Jener im Titel der Arbeit durch einen Bindestrich auffällig gemachte Ausdruck Dia-Gnosis fungiert als in zwei semantische Dimensionen ausstrahlend gedacht: Erstens ist er bezogen auf die Untersuchung des poetischen Subjekts. Zweitens erscheint er als Bezeichnung für ein wesentliches Prinzip im weltanschaulichen Habitus Georg Trakls, nämlich seiner vitalen Bezogenheit auf Gott.
I. Psychobiographie Georg Trakls: Als Folge einer dysfunktionalen Beziehung zur Mutter während der ersten Lebensjahre sei Trakl starken Destruktionswünschen und ebensolch intensiven Verfolgungsängsten ausgesetzt gewesen. Es seien Mängel im familialen System gewesen, welche es auch verunmöglicht hätten, den Ödipuskomplex zu überwinden und damit die Inzestschranke zu errichten. Dies sei die Grundbedingung für die inzestuöse Bindung zur Schwester gewesen. Das einzelne Gedicht wird in jenem Horizont dezidiert als Mittel der Kompensation angesehen, als ein aus dem System des Unbewussten geborenes Monstrum des Triebes, das freilich in seiner Triebhaftigkeit strikt notwendig erscheint.
II. Der Titel dieses Abschnitts – Überführungen – impliziert das Ansinnen einer generellen hermeneutischen „Versetzung“ in den Intimbereich einer dichterischen Daseins- und Weltanschauung. Von einer lakonischen Kritik an Begriff und Verständnis von Komplementarität ausgehend, folgt die Untersuchung der Unterscheidung zwischen Bewusstsein, Orientierung an und durch Verstand und demgegenüber dem Unbewussten, Irrealen und Phantastischen, um indessen die unterschwellige Einquelligkeit, die primordiale Einheit von „licht“ kognisziertem Perzept und in die imaginäre Finsternis projiziertem Phantasma zu enthüllen. Anhand der psychoanalytischen Symboltheorie von Lawrence Kubie – wonach die Symbolbildung dort ein Höchstmaß an Freiheit und damit Eigenständigkeit einnehme, wo die Triebdetermination durch das Unbewusste gegen die akkulturierten Rationalitätsforderungen ausgespielt wird – wird als Kernprozess der Kreativität die „freie Assoziation“ anerkannt.
III. Verschärft wird in diesem Abschnitt, was wie ein roter Faden die Arbeit durchzieht, nämlich die brisante Konfrontation unterschiedlich gelagerter Diskursweisen und somit die Frage, wieweit eine wissenschaftlichen Standards genügende Analyse jener programmatischen Mehrdeutigkeit in den Signifikationen von Georg Trakls poetischer Weltbezogenheit gehen kann oder zu gelangen versteht.
Inhaltsverzeichnis
- Prolog
- I. Psychobiographische Annäherung
- 1. Die familiale Bildungsgeschichte
- 1.1. Destruktionswunsch und Verfolgungsangst
- 1.1.2. Melanie Kleins entwicklungspsychologische Konzeption
- 1.1.3. Die Fixierung des Fusionswunsches
- 1.1.4. Der Mythos von der glücklichen Kindheit Trakls
- 1.2. Die missglückte Lösung des Ödipuskomplexes
- 1.2.1. Die Desintegration der Triade
- 1.2.2. Das frühe Schicksal der Triebe und die verzerrte Dynamik des Ödipuskomplexes
- 1.2.3. Trakls Beziehung zu seiner Schwester Grete
- 1.3. Schizophrenie und Familie
- 2. Der abortive Ausgang der Adoleszenzkrise
- 2.1. Adoleszenz und Gesellschaft
- 2.1.1. Generationskrise im Expressionismus
- 2.1.2. Spaltung der Vater-Imago und Trakls Entscheidung für den Dichterberuf
- 2.1.3. Realselbst und Idealselbst: der Berufsrollenkonflikt
- 2.2. Trakls Kampf gegen die Dämonen des Blutes
- 2.2.1. Das Versagen der Triebneutralisierung
- 2.2.2. Inzestwunsch und Vernichtungsangst
- 2.2.3. Das Gedicht als Sühne
- 2.1. Adoleszenz und Gesellschaft
- 1. Die familiale Bildungsgeschichte
- II. Überführungen
- 1. Über Phantasie als elementare Domäne poetischer Semiose
- 2. Die Modellierung der Finsternis
- 3. Die hintergründig wirksame, vordergründig negierte Perichorese von Realität und Realem des Begehrens
- A. Uber sekundäre Bearbeitung
- B. Die Metamorphose des Signifikanten
- 4. Vorlauf zur Symptomatik eines enantiotropischen Symbolmodus
- 5. Stimmen jenseits des Urteils
- 6. Fortführung des Treidelpfades zu einer Psychologie der Phantasie
- 6.1. Das Unbewusste: als Grundmatrix der Alalie und als semiotisches System
- 6.2. Kreativität im Horizont des Modells von Lawrence Kubie
- III. Einstellungen
- 1. Poetische Episteme
- 1.1. Eine subsidiäre Formel
- 1.2. Einstellungsgewinde I
- 1.3. Dialektische Zurichtung von empfindungs- mit gewissheitsverankertem Sprechen und umgekehrt
- 2. Die Wahrheit des Subjekts
- 2.1. Zum figuralen Sprechmodus
- 2.2. Einstellungsgewinde II — psychotropische Andeutungen
- 2.3. Einstellungsgewinde III — Die Alchemie
- 3. Dia-Gnosis des poetischen Subjekts
- 3.1. Poeta propheticus
- 3.2. Schluss
- 1. Poetische Episteme
- Bibliographie
- Abstract
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Diplomarbeit „Dia-Gnosis des poetischen Subjekts im Opus von Georg Trakl" hat zum Ziel, die psychische Verfassung Georg Trakls und deren Einfluss auf sein dichterisches Werk zu erforschen. Die Arbeit greift dabei auf psychobiographische Ansätze und psychoanalytische Theorien zurück, um die Entstehung und Entwicklung der poetischen Subjektivität Trakls im Kontext seiner Familiengeschichte, seiner Adoleszenzkrise und seiner psychischen Verfassung zu beleuchten.
- Die Bedeutung der frühkindlichen Entwicklung für die psychische Verfassung Georg Trakls
- Die Rolle der Familie und die Auswirkungen der gestörten Mutter-Kind-Beziehung auf Trakls Entwicklung
- Die Bedeutung der Phantasie und des Unbewussten für die poetische Produktion Trakls
- Der Einfluss der psychischen Verfassung auf Trakls poetische Sprache und Symbolbildung
- Die Rolle der Alchemie als Metapher für die poetische Praxis Trakls
Zusammenfassung der Kapitel
Der Prolog der Arbeit beleuchtet die Problematik der Interpretation und der Gefahr der Ver- und Entstellung des Untersuchungsobjekts durch die analytische Perspektive. Der erste Teil der Arbeit, „Psychobiographische Annäherung", widmet sich der Familiengeschichte Georg Trakls und den Auswirkungen der frühen Kindheit auf seine psychische Entwicklung. Dabei werden insbesondere die gestörte Beziehung zur Mutter, die missglückte Lösung des Ödipuskomplexes und die inzestuöse Beziehung zur Schwester Grete analysiert. Der zweite Teil, „Überführungen", befasst sich mit der Frage der Phantasie und des Unbewussten im Werk Georg Trakls. Es werden verschiedene Aspekte der Symbolbildung, der Traumdeutung und der Beziehung zwischen Realität und Realem des Begehrens beleuchtet. Der dritte Teil, „Einstellungen", thematisiert die poetische Episteme Georg Trakls und die Frage der Wahrheit des Subjekts. Hier werden die spezifischen Merkmale der poetischen Sprache Trakls, die psychotropischen Andeutungen in seiner Dichtung und die Alchemie als Metapher für seine poetische Praxis erörtert.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen Georg Trakl, poetisches Subjekt, psychobiographische Annäherung, Psychoanalyse, Familie, Mutter-Kind-Beziehung, Ödipuskomplex, Inzest, Phantasie, Unbewusstes, Symbolbildung, Traumdeutung, Realität, Begehren, Alchemie, poetische Sprache, psychotropische Andeutungen, poetische Episteme, Wahrheit, Freiheit, Chaosmose, Religion, Gott, Seher, Prophet, Katabasis, Existentialität.
- Arbeit zitieren
- Mag. Johannes Zweimüller (Autor:in), 2008, Dia-Gnosis des poetischen Subjekts im Opus von Georg Trakl, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/178154