Ferdinand Fellmann "Über das Böse" - Kritische Analyse der Argumentation Fellmanns in "Die Angst des Ethiklehrers vor der Klasse"


Hausarbeit, 2011

19 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1 Die Facetten des Bösen
2.2 Das Böse in unserer Alltagswelt und der lebensphilosophische Bezug dazu
2.3 Die Rolle von Vorbildern in ethischen Diskussionen
2.4 Die Faszination des Bösen
2.5 Das Wort „Böse“ im heutigen Sprachgebrauch
2.6 Zum Umgang mit dem Bösen
2.7 Hannah Arendt „Über das Böse“

3. Schlussbemerkungen

4. Literarturverzeichnis

1. Einleitung

„Die Angst des Ethiklehrers vor der Klasse“ ist eine philosophische Arbeit, die Ferdinand Fellmann, emeritierter Philosophieprofessor, 2000 veröffentlichte. Wenn man als Interessent diesen eigenwilligen Buchtitel zum ersten Mal liest, kommt man unter Umständen zu dem Ergebnis, dass mehrere Deutungsmöglichkeiten zulässig sind. So könnte die Angst des Lehrers gemeint sein, vor Schülern zu stehen, die das Fach Ethik eher als „schmückendes Beiwerk“, harmloses Randfach oder im Extremfallgar als entspannende „Schwafelstunde“ zwischen den sogenannten „wirklich wichtigen Fächern“ wie Mathematik und Englisch erleben. Eine weitere Interpretation, die sich, ohne das Buch zu lesen, hinter dem Titel verbergen könnte, lautet, dass es dem Lehrer, welcher durch Studium, Weiterbildung und anschließende Praxis mit einer Vielzahl an ethischen Themen, Theorien, etc. „gespickt“ ist, überspitzt formuliert, davor graut, Schülern zu begegnen, denen ethisches Handeln oder Bewusstsein - durch welche Einflüsse auch immer – schlichtweg egal ist bzw. fehlt.

Tatsächlich wird in dem Buch aber die altbekannte Frage behandelt, welcheauch nicht zuletzt als Untertitel erscheint, ob Moral überhaupt lehrbar ist (bekannt z.B. aus Platons „Menon“ oder „Protagoras“). Nicht ganz überraschend geht Fellmann, der sich selbst als Lebensphilosoph versteht, einen anderen Weg, als der antike Philosoph und Schüler des Sokrates.Mit Fellmann rückt das Böse stark in den Fokus. Doch warum steht es so deutlich im Mittelpunkt seiner Betrachtungen? Welche Beispiele untermauern seine Thesen? Woher kommt das Böse im Menschen? Wie zeigt es sich?Sind mit dem Bösen die „inneren Spannungen und seelischen Widersprüche“ gemeint und was ist „das Ethische im Bewusstsein des Menschen“?

Um diese Fragen zu beantworten, streift Fellmann durch die unterschiedlichen Epochen der Philosophie. Was dem Exkurs eine besondere Note gibt, ist die Methode, auch literarische Texte, im speziellen die der Weltliteratur (Dante: „göttliche Komödie“, Goethe: „Faust“) der Lyrik (Charles Baudelaire) sowie der Romanliteratur (André Gide) und Erzählungen (Somerset Maugham) nach ethischen Themen undProblemen zu durchleuchten.Diese Methode ist nicht zufällig gewählt, warnt Fellmann doch vor den Grenzen der antiken Tugendlehre und christlichen Ethik und sieht er weiterhin in der zu zeitigen Abwendung von der eigentlich vielversprechenden Moralpsychologie des späten 17. bis 19. Jahrhunderts,einen Schaden für das allgemeine Verständnis von Moral.

Da die Aussagen Fellmanns teilweise sehr bewusst provozierensollen, wird in den folgenden Kapiteln eine genaue und kritische Analyse der Argumente des ehemaligen Chemnitzer Philosophieprofessors erfolgen.

2.1 Die Facetten des Bösen

Bereits die einleitende These des zweiten Kapitels macht deutlich, was mit „provokativ“ gemeint ist: „Man braucht nicht gerade der Teufel in Person zu sein, um in sich die Kraft zu spüren, die stets das Böse will und – hoffentlich – stets das Gute schafft“[1].Diese Verallgemeinerung, die leicht abgewandelt in Goethes Faust (Studierzimmer) zu findenist (Mephistopheles:„Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“.),vermittelt den Eindruck, dass „das Böse“ eine treibende Kraft ist, die allgegenwärtig ist und in allen Menschen gleichsam vorhanden ist.Eine Eingrenzung aber keineswegs ein Absprechen über das Vorhandensein des Bösen, dass zum Beispiel Kleinkinder und Säuglinge (oder auch geistig Behinderte) von dieser These ausgenommen sind, nimmt Fellmannnur an einer weiteren Stelle im Kapitel vor: „Die meisten Schüler kennen zwar noch nicht das Böse, sie wissen aber, was Bosheit ist…“[2] Zusammen mit der ersten These wird aufgezeigt, dass das Böse nicht nur viele Gesichter, Gestalten und Nuancen hat, sondern dass es auch mehr als nur gelegentlich zum Vorschein kommt, selbst „Wenn es gegen uns selbst gerichtet ist“[3]. Fellmanns Beispiel mit dem Handschuh (Seite 52) verstärkt diesen Eindruck:

„Es geschieht meinem Vater ganz recht, wenn mir die Hände erfrieren. Warum kauft er mir keine Handschuhe.“

Die Pointe dieses Beispiels lautet dennoch, dass man bei einem solchen Verhalten den größten Schaden eigentlich selbst hat. Die Attacke richtet sich nicht immer gegen andere, sondern kann sich auch gegen mich selbst richten.Häufig neigt der Mensch dazu, die Schuld für sein Fehlverhalten erst einmal bei anderen zu suchen. Der Junge überträgt die Verantwortung auf den Vater und verdeutlicht sich nicht, dass die größere Verantwortung auf ihm selbst liegt. DieAntwort auf die Frage, was an dieser Handlung das böse Moment ist, bzw. welche Motivation den Jungen antreibt, ist somit recht einfach: es geht darum, den Vater doppelt zu treffen. Das Kind weiß genau, dasses seinem Vater schadet. Es hat die Gewissheit, dass der Vaterseine Pflicht vernachlässigt und er dazu noch traurig ist, weil es als Schutzbedürftiger Schmerzen empfindet. Kritisieren könnte man an dem Beispiel, dass das Böse als etwas beschrieben wird, was ausschließlich eine schlechte Wirkung hervorruft. Allerdings ist der Ursprung dieses Bösen das größere Übel, nämlich die Absicht bewusst „böse“ zu handeln. Das Bösewirdhier somit nicht als „böse Absicht“ festgemacht, sondern erscheint vielmehr in seinerWirkung, die böse ist.

2.2 Das Böse in unserer Alltagswelt und der lebensphilosophische Bezug dazu

Fellmanns Ansicht, dass „moralpsychologische Einsichten“, welcheetwa durch Beispiele wie das Obige hervorgerufen werden, aufgrund ihrer „Lebenswirklichkeit“[4] stärker in den ethischen Kontext einzubetten sind, orientiert sich auch an den französischen Moralisten des 17. und 18. Jahrhunderts, insbesondere an La Rochefoucauld.Dieser vertrat die Auffassung, „dass unsere Tugenden oft nichts anderes als unsere verstecktenLaster sind [5]. Mit dieser Formulierung ist gemeint, dass jemand etwas als Tugend postuliert, obwohl er oder sie weiß, dass die Nicht-Achtung schlecht ist, bzw. eine schlechte Wirkung für einen selbst hat und dann in der Übertreibung zu einem Laster wird. Vertritt ein Mensch beispielsweise die Tugend, gesundheitsbewusst zu leben und Alkohol aus der Motivation heraus zu meiden, weil er genau weiß, dass er diesem nur schwer wiederstehen kann, dann macht er aus seinem Laster eine Tugend. Sicherlich kann man nicht grundsätzlich behaupten, dass Alkohol trinken, auch im Übermaß, etwas Böses an sich hat. Die Definition von Tugend beinhaltet jedoch als Grundtenor, dass man auseiner inneren, lasterfreien Haltung das Gute vollbringt, während Laster eher schlechte Angewohnheiten sind, von denen jemand beherrscht wird, weil es ihm z.B. nicht gelingt, Maß zu halten. Übertragen auf den gesundheitsbewusst lebenden Menschen mit Hang zum Alkohol bedeutet dies in der Konsequenz, dass man es ihm zwar zugutehalten kann, dass er sich von seinem Laster nicht beherrschen lässt,seine unterdrückte Neigung zum Alkohol ist aber aus dem Verhalten, gesundheitsbewusst zu leben, in dem Fall nicht wegzudenken und gibt seiner Motivation eine „böse“ Prägung.

Die Weiterführung der Tradition La Rochefoucaulds, die menschliche Psyche in ethische Diskussionenmit einzubeziehen, erfolgte in Deutschland im 19. Jahrhundertdurch Nietzsche und Schopenhauer, „versandete“danachaber bedauerlicherweise[6] (vgl. Fellmann 2000, S. 53).Fellmann missfällt diese Entwicklung, weil aus seiner Sicht „erstdie Erfahrung des Bösen eine Vorstellung vom Guten liefert“und„abstrakte Handlungsnormenkaum in der Lage sind, in uns das Gefühl des moralisch Guten zu wecken“[7].Dieser Gedanke taucht immer wieder als Kernpunkt, man möchte fast sagenals sein Stigma, im Vorfeld und in der Weiterführung des Kapitels auf. Fellmann, der sich als Lebensphilosoph versteht, zeigt mehrfach den Bezug zur narrativen Ethik.Auffällig an dieser Einstellung ist, dasshierin eine deutlicheVerbindungzu Wilhelm Dilthey sichtbar wird. Fellmann benutzt den Ausdruck „Lebensphilosophie“nicht ganz im Sinne Diltheys, der die Auffassung vertrat, dassnicht nur die Ideen der Naturwissenschaften, sondernauch verstärkt die der Geisteswissenschaften auf die Lebensphänomene eingehen müssen, da diesen das Prinzip des Verstehens zugrunde liegt, während die Naturwissenschaften auf das Prinzip des Erklärens zurückgreifen[8]. Diltheys Interesse galt, wie auch Fellmann in der Gegenwart, vor allem geschichtlichen Betrachtungen (Anm.: hier kommt Fellmanns narrative Komponente ins Spiel),da die einzelnen Erlebnisse Zusammenhänge ergeben, die ein Verstehen erst ermöglichen. Fellmanns Verständnis von „Lebensphilosophie“ ist allerdings noch stärkerauf das Alltagsleben bezogen, in denen das handelnde Wesen nicht nur vernünftige Absichten hegt, sondern sich auch von unbeherrschten Emotionen und Meinungen leiten lässt. Diese nicht ganz konformen Auslegungen müssen unterschieden werden, zumal Fellmann mit der Verwendung des Begriffes „Lebensphilosophie“ teilweise sehr freizügig umgeht.Auffällig stark manifestiert sich jedoch seine Überzeugung von der Alltagstauglichkeit von Philosophie im vierten Kapitel des hier zur Diskussion stehenden Buches, in dem er den Erfolg, bzw. das in der traditionellen Ethik eher schlecht angesehene Erfolgsstreben aufwertet und dessen Ausklammerung in unserer modernen Konkurrenzgesellschaft als weltfremd ansieht (Vgl. Fellmann 2000, S. 108). Der in der Gegenwart lebende Mensch soll sich nicht bedingungslos und unreflektiert ethischen Denkweisen, wie denen von z.B. Kant entziehen, vielmehr muss er diese Ansichten in das momentane gesellschaftliche Leben einbeziehen, weil er sich ansonsten isoliert oder durch starke psychische Belastung gar krank wird:

„Dem Erfolg als anerkanntes Medium personaler Identität und gesellschaftlicher Selbstbehauptung kann nur der so genannte Aussteiger entgehen, ein wenigen vorbehaltener Sonderweg, den sich die Ethik nicht zum Vorbild nehmen sollte“[9]

2.3 Die Rolle von Vorbildern in ethischen Diskussionen

Im Zusammenhang mit der Kritik an „abstrakten Handlungsnormen“ auf Grund ihrer fehlenden Lebensnähe,wertet Fellmann vornehmlich vor allem die Tugendethik ab.Diese wirke„auf Dauer so langweilig wie ein Leben im Paradies“, weilSchüler sich an besonders tugendhaft lebenden Menschen wie Albert Schweitzer und Mutter Teresa heute kein Beispiel mehr nehmen und deren Handlungsmotivation wohl eher langweilig finden.Es ist sicherlich nicht falsch, dass die Tugendethik ihre Grenzen hat, insbesondere dann, wenn es um die Beantwortung von Fragen geht, die ethisch bedenklich sind:z.B. Darf es die Todesstrafe geben,Wie steht es mit dem Recht auf Abtreibung, etc.Da die Tugendethik keine Lösungskonzepte anbietet,fehlt ihr, im Fellmann’schenSinne, der Bezug zur Lebensphilosophie.

Doch ist die Behandlung von Vorbildern auf Dauer langweilig, sodass sie als Beispiele im Ethikunterricht lieber unbehandelt bleiben sollten? Sicherlich sind Vorbilderoft langweilig, solange nicht festgestelltwurde, dass sie Makel haben, wodurch sie schlussendlich interessant werden. Da wohl kaum ein Mensch von sich behaupten kann, dass er, besonders im moralischen Sinne, keine Makel besitzt, ist es ist für ihn leichter, sich mit denen zu identifizieren, die vielleicht nicht immer integer gehandeltund auch schlechte Taten vollbrachthaben, letztendlich aber dadurch Erfahrungswerte sammeln konnten. Es wird häufig die falsche Schlussfolgerung gezogen, wenn gedacht wird, dass man automatisch durch die Beschäftigung mit dem Guten, zu einem besseren Menschen wird.Hier wird die Theorie des Modelllernens falsch verstanden, weil auch ein Modell, welches einemgefällt, abgelehnt werden kann.

[...]


[1] Fellmann 2000, S. 52

[2] ebd., S. 55

[3] ebd., S. 52

[4] ebd., S. 52

[5] ebd., S. 53

[6] An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass sich später Psychologen und namhafte Erziehungswissenschaftler doch sehr ausgiebig mit dieser Thematik beschäftigt haben, u.a. Sigmund Freud (z.B. Strukturmodell der Psyche, „Drei-Instanzen-Modell“), Jean Piaget und Lawrence Kohlberg (Stufen der moralischen Entwicklung). Die Erkenntnisse der Psychologie, die aus der Philosophie hervorgegangen ist und mit dieser dadurch eng verbunden ist, hätten in Fellmanns Überlegungen, letztlich auch weil er eine disziplinübergreifende Sichtweise fordert (z.B. zur Literatur), bedacht werden müssen.

[7] Fellmann 2000, S. 53

[8] Diltey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften

[9] Fellmann 2000, S. 108

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Ferdinand Fellmann "Über das Böse" - Kritische Analyse der Argumentation Fellmanns in "Die Angst des Ethiklehrers vor der Klasse"
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Institut für Philosophie)
Note
2
Autor
Jahr
2011
Seiten
19
Katalognummer
V178342
ISBN (eBook)
9783656004011
Dateigröße
508 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ferdinand, fellmann, böse, kritische, analyse, argumentation, fellmanns, angst, ethiklehrers, klasse
Arbeit zitieren
Stefan Rohde (Autor:in), 2011, Ferdinand Fellmann "Über das Böse" - Kritische Analyse der Argumentation Fellmanns in "Die Angst des Ethiklehrers vor der Klasse", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/178342

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