dabei den Fortschrittsglauben der beiden und erkennt gerade im Marxismus den Drang nach technischer Perfektion. Die Technik soll durch deren Anwendung eine zweite Natur hervorrufen. Jonas kritisiert hier, dass der Technik keine Grenzen gesetzt werden um dieses Ziel zu erreichen und dass der Mensch eine Welt schafft, die mehr Macht über den Menschen hat, als er (der Mensch) selbst3. Hans Jonas kritisiert also beim Marxismus die utopische Vorstellung des „neuen Menschen“.

Er vermutet eine gewisse Parallelität zwischen dem „neuen Menschen“ und dem „Übermenschen“ aus Nietzsches Rede4. Durch den „neuen Menschen“ soll eine klassenlose Gesellschaft herangeführt werden, die zu einem Kollektiv von „guten Menschen“ führen soll. Jonas jedoch weist darauf hin, dass es keine Hinweise darauf gibt, welches Wissen dem Menschen in Zukunft zur Verfügung steht und dass kein bisheriges Wissen auf einen „neuen Mensch“ hinweist. Der bisherige Mensch wird durch den Staat in Schach gehalten und so bezweifelt er die zukünftige Existenz eines selbstständigen „guten Menschen“.

„Dass … die Menschen überhaupt in einem bisher ungekannten Grad gutartig, neidlos, fair, brüderlich, ja liebevoll zueinander werden, dass sie insgesamt die institutionell verkörperte, sozusagen „objektive“ Ethik auch verinnern und dann autonom praktizieren werden, so dass der Staat nur noch aus Tugendhaften besteht - das kann kein Wissender im Ernst glauben und auch der sozialitische Staat glaubt es nicht, wie die Gründlichkeit seines Polizei- und Angebersystems beweist“5. Jonas selbst ist der Überzeugung, dass der Mensch von Natur aus nie nur „gut“ oder „böse“ sein kann. „Aber solange Versuchung da ist - und daran wird das Menschenherz (hoffentlich, so möchte man sagen) es nie fehlen lassen - wird die Tatsache sich zur Geltung bringen, dass die Menschen eben Menschen und nicht Engel sind. Man schämt sich fast, dies auszusprechen.“6 Desweiteren kritisiert er beim Marxismus den andauernden Fortschrittsoptimismus, der immer nach „Mehr“ und nie nach „weniger“ schreit. „Hier kann also der Zauber der Utopie für das, was wirklich zu tun ist, nur hinderlich sein, da er auf „Mehr“, nicht „Weniger“ hinlenkt und die Warnung vor größerem Übel wäre nicht nur die wahrere, sondern auf die Dauer wohl auch die wirksamere Politik.“7. Um sein Verlangen nach „Weniger“ zu begründen, untersucht Jonas den Fortschritt in Bezug auf den Menschen und seine Möglichkeiten sowie den Fortschritt in Wissenschaft und Technik8. Durch seine Untersuchung gelangt er zu dem Schluss, dass die, durch einen Utopiegedanken, hervorgerufene Tugend dem Individuum an sich zu einer Verbesserung seines Verhaltens behilflich sein kann. „Hier ist also die Idee des „Fortschritts“ sowohl als Begriff wie als Ideals beheimatet, und es darf sogar eine persönliche „Utopie“ geben. Aber bei all dem ist vom Einzelnen die Rede, dem psychophysischen Individuum und vor allem seiner „Seele“. Gibt es etwas ähnliches für das Kollektiv? Für die Gruppe, die historische Gesellschaft, ja die Menschheit? Gibt es so etwas wie eine sittliche “Erziehung des Menschengeschlechts“?“9. Womit wir bei der Frage nach dem Fortschrittsgedanken in Bezug auf Technik und Wissenschaft angelangt wären. Hier hingegen weißt er dem Utopiegedanken eine gewisse Schuld an einer Risikogesellschaft zu. Zwar gewinnt der Mensch immer mehr Wissen in Bezug auf Technik, jedoch fehlt ihm eine Menge um die komplette Auswirkung von Technik und deren Fortschritt beurteilen zu können. Durch das Verlangen nach immer mehr Fortschritt, ist der Mensch auch zu immer mehr Risiko, ohne Bedacht auf die Folgen, bereit. Hierfür macht Hans Jonas den Utopiegedanken des 19. Jahrhunderts verantwortlich, der dem Wunsch nach einem „Reich der Freiheit“ folgt und dazu die Technik benötigt. Zwar erkennt Jonas auf die positiven Seiten der Technik:

„Bei der Technik …, führt dann dieser Erfolg mit seiner blendenden, öffentlichen, alle Lebensgebiete umfassenden Augenfälligkeit - ein wahrer Triumphzug - dazu, dass im Allgemeinbewusstsein das promethische Unternehmen als solches von der Rolle des bloßen Mittels (das jede Technik an sich doch ist) in die das Ziels rückt und „Eroberung der Natur“ als Beruf der Menschheit erscheint. “10 jedoch beanstandet er, dass negative Folgen bisher nicht, oder nur wenig, berücksichtigt wurden. Das „Reich der Freiheit“ lebt beim Marxismus ohne das „Reich der Notwendigkeit“ - diese Konstellation kann laut Jonas nicht funktionieren, da ein „Gut“ ohne „Böse“ gar nicht definierbar wäre:

„den Irrtum nämlich, dass die Freiheit beginnt, wo die Notwendigkeit aufhört (mit Marx: das „Reich der Freiheit… da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört“). Nur die gründlichste Verkennung des Wesend der Freiheit kann so denken. Sie besteht und lebt, ganz im Gegenteil, im Sichmessen mit der Notwendigkeit…. Die Abscheidung vom Reiche der Notwendigkeit entzieht der Freiheit ihren Gegenstand, sie wird ohne ihn ebenso nichtig wie Kraft ohne Wiederstand. Leere Freiheit, wie leere Macht, hebt sich selbst auf - und das echte Interesse am dennoch unternommenen Tun.“11

3.0 Gegenmodell zum Utopiegedanken

Hans Jonas kritisiert an dem Utopiegedanken von Bloch und Marx den Totalitarismus in Anbetracht der NS-Zeit und deren Realisierbarkeit. Jonas Ziel ist es, einen erweiterten Imperativ zu schaffen, der allgemein gültig und ethisch begründ- sowie vertretbar ist.

Insbesondere beschäftigt er sich mit der Thematik Utopie und Technik und deren Zukunftssicht. Auch beim Marxismus spielt Technik eine große Rolle die den Utopiegedanken lenkt. „Die weltweite technologische Fortschrittsdynamik bringt als solche einen impliziten Utopismus in sich, der Tendenz, wenn nicht dem Programm nach. Und die eine schon existierende Ethik mit globaler Zukunftssicht, der Marxismus, hat eben im Bunde mit der Technik die Utopie zum ausdrücklichen Ziel erhoben. Dies nötigt zu einer eingehenden Kritik des utopischen Ideals. Da es älteste Menschheitsträume für sich hat und nun in der Technik auch die Mittel zu besitzen schein, den Traum in ein Unternehmen umzusetzen, ist der vormals müßige Utopismus zur gefährliches - gerade weil idealistischen - Versuchung der heutigen Menschheit geworden“12 Er kritisiert den Gedanken, dass Freiheit unabhängig von Notwendigkeit werden soll und stellt sein Werk „Das Prinzip Verantwortung“ dagegen. Freiheit bedeutet auch immer eine vorausgesetzte Notwendigkeit13. Jonas plädiert stattdessen für eine „Heurisik der Furcht“ um dadurch die Welt vor der Macht der Menschheit und Technik zu schützen.14

Er betrachtet den Umgang mit Technik in der Gegenwart als eine Apokalypse für die Zukunft. „All dies gilt, wenn es wahr ist, wie hier angenommen, dass wir in einer apokalyptischen Situation leben, das heißt im Bevorstand einer universellen Katastrophe, wenn wir den jetzigen Dingen ihren Lauf lassen.“15 Durch eine Analyse im Kapitel 1-4 der gesellschaftlichen Situation unter ethischen Gesichtspunkten16 entwickelt Jonas dann seine Kritik am utopischen Denken, insbesondere dessen des Marxismus und dem Fortschrittsbegriff der kapitalistischen Gesellschaft.17 Er untersucht dabei deren Realisierbarkeit und Anspruch mittels Verantwortung. Verantwortung als zentraler ethischer Begriff um eine Apokalypse durch Kapitalismus und Utopie zu verhindern. Bisherige Ethik befasste sich nur mit gegenwertigen Entscheidungen und deren unmittelbaren Folgen.

[...]


1 Sloterdijk, Eurotaoismus, 269.

2 Vgl. Richert, Der endlose Weg, 280

3 Vgl. Jonas, Verantwortung, 276f

4 Vgl. Jonas, Verantwortung, 280f

5 Jonas, Verantwortung, 284f

6 Jonas, Verantwortung, 285

7 Jonas, Verantwortung, 288

8 Vgl. Jonas, Verantwortung, 293f

9 Jonas, Verantwortung, 291

10 Jonas, Verantwortung, 296

11 Jonas, Verantwortung, 364

12 Jonas, Verantwortung, 9

13 Vgl. Richert, Der endlose Weg, 271

14 Vgl. Jonas, Verantwortung, 9

15 Jonas, Verantwortung, 251

16 Vgl. Richert, Der endlose Weg, 272

17 Vgl. Jonas, Verantwortung, Kap. 5-6.

Ende der Leseprobe aus 9 Seiten

Details

Titel
Hans Jonas und die Utopie
Untertitel
Hans Jonas' Prinzip der Verantwortung als Gegenmodel zur Utopie
Hochschule
ecosign/Akademie für Gestaltung
Note
2,1
Autor
Jahr
2011
Seiten
9
Katalognummer
V176932
ISBN (eBook)
9783640985241
ISBN (Buch)
9783656366799
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hans Jonas, Utopie, Verantwortung, Bloch, Marx
Arbeit zitieren
Natascha Ungereit (Autor:in), 2011, Hans Jonas und die Utopie , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/176932

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