Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Einführung: Postmodernismus und postmoderne Identität
1. Postmodernes Denken in Kunst und Kultur
2. Postmoderne Identitätskonzepte
2.1. Kriterien für postmoderne Identitätskonzepte
2.2. Filmbeispiel: I’m not there als Protoyp für die postmoderne Identität
3. Semiotik: Grundlagen und Voraussetzungen
3.1. Filmsemiotik: Zeichenhaftigkeit und Différance-Konzept
3.1.1. Das postmoderne Identitätskonzept der Différance nach Jacques Derrida
3.1.2. Dekonstruktion als Strukturprinzip in postmodernen Filmen
3.2. Ausprägungen und Merkmale von Identität im postmodernen Film
II. Konstruktion und Dekonstruktion von Identität bei Christopher Nolans Memento und Inception
1. Grundlagen und Voraussetzungen: Inhaltsangabe und Ausgangslage der Identität bei Leonard Shelby in Memento
2. Mediale Repräsentation von Wirklichkeit und Identität
2.1. Symbolik: Identitätsproblematik als Zeichen
2.2. Konsequenzen von Leonard’s Gedächtnisverlust für seine Identitätskonstruktion
2.3. Identitätskrise und finale Dekonstruktion
2.4. Sammy Jankis’ Identität als Leonard’s Identität ‚zweiter Ordnung’
3. Grundlagen und Voraussetzungen: Inhaltsangabe und Figurenkonstellation in Inception
4. Die fünf Wirklichkeitsebenen als radikale Form der Wirklichkeitsräume
4.1. Dominick Cobb’s Realität als weiterer Traum
4.1.1. Cobb’s Team-Mitglieder als Projektionen seines Unterbewusstseins
4.1.2. Mal’s Tod als Auslöser für Cobb’s Identitätskonflikt
4.1.3. Cobb’s Identitätskonflikt: Verantwortung vs. Schuldgefühl
4.1.4. Symbolik: Der Kreisel und der Zug
4.1.5. Konkrete Traumelemente in der ‚Realität'.
4.2. Bedeutung des Fischer-Projekts für Cobb’s Identitätsstiftung
4.3. Endgültige Lösung des Identitätskonflikts und Identitätsstiftung
III. Zusammenfassung und Fazit: Gemeinsamkeiten und Unterschiede
1. Christopher Nolan’s Spiel mit dem Zuschauer
2. Postmoderne Identitätskonzepte in Memento und Inception
IV. Literaturverzeichnis
V. Anhang
I. Einleitung: Postmodernismus und postmoderne Identität
„Postmoderne, das sei das Ende der leitenden Ideen, wie sie die Moderne bestimmt hätten […] Wenn nämlich der Begriff Postmoderne einen Sinn hat, dann nur weil uns die Moderne um ihre Modernität betrog."[1]
Dieses Zitat von Burghart Schmidt beinhaltet bereits viel Aussagekraft über den Begriff der Postmoderne. Unsere Welt ist voll von postmodernen Phänomenen. Dieses begriffliche Konstrukt bezeichnet eine besondere Sichtweise, Darstellungsform und Philosophie unserer Welt mit ihren vielschichtigen gesellschaftlichen Teilbereichen wie der Wissenschaft, der Kunst, der Politik, der Soziologie und der Kultur. Die Postmoderne ist eine geistig-kulturelle Bewegung, deren Anfänge in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts liegen und die in erster Linie eine Denkweise bezeichnet, die sich gegen die als totalitär und steril empfundenen Methoden, Begriffe, Definitionen und Grundannahmen der Moderne richtet.
1. Postmodernes Denken in Kunst und Kultur
Nach Burghart Schmidt steht nicht das innovative Streben, wie es eigentlich ein grundlegendes Merkmal und Schaffensgedanke des Künstlertums ist, im Mittelpunkt des Postmodernismus, sondern die Rekombination oder die Neuanwendung bereits bestehender Ideen. Postmodernes Denken schlägt sich dabei in der Auffassung nieder, dass eine Vielzahl von gleichberechtigt nebeneinander bestehenden Perspektiven in allen Lebensbereichen und gesellschaftlichen Teilbereichen existiert. Diese grundsätzliche Offenheit von Kunst und Kultur und der daraus resultierende mehrdimensionale Blick auf die Welt machten sich die Künstler der Postmoderne zu Eigen und schufen einen vielschichtigen Begriff der Wirklichkeit der Welt. In der Literatur, in der Architektur, in der Malerei und vor allem im Film wird deshalb ein hohes Maß an Interpretationsmöglichkeiten tradiert, die eine endgültige Wahrheit gibt es nicht: Die Künstler der Postmoderne betrachten die Welt als einen pluralistischen, zufälligen und chaotischen Ort.
Nach Zygmunt Bauman bestehen grundlegende Elemente des postmodernen künstlerischen Schaffensprozesses und die Basis des postmodernen Denkens und Urteilens einerseits aus einer Absage an bisher gültige Normen und Werte, die seit der Aufklärung in der Gesellschaft verankert wurden und andererseits aus einer Abkehr an das betonte Primat der Vernunft und der Zweckrationalität. Während die Kunst der Moderne gesellschaftlichen Regeln und Konventionen folgt und die Zweckrationalität bzw. Funktionalität sowie die Vernunft als oberste Prämisse für Kunst und Kultur erhebt, distanziert sich die Postmoderne von diesen Elementen und stellt andere Aspekte des Denken und Handelns in den Vordergrund: Sie rückt die Dekonstruktion traditioneller Bindungen und die Auflösung eines allgemeinen Gemeinschaftsgefühls in den Vordergrund. Das Aufbrechen der einheitlichen, gefestigten, gesellschaftlichen Grundkonsense über die Welt in eine Vielzahl von einander widersprechenden Einstellungen, Philosophien und Perspektiven mündet einerseits in eine Ablehnung eines universalen Wahrheitsanspruchs, welcher in der Moderne mithilfe von Philosophie und Religion begründet wurden und andererseits in eine neue Form von Toleranz, Freiheit und Pluralität in allen Gesellschaftsbereichen. [2]
Das postmoderne Denken versucht also, sich auf die Eigengesetzlichkeiten der Dinge einzulassen. Wolfgang Welsch schlägt die Umschreibung „radikale Pluralität“[3] vor, um diesen Anspruch zu umschreiben. Die Moderne forderte diese Pluralität und leitete sie ein, ohne imstande zu sein, sie vollständig zu realisieren. Die Postmoderne nun ist dadurch gekennzeichnet, dass die radikale Pluralität zum Allgemeingut wird, dass sie nicht mehr länger in „aparten Zirkeln“[4] verharrt. Pluralisierung wird in diesem Sinne nicht als reiner Zersetzungsprozess der tradierten Lebenswirklichkeiten verstanden, sondern als Allgemeingut der Gesellschaft, als Freiheit jedes Individuums, die Welt so zu betrachten, dass sich jeder Einzelne seine eigene Ordnung der Welt und subjektive Orientierungspunkte schaffen kann.
Nach Wolfgang Welsch hat dies im Kunst- und Kulturbereich zur Folge, dass Mixing und Sampling als technische Grundprinzipien sowie Intertextualität, die Verwendung ironischer Zitationen auf bereits bestehende Stile und Techniken und allen voran die Dekonstruktion selbst als Strukturprinzip zu elementaren Mitteln der Wirklichkeitskonstruktion in den Medien erhoben werden.
Bauman zählt die Hinwendung zu Aspekten menschlicher Affektivität und Emotionalität (im Gegensatz zur Moderne, die versucht diese Aspekte weitestgehend auszublenden und die ratio in den Fokus der menschlichen Handlungsparameter zu stellen) und den
„Verlust des autonomen Subjekts als rational denkende und handelnde Einheit“[5] in der
postmodernen Kunst, dessen Problematik den Kern dieser Arbeit bildet, zu den radikalsten Neuerungen am Bild des postmodernen Menschen.
Diese Problematik soll anhand von zwei postmodernen Filmen – Memento und Inception
– von Regisseur Christopher Nolan in dieser Arbeit exemplarisch erarbeitet, diskutiert und kritisch hinterfragt werden. Das begriffliche Konstrukt der postmodernen Identität im Film und deren Konstruktion und Dekonstruktion im Sinne postmoderner Maßstäbe wird mittels Filmanalyse herausgearbeitet und soll Aufschlüsse über die Denkstrukturen einer postmodernen Gesellschaft liefern. Relevant ist dieses Erkenntnisinteresse insofern, als dass wir alle in einer Welt leben, die in vielen Aspekten ihres Seins postmoderne Züge trägt.
Das begriffliche Konstrukt der Identität ist dabei eine nur schwer zu greifende leere Worthülse, die seit Jahrtausenden die Politik, die Soziologie, die Psychologie, die Medienwissenschaft, die Anthropologie, die Medizin und viele weitere wissenschaftliche Disziplinen beschäftigt. Unsere heutige Zeit bietet nicht nur eine Vielzahl an Identifikationsmöglichkeiten für die eigene Persönlichkeit und die Identität, sondern erschwert es gleichermaßen sich für eine dieser schier endlosen Auswahlmöglichkeiten zu entscheiden. Kultur- und mediale Produkte wie das Medium Film sind hinlänglich dafür bekannt als Spiegel der Gesellschaft zu fungieren. Sie können so dazu beitragen, etwas über die Zeichen unserer Zeit, die kulturellen und gesellschaftlichen Strukturen, die Beziehung zwischen Individuum und Kollektiv und die Orientierungspunkte, Probleme und Voraussetzungen für eine Identitätsbildung in einer pluralistischen Welt auszusagen.
Der Begriff der Identität mit seinen vielschichtigen und vielfältigen Definitionen kann dabei eine Annäherung sein, individuelle und kollektive Strukturen von Identitätskonzepten und -mechanismen in einer postmodernen Welt aufzuzeigen. Aus diesem Grund müssen erst einmal theoretische Grundlagen geschaffen und die wichtigsten postmodernen Identitätskonzepte erläutert werden. Wichtige Fragen, die in dieser Arbeit geklärt werden müssen, sind: Inwieweit spielt Identität bei Christopher Nolan eine übergeordnete Rolle als Zeichen und inwiefern geht sie über die Funktion als simples Sujet der Filme Inception und Memento hinaus? Welche Identitätskonzepte liegen den subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen zugrunde? Wie wird die postmoderne Identität der Protagonisten und deren Konstruktion und Dekonstruktion dargestellt? Welche Folgen hat diese Darstellung auf die Wahrnehmung der Welt über den Film hinaus?
2. Postmoderne Identitätskonzepte
„Du blickst doch nicht durch, Du Freak! [...] Du weißt gar nicht, wer Du eigentlich bist. [...] Du bist was anderes geworden! [...] Gehen wir runter [in den Keller] gemeinsam, dann erfährst Du, wer Du wirklich bist."[6]
Die Problematik der kollektiven und individuellen Identitätsfindung, der Prozess der Identitäts(de)konstruktion und die Bewältigung von Identitätskrisen ist ein oft aufgegriffenes, sehr präsentes Sujet postmoderner Filme. Dies ist nicht zwingend ein eindeutig dem Postmodernismus zurechenbares Merkmal, zumal die Fragen nach der eigenen Identität, nach Identifikationsmöglichkeiten in einer immer rasanter und komplexer werdenden Welt und nach der eigenen Zugehörigkeit in der Gesellschaft bereits von unzähligen Filmen vor der Postmoderne gestellt wurden. Jedoch weisen postmoderne, theoretische Identitätskonzepte ganz spezifische Strukturen auf, die an dieser Stelle kurz erläutert werden müssen, um sie anschließend im praktischen Teil auf die Identitätsstrukturen der beiden Protagonisten Dominick Cobb in Inception und Leonard Shelby in Memento übertragen und analysieren zu können.
2.1. Kriterien für postmodernen Identitätskonzepte
Was postmoderne Identitätskonzepte grundsätzlich von ‚traditionellen’ Begriffsbestimmungen der Identität unterscheiden, ist ihre Abkehr von dem Gedanken der Einheitlichkeit und Dauerhaftigkeit, die moderne Identitätskonzepte suggerieren. Wolfgang Kraus bezeichnet die Identität als ein „kohärentes Selbstkonzept“, das einer Investition in sinnstiftende Ziele und Normen gleichkommt[7] und W.D. Fröhlich versteht unter Identität die „Bezeichnung für eine auf relativer Konstanz von Einstellungen und Verhaltenszielen beruhende relativ überdauernde Einheitlichkeit in der Betrachtung seiner selbst oder anderer.“[8] Nach dieser modernen Betrachtungsweise definiert sich Identität also über Kontinuität, Konsistenz und Individualität, die sich aus einzigartigen Eigenschaften, Werten und Einstellungen ergibt.
Postmoderne Identitätskonzepte gehen hingegen von einer fragmentierten, diskontinuierlichen Identitätsstruktur aus d.h. einer wandelbaren Identität, die keine Einheit bildet, sondern aus einer Vielzahl an ‚Teilidentitäten’ besteht – Keupp verwendet den Begriff ‚Patchwork-Identities’[9] - die sich das postmoderne Individuum aus der großen Menge an Identifikationsmöglichkeiten herausgreift. Der Identitätsbegriff ist stets stark geprägt von dem jeweiligen Weltbild und den wirtschaftlichen, technischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen. Das postmoderne Zeitalter wird durch die Vielzahl an Identifikationsmöglichkeiten und deren Verbreitung über die neuen
Informationstechnologien charakterisiert. Die daraus resultierende Vielfalt an Kommunikationsmöglichkeiten schafft nach Stefan Schultz Parallelwelten und einen gewissen Identitätsdruck und katapultiert das Individuum in einen Status „zwischen verschiedenen Lebensformen“.[10] Wolfgang Welsch geht davon aus, dass der Mensch mittels Kommunikation und Interaktion mit anderen Menschen und mittels subjektiver Wahrnehmung der Welt Selbstkonzepte über sich selbst entwickelt.[11] Aufgrund der Vielzahl an sozialen Kontakten und dem Überfluss an Wahrnehmungsmöglichkeiten und aufgrund der komplexen Erfahrungen, die der postmoderne Mensch nicht mehr unmittelbar, sondern über technische Hilfsmittel macht, entsteht eine tiefe Diskontinuität der traditionellen modernen Form der Identitätsbildung.
„Es geht nicht mehr um Anpassung an eine Welt, sondern um Wahl der passenden Welt. In der Vielfalt der Möglichkeiten gilt es diejenigen zu finden, die zu einem passen und zu denen man paßt. Man muß auswählen im doppelten Sinn: man hat auszusondern, was einem produktive Umwelt nicht zu sein vermag, und man soll erwählen, was Entfaltungsraum sein kann. Diesen zu finden wird zu einer neuen Kunst. Das geschieht gegenwärtig unter Freiheit ebenso wie unter Druck. Denn auch, wenn die Wahlmöglichkeiten eklatant gestiegen sind, erweisen sich die
Traumwahlen oft als verbarrikadiert und die Erstwahlen als falsch.“ [12]
Der Faktor der Globalisierung und die beschleunigte Kommunikation allen voran durch das Internet zieht erstens eine Entlokalisierung des Handelns und damit eine rein lokale Loslösung von Orientierungspunkten in der sozialen Wirklichkeit und zweitens die Notwendigkeit nach sich, Identitätskonstruktion flexibel den rasanten Entwicklungen anpassen zu müssen. Nach Eickelpasch und Rademacher sorgen diese Loslösung von Raum und Zeit auf der einen Seite und die Komprimierung und das Zusammenrücken der
Welt auf der anderen Seite dafür, dass eine konsistente, einheitliche und sinnstiftende Identitätsbildung nicht mehr funktioniert.[13] Alte, an Raum und Zeit gebunden Gewissheiten haben ihren Orientierungsanspruch verloren, das Individuum muss sich neue Identifizierungsangebote suchen. Diese sind jedoch so vielfältig und unüberschaubar, dass eine konsistente, einheitliche Identitätskonstruktion nicht ohne weiteres möglich ist.
Was die Herangehensweise des postmodernen Films an das Thema Identität so außergewöhnlich und relevant macht, ist die Tatsache, dass sich postmoderne Filme in erster Linie nicht mit einem kohärenten, sinnstiftenden und einheitlichen Identitätskonzept im Sinne von Wolfgang Kraus und Fröhlich beschäftigen, sondern mit dem fragmentierten Identitätsbegriff, mit dessen Auflösung und Dekonstruktion in einer mehr und mehr pluralistischen und zufälligen Welt und der Aufteilung in Teilidentitäten. Inwiefern die Differenz und die Abweichung und nicht die Einheit als Grundprinzip er Identitätskonstruktion eine Rolle spielt, wird im Zuge des Différance-Konzepts des französischen Sprachphilosophen Jacques Derrida unter Punkt 3.1.1. erläutert.
2.2. Filmbeispiel: I’m not there als Protoyp für die postmoderne Identität
Als einfaches Beispiel soll hier das Bob Dylan-Biopic I’m not there aus dem Jahre 2007 von Regisseur Todd Haynes aufgeführt werden, um die postmoderne Identitätskonstruktion zu veranschaulichen: Sechs verschiedene Bob Dylans gibt es hier, die von sechs unterschiedlichen Figuren portraitiert werden und die keinerlei äußerliche Gemeinsamkeiten aufweisen: Mal ist Bob Dylan eine Frau, mal ist er schwarz, mal ist er weiß. Diese sechs unterschiedlichen Identitäten Bob Dylans verschmelzen jedoch niemals zu einer und haben keine gemeinsame Schnittstelle. Sie tauchen alle in sechs von einander getrennten Episoden auf und ergeben ein filmisches Werk, „ohne Fixpunkt, eine
Verflechtung nicht zurückverfolgbarer Fäden.“[14]
Bezeichnenderweise wird im gesamten Film Bob Dylan niemals beim Namen genannt und in Kombination mit dem Titel des Films I’m not there („Ich bin nicht da“) entstehen beim Zuschauer automatisch die Fragen, die bestenfalls genau in der Intention des Regisseurs lagen: „Wo und wer ist Bob Dylan denn eigentlich? Konstruiere dir deinen eigenen!“ Es handelt sich um eine absichtlich herbeigeführte Abweichung. Sowohl Bob Dylan’s äußerliche, körperliche als auch seine innere, geistige Identität wird aufgelöst und der Zuschauer wird dazu gezwungen, vielleicht auch das Wesen seiner eigenen Identität kritisch zu hinterfragen. Zusammen mit der fragmentarischen Erzählweise von I’m not there entsteht ein Bild von Diskontinuität, Disharmonie und einer scheinbar sinnlos aneinandergereihten Kette von Episoden.
Dieses kurze Beispiel zeigt recht anschaulich, was mit der Dekonstruktion von Identität gemeint ist, dennoch muss die Identität als begriffliches Konstrukt weiter spezifiziert werden, um sich der Problematik anzunähern. In den wissenschaftlichen Disziplinen gibt es eine unzählige Vielfalt an Definitionen für den Begriff der Identität. Es gibt unter anderem psychologische, soziologische, medienwissenschaftliche, politologische und philosophische Ansätze, die den Begriff jeweils aus einer unterschiedlichen Perspektive je nach Forschungsinteresse betrachten. Für einen solch komplexen und vielschichtigen Begriff der Identität ergäbe es keinen Sinn eine Definition nach der anderen zu untersuchen, viel mehr muss eine eigenständige Definition etabliert werden, die auf die Untersuchungsobjekte und das jeweilige Erkenntnisinteresse abgestimmt sein muss. Unter Punkt I, 2. wurden bereits die wichtigsten Prämissen postmoderner Identitätskonzepte erläutert. Nun müssen diese Identitätskonzepte auf die spezifischen Gegebenheiten des Mediums Film angepasst werden.
Die Grundlage für diese Arbeit wird hierbei eine semiotische Annäherung an den Begriff der Identität sein. Da die postmoderne Kunst – darunter zählt selbstverständlich neben der Literatur, der Malerei, der Architektur und der Musik auch das Medium Film – sich unter anderem durch ihren zeichenhaften Charakter und die Zeichenhaftigkeit ihrer Aussage definiert, ist es notwendig einen Blick auf die zugrunde liegenden Strukturen und Funktionsmechanismen des Films zu werfen. Die wissenschaftliche Disziplin der Zeichenlehre, die sich mit den unterschiedlichen Zeichensystemen beschäftigt und Modelle bereitstellt, die die Strukturen der Wirklichkeit modellieren können, wird Semiotik genannt.
3. Semiotik: Grundlagen und Voraussetzungen
Die generellen Funktionsmechanismen, Definitionen und allgemeinen Voraussetzungen der Semiotik als wissenschaftliche Disziplin sollten klar sein und bedürfen hier keiner ausführlichen Erklärungen. Eine kurze Zusammenfassung der Zeichenlehre von Ferdinand de Saussure und Charles Sanders Peirce sowie die postmoderne Abhandlung
„La différance“ des französischen Philosophen Jacques Derrida werden dabei das Grundgerüst bilden, mit deren Hilfe die postmoderne Identitätskonstruktion in Memento und Inception aus semiotischer Betrachtungsweise geklärt werden soll.
Ferdinand de Saussure gilt als einer der Begründer der modernen Semiotik. Nach seiner Lehre vollzieht sich jede Art der Kommunikation mittels Zeichen – ganz gleich ob es sich dabei um graphische, akustische, filmische oder mimische Zeichen handelt. Zeichen sind immer Objekte, die informationshaltig sind und „[die] […] für etwas anderes stehen, wenn etwas über sich hinaus verweist, etwas anderes repräsentiert.“[15]
Laut de Saussure besteht jedes Zeichen aus zwei Grundelementen: dem Signifikanten und dem Signifikat. Der Signifikant bezeichnet dabei „die physische und wahrnehmbare Entität, die als materieller Zeichen-/Bedeutungsträger fungiert“[16] d.h. in Bezug auf das Medium Film nichts anderes als die filmische Darstellung und Inszenierung bestimmter materieller Objekte. Wenn beispielsweise ein Apfel mit der Kamera gefilmt wird, so ist der Signifikant in erster Linie die materiell gegebene Projektion eines Apfels auf
Zelluloid. Der Signifikat ist „die mit dem Signifikanten verknüpfte, von ihm ‚bedeutete’ Vorstellung“[17]. Für unser Beispiel bedeutet das, die Vorstellung ‚Apfel’ mit all seinen Merkmalen und Bedeutungen, die ihm die jeweilige Kultur zuschreibt.
Auf diese Art und Weise kann mit einer einzigen Einstellung tiefere Bedeutung etabliert werden - oder auch nicht - selbst wenn in dieser Einstellung ‚nur’ ein Apfel abgebildet ist. Denn ein Apfel kann in unserem Kulturkreis einfach nur ein Apfel sein, gleichzeitig aber auch auf etwas „über sich selbst hinaus Gehendes“ verweisen, zum Beispiel als Zeichen für Schöpfung, initiiert durch die Geschichte von Adam und Eva in der Bibel. Diese sekundäre Bedeutungskonstitution speziell im Medium Film wird weiter unten noch ausführlicher beleuchtet.
Der amerikanische Philosoph Charles Sanders Peirce erweiterte die zweigliedrige Struktur des Zeichens von de Saussure und begriff das Zeichen als dreigliedrige Struktur mit der zusätzlichen Komponente des Referenten. Dieser bezeichnet „diejenige Klasse von Objekten oder Sachverhalten in der Realität, auf die die Merkmale des Signifikats zutreffen“[18], d.h. den Apfel als reales Objekt zuhause in der Obstschale. Vereinfacht
veranschaulicht in Abb.1: Der Signifikant als Bezeichnendes, das Signifikat als Bezeichnetes und der Referent als Objekt in der Realität.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1
[...]
[1] Schmidt, Burghart: Postmoderne - Strategien des Vergessens, Sammlung Luchterhand : Darmstadt 1986, S.9
[2] Bauman, Zygmunt: Ansichten der Postmoderne. Argument Verlag 1995. S.22ff
[3] Welsch, Wolfgang: Unsere postmoderne Moderne (6 ed.). Berlin: Akademie-Verlag 2002. S.12
[4] Welsch, Wolfgang: Unsere postmoderne Moderne (6 ed.). Berlin: Akademie-Verlag 2002. S. 14
[5] Bauman, Zygmunt: Ansichten der Postmoderne. Argument Verlag 1995. S.22ff
[6] Memento; 00:05:28-00:06:02
[7] Kraus, Wolfgang: Das erzählte Selbst. Die narrative Konstruktion von Identität in der Spätmoderne. Herbolzheim: Centaurus 2000.
[8] Fröhlich, W. D.: Wörterbuch der der Psychologie (23. ed.). dtv, München 2000, S. 233
[9] Keupp, H.: Auf der Suche nach der verlorenen Identität. In H. Keupp, & H. Bilden (Eds.):
Verunsicherungen. Hogrefe, Göttingen 1989
[10] http://www.alice-dsl.net/stefan_schultz/eUndPostklassischesKino.doc
[11] Welsch, Wolfgang: Unsere postmoderne Moderne (6 ed.). Berlin: Akademie-Verlag 2002. S. 14
[12] Welsch, Wolfgang: Unsere postmoderne Moderne (6 ed.). Berlin: Akademie-Verlag 2002. S. 11
[13] Eickelpasch, Rolf & Rademacher, Claudia: Identität. Transcript, Bielefeld 2004, S.59
[14] http://www.filmzentrale.com/rezis2/imnotthereds.htm
[15] Krah, Hans: Kommunikation und Medien am Beispiel Film. In: Hans Krah, Michael Titzmann (Hg.): Medien und Kommunikation. Eine interdisziplinäre Einführung. Passau: Stutz, S. 249-279.
[16] Ebd.
[17] Ebd.
[18] Krah, Hans: Kommunikation und Medien am Beispiel Film. In: Hans Krah, Michael Titzmann (Hg.): Medien und Kommunikation. Eine interdisziplinäre Einführung. Passau: Stutz, S. 249-279.