Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung
2. Der sozialkonstruktivistische Ansatz
3. Die natürlichen Wasserressourcen in der Region des Jordanbeckens
4. Die Wasserverteilung zwischen Israel und Palästina
5. Konfliktanalyse
5.1 Zionismus vs. panarabischer bzw. palästinensischer Nationalismus
5.2 Jerusalem
5.3 Autonomie, Grenzen, Rückkehrrecht - Weitere kompromisslose Konflikte?
5.4 Israelis und Palästinenser - Heterogene Gesellschaften
6. Fazit
1. Einleitung
Der Nahe Osten ist als Konfliktherd bekannt. Als eine der wasserärmsten Regionen der Welt wird die Lage im Nahen Osten immer mehr durch den Wassermangel aufgeheizt. Wasser findet als „blood flowing through the arteries of the nation“1 vor allem in Israel und Palästina seine Entsprechung. Das semi-aride Klima in der Region zeichnet sich durch heiße, trockene Sommer und einer feuchten Winterzeit aus. Die Niederschlagsmengen fallen jedoch je nach Region sehr unterschiedlich aus. Die Schwankungen zwischen den regenreichen Winter- und den regenarmen Sommermonaten einerseits, und zwischen den unterdurchschnittlichen Jahresniederschlagsmengen andererseits, stellen für die Wasserversorgung der Länder einen erschwerenden Faktor dar. Dieser „chronische Wassermangel“2 wird durch eine immer zunehmendere Bevölkerung verschärft und führte bereits in der Vergangenheit zu Kriegen.3 Eine Lösung des Wasserkonflikts muss im Interesse beider Länder sein. Doch mit Beginn des Oslo-Prozesses hat es keinen Wandel, noch Aussicht auf Veränderung der Wasserversteilung gegeben. Zwar haben die Palästinenser inzwischen das Recht, die Wasserversorgung in vereinbarten Gebieten selbst zu verwalten, doch ist diese Souveränität sehr begrenzt und eine endgültige Klärung dieses Streitpunkts wurde seitens Israels auf Endstatushandlungen verschoben. Damit ist der Wasserkonflikt zwischen Israel und Palästina so alt wie der Nahostkonflikt selbst. Angesichts dessen drängt sich die Frage auf, weshalb es nicht zu einer Lösung des Wasserkonflikts kommt, wenn beide Länder akut von dem Mangel betroffen sind? Der sozialkonstruktivistische Ansatz der Internationalen Beziehungen soll zur Beantwortung dieser Frage herangezogen werden. Er stellt Normen, Identitäten und Wertvorstellungen in den Mittelpunkt, auf deren Basis die Staaten miteinander agieren oder eben nicht, wenn diese Basis wegfällt. Wasser steht im gemeinsamen Interesse beider Länder, die sich aber aufgrund gegensätzlicher Werte und tiefer gehenden Konflikten verfeindet gegenüber stehen. Die zentrale Frage dieser Arbeit ist daher: Inwiefern kann der sozialkonstruktivistische Ansatz der IB das Ausbleiben einer kooperativen Lösung im Wasserkonflikt erklären?
Im ersten Teil werden die Grundannahmen des Sozialkonstruktivismus vorgstellt. Es folgt ein kurzer hydrologischer Überblick in der Region, worauf aufbauend die ungleiche Wasserverteilung zwischen Israel und Palästina beleuchtet wird. Der zweite Teil befasst sich mit der Analyse ausgewählter, relevanter Faktoren, welche die israelisch-palästinensische Beziehung prägen. Mit den daraus gefolgerten Schlüssen wird im dritten Teil die zentrale Fragestellung beantwortet.
2. Der sozialkonstruktivistische Ansatz
Der Sozialkonstruktivismus setzte sich in den Internationalen Beziehungen Mitte der 1990er Jahre durch als Kennzeichnung derjenigen Ansätze, die das soziale Handeln und soziale Strukturen betonen. Vor seiner Zeit dominierten vor allem der Realismus und der Institutionalismus die Theoriediskurse. Doch das Ende des Ost-West-Konflikts und die offenere Struktur im internationalen System erlangten zu ihrer Erklärung nach neuen Denkansätzen. Hier knüpfte der Sozialkonstruktivismus als erklärender Ansatz für den Wandel in den Internationalen Beziehungen an. Er unterscheidet sich von den beiden rationalistischen Theorien im Strukturverständnis und damit auch in der Handlungslogik der Akteure. Die soziale Realität, d.h. die Beziehungen zwischen den Staaten, ist konstruiert.4 Der Sozialkonstruktivismus negiert zwar nicht das Vorhandensein materieller Faktoren, aber er geht davon aus, dass die Realtität auf sozial konstruierten Ideen und Interpretationen basiert.5 Im Zentrum stehen neben Staaten internationale Organisationen und gesellschaftliche Gruppen wie z.B Nicht-Regierungsorganisationen, die auf der Basis von Normen, Identitäten und Wertvorstellungen miteinander interagieren („intersubjektive Faktoren“6 ). Unter diesen Bedingungen handeln die Akteure nicht zweckrational und egoistisch, sondern nach der Logik der „Angemessenheit“7. Sie orientieren sich bei ihren Entscheidungen an kulturellen Werten, vorgegeben Normen und vor allem an Identitäten. Je nachdem, welche Identitäten Staaten annehmen und welche Interessen sie verfolgen, „verteidigen sie sich gegen Feinde, kooperieren gegen Rivalen, oder stehen in harmonischen Beziehungen mit Freunden.“8. Interessen sind demnach nicht zwingend vorgegeben, sondern sie werden erst gebildet anhand von Selbst- und Fremdbildern, die in der Gesellschaft verankert sind. Gemeinsame Ideen, Werte und Normen schaffen Vertrauen zwischen Staaten und erhöhen ihre Kooperationsbereitschaft, sodass Kulturen der Freundschaft entstehen. Die entgegengesetzte Wirkung zeigt sich in konträren intersubjektiven Strukturen, wodurch sich eine Kultur der Feindschaft bildet, die zu den Anarchieproblemen führt. Nach sozialkonstruktivistischem Verständnis stellt Anarchie also nicht die Unsicherheit durch das Fehlen einer übergeordneten Instanz dar, sondern es handelt sich vielmehr um eine „besondere Form sozialer Ordnung“9, die von der Interaktion zwischen Staaten abhängig ist. In den Worten des wichtigsten Vertreters des Sozialkonstruktivismus Alexander Wendt: „Anarchy is what states make of it“10. Da die Beziehungen zwischen den Staaten und die Struktur des internatioalen Systems kontruiert sind, können sie auch rekonstruiert werden. “By showing others through cooperative acts that one expects them to be cooperators too, one changes the intersubjective knowledge in terms of which their identies are defined. […] Through interaction actors are also trying to project and sustain presentation of self. Thus, by engaging in cooperative behavior, an actor will gradually change its own beliefs about who it is, helping to internalize that new identity for itself.”11 Normen, Identitäten und Interessen sind also nicht dauerhaft, sondern je nach historischen, sozialen oder kulturellen Kontext variabel.
3. Die natürlichen Wasserressourcen in der Region des Jordanbeckens
Die Hauptressource bildet das Jordanbecken, bei dem zwischen Oberfächenwasser und Grundwasser differenziert wird. Die Frage nach der Verfügungsgewalt über dieses Wasser geht über das bilaterale Verhältnis zwischen Israel und Palästina hinaus und betrifft neben diesen die Anrainerstaaten Jordanien, Syrien und den Libanon. Zu den Oberflächengewässern gehören der Jordan, dessen Quellflüsse Dan, Hasbani und Banias, der Yamuk und der vom Jordan durchflossene See Genezareth12. Der Dan, mit einem durchschnittlichen Abfluss von ca. 250 Mio. m3 /Jahr entspringt auf israelischem Gebiet, der Hasbani mit ca. 140 Mio. m3 /Jahr im Südlibanon und der Banias mit ca. 120 Mio. m3 /Jahr auf den syrischen Golan- Höhen, die allerdings seit 1967 von Israel besetzt und zwischen beiden Ländern umstritten sind.13 Südlich des Golans verläuft der Yarmuk. Er mündet mit einem Wasservolumen von ca. 420 m3 /Jahr in den Jordan und bildet die israelisch-jordanische Grenze. Hinter der israelischen Grenze vereinen sich Dan, Hasbani und Banias zum Jordan, der in den See Genezareth, dem einzigen natürlichen Wasserspeicher der Region, fließt.
Die Hauptversorgung Israels und Palästinas wird durch acht Aquifere sichergestellt, von denen sich vier14 unter israelischem Hoheitsgebiet und drei15 unter palästinensichen Boden befinden. Bei dem westlichen und dem nördliche Aquifer16 unterhalb der Westbank handelt es sich um grenzüberschreitendes Gewässer. Eine wichtige Bedeutung hat der Coastel Aquifer, da er die einzige Süßwasserquelle für die im Gazastreifen lebende Bevölkerung darstellt. Jedoch ist der Coastel Aquifer aufgrund der starken Übernutzung und der Nähe zum Mittelmeer von einer Salzwasserintrusion gefährdet.
4. Verteilung des Wassers zwischen Israel und Palästina
Die hydrologischen Bedingungen in der Region zeigen, dass die Mehrzahl der Wasserressourcen im Jordanbecken sich in Gebieten befindet, deren Besitz politisch umstritten ist. Um die Oberflächengewässer konkurrieren Jordanien, Syrien, der Libanon, Israel und Palästina, um die Nutzung der Grundwasservorkommen die beiden Letzteren. Es ist festzustellen, dass das für Israel und Palästina insgesamt verfügbare Wasservorkommen in den letzten Jahren gestiegen ist. So ist das verfügbare Wasser beispielsweise seit den 1980er Jahren um ca. 450 Mio. m3 /Jahr auf aktuell 2.450 Mio. m3 /Jahr gestiegen. Dies spiegelt eine steigende Wassernutzung wider, verbunden mit vermehrtem Entsalzen der Wasserressourcen vor allem durch Israel. Trotz diesem Anstieg hat sich das für Palästina zugewiesene Wasservolumen kaum geändert, obwohl sich die palästinensische Bevölkerung in dieser Zeit mehr als verdoppelt hat. Das z.B. für den Haushalt bereitgestellte Wasservermögen für die Palästinenser ist in den Jahren etwas gestiegen, wobei die Wassernutzung pro Kopf fast gleich geblieben ist. Im Kontrast dazu ist in Israel ein Anstieg
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Tabelle 1: Water Consumption (MCM/year) for Various Uses in Palestine and Israel, for the mid-1980s and 1998.
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Tabelle 2: Water Allocations on a per capita Basis (m3 / person/ year).
[...]
1 Levi Eshkol, israelischer Ministerpräsident(1963-1969), zitiert in: Rouyer, A.R.: Turning Water into Politics. The Water Issue in the Palestinian-Israeli Conflict. Macmillan Press, London 2000, S. 80.
2 Wasserkrise in Nahost: http://www.anti-defamation.ch/index.php?id=15§ion=2 (abgerufen am 15.3.2011).
3 „Der Sechs-Tage-Krieg begann an jenem Tag, als Israel beschloss, etwas gegen die Umlenkung des Jordan zu unternehmen.. Vgl.: http://www.sueddeutsche.de/kultur/autoren-zum-klimawandel-quellen-des-streits-1.572055 (abgerufen am 15.3.2011).
4 Vgl. Lemke, Christiane: Internationale Beziehungen. Grundkonzepte, Theorien und Problemfelder. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München/ Wien 2000, S. 36.
5 Vgl. Riemer, Andrea: Theorien Internationaler Beziehungen und neue methodische Ansätze. Peter Lang - Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt a. M. 2006, S. 74. (International Security Studies Bd. 2)
6 Schimmelfennig, Frank: Ideen und Gemeinschaft: der Konstruktivismus, in: Internationale Politik. Schöningh, Paderborn 2008, S. 164.
7 Vgl. Ebenda. S. 162.
8 Auth, Günther: Theorien der Internationalen Beziehungen kompakt. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2008, S. 125.
9 Schimmelfennig, Frank: Ideen und Gemeinschaft: der Konstruktivismus, in: Internationale Politik. a. a. O., S. 166.
10 Wendt, Alexander: Anarchy is what states make of it: the social construction of power politics. In: International Organization 46, 1992.
11 Wendt, Alexander: Collective Identity Formation and the international State. In: American Political Science Review 88, 1994, S. 384.
12 Auch Tiberias See genannt.
13 Vgl. Zahlenangaben bei Dombrowsky/Gottschalk/Mazouz: Recht auf Wasser? Verteilungskonflikte im Jordanbecken. In: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaften. 1996, S. 64. (Nr. 1, Heft 102).
14 Namentlich Tiberias, Western Galilae, Carmel und das Negev Basin.
15 Namentlich North Eastern, Eastern und der Western Aquifer.
16 Unterirdische, wasserführende Gesteinsschichten, die durch Regenfälle regeneriert werden.