Leseprobe
Es sind turbulente Gewässer, die der Vatikan dieser Tage zu durchschiffen hat. Feinde, wohin das Fernrohr späht. Die Kritiker erwachsen nicht nur dem weiten Meer der nichtkatholischen Öffentlichkeit, nein, sie gehören zur eigenen Mannschaft, die Besatzung meutert. Bischöfe entsagen der römischen Zentrale ihr Vertrauen, Gläubige allerorts meinen sich ihrer Konfession plötzlich schämen zu müssen. Schuld ist der Kapitän. Lange Jahre war er ihnen ein guter Steuermann, eigen zwar, dickköpfig, aber auch kompetent und überzeugend. Alle waren Papst. Das ist vorbei. Benedikt XVI. hat den Kahn in den Augen vieler auf Grund gefahren und sich als geistliche Autorität diskreditiert. Derzeit will niemand Papst sein. Eine Hysterie, die einer tragischen Komik nicht entbehrt, immerhin hat das kirchliche Oberhaupt de facto nichts falsch gemacht. Das zeigt ein lesenswerter SPIEGEL-Essay[1] von Martin Mosebach. Dabei gelingt dem Schriftsteller auf zwei Seiten, was der Vatikan in zwei Wochen nicht zustande brachte: Die brisante Situation zu entschärfen. Die Aufhebung der Exkommunikation der vier Bischöfe um Pius-Bruder Richard Williamson bedeutet zwar eine gewisse Rehabilitation des Holocaust-Leugners und ist als solche strittig, aber unter anderen Gesichtspunkten durchaus nachzuvollziehen: Benedetto will verhindern, dass die Bischöfe ihr radikales Gedankengut weitertragen. Die Reintegration in das römische System verbietet das, weil die Bischöfe nach wie vor suspendiert bleiben, also nicht predigen dürfen, aber nunmehr kontrolliert werden können. Den Feind schwächen, indem man ihn zum Teil des eigenen Apparates macht, sich den Feind zum Freund machen - eine uralte Taktik, der sich schon biblische Könige bedienten. Dass also überhaupt erst empörte Stimmen laut werden konnten, die dem deutschen Papst mit Hitler-Jugend-Vergangenheit rechte Gesinnung unterstellen, oder aber Bundeskanzlerin Merkel sich mit scharfer Rüge an der vatikanischen Personalpolitik als Wahlkämpferin zu profilieren versucht, ist nicht dem was geschuldet, sondern dem wie. In der Sache die Aufregung gar nicht wert, hat erst die lückenhafte Kommunikation des Themas eine weltweite Beschwerdenlawine losgetreten. Ergo ist die Schuld weniger beim Pontifex als vielmehr bei der Pressestelle des Vatikans zu suchen. Einmal mehr hat diese bewiesen, dass sie nicht auf der Höhe der informationstechnischen Rasanz des 21. Jahrhunderts zu sein scheint. Behäbig, bürokratisch, bloßgestellt - Noch bevor man die Aufhebung der Exkommunikation mit einer offiziellen Meldung kommentieren und erklären konnte, sah sich der Papst auf den Titelblättern dieser Welt als Hetzer diffamiert. Deshalb muss die Frage erlaubt sein: Hat die Kirche in 144 Jahren nichts dazugelernt, sich gar zurückentwickelt? 1865 war es nämlich, als die deutsche PR der Kirche in Trier ihren
Ursprung nahm, wie Philomen Schönhagen in ihrem wissenschaftlichen Aufsatz „Ko- Evolution von Public Relations und Journalismus“ aufzeigt. Unzufrieden mit den oftmals „entstellenden“ Artikeln der Landespresse über Generalversammlungen der katholischen Vereine Deutschlands, installierten die führenden Köpfe ein „Correspondenzbureau“, das die Redaktionen „besser bedienen“ sollte. Lithographierte Berichte wurden erstellt und dann den Tageszeitungen zugeschickt. Die gewünschte Wirkung stellte sich tatsächlich ein, eine gemäßigtere Berichterstattung war die Folge.
Das Beispiel der Kirche ist nur eines von vielen, die Schönhagen für den deutschen Sprachraum bringt, um ihre Kernthese zu untermauern: Public Relations sind als Reaktion auf Fehlentwicklungen und Versäumnisse der autonomen Massenmedien entstanden. Fürwahr ein interessanter Ansatz, der sich endlich auch mal der vakanten Probleme annimmt, was zuerst da war und ob PR überhaupt eine Existenzberechtigung hat. Bei Schönhagen besteht kein Zweifel daran, dass letzterem so ist: Public Relations sind Ergänzung, Mittler, Zulieferer, Empfänger und Korrektiv der etablierten Presse und als solche unabdingbar. Viele integre Schreiberlinge alter Schule würden hier sicherlich vehement protestieren; PR ist Werbung, gingen sie naserümpfend auf die Barrikaden. Netzwerk Recherche hat sich die Ächtung ganz groß auf die Fahnen geschrieben: In der hauseigenen Präambel - für viele (festangestellte) Journalisten immerhin die Bibel ihres Schaffens - heißt es an fünfter Stelle: Journalisten machen keine PR. Ob so eine Forderung zu idealistisch, nicht umsetzbar oder aber unabdingbar wichtig ist, sei erstmal dahingestellt, denn ein Aufsatz zum Thema Öffentlichkeitsarbeit kann der leidigen Debatte zwar nicht gänzlich ausweichen, in erster Linie geht es Schönhagen aber um die Anfänge von PR.
Der Reihe nach: Zu Beginn stellt Schönhagen wissenschaftliche „Ansätze zum Verhältnis von Journalismus und PR“ vor und nennt, was diese Theorien vermissen lassen und wie daraus die Zielführung ihrer Arbeit erwächst, die Frage nach dem Ursprung von PR. Den verfolgt sie im nächsten Abschnitt und fasst danach ausführlich „erste Ergebnisse zur Ko-Evolution von Journalismus und PR auf Basis der PR-Geschichtsforschung“ zusammen. In der Schlussdiskussion greift sie die wichtigsten Argumente auf, wägt Positionen gegeneinander ab und empfiehlt der Wissenschaft, ihrem Beispiel der historischen Analyse zu folgen, um endlich einmal neue Erkenntnisse zu gewinnen.
Besonders interessant ist der Part um Wesen und Verständnis von Public Relations geraten. Den Irrglaube, PR sei eine gewiefte „Ausdifferenzierung aus dem System Werbung“, dekonstruiert die Professorin für Medien mit historischen Belegen. Nicht nur die Kirche habe auf einseitige Berichterstattung seitens der großen Blätter mit Pressemitteilungen (Mitteilungen an die Presse) reagiert, auch Kommunen und Stadtverwaltungen hätten sich und ihre Politik falsch dargestellt gesehen. Mitte des 19. Jahrhunderts wären folglich Nachrichtenämter installiert worden, um einerseits der aus Sicht der Betroffenen fehlenden oder verfälschten Berichterstattung Abhilfe zu schaffen und andererseits auf die schizophrene Tatsache zu antworten, dass die Gesamtöffentlichkeit eben doch nur noch über die Massenmedien erreichbar war. Kritiker, die sich durch diese Motive bestätigt glauben, verkennen, dass PR, die nur darstellt, keine Werbung ist, genau wie Berichterstattung, die Informationen vorenthält oder verzerrt, kein Journalismus ist!
Schönhagen definiert damalige Pressearbeit als eine Art frühe Gegenöffentlichkeit, die sich zwangsläufig bilden musste, weil „massenmedial vermittelte Kommunikation“ durch „Autonomie“ und „Zugangsbarrieren“ geschützt war. Anstatt den neuen Zweig zu verdammen, hätte sich der Journalismus hinterfragen und eigener Verfehlungen bewusst werden sollen. So aber krankt das Verhältnis von PR und Journalismus bis heute an beiderseitigem Misstrauen und Neid. Beide wollen nicht miteinander und können nicht ohne. Wider den Argwohn ordern heutzutage etliche Journalisten PR-Angebote, um sich der Informationen zu bedienen und Seiten zu füllen. Der Publizist und Kolumnist Klaus Kocks unterstreicht deshalb: „Das Rollenbild der verführten Unschuld ist mittlerweile eine verlogene Groteske.“[2] Die Aktualität der historischen Beispiele Schönhagens drängt sich immer wieder auf und spricht für deren Relevanz: Wenn Einzelinteressen in den Zeitungen keine, wenig oder falsche Präsenz erfahren, ist es nur logisch und konsequent, dass sie sich andere Plattformen der Darstellung schaffen, um Korrekturen an dem konstruierten Bild anzubringen. Die Kirche fungiert da momentan als Negativbeispiel, bei der Deutschen Bahn halten sich Licht und Schatten die Waage. Als der Frankfurter Dienstleister wegen eines entgleisten ICE an den Pranger gestellt wurde, fürchtete sich der deutsche Zugfahrer vor einer Armada maroder Lokomotiven, ehe eine Kampagne erstens richtig stellte, dass es sich um einen Haarriss in der Achse handelt und nicht etwa um generelle Rückständigkeit aller Wagen und zweitens trotzdem eine kostenintensive, gründliche Untersuchung des gesamten Fuhrparks ankündigte. Diese Krise abgewendet, stand schon der nächste Skandal ins Haus, eigentlich im Haus, da das Gerücht von Mitarbeiterbespitzelung umging. Hier riss Mehdorn ein, was vorher aufgebaut wurde. Erst nach und nach machte man etliche Fälle detektivischer Observation publik und das auch nur auf öffentlichen Druck.
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[1] Mosebach, Martin 2009: Essay: Der Leib der Kirche - Warum der Papst tun musste, was er tat, in: Der Spiegel, 62. Jahrgang, Heft 7/2009, 09.02.09, S. 134-135
[2] Kocks, Klaus 2003: Das neue Lobbyinstrument - PR im Journalismus, in: Leif, Thomas/Speth, Rudolf (Hg.): Die stille Macht. Lobbyismus in Deutschland. Wiesbaden, S. 351