Sowohl Kiplings Dschungelbuch als auch die behandelten Tiergeschichten von Hermann Löns sind im Zeitraum um 1900 entstanden.1 Zu dieser Zeit findet ein Boom in der Popularität von Tierdichtung statt. Grund hierfür ist die in Mittel- und Westeuropa stattfindende Technisierung.2 Das neu gegründete Deutschen Reich entwickelt sich durch zunehmende Mechanisierung und Modernisierung vom Agrar- zum Industriestaat. In der Urbanisierung findet eine Entfremdung des Menschens von der Natur statt: Komplexität, Schnelligkeit und Anonymität des Lebens steigen im Vergleich zum vorherigen, eher dörflichen Leben steil an. Sehnsucht zu alten Werten und Lebensgefühlen, zur Natur ist die Folge, die sich neben der Gründung diverser Naturvereine unter anderem auch in der neuen Popularität heimischer Tierdichtung ausdrückt. Ein weiterer, brisanterer Grund liegt in dem politischen/gesellschaftlichen Interesse, das in jener Zeit zu diesem Thema aufkeimt.
Nach dem Untergang der absolutistischen Ständegesellschaft setzt sich in der öffentlichen Meinung und Politik der europäischen Nationen ein naturrechtlicher Diskurs durch, der die Gleichheit von Menschen und Kulturen behauptet. Dieser Diskurs bleibt bis ins 18. Jahrhundert einflußreich und gipfelt in der Französischen Revolution. Da sich ab dem frühen 19. Jahrhundert wieder eine Ständegesellschaft zu etablieren beginnt, was sich mit dem naturrechtlichen Diskurs nicht vereinbaren läßt, wird eine metaphysische Erklärung stärker, die Ungleichheiten und ständische Unterschiede als „gottgewollt“ legitimiert. Die Revolutionen des 19. Jahrhunderts kämpfen im Namen des naturrechtlichen Diskurses gegen diese neu errichtete Ständegesellschaft. Letztenendes entsteht im 19. Jahrhundert aber der Imperialismus: einige europäische Länder beherrschen im Prinzip den Rest der Welt. Da der metaphysische Diskurs abgesetzt wurde (unter anderem auch, weil die von den beherrschenden Staaten angerichteten Genozide sich nicht mit dem Christentum vereinbaren lassen), dieses Prinzip beherrschender und beherrschter Völker aber auch dem ehemaligen naturrechtlichen Diskurs widerspricht, wird eine neue Rechtfertigung für diese Situation benötigt.
Inhaltsverzeichnis
- Geschichtlicher Hintergrund
- Naturgesetze
- Innerhalb der Geschichten
- Kiplings Dschungelbuch
- Typische Kurzgeschichten Löns
- Außerhalb der Geschichte
- Kipling
- Löns
- Innerhalb der Geschichten
- Zusammenfassung: Unterschiede der beiden Diskurse
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Essay analysiert die Unterschiede zwischen den „Naturgesetzen“, die Rudyard Kipling in seinem Dschungelbuch beschreibt, und denen, die in den Tiergeschichten von Hermann Löns, wie z. B. „Mümmelmann“, „Widu“ und „Alles was da kreucht und fleugt“, dargestellt werden. Der Essay beleuchtet den geschichtlichen Kontext der beiden Werke und analysiert, wie die „Naturgesetze“ innerhalb und außerhalb der Geschichten durch die jeweiligen Autoren dargestellt werden. Die Arbeit zielt darauf ab, die verschiedenen Perspektiven und die literarische Konstruktion von „Naturgesetzen“ in den Werken von Kipling und Löns zu verdeutlichen.
- Geschichtlicher Hintergrund der Tierdichtung um 1900
- Veränderung des Naturbildes im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert
- Die Rolle der „Naturgesetze“ in der Darstellung von Tiergesellschaften
- Der Einfluss des Darwinismus auf die Tierdichtung
- Vergleich der „Naturgesetze“ in den Werken von Kipling und Löns
Zusammenfassung der Kapitel
Der erste Teil des Essays behandelt den geschichtlichen Kontext der beiden Werke, wobei die Bedeutung der Tierdichtung um 1900 in Bezug auf die gesellschaftliche und politische Situation der Zeit beleuchtet wird. Der zweite Teil analysiert das Konzept der „Naturgesetze“ innerhalb der Geschichten, indem er Kiplings Dschungelbuch und typische Kurzgeschichten von Löns vergleicht. Im dritten Teil wird der Fokus auf den gesellschaftlichen Kontext der beiden Autoren gelegt, wobei insbesondere die Rolle der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Biologie und die Auswirkungen auf die Darstellung von Tieren in der Literatur thematisiert werden.
Schlüsselwörter
Tierdichtung, Dschungelbuch, Hermann Löns, Naturgesetze, Darwinismus, Vitalismus, Tiergesellschaft, Gründerzeit, Darwinismus, Naturrecht, Imperialismus, Ständegesellschaft
- Arbeit zitieren
- Peter Wolter (Autor:in), 2003, Was ist der Unterschied zwischen den "Naturgesetzen" von Kiplings Dschungelbuch und Hermann Löns Tiergeschichten im "Mümmelmann", "Widu" und "Alles was da kreucht und fleugt"?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17734