Frauenfußball und die weibliche Sozialisation


Bachelorarbeit, 2011

63 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.Einleitung

2.Sozialisation
2.1 Die Sozialisation der Geschlechter
2.2 Die Sozialisationsagenten
2.3 „Doing Gender“

3. Die Bedeutung von Sport für die Sozialisation
3.1 Die Soziologie des Sports
3.2 Sport und die weibliche Sozialisation
3.3 Ein Exkurs: Die körperlichen Auswirkungen von Sport

4. Frauenfußball und die Sozialisation
4.1 Die Geschichte des Frauenfußballs in Deutschland
4.2 Der Zusammenhang von Frauenfußball und Sozialisation
4.2.1 Die Rolle der Familie
4.2.2 Die Rolle der Freunde/ Peergroup
4.2.3 Gründe und Motive der Frauen für das Fußballspielen

5. Untersuchung
5.1 Fragestellung
5.2 Auswahl der Interviewpartner
5.3 Methode
5.4 Durchführung

6. Die Ergebnisse der Untersuchung
6.1 Die inhaltliche Zusammenfassung der Interviews
6.2 Der Vergleich zwischen den Spielerinnen
6.3 Der Vergleich zwischen dem Trainer und den Spielerinnen
6.4 Die Ergebnisse im Zusammenhang der Sozialisation
6.5 Der Zusammenhang zwischen den Ergebnissen und Sozialer Arbeit

7. Fazit und Ausblick

Quellenverzeichni

Anhang

1.Einleitung

Soziale Arbeit und (Frauen)Fußball - auf den ersten Blick scheint es hier schwer zu fallen, einen Zusammenhang herzustellen. Beide Disziplinen kommen allerdings nicht ohne Grundlagen der allgemeinen Pädagogik aus (vgl. hier und im Folgenden Maier 2011). Weiterhin liegt ihnen eine theoretische Grundlage zugrunde, zum einen die Sozialarbeitswissenschaft und zum anderen die Sportwissenschaft. „Gemeinsam ist ihnen aber auch der Rückgriff auf Sozialwissenschaften, um gesellschaftliche Prozesse analysieren, verstehen und bewerten zu können“ (Maier 2011).

Ziel dieser Arbeit ist es einen Zusammenhang zwischen Frauenfußball und der Sozialisation dieser Fußball spielenden Frauen herzustellen. Es wird danach gefragt, wie Frauen überhaupt zum Fußball kommen, welche Rolle dieser Sport in ihrem Leben spielt und welche Auswirkungen er auf sie hat. Anschließend wird versucht Sozialisationsprozesse, die durch den Frauenfußball möglicherweise ausgelöst werden, auf die Soziale Arbeit zu übertragen..

Dazu werden zunächst theoretische Grundlagen zu den Themen Sozialisation, insbesondere der geschlechtsspezifischen Sozialisation, sowie die Bedeutung von Sport für die Sozialisation, erläutert.

Anschließend wird auf den Zusammenhang zwischen Frauenfußball und Sozialisation eingegangen, wobei zunächst ein kurzer Überblick über die Entwicklung des Frauenfußballs in Deutschland gegeben wird. Als Grundlage für den Abschnitt zum Thema Frauenfußball und Sozialisation dient eine quantitative empirische Untersuchung von Melanie Rother aus dem Jahr 2004. Einige der Ergebnisse dieser Befragung werden hier wiedergegeben. Weiterhin dient sie als Grundlage für die im Zusammenhang der hier vorliegenden Arbeit durchgeführten qualitativen empirischen Untersuchung, in Form von Interviews. Diese Interviews bauen zum Teil auf die quantitative Untersuchung auf und versuchen weiterführende Ergebnisse zu erzielen.

Zunächst werden die Methode und die Durchführung der Untersuchung vorgestellt. Anschließend erfolgt die Auswertung. Dabei wird der Inhalt kurz zusammengefasst, woraufhin ein Vergleich und eine Interpretation folgt.

Die erzielten Ergebnisse werden dann wieder in einen Zusammenhang mit der Sozialisation gesetzt. Darauf folgend werden Überlegungen angestellt, wie die Ergebnisse der Untersuchung und somit die Zusammenhänge zwischen Frauenfußball und der Sozialisation in der Sozialen Arbeit nützlich sein können und in welcher Form sie sich möglicherweise auf die Soziale Arbeit übertragen lassen.

Zum Schluss der Arbeit wird ein Fazit gezogen und ein Ausblick vorgestellt, inwieweit Frauenfußball der Sozialen Arbeit zugute kommen kann.

2. Sozialisation

Da die vorliegende Arbeit den Titel „Frauenfußball und die weibliche Sozialisation“ trägt, soll an dieser Stelle kurz skizziert werden, was unter dem Begriff „Sozialisation“ verstanden wird. Es gibt unterschiedliche Ansätze und Definitionen, da der Begriff nur schwer greifbar ist. Eine der aktuellsten Definitionen lautet: „Sozialisation ist ein Prozess, durch den in wechselseitiger Interdependenz zwischen der biopsychischen Grundstruktur individueller Akteure und ihrer sozialen und physischen Umwelt relativ dauerhafte Wahmehmungs-, Bewertungs- und Handlungsdispositionen auf persönlicher ebenso wie auf kollektiver Ebene entstehen.“(Hurrelmann, Grundmann, Walper 2008, S. 25). In dieser Definition lässt sich zunächst erkennen, dass es sich bei der Sozialisation um einen Prozess handelt, dass er also lange andauert oder sogar nie endet. Auch wird erkennbar, dass sowohl das Individuum mit seinen angeborenen Voraussetzungen, als aber auch die Umwelt in gegenseitiger Beeinflussung zueinander stehen. Aus diesen bewussten und unbewussten Beeinflussungen entstehen dann beispielsweise persönliche Werte oder Einstellungen. Weiterhin besagt diese Definition auch, dass sowohl das Individuum, als auch die Gesellschaft gleichermaßen an der Sozialisation eines Menschen beteiligt sind.

Im folgenden Abschnitt geht es um die Sozialisation der Geschlechter und zwar vor allem um die weibliche Sozialisation, da darauf in dieser Arbeit immer wieder zurück gegriffen wird.

2.1 Die Sozialisation der Geschlechter

Rein biologisch betrachtet kann man behaupten, dass es zwei verschiedene Geschlechter gibt, die sich anhand von Geschlechtsmerkmalen unterscheiden lassen und sich in der Regel von Geburt an das ganze Leben lang nicht verändern. Weiterhin lässt sich auch behaupten, dass diesen beiden Geschlechtern bestimmte Rollen und Erwartungen zugeschrieben sind. An dieser Stelle kann man die Frage stellen, ob Frauen und Männer „typische“ Eigenschaften haben oder nicht; und wenn ja, welche das sind. Historisch betrachtet sind diese Rollenbilder relativ einfach zu trennen. Der Mann geht zur Arbeit und ernährt so seine Familie, wohingegen die Frau sich um den Haushalt und die Erziehung der Kinder kümmert. Diese Rollenverteilung ist heute allerdings zu großen Teilen aufgeweicht, und junge Menschen haben die Möglichkeit, sich in unterschiedliche Richtungen zu entwickeln (vgl. hier und im Folgenden Zimmermann 2006, S. 176 - 177). Diese individualisierte Lebenslage bringt sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich. Auf der einen Seite haben Jungen und Mädchen eine größere Auswahl an Handlungsmöglichkeiten. Auf der anderen Seite kann genau das auch zu Verunsicherungen bei der Selbstfindung führen. Eindeutige Bilder von Männern und Frauen vermischen sich und sind nicht mehr so gut zu trennen. Die Verhaltensformen verändern sich quasi aufbeiden Seiten und werden sich dadurch immer ähnlicher.

Doch wie kommt geschlechtsspezifische Sozialisation überhaupt zustande? Wann fängt sie an und wodurch wird sie beeinflusst? Schon mit der Geburt eines Kindes beginnt seine Sozialisation (vgl. hier und im Folgenden Zimmermann 2006, S. 178). In Form von Symbolen, die eine Gesellschaft oder Kultur als „männlich“ oder „weiblich“ ansieht, wird das Geschlecht sowohl an das Kind selber als auch an die Umwelt vermittelt. Dies beginnt bereits nach der Entbindung in Form von blauen oder rosa Armbändern, die dem Neugeborenen angezogen werden. Oder es werden bereits vor der Geburt „typische“ Spielzeuge, Kleidungsstücke oder ähnliches für das jeweilige Geschlecht angeschafft. Jedes Kind und auch jeder erwachsene Mensch wird sein Leben lang mit geschlechtsspezifischen Symbolen konfrontiert, die in einer Gesellschaft zu finden sind. Kindern helfen diese Symbole bei ihrer Identitätsfindung. Sie sind auf diese angewiesen und orientieren sich bewusst, aber vor allem unbewusst, daran. Daraus entsteht Mädchen- und Jungenverhalten, das von der jeweiligen Gesellschaft definiert wird. Dieses Verhalten wird sowohl von der Gesellschaft erwartet, als auch von demjeweiligen Geschlecht so ausgelebt, wie es von der Gesellschaft erwartet wird. Der Mensch nimmt sich in seinem Geschlecht wahr und agiert entsprechend. Hierbei handelt es sich dann um ein Produkt der Sozialisation (Abels, König 2010, S. 261).

Überträgt man diese Aussage auf das Thema dieser Arbeit, wird der Grund für die Fragestellung nach weiblicher Sozialisation und Frauenfußball deutlich. Fußball gilt nach wie vor als ein von Männern dominiertes Gebiet. Fußballspielen wird noch immer von der Mehrheit der Gesellschaft als „typisch männlich“ angesehen (Verch 2007, S. 1-2). Was passiert aber wenn Frauen sich in einen so von Männern eingenommenen Bereich einmischen oder gar selbst aktiv werden, indem sie diesen Sport ausüben? Welche Motive haben diese Frauen? Welche Auswirkungen hat das für die Frauen selber und wie geht deren Umfeld damit um? Diesen Fragen wird im weiteren Verlauf der Arbeit nachgegangen.

In den 1970er Jahren begann die Frauenforschung. Hier wurde hinterfragt, ob aufgrund des biologischen Geschlechts auch schon alles über das Verhalten und die Identität einer Frau gesagt sei. Diese Aussage wurde selbstverständlich verneint (vgl. hier und im Folgenden Abels, König 2010, S. 262). Gleichzeitig entstand der Anspruch, dass Verhältnisse, die Mädchen und Frauen von Anfang an benachteiligen, verändert werden sollen. Dabei spielten beispielsweise Fragen eine Rolle, wie Kinder zu Mädchen oder Jungen werden, welche Erwartungen an sie gestellt werden oder sie an sich selber stellen. Dies wurde häufig sehr kritisch hinterfragt, da oftmals die weibliche Sozialisation als Abweichung von der männlichen verstanden wurde, und somit das Defizit indirekt in die Frauen verlegt wurde. Die kritische Sozialisationsforschung akzeptierte das allerdings nicht. Es wurde stattdessen von „Differenzen zwischen den geschlechtsspezifischen Sozialisationsprozessen“ (Abels, König 2010, S. 263) gesprochen. Dabei wurden Defizite nicht mehr bei den Frauen, sondern im Sozialisationsprozess selbst gesucht.

2.2 Die Sozialisationsagenten

Als Sozialisationsagenten werden Einflussfaktoren bezeichnet, die bei der Sozialisation des Individuums eine Rolle spielen. Sie sind sehr vielseitig und lassen sich an dieser Stelle nur kurz erläutern. Es ist zu vermuten, dass der wichtigste Einflussfaktor die Familie und insbesondere die Eltern eines Kindes sind, da sie in der Regel in den ersten Lebensjahren, welche die prägendsten sind, viel Zeit mit dem Kind verbringen. Daraus kann man schließen, dass Eltern ihr Kind, auf welche Weise auch immer, bedeutend prägen und somit einen großen Anteil an der Sozialisation ihres Kindes haben. Dies kann man auch auf das Erlernen der Geschlechterrollen beziehen. Fraglich ist an dieser Stelle, ob die Erklärung ausreicht, dass Mädchen von ihren Müttern beispielsweise die Tätigkeiten im Haushalt erlernen können, wohingegen Jungen dieses Vorbild nicht haben, da der Vater häufig außer Haus arbeitet (Abels, König 2010, S. 262). Diese Theorie lässt sich vor allem darum nicht mehr anwenden, da diese Rollenverteilung heute längst nicht mehr so stark ausgeprägt ist, weil auch Frauen häufig außerhalb des Hauses arbeiten und Männer Aufgaben im Haushalt übernehmen. Interessant wird es sein, der Frage nachzugehen, welche Einflüsse das Elternhaus auf das Fußballspielen der Töchter hat. Hier sollte man besonders genau hinschauen, welche Rolle die Mutter und welche der Vater spielt.

Ein weiterer wichtiger - und darum zu erwähnender Einflussfaktor - sind die Gleichaltrigen, die auch Peergroup genannt werden. Man kann dabei zwischen geschlechtshomogenen Gruppen und gemischtgeschlechtlichen Gruppen unterscheiden (vgl. hier und im Folgenden Hurrelmann, Grundmann, Walper 2008, S. 247 - 248). Diese Gruppen haben je eine unterschiedliche Bedeutung für die Sozialisation der Mädchen und Jungen. In geschlechtshomogenen Gruppen geht es für Mädchen insbesondere darum, sich von dem anderen Geschlecht abzugrenzen; für Jungen spielt es häufig eine Rolle, männlichen Geschlechtsstereotypen gerecht zu werden. Dies erfolgt häufig durch gemeinsame Aktivitäten, insbesondere körperlicher Art. Für Mädchen- als auch für Jungengruppen geht es aber auch darum, Erfahrungen bezüglich des jeweiligen anderen Geschlechts auszutauschen. Gruppen, die sowohl aus Jungen als auch aus Mädchen bestehen, dienen vor allem dazu, sich von Erwachsenen abzugrenzen und sich selbst zu behaupten. In der späteren Jugendphase dienen diese Gruppen allerdings auch dazu Liebesbeziehungen aufzubauen.

Ein weiterer Sozialisationsagent ist die Schule. Hier sollen auf pädagogisch­didaktischer Grundlage Werte und Normen vermittelt und die Weichen für das weitere Leben eines Menschen gestellt werden (vgl. Hurrelmann, Grundmann, Walper 2008, S. 109). Bedeutsam für das Thema dieser Arbeit ist dabei, wie in der Schule mit den unterschiedlichen Geschlechtern umgegangen wird, besonders im Sportunterricht.

Der letzte hier vorzustellende Sozialisationsagent sind die Massenmedien. Es gibt eine gegenseitige Beeinflussung von Gesellschaft, Individuum und Medien (vgl. hier und im Folgenden Hurrelmann, Grundmann, Walper 2008, S. 111). Die Medien gehören zu den einflussreichsten Faktoren, wenn es um Einstellungen, Urteile, Wissen und das Verhalten der Menschen geht. Dies betrifft vor allem Jugendliche, da sie sich besonders von Medien beeinflussen lassen. Hier gilt es zu beachten, wie in den Medien die Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit geprägt werden.

2.3 „Doing Gender“

Wie oben bereits beschrieben, spielen viele verschiedene Faktoren eine Rolle bei der Sozialisation eines Menschen. Diese Faktoren können zum einen äußere Einflüsse sein, aber auch Interaktionen zwischen Menschen (vgl. hier und im Folgenden Abels, König 2010 S. 265). Hierbei werden Geschlechterrollen konstruiert. Beide Geschlechter weisen sich gegenseitig bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen zu, nach denen allerdings auch gehandelt wird. Diese „interaktive Herstellung von Geschlechterdifferenzen durch die Handelnden selbst“ (Abels, König 2010 S. 265) nennt man „doing gender“. Dabei wird zwischen dem biologischen und dem sozialen Geschlecht differenziert (vgl. hier und im Folgenden Abels, König 2010, S. 266). Das biologische Geschlecht wird „sex“ genannt und wird anhand der primären Geschlechtsmerkmale bestimmt. Das soziale Geschlecht „gender“ beschreibt dagegen das geschlechtstypische Denken und Handeln. Dieser Ansatz geht davon aus, dass Geschlecht eine soziale Konstruktion ist.

3. Die Bedeutung von Sport für die Sozialisation

Im vorherigen Abschnitt wurde das Thema Sozialisation und insbesondere die geschlechtsspezifische Sozialisation behandelt.

Um sich dem Schwerpunkt der Arbeit zu nähern, geht es nun um die Frage, welche Bedeutung Sport im Prozess der Sozialisation haben kann.

In der Literatur findet man vor allem Texte zur Sportsozialisation im Allgemeinen. Diese bezieht sich allerdings in der Regel auf männliche Sportler. Dennoch soll vor allem auf die Zusammenhänge von Sport und der weiblichen Sozialisation eingegangen werden. Ein weiteres Augenmerk wird dabei auf das Besondere des Mannschaftssport gelegt.

3.1 Die Soziologie des Sports

Zunächst einmal gilt es an dieser Stelle kurz zu definieren, was unter „Sport“ verstanden werden kann oder verstanden wird. Problematisch ist, dass unterschiedliche Gruppen von Personen verschiedene Ansichten haben, was Sport tatsächlich ist. So sieht sich beispielsweise der Schachspieler als Sportler; ein Marathonläufer definiert Sport dagegen als etwas völlig anderes.

Heinemann (1998, S. 34) sagt, dass Sport ein soziales Konstrukt ist, welches durchaus sehr heterogen definiert werden kann. Er nennt vier Merkmale, die Sport beschreiben: Das erste Merkmal ist die körperliche Bewegung. Damit meint er eine „spezifische Form des Umgangs mit dem Körper“ unter die beispielsweise Kraft, Motorik oder Schnelligkeit gefasst werden kann. Ein weiteres Merkmal ist der Wettkampfim Sinne eines Leistungsvergleichs zwischen den Teilnehmern. Als drittes Merkmal nennt Heinemann das sportartenspezifische Regelwerk. Gemeint ist damit nicht nur der spezielle Umgang mit dem Körper, sondern die aufgestellten Regeln, die dabei eingehalten werden müssen. Das letzte Merkmal ist die Unproduktivität. Das bedeutet, dass durch den Sport selber keine Produkte oder Werke hergestellt werden sollen. Hierbei ist zu beachten, dass Sport in einigen Fällen dazu dient, beispielsweise Einkommen zu erwirtschaften. Dennoch ist unter Unproduktivität gemeint, dass das Ergebnis einer sportlichen Aktivität einen Wert in sich selbst trägt.

Die Themen, die in der Sportsoziologie untersucht werden sind vielseitig. Für diese Arbeit ist vor allem relevant, was über den Sportler an sich, also den Menschen und dessen Herkunft erforscht wurde. Zunächst soll thematisiert werden, wie Sport und die Sozialisation eines Menschen Zusammenhängen.

Hier wird nun erläutert, welche Prozesse zum einen dazu führen, dass ein Mensch Sport betreibt, zum anderen welche Prozesse dieser Mensch im Sport durchläuft. Heinemann unterscheidet dabei sechs Phasen (Heinemann 1998, S. 157 - 173).

Die erste Phase ist die Vorsozialisation. Hier werden die Voraussetzungen geschaffen, die benötigt werden, um Sport zu betreiben. Darunter fallen entsprechende Kompetenzen, Motivation, Wettbewerbsorientierung oder Raumbewusstsein. Auch soziale Kompetenzen müssen erlernt werden, damit der Einzelne in einer Gruppe mitwirken kann. Inwiefern das geschieht, hängt von den Sozialisationsagenten (zum Beispiel Eltern, Gleichaltrige, Schule) ab. Es stellt sich somit die Frage, welche Fähigkeiten und welche Motivation schon ausgebildet sein müssen, bevor ein Mensch Sport ausübt und vor allem wie dieses Potential ausgebildet wird.

Die Vorsozialisation eines Menschen wird durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Sie werden an dieser Stelle nur kurz erläutert. Der Sozialisationserfolg hängt davon ab, inwieweit Rollenverständnis und entsprechende Sanktionsmechanismen - positiv wie negativ - existieren. Auch ist es von Bedeutung, inwiefern der Mensch sich mit anderen Handlungspartnem identifizieren kann und ob ein Rollenverständnis vorhanden ist. Wichtig ist weiterhin, in welchem Umfang individuelle Handlungsbereitschaft, Motivation zu bestimmten Leistungen und verinnerlichte Werte und Normen eingeprägt sind und in den jeweiligen Situationen wirksam werden. Die Konfrontation mit Konflikten und Krisen, welche erfolgreich überwunden werden konnten, tragen dazu bei, eine autonome Persönlichkeit zu entwickeln. Bedeutsam ist auch, ob der Mensch einerseits gelernt hat alleine zu handeln und andererseits in einer sozialen Gruppe zu agieren. Dieses sollte im Gleichgewicht zueinander stehen. Zu einer erfolgreichen Vorsozialisation gehört auch, ob die eigene Vorstellung über sich selbst und das Bild, welches das Umfeld von einem hat, zufriedenstellend übereinstimmen. Zuletzt stellt sich die Frage, ob man sich als Teil einer Gruppe von anderen Gruppen abgrenzen kann und dabei eine Ausgeglichenheit zwischen Isolation und Kontakten nach außen vorhanden ist.

Viele dieser Prozesse, die gerade beschrieben wurden, laufen in den ersten Jahren der Kindheit ab, noch bevor überhaupt Sport ausgeübt wird. Dennoch spielen sie für das spätere Interesse am Sport eine große Rolle.

Es gibt allerdings noch weitere Faktoren, die darüber entscheiden können, ob ein Mensch sportlich tätig wird. Dazu zählt zum Beispiel die soziale Schicht. Heinemann nennt diesen Faktor zwar, erläutert ihn aber nicht weiter. Brinkhoff und Ferchhoff (1990, S. 106) greifen diesen Punkt jedoch auf und sagen, dass die ersten Sportler fast ausschließlich männliche Gymnasiasten und Studenten waren und es sich um ein „Mittelschichtsphänomen“ handelt. Sie betonen allerdings auch, dass sich dieses Muster im Zuge der Individualisierung der Jugend zunehmend aufgeweicht hat und Sport inzwischen auch in anderen Schichten betrieben wird. Man kann sich an dieser Stelle die Frage stellen, ob Sport heutzutage tatsächlich jeder sozialen Schicht offen steht. Möglicherweise muss dabei zwischen beitragspflichtigem Vereinssport oder Sportarten, welche hohe Materialkosten mit sich bringen und Sportarten wie zum Beispiel Joggen, die ohne kostspieligen Aufwand betrieben werden können, unterschieden werden. Heinemann nennt als weitere Voraussetzung für das Betreiben von Sport die sozial-räumlichen Gegebenheiten. Auch diesen Punkt erläutert er nicht ausführlicher. Vielleicht kann man darunter verstehen, dass beispielsweise Wassersportarten nur an Orten möglich sind, die nun mal am Wasser gelegen sind und Bergsteigen nur in den Bergen funktioniert. Auch könnte darunter der Unterschied zwischen Gegebenheiten in der Stadt oder auf dem Land gemeint sein, also eine räumliche Dichte von Sportangeboten.

Die zweite von Heinemann benannte Phase ist die Sozialisation in den Sport. Damit meint er die äußeren und inneren Einflüsse, die dazu führen, dass ein Mensch damit beginnt, Sport oder eine bestimmte Sportart auszuüben.

An dieser Stelle wird betont, dass die in der Vorsozialisation erlernten Fähigkeiten nicht zwingend dazu führen, dass Sport auch betrieben wird. Es wird danach gefragt, inwieweit andere Personen den Einzelnen beeinflussen und warum ausgerechnet dem Sport und nicht einer andere Freizeitaktivität nachgegangen wird.

Heinemann erläutert den Einfluss der Eltern, der Geschwisterfolge sowie der Peergroup. Er merkt an, dass Untersuchungen dazu nur unzureichend vorliegen. Bekannte Untersuchungen überprüfen zwar das Sportengagement der Eltern, allerdings nur insofern, als dass die Sportler selber nach Einstellungen und Verhalten ihrer Eltern befragt werden. Es gibt keine Ergebnisse von Langzeitstudien, in denen erst später wirksame Einflüsse des Erziehungsstils, die sich auf die sportlichen Aktivitäten des Kindes auswirken, erkennbar werden. Dennoch scheint es offensichtlich, dass ein Zusammenhang zwischen Sport treibenden Eltern und dem Sportinteresse der Kinder besteht. So geben 55% der befragten Sportler an, dass auch ihre Eltern Sport betrieben haben. Ähnliche Zahlen lassen sich laut Heinemann in mehreren Studien finden. Er stellt fest, dass das wichtigste Vorbild bezüglich des Sportinteresses und Sporttreibens für das Kind zunächst die Eltern seien, vor allem der Vater. Er schränkt diese Aussage jedoch ein. Aus den ihm vorliegenden Zahlen kann weder ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Sportinteresse der Eltern und deren Kindern abgeleitet werden, noch lassen sich lineare Beziehungen feststellen, dass eine steigende Sportaktivität der Eltern auch eine zusätzliche sportliche Leistung der Kinder herbeiführt. Es könnte sich dabei auch um eine Scheinkorrelation handeln. Hinzu kommt: Je höher die Schichtzugehörigkeit ist, desto größer ist auch das Sportengagement. Allerdings besteht in unterschiedlichen Schichten auch ein unterschiedlicher Erziehungsstil, welcher auch zu einem höheren Sportinteresse des Kindes führen kann und nicht nur alleine das Vorbild der sportlich aktiven Eltern. Zusammenfassend kann man jedoch feststellen, dass die Prägung in der Kindheit einen lebenslangen Einfluss darauf hat, ob Sport betrieben wird oder nicht - was genau auch immer diesen Einfluss ausmacht.

Einen bemerkenswerten Zusammenhang beleuchtet Heinemann zwischen dem Sporttreiben eines Menschen und der Geschwisterfolge, die in einer Familie vorliegt. Er beruft sich dabei auf Untersuchungen, die den Einfluss der Geschwisterfolge und des Geschlechts auf die Persönlichkeitsstruktur bestätigen. So zeigen Jungen, die nur Schwestern haben, in Spielen eher weibliche Charakteristika als Jungen, die nur Brüder haben. Dies ist ausgeprägter, wenn der Junge eine ältere Schwester hat und weniger ausgeprägt, wenn die Schwester jünger ist. Heinemann stellt die These auf, dass das Sportinteresse bei erstgeborenen Mädchen geringer ist als bei Mädchen, die einen älteren Bruder haben. Dies ist der Fall, wenn es zum einen stimmt, dass das erstgeborene Kind eine besonders ausgeprägte Geschlechtsidentität entwickelt und zum anderen, wenn man davon ausgeht, dass das Sportinteresse eher in das Rollenbild des Mannes passt.

Als einen weiteren Einfluss auf das Sportverhalten eines Menschen benennt Heinemann die Peergroup. Die Gruppe der Gleichaltrigen dient für junge Menschen dazu, ihr Verhalten auszuprobieren, sich zu entfalten und zu entwickeln. Dies kann in einer solchen Gruppe freier verlaufen als beispielsweise in der Schule und in der Familie. Sport ist oft der Grund für die Bildung einer Peergroup. Sie wird aufgrund des gemeinsamen Interesses gefestigt. Häufig wird der Status einer einzelnen Person in der Gruppe über dessen erbrachte Leistung definiert.

Zusammenfassend kann man sagen, dass ein Zusammenhang zwischen dem Sportinteresse der Eltern, der Geschwisterfolge, der Peergroup und dem Sporttreiben des Einzelnen besteht. Grund dafür ist häufig eine entsprechende Unterstützung, zum Beispiel durch die Eltern. Heinemann betont allerdings, dass dieser Zusammenhang nicht alleine auf einer Vorbildfunktion oder einer anderen Anregung beruht, sondern auch andere Faktoren, beispielsweise die Schichtzugehörigkeit oder Wertauffassungen eine Rolle spielen. Man kann somit nicht uneingeschränkt von einer eigenen Sozialisationsfunktion des Sports sprechen. Bereits in der Vorsozialisation werden Grundbausteine für ein späteres Sportinteresse gelegt. Heinemann spricht deshalb auch von einem Selektionsprozess. Sport betreiben diejenigen, die entsprechend geprägt wurden und die nötigen Voraussetzungen erworben haben.

Die dritte Phase ist die Art und der Grund der Einbindung in den Sport. Hier gilt es zu beachten, warum ein Mensch sich ausgerechnet für eine bestimmte Sportart entscheidet, auf welchem Leistungsniveau diese betrieben wird und welche zeitliche Beanspruchung sie einnimmt. Bedeutet der Sport für den Menschen beispielsweise einen Ausgleich zu seinem Beruf oder wird der Sport auf einem so hohen Niveau betrieben, dass er seinen Lebensunterhalt damit verdienen kann? Die Art und der Umfang des Sporttreibens hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren und Bedingungen ab. Neben Talent und Vorsozialisation muss man hier möglicherweise auch das Geschlecht, die Konfession oder die biographische Situation beachten.

In der vierten Phase, die Heinemann benennt, geht es um die Sozialisation im Sport, das heißt, wie Sport die Verhaltensmuster eines Menschen beeinflussen kann. Auch die Sozialisationswirkung von Sport hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Man muss dabei die Sportart an sich, das Leistungsniveau, die Organisation des Sports, die Zeit, die mit dem Sport verbracht wird oder auch den Trainer oder die Trainerin mit in die Überlegungen einbeziehen. Heinemann sagt, dass es unmöglich ist, von der einen Sozialisationswirkung des Sports zu sprechen. Vielmehr gilt es, die möglichen Vor- und Nachteile dieser Wirkungen zu betrachten und sie gegeneinander abzuwägen.

Man kann behaupten, dass Sport besonders geeignet ist, soziales Handeln einzuüben. Im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Bereichen gelten im Sport festgelegte Regeln, an die man sich halten muss. Werden diese nicht eingehalten, greifen entsprechende Sanktionsmechanismen. Diese werden meistens von einem Schiedsrichter überprüft und durchgesetzt. In den ersten Entwicklungsphasen von Kindern und Jugendlichen können laut Heinemann viele Normen, Werte und Regeln nur abstrakt erlernt werden. Im Sport werden Regeln allerdings dadurch erlernt, dass sie praktiziert werden. Er hilft also das Verständnis und die Bedeutung von Regeln zu begreifen. Heinemann merkt an dieser Stelle aber kritisch an, dass es nicht auszuschließen sei, dass diese vorhandenen Regeln dazu führen können, dass sie von Kindern als absolut betrachtet werden. Er nennt dieses Phänomen „Ritualisierungseffekt“ (Heinemann 1998, S. 168) und befürchtet, dass es zu einer geringen Distanz zu seiner Rolle, die man im Sport und die man in seinem „echten“ Leben hat, kommen kann. Dieser Effekt kann aber dadurch abgeschwächt werden, indem ein Kind auch andere Dimensionen der Sozialisation im Sport erfährt.

An dieser Stelle kann man die Frustrationstoleranz nennen. Es gibt beim Sport fast immer einen Gewinner, aber auch einen Verlierer. Jeder Mensch, der Sport betreibt, wird auch mit der Position des Verlierers konfrontiert. Ist dies der Fall, muss der Sportler als fairer Spieler ein guter Verlierer sein, dies akzeptieren und seinen Ärger nicht allzu sehr nach außen hin zeigen. Diese im Sport erfahrenen Erfolge und Niederlagen haben positive Folgen für die Sozialisation eines Menschen, da sie einerseits die Fähigkeit verbessern mit Niederlagen umzugehen und andererseits das Selbstvertrauen aufbauen können. Heinemann betrachtet an dieser Stelle den Fall des Überschreitens der Toleranzgrenze als kritisch. In einem solchen Fall kann es zu Reaktionen der Abwehr kommen, beispielsweise in Form von unfairem Verhalten den Gegen- oder Mitspielern gegenüber oder anderen Regelverletzungen. Auch kann der Grund der Niederlage auf andere Faktoren geschoben werden, zum Beispiel auf falsche Entscheidungen des Schiedsrichters oder die Wetterlage. Dieses Einüben von Abwehrmechanismen ist zwar auch ein Sozialisationseffekt, jedoch nicht unbedingt positiv zu bewerten.

Ein weiterer Punkt, der für die Sozialisation im Sport eine entscheidende Rolle spielt ist die Form der Organisation. Spielen Kinder beispielsweise informell auf der Straße, machen sie ihre Regeln selbst, knüpfen Kontakte zu anderen Kindern und fordern sich gegenseitig heraus. Anders ist das bei organisiertem Sport. Hier gibt es feste Trainingszeiten, Konkurrenzdruck untereinander und strenge Regeln. Heinemann bezeichnet das nicht als regelorientiert, sondern als regeldominiert. Erwachsene bestimmen die Regeln, die Kinder zu befolgen haben und geben ihnen Strategien und Techniken vor, nach denen sie handeln sollen.

Während der spielerische Sport von Kindern dazu führen kann, dass das Einhalten von Regeln gelernt wird, kann der von Erwachsenen für Kinder organisierte Sport zu einer starren Einstellung und wenig alternativer Handlungsbereitschaft führen. Heinemann sagt, dass man den Sport als eine Art eigene Welt sehen kann.

[...]

Ende der Leseprobe aus 63 Seiten

Details

Titel
Frauenfußball und die weibliche Sozialisation
Hochschule
Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
63
Katalognummer
V177694
ISBN (eBook)
9783640994373
ISBN (Buch)
9783640995448
Dateigröße
686 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fußball, Frauenfußball, Sozialisation, Soziale Arbeit, Sport
Arbeit zitieren
Inga Schiebener (Autor:in), 2011, Frauenfußball und die weibliche Sozialisation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177694

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