Probleme der Neidhartüberlieferung


Hausarbeit, 2010

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Neidhart-Überlieferung

2. Schwierigkeiten der Neidhart-Überlieferung

3. Haupt, Wießner und die Lachmann-Methode

4. New Philology

5. Schweikle und das rezeptionstheoretische Autorenkonzept

6. Die Überlieferungsproblematik am Beispiel des Winterliedes 28 (ATB)
6.1 Das Winterlied 28 nach der Lachmann-Methode
6.2 Das Winterlied 28 und die New Philology
6.3 Das Winterlied 28 und das rezeptionshistorische Autorenkonzept

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

1. Neidhart-Überlieferung

Die Lieder Neidharts zählen zu der am reichsten überlieferten Lyrik des Mittelalters. Die Lieder sind in 25 Handschriften überliefert. Ihre Entstehung Handschriften erstreckt sich über einen Zeitraum vom 13. bis zum 16. Jahrhundert. Den Kern der Überlieferung bilden die Pergamenthandschriften aus dem Ende des 13. Jahrhunderts bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts, mit den Siglen R, A, B, C und die späteren Papierhandschriften c, d, f, w aus dem 15. Jahrhundert.1

Um eine relativ nahe Autorfassung zu erhalten, betrachtet man zumeist die Riedegger Handschrift R als Grundlage einer Untersuchung. Denn man geht davon aus, dass der Autor Neidhart etwa um 1240 verstorben sei. Der Grundsatz einer stichhaltigen Untersuchung lautet hierbei, sich zeitlich einer möglichst autornahen Fassung der Lieder anzunähern. Denn eine Fassung die näher an den Lebensdaten des Autors liegt, ist aussagekräftiger als eine der späteren Fassungen, die möglicherweise nicht nur einem sprachlichen, sondern auch einem inhaltlichen Wandel unterlagen.2

Dennoch bildet die Riedegger Handschrift R kein geschlossenes Œvre Neidharts, wie es zunächst erscheinen mag. Zahlreiche Lieder sind lückenhaft oder nur in anderen Handschriften überliefert. Es existiert vielmehr eine weit verzweigte Überlieferung, die sowohl als Gesamtwerk als auch in ihren einzelnen Texten inkongruent ist.3 Weit über die Lebenszeit Neidharts hinaus lässt sich feststellen, dass dieser einen so hohen Bekanntheitsgrad genoss, dass es eine Menge von Nachahmern seines Stils gab. Die Rede ist in diesem Zusammenhang von den sogenannten Pseudoneidharten. Auf diese Weise entsteht ein Werk, dass über den empirischen Autor hinausreicht.

2. Schwierigkeiten der Neidhart-Überlieferung

Eine derartige Form der Überlieferung mag großen Facettenreichtum besitzen, sie ist aber ebenso reich an Problemen für eine wissenschaftliche Untersuchung. Ohne einen klaren Forschungsgegenstand lassen sich nur schwer geschlossene Untersuchungen anstellen. Dieses Problem beginnt bereits bei dem Namen des Autors. Der Name „Neidhart von Reuental“ unter welchem manche Ausgaben erscheinen, ist hoch umstritten. Denn rein anhand der Liedtexte lässt sich kein klarer Zusammenhang zwischen „Neidhart“ und „Reuental“ herstellten. Es handelt sich hierbei lediglich um ein editorisches Konstrukt.4 Es gibt viele Annahmen darüber wer Neidhart war und wo er lebte und wie genau seine Sangeskunst tatsächlich praktiziert wurde. Doch hierüber liegen keine genauen Informationen vor, man ist nur in der Lage Vermutungen auf Basis der vorliegenden Texte aufzustellen. Doch man muss sich darüber im Klaren sein, dass Literatur sich immer der Fiktion bedient und nicht zwingend ein historisches Zeugnis darstellt.

Es existieren keine eindeutigen Hinweise die eine der vielen Hypothesen der Neidhart­Forschung untermauern könnten. Die Unmöglichkeit eine klare empirische Person Neidhart zu rekonstruieren, ist in der Forschung folgenreich geblieben. Und ein Text der nicht zweifellos einem Autor zugeordnet werden kann, ist immer der Gefahr ausgesetzt, zur unechten Nachahmung deklariert zu werden.

Es existieren solche Ansätze, die versuchen einen empirischen Autor zu rekonstruieren und jene Ansätze, die sich damit abgefunden haben, dass dieses Vorhaben unmöglich ist. Beide Seiten bieten eine ganze Palette an neuen Betrachtungen, doch keine der zahlreichen Theorien kann konsequent ausgeführt werden. Jede stößt an einer Stelle an ihre Grenzen, und eine Untersuchung, die Informationen zugunsten ihrer Herangehensweise ausschließt, kann keine objektive und damit wissenschaftlich haltbare sein.

Im Wesentlichen haben sich zwei Richtungen herausgebildet. Die eine folgt einer Rekonstruktion einer Handschrift, die möglichst lückenlos und damit echt ist. Die andere Richtung möchte sich kein eindeutiges Urteil über echte oder unechte Lieder erlauben und nimmt jedes angeblich vom Autor Neidhart stammende Lied in seine Untersuchungen auf. Dazwischen existieren Zwischenpositionen, die versuchen beide Richtungen zu vereinen.

In den folgenden Punkten werden die einzelnen Methoden in der Forschung vorgestellt und auf ihre Grenzen hin untersucht.

3. Haupt, Wießner und die Lachmann-Methode

Die Lachmannsche-Methode versucht aus allen verfügbaren Texten eine Originalfassung zu rekonstruieren. Sie vertritt die Vorstellung einer einzigen endgültigen und damit echten, vom Autor stammenden Fassung, dem sogenannten Archetypus.5

Nach Ansicht dieser Methode verliert ein Text auf dem Weg seiner Überlieferung wichtige Teile. Entweder, weil der Abschreiber sie bewusst wegließ oder weil Schriften zerstört wurden oder verloren gingen. Der Überlieferungsprozess wird mit einem Verfallsprozess gleichgesetzt. Man versucht nun Lücken die durch den Verfall entstanden sind, durch andrere Textzeugen zu schließen.

Es gibt Texte, auf die sich diese Methode sehr gut anwenden lässt. Allerdings müssen hierfür einige Prämissen erfüllt sein. Beispielsweise muss die Überlieferung geschlossen sein, d.h. es muss am Ende der Kette von Abhängigkeitsverhältnissen die durch das Abschreiben der Schriften von einander entstehen, einen Archetypus geben, den man zu rekonstruieren versucht. Der Prozess der Überlieferung muss dabei vertikal von statten gegangen sein, d.h. der Abschreiber eines Textes darf nur eine Fassung abgeschrieben haben. Sobald er mehrere Texte zu einem zusammenfasst, ergeben sich möglicherweise unlösbare Probleme für die Trennung der einzelnen Texte voneinander. Es könnten immer wieder Texte mit eingeflossen sein, die nicht vom Autor selbst stammen.

Weiterhin muss eine Verwandtschaft zwischen den Texten erkennbar sein, beispielsweise durch Fehler oder Änderungen im Text, die immer wieder mit abgeschrieben worden sind. Auf Basis dessen wird ein Stammbaum erstellt, der schließlich zum Ursprung und damit der Urfassung führt.

Moriz Haupt, der 1858 die erste Kritische Ausgabe zu Neidharts Liedern anfertigte, arbeitete im Wesentlichen nach dieser Methode. Allerdings ergab sich das Problem, dass es keine Fassung gab, die man als die ursprüngliche ansetzen konnte. Er nutzte als glaubwürdigste die Riedegger Handschrift R. Er stütze sich damit auch auf Vorarbeiten, die Rochus von Liliencron anfertigte. Dieser bemühte sich allerdings noch nicht um die Erarbeitung einer kritischen Ausgabe. Auch die Edition nach Georg Friedrich Benecke dienten Haupts Arbeiten.6

Bereits Liliencron stellte fest, dass es am besten sei, die Handschrift R als die glaubwürdigste anzusehen. Er stellte weiterhin fest, dass alles, was aus anderen Handschriften stamme, mit höchster Vorsicht zu verwenden sei. Man bezeichnete demnach nur Lieder aus R als wirklich echt und neidhartisch. Liliencron fertigte anhand der Lieder aus R ein poetologisches Muster an, welches für die darauffolgende Forschung maßgebend wurde. So teilte er Lieder beispielsweise in Sommer- und Winterlieder ein. Nur Lieder, die diesem von ihm erstellten Muster entsprachen, konnten überhaupt für eine Betrachtung über ihre Echtheit und Unechtheit in Betracht gezogen werden.7

An eben diese Kriterien hielt sich dann auch Haupt in seiner späteren Ausgabe der Lieder. Innerhalb dieser Zweiteilung der Lieder ordnete er die Lieder soweit möglich nach ihrer Entstehungszeit. Hierzu untersuchte er sprachliche Einflüsse sowie inhaltliche Zusammenhänge der Lieder untereinander. Nach seinen Untersuchungen kam er abschließend zur selben Meinung wie Liliencron. Demnach müsse eine kritische Ausgabe der Lieder R als Leithandschrift ansehen. Mit dieser These hat er die Vorstellung von den Liedern Neidharts bis heute geprägt.

Auch weitere Ausgaben, wie die Edmund Wießners, entstanden auf Grundlage der Arbeiten Haupts. Er nahm jedoch auch Texte in seine Ausgabe auf, die von Haupt als eindeutig unecht bezeichnet wurden. Diese werden durch die kleinere Schriftart in der Ausgabe gekennzeichnet.8

Das Problem dieser Arbeit nach der Lachmann-Methode ergibt sich daraus, dass es nicht möglich war, eine autornahe Fassung zu rekonstruieren. Es wurde lediglich davon ausgegangen, die Fassung aus R käme dem Autor am nächsten. Sie schließt damit andere Handschriften, die es zweifellos neben der Handschift R gibt, von vornherein aus oder zumindest bereits mit kritischem Blick auf ihre Echtheit hin untersucht. Dabei gibt es aber auch bei R selbst keinen Garanten dafür, dass sie die maßgebliche und damit echte Handschrift ist.

Aus diesem Grund war die Haupt-Wießner-Ausgabe seit ihrer Entstehung heftiger Kritik ausgesetzt. Bisher ist sie aber im Kern unverändert geblieben, da auch Kritiker dieser Ausgabe keine Revolution der Neidhart-Forschung herbeiführen konnten. So blieb es im Wesentlichen bei der ATB-Fassung, die reiche Anwendung in nachfolgenden Untersuchungen gefunden hat. Die Frage nach Echtheit der Lieder hat man lang nicht mehr zu stellen versucht. Viele Arbeiten wie die Reclam-Ausgabe erwähnen diese Problematik zwar, beschäftigen sich jedoch nicht damit. In der Forschung ist hier sogar von einer „salvatorischen Neidhart-Klausel“9 die Rede. Man zitiert die Haupt-Wießner-Fassung, erwähnt die damit zusammenhängede Problematik, und dabei bleibt es. Man kann abschließend, so die Kritiker der Haupt-Wießner-Ausgabe, höchstens von einer „Schreibtischfassung“ ausgehen; nicht aber von einer tatsächlichen Rekonstruktion des Originaltextes.10

[...]


1 Vgl. Bleuler: Überlieferungskritik und Poetologie; S.28-29

2 Vgl. Ebd.; S.12

3 Vgl. Ebd.; S.3

4 Vgl. Bennewitz-Behr: Grundsätzliches zu Neidhart-Lledern; S.55

5 Vgl. Wenzel: Zur Textkritik und Überlleferungsgeschlchte einiger Sommerlieder Neidharts. S.16

6 Vgl. EbdS.l-3

7 Vgl. Ebd. S.4

8 Vgl. Ebd.S.9

9 Vgl. Bennewitz-Behr: Grundsätzliches zu Neidhart-Lledern. S.60

10 Vgl. Ebd. S.59

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Probleme der Neidhartüberlieferung
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Germanistisches Institut)
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
17
Katalognummer
V177549
ISBN (eBook)
9783640992409
ISBN (Buch)
9783640992423
Dateigröße
6299 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Neidhart, Minnesang, Winterlied, Wiessner, Lachmann, Überlieferung, Handschrift
Arbeit zitieren
Benjamin Damm (Autor:in), 2010, Probleme der Neidhartüberlieferung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177549

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