Emotionale Gouvernementalität

Selbsttechnologien, Emotionen und Kapitalismus


Seminararbeit, 2011

19 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Emotionen, Psychologie - Kapitalismus, Regierung
2.1 EVA ILLOUZ - VOM GEIST DES EMOTIONALEN KAPITALISMUS
2.2 SIGHARD NECKEL - DIE PARADOXIEN DES EMOTIONSMANAGEMENTS
2.3 ULRICH BRÖCKLING - DER KREATIVITÄTS- UND EMPOWERMENT-IMPERATIV ..

3 Die Autopoiesis der emotionalen Gouvernementalität

4 Autopoiesis von Wissenschaft

5 Schluß

Literatur

1 Einleitung

Dass Emotionen im modernen Kapitalismus eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen dürfte spätestens mit Arlie Hochschilds Studie „Das gekaufte Herz“ ein Gemeinplatz in den Sozialwissenschaften sein. Hochschilds Analyse von ‚Emotionsarbeitern’ wie Flugbegleiterinnen oder Inkassomitarbeitern beruhte auf einer marxistischen Sichtweise, welche statt der Marx’schen Entfremdung des Arbeiters, aufgrund von Fließbandarbeit, die Entfremdung der Gefühle durch Emotionsarbeit annahm (vgl. Hochschild 2006).

Emotionen spielten allerdings schon bei den Begründern der Soziologie eine Rolle, wenn auch, wie Dirk Baecker feststellt, es bisher nicht zu einer ausgearbeiteten, soziologischen Theorie der Emotionen gekommen sei (vgl. Baecker 2004). Ansätze finden sich bei Talcott Parssons und Georg Simmel. Aber auch Max Weber spricht in Bezug auf die ‚Moderne’ von einer Abstumpfung der Gefühlswelt was auch in Webers bekannter Metapher des „stahlharten Gehäuse(s)“ deutlich wird (vgl. Weber 2010, S. 201). Eva Illouz sieht auch in Webers ‚protestantischer Ethik’ eine emotionssoziologische These formuliert, denn es seien die „Angstaffekte [...] die im Mittelpunkt rastloser unternehmerischer Tätigkeit stehen“ (Illouz 2007b, S. 7). Neuere Ansätze liegen von Kemper, Gerhards, Schützeichel, Esser u.a vor. Die vorliegende Arbeit schließt hauptsächlich an die Arbeiten von Eva Illouz und Sighard Neckel an. Mit Ulrich Bröckling soll außerdem einer Gouvernementalitäts- Perspektive auf Emotionen nachgegangen werden.

Emotionen spielen im Kapitalismus sowohl in der Produktionssphäre, der Vertriebssphäre, natürlich in der Dienstleistungssphäre als auch in der Konsumsphäre eine wesentliche Rolle. Illouz hat sowohl die Psychologisierung der Arbeitsplätze (Gefühle in Zeiten des Kapitalismus), als auch die Rolle von Emotionen im Alltagsleben der Konsumentinnen (Der Konsum der Romantik) sowie den Status von Therapie und Selbsthilfe (Die Errettung der modernen Seele) in den ‚postmodernen’ Gesellschaften untersucht. Für Illouz ist der Kapitalismus seit Anfang des letzten Jahrhunderts viel stärker durch Emotionalität geprägt als dies normalerweise angenommen wird. Daher spricht sie auch von einem emotionalen Kapitalismus. Diesen Annahmen werde ich in Kapitel 2.1 weiter nachgehen.

Sighard Neckel geht es um die Inanspruchnahme von Emotionen für das Humankapital. Neckel untersucht dabei vor allem das Modell der ‚Emotionalen Intelligenz’, welches in der neueren Zeit in allen gesellschaftlichen Bereichen an Bedeutung gewonnen hat (Kapitel 2.2).

Mir geht es dabei um die Frage, wie sich die vorhandenen Studien zu den Theorien der Gouvernementalität verhalten. Bisher wurde die Bedeutung von Emotionen im Kapitalismus hauptsächlich im Bereich der Unternehmensführung oder im Konsumverhalten untersucht. Ich möchte daher meinen Blick von der ökonomischen Sphäre auf die, im weitesten Sinne politische Sphäre ausweiten. Natürlich gehen die meisten Arbeiten davon aus, dass das Wirtschaftliche und das Politische auf das Engste miteinander verzahnt sind. Und wie Illouz feststellt, war der Staat entscheidend daran beteiligt therapeutische Dienste für sich einzusetzen (vgl. Illouz 2007, S. 89). Doch erstreckt sich die Arbeit Illouz doch hauptsächlich auf unternehmerische und private Diskurse, ohne dies auf einen allgemeinen Regierungsbegriff zu bringen. Ich möchte die Untersuchung von Emotionen daher um den von Michel Foucault entwickelten Regierungsbegriff erweitern, welcher Regierungstätigkeit ebenfalls auf nahezu alle gesellschaftlichen Tätigkeiten erweitert und damit auch das ökonomische Feld und vor allem sogenannte ‚private’ Praktiken als Form der Regierung bzw. Selbst-Regierung auffasst (vgl. Bröckling 2007, S. 11) und den Focus damit verstärkt auf die Regierungstätigkeit legen (Kapitel 2.3).

In der weiteren Analyse möchte ich aufzeigen, dass aus den emotionstheoretischen Überlegungen eine Form der Regierungstätigkeit sichtbar wird, welche als ein autopoietischer Kreislauf von Bedürfniserzeugung und Bedürfnisbefriedigung auftritt (Kapitel 3). Weitere Überlegungen schließen daraufhin an die Vermutung an, dass auch das wissenschaftliche System der autopoietischen Logik folgt (Kapitel 4).

Der ‚kulturelle Kapitalismus’, welcher als Begriff neuerdings prominent wurde, lässt vielleicht nicht sofort erahnen dass er mit Emotionen zusammenhängt. Und so wird der Begriff u.a. von Neckel und Slavoj Zizek u.a. für die Beobachtung benutzt, dass sich die kapitalistische Logik nicht nur in alle Sphären des gesellschaftlichen Lebens ausgebreitet hat, sondern sich der Kapitalismus zudem zahlreich bei anderen Logiken bedient um sich sozusagen einen ‚neuen Anstrich’ zu verpassen. Die ‚Einverleibung von Kritik’, welche von Boltanski und Chiapello in ihrem Buch „Der neue Geist des Kapitalismus“ festgestellt wird, lässt sich dazu zählen.

Zizek beschreibt den kulturellen Kapitalismus damit, dass es nicht mehr nur um das Produkt selbst geht, sondern noch anderes gekauft wird oder gekauft werden will: „It's not just what you're buying. It's what you're buying into“ (Zizek 2009, S. 53). Eine Werbebotschaft von Starbucks steht für Zizek exemplarisch für diese These: Bei Starbucks wird der Kaffee damit beworben, dass von jedem gekauften Becher ein kleiner Geldbetrag für die Hilfe von Bedürftigen eingesetzt wird. Zizeks Interpretation lautet: Man kauft sich damit nicht nur einen Kaffee, sondern man kauft sich ein reines Gewissen. Es wird damit nicht nur ein Produkt verkauft, sondern eine Philosophie bzw. Ethik (vgl. ebd). Ethik spielt längst nicht mehr nur bei fair gehandelten Produkten eine Rolle, sondern hat den gesamten Markt erfasst. Das Beispiel zeigt, dass es nicht mehr nur um den reinen Gebrauchswert eines Produktes geht. Das Produkt dient nicht nur der Befriedigung eines Verlangens. Emotionen werden nun angesprochen, indem das Produkt mit allerlei Bedeutungen aufgeladen wird. Und hier zeigt sich, wie sehr Emotionen in der modernen Gesellschaft an Bedeutung gewonnen haben.

Im Folgenden soll es allerdings weniger um den Konsumkapitalismus gehen, sondern um die Entstehung eines allgemeinen psychologischen Diskurses, der die soziale Welt seit einem Jahrhundert geprägt hat und Unternehmen Regierungen und das Privatleben verändert hat.

2 Emotionen, Psychologie - Kapitalismus, Regierung

Dass sich der Geist des Kapitalismus seit Max Weber verändert hat, ist offensichtlich und wurde vor allem durch Luc Boltanskis und Eve Chiapellos Studie ‚Der neue Geist des Kapitalismus’ prominent und eindrücklich geschildert. Die Analyse von Managementliteratur lässt die Autoren zu dem Schluss kommen, dass der Geist des Kapitalismus sich in der Weise erneuert hat, indem er die Kritik, die an ihn gerichtet wurde, in produktive Strategien umdeuten konnte und für die kapitalistische Akkumulation verwertbar machen konnte (vgl Boltanski/Chiapello 2006).

Im Folgenden sollen verschiedene Positionen bezüglich der Verstrickung von Emotionen, Kapitalismus und Regierungsform dargestellt werden um daraufhin zwei Grundkomponenten dieser Theorien herauszuarbeiten. Dabei kann schon mal festgehalten werden, dass sich darin einige Thesen Boltanskis und Chiapellos wiederfinden, und zwar in der Weise, dass Forderungen nach Authentizität, Kreativität, Autonomie usw., wie sie seit den 60er Jahren des letzen Jahrhunderts von der „K ü nstlerkritik“ (ebd. Z.b. S. 84) formuliert wurden, eingelöst wurden, wenn auch nicht unbedingt genau im Sinne der Kritiker.

2.1 Eva Illouz - Vom Geist des emotionalen Kapitalismus

Eva Illouz spricht bei ihrer Analyse des postfordistischen Kapitalismus nicht von einer protestantischen Ethik, wie sie Max Weber für die Entwicklung des bürgerlichen Geistes des Kapitalismus für charakteristisch hielt. Sie spricht dagegen von der „kommunikative[n] Ethik als Geist des Unternehmens“ (Illouz 2007b, S. 33), welche sich durch die Psychologisierung breiter Teile der Arbeitswelt in den USA, seit den 1920er Jahren durchgesetzt hat. Nach Illouz haben sich psychologische Praktiken seit dieser Zeit in das allgemeine kulturelle Selbstverständnis der westlichen Menschen eingeprägt. Ein wichtiges Medium war dabei, neben den aktiven Psychologen in den Unternehmen und der Managementliteratur, die Ratgerberliteratur. Vor allem die richtige Kommunikation und das richtige Zuhören werden hier als Ziele propagiert um erfolgreich zu sein. Sei es nun im Arbeits- oder im Privatleben (vgl. ebd. S. 37). Ähnlich wie Foucault beschreibt Illouz eine Genealogie des therapeutischen Denkens. Als „emotionalen Stil“ bezeichnet Illouz die Art und Weise, wie das Erleben von und der Umgang mit Emotionen gesellschaftlich und wissenschaftlich verstanden und gehandhabt wird (vgl. ebd. S. 15). Die Entwicklung seit Freud läuft darauf hinaus, das Subjekt als gestaltbar und veränderbar zu begreifen. Dies passte zum bürgerlichen Diskurs der Emanzipation durch individuelle Leistung. Im Gegensatz zum Diskurs des 19. Jahrhunderts, für den Foucault eine klare Trennung von ‚normal’ und ‚pathologisch’ konstatierte, besteht laut Illouz im 20. Jahrhundert die Leistung Freuds darin, diese Trennung aufzuheben. Freud habe das Normale um das Pathologische erweitert (z.B.: sexuelle Entwicklung beginnt mit Homosexualität) und gleichzeitig die Normalität problematisiert (z.B.: Heterosexualität wurde ein zu erreichendes Ziel) (vgl. ebd. S. 18-19). Die Psychoanalyse konnte einerseits die Gegensätze von Medizin, Neurologie und Psychologie, sowie andererseits von hoher und niedriger Kultur überwinden und fand somit ihren Weg in die populäre Kultur (vgl. ebd. S. 20). Illouz’ Analyse beschränkt sich zwar auf die USA, doch können Parallelen zu Europa nicht übersehen werden. Wie Illouz beschreibt, wurden Psychologen seit Anfang des 20. Jh. in immer mehr gesellschaftlichen Bereichen eingesetzt. U. a. auch in Unternehmen. Dort wollte man mit ihrer Hilfe Probleme der Disziplin und Produktivität lösen. Der Lösungsansatz war dabei, die Gefühle der Arbeiter ernst zu nehmen und darauf einzugehen. Elton Mayo, der dabei als Psychoanalytiker eine Vorreiterrolle spielte, hatte maßgeblichen Anteil daran, dass nun nicht mehr von einem ‚Charakter’ gesprochen wurde, sondern von einer ‚Persönlichkeit’. Und letzteres erscheint, im Gegensatz zum ersteren, nicht vordeterminiert, sondern veränderbar (vgl. ebd. S. 24 ff). Illouz bezieht sich hierbei auf Warren Susman, der den Ursprung dieser Entwicklung in den Unternehmen feststellte. Elton Mayo prägte das neue Management-Modell der ‚Human-Relations-Bewegung’ (vgl. ebd.). Wie sehr die Psychoanalyse in die Arbeit Mayos einfloss, zeigt sich darin, dass die Probleme der Arbeiter, mit denen er therapeutische Gespräche führte, meist auf zwischenmenschliche Probleme zurückgeführt wurden und sehr oft auch auf Probleme die in der Vergangenheit lagen. Insbesondere in der Kindheit (vgl. ebd. S. 27). Dass die Ursachen der gegenwärtigen Probleme in der Vergangenheit gesucht werden, ist ein entscheidendes Merkmal des „therapeutischen Narrativs“ wie es sich für Illouz in der Gegenwart darstellt (vgl. ebd. S. 84).

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Emotionale Gouvernementalität
Untertitel
Selbsttechnologien, Emotionen und Kapitalismus
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Soziologie)
Veranstaltung
Hauptseminar: Emotionen und Sozialstruktur
Note
1,3
Jahr
2011
Seiten
19
Katalognummer
V178191
ISBN (eBook)
9783656000136
ISBN (Buch)
9783656000341
Dateigröße
438 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gouvernmentality, Emotions, Sighard, Neckel, Eva, Illouz, Ulrich, Bröckling, Zygmunt, Bauman, Slavoj, Zizek, Autopoiesis, Der neue Geist des Kapitalismus, Boltanski, Chiapello, Poststrukturalismus, Michel, Foucault, Gouvernementalität, Gefühle, in, Zeiten, des, Kapitalismus, Emotionen, John, Fiske
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Anonym, 2011, Emotionale Gouvernementalität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/178191

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