Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Symbolverzeichnis
1 Einleitung
2 Grundlagen des Equity Premium Puzzles
2.1 Inhaltliche und begriffliche Abgrenzungen
2.2 Neoklassisches Standardmodell zur Ermittlung der Risikoprämie
3 Ansätze zur Anpassung des konsumbasierten Standardmodells
3.1 Modifikationen der Nutzenfunktion
3.1.1 Rekursive Präferenzen
3.1.2 Gewohnheitsbildung
3.2 Berücksichtigung von Marktunvollkommenheiten
3.2.1 Idiosynkratische Risiken
3.2.2 Transaktionskosten
3.2.3 Begrenzter Kapitalmarktzugang
3.3 Integration verhaltenstheoretischer Erkenntnisse
4 Schätzung zukünftiger Risikoprämien
4.1 Relevanz für die Unternehmensbewertung
4.2 Schätzung auf Basis historischer Renditen
4.3 Schätzung auf Basis von Fundamentaldaten
4.3.1 Dividenden- und Gewinnwachstumsmodelle
4.3.2 Residualgewinnmodelle
4.3.2.1 Zwei-Phasen-Modell nach Claus/Thomas
4.3.2.2 Drei-Phasen-Modell nach Gebhardt/Lee/Swaminathan
4.4 Schätzung auf Basis von Expertenbefragungen
4.5 Abschließende Würdigung
5 Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Wertfunktion aus der Prospect Theory
Abb. 2: Geschätzte Risikoprämien aus Expertenbefragungen und Lehrbüchern
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Implizite Risikoaversionskoeffizienten für die USA und Deutschland
Tab. 2: Aktien- und Anleihenrendite unter Kreditbeschränkungen
Tab. 3: Durchschnittliche Aktienrenditen und Risikoprämien von 1900-2005
Tab. 4: Schätzwerte der erwarteten Risikoprämie nach Fama/French
Tab. 5: Implizite Renditen und Risikoprämien nach Claus/Thomas
Tab. 6: Implizite Risikoprämien nach Gebhardt/Lee/Swaminathan
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Symbolverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Trotz zwischenzeitlich schwerer Kurseinbrüche, wie sie im Zuge der derzeitigen welt- weiten Wirtschaftskrise zu beobachten sind, erwiesen sich Aktien in der Vergangenheit als mittel- bis langfristig rentable Investitionen. Sie konnten im Durchschnitt deutlich höhere Renditen als alternative Anlageformen, wie z. B. Staatsanleihen, erzielen.[1] Die- ser Renditeunterschied zwischen Aktien und weitestgehend risikolosen Anlagen wird als Risikoprämie bezeichnet.[2] Ihre Höhe besitzt für eine Vielzahl betriebswirtschaftli- cher Bereiche praktische Relevanz. So treffen Kapitalmarktteilnehmer ihre Portfolioent- scheidungen auf Basis zukünftiger Renditeerwartungen. Ebenso ist die Risikoprämie als Modellparameter zur Bestimmung von Eigenkapitalkosten sowohl für Investitionsent- scheidungen im Rahmen wertorientierter Unternehmensführung als auch für die Unter- nehmensbewertung von zentraler Bedeutung.[3]
Aufgrund dieser herausragenden Stellung war ein 1985 veröffentlichter wissenschaftli- cher Beitrag von MEHRA/PRESCOTT Anlass für eine bis heute andauernde Diskussi- on über die Höhe der Risikoprämie. Die Autoren zeigten, dass die in der Vergangenheit realisierten Überschussrenditen in den USA deutlich zu hoch waren, als dass sie unter realistischen Annahmen mit dem aus der neoklassischen Theorie hergeleiteten Stan- dardmodell erklärt werden können.[4] Die daraus resultierende Problemstellung bezeich- neten sie als das „Equity Premium Puzzle“[5], zu Deutsch das „Risikoprämien-Rätsel“.
Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, die relevanten Determinanten der Risikoprämie zu identifizieren, um ein besseres Verständnis des Equity Premium Puzzles zu ermöglichen. Zudem soll ein breiter Überblick über Stärken und Schwächen zukunftsorientierter Schätzmodelle gegeben werden.
Hierzu erfolgt in einem Grundlagenteil zunächst eine Konkretisierung und Abgrenzung verschiedener Begriffsdefinitionen zur Risikoprämie. Zudem soll aufgezeigt werden, inwiefern das Equity Premium Puzzle aus dem fehlenden Erklärungsgehalt des kon- sumbasierten Bewertungsansatzes resultiert. Anschließend wird untersucht, ob ver- schiedene Modifikationen des neoklassischen Modells eine präzisere Herleitung der historischen Überschussrenditen ermöglichen. Dazu werden die impliziten Annahmen des Standardmodells hinsichtlich definierter Nutzenfunktionen, vollkommener Kapital- märkte und rational handelnder Individuen schrittweise gelockert. Das darauf folgende Kapitel beinhaltet hingegen einen Vergleich verschiedener Methoden zur Schätzung zukünftig erwarteter Risikoprämien. Es wird dabei insbesondere der Frage nachgegan- gen, ob die hohen Überschussrenditen des 20. Jahrhunderts in die Zukunft projiziert werden können oder ob historische Renditedaten systematisch von den tatsächlichen Renditeforderungen der Kapitalmarktteilnehmer abweichen. In einer kritischen Würdi- gung werden abschließend die Stärken und Schwächen der unterschiedlichen Ansätze diskutiert, wobei vor allem die Eignung der Modelle zur Ermittlung von Risikoprämien für die Unternehmensbewertung analysiert wird.
2 Grundlagen des Equity Premium Puzzles
Bevor konkrete Lösungskonzepte zum Equity Premium Puzzle diskutiert werden, sollen im Folgenden zunächst grundlegende inhaltliche und begriffliche Abgrenzungen zur Risikoprämie vorgenommen werden. Anschließend wird mithilfe eines konsumbasierten Bewertungsmodells dargestellt, wie die Höhe der Überschussrenditen auf Basis der neoklassischen Theorie hergeleitet werden kann.
2.1 Inhaltliche und begriffliche Abgrenzungen
Im Zentrum der Arbeit steht die Höhe der historischen und zukünftigen Risikoprämien. Diese sind sowohl in der Unternehmensbewertung als auch in der Finanztheorie von großer Bedeutung: „The equity premium is perhaps the single most important number in financial economics.“[6] Die Existenz der Risikoprämie ist in der Risikoaversion der Ka- pitalmarktteilnehmer begründet. Investoren bevorzugen grundsätzlich Wertpapiere, de- ren Renditen keinen oder nur sehr geringen Schwankungen unterliegen und daher mit wenig Unsicherheit behaftet sind. Für Aktien, die sich in der Regel durch eine ver- gleichsweise hohe Volatilität auszeichnen, muss dementsprechend das übernommene Risiko in Form einer höheren durchschnittlich zu erwartenden Rendite gegenüber siche- ren Investitionsalternativen vergütet werden.[7] Angesichts der Tatsache, dass sichere Kapitalmarktanlagen ohne jegliches Ausfallrisiko in der Realität nicht existieren, wird bei der Berechnung der Risikoprämie üblicherweise auf die Rendite von Staatsanleihen als Annäherung an den risikolosen Zinssatz zurückgegriffen.[8] Eine tiefergehende Dis- kussion über die Bestimmung des zu verwendenden Basiszinses wird im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht vorgenommen, da die historischen Überschussrenditen unabhängig von der verwendeten Methodik zu hoch sind, als dass sie durch die Standardtheorie er- klärt werden können.[9] Vielmehr steht die Frage im Mittelpunkt, warum Aktien in der Vergangenheit so hohe durchschnittliche Renditen erzielten und ob ähnliche Aktienge- winne auch für die Zukunft erwartet werden können. Hierzu muss eine sorgfältige Un- terscheidung zwischen ex-ante und ex-post Risikoprämien vorgenommen werden. Ex- post Risikoprämien stellen die Differenz zwischen den in der Vergangenheit tatsächlich realisierten Aktienrenditen und dem risikolosen Zins dar und werden meist als Durch- schnittswert über mehrere Perioden berechnet. Ex-ante Risikoprämien spiegeln hinge- gen die von den Anlegern für die Zukunft erwarteten Überschussrenditen wider. Da diese nicht beobachtbar sind, müssen sie mithilfe adäquater Methoden geschätzt wer- den.[10]
Im Folgenden wird einerseits dargelegt, mit welchen Konzepten die beobachteten ex- post Marktrisikoprämien mit derökonomischen Theorie in Einklang gebracht werden und somit zur Lösung des Equity Premium Puzzles beitragen können. Andererseits soll aufgezeigt werden, welche Modelle zur Bestimmung zukünftiger Risikoprämien entwi- ckelt wurden. Im Fokus steht dabei insbesondere die Markt risikoprämie, also die Diffe- renz zwischen der Rendite des Gesamtmarktes und dem risikolosen Zins. Diese stellt den Ausgangspunkt für die Berechnung von unternehmensspezifischen Eigenkapital- kosten dar und besitzt daher eine hohe Relevanz für das wertorientierte Management und die Praxis der Unternehmensbewertung.[11]
2.2 Neoklassisches Standardmodell zur Ermittlung der Risikoprämie
Das Equity Premium Puzzle resultiert aus der Feststellung, dass die hohen beobachteten Risikoprämien nicht mit dem aus der neoklassischen Theorie hergeleiteten konsumba- sierten Modell erklärt werden können.[12] Das Hauptmerkmal dieses Bewertungsansatzes ist, dass die Unsicherheit über zukünftige Kapitalmarktrenditen direkt mit der Unsicher heit von Anlegern hinsichtlich ihres zukünftigen Konsums verknüpft wird.[13] Obwohl das häufig auch als Consumption-Based Capital Asset Pricing Model (CCAPM) bezeichnete Modell in der Praxis vergleichsweise selten Anwendung findet, ist es aus wissenschaftlicher Sicht von hoher Relevanz, da es einen wesentlichen Bestandteil der modernen Makroökonomie darstellt.[14]
Eine wichtige Annahme des CCAPM ist, dass alle Konsumenten der betrachteten Volkswirtschaft identische Nutzenfunktionen aufweisen, so dass die aggregierten Präfe- renzen durch einen einzigen repräsentativen Haushalt beschrieben werden können.[15] MEHRA/PRESCOTT unterstellen dabei eine zeitseparable Nutzenfunktion u (⋅) der Form
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wobei die Konstante α die relative Risikoaversion misst und
c die Höhe des Konsums t c in der Periode t darstellt.[16] Zu Beginn jeder Periode muss der als Anleger agierende Haushalt entscheiden, welchen Anteil seines Einkommens er sofort konsumiert und welcher Anteil in Aktien (und damit in zukünftigen Konsum c ) investiert werden soll. t +1 Ein nutzenmaximierender Haushalt wird sich dabei gerade so verhalten, dass der erwartete Verlust an Nutzen durch Konsumverzicht in Periode t dem erwarteten, mit einem Diskontierungsfaktor β abgezinsten, Nutzengewinn durch zusätzlichen Konsum in Periode t+1 entspricht.[17] Unter der Annahme, dass der Preis einer Aktie genau eine Einheit beträgt und r für die Aktienrendite steht, lässt sich die Bedingung
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herleiten, welche die zentrale Gleichung des konsumbasierten Bewertungsansatzes dar- stellt. [18]
Um mithilfe des CCAPM die Risikoprämie bestimmen zu können, muss zusätzlich der risikolose Zinssatz r in das Modell integriert werden. Das optimale Investitionsniveau f für die risikolose Anlage kann dabei analog zu Gleichung (2.2) berechnet werden, mit dem Unterschied, dass bezüglich der Renditen keine Unsicherheit besteht (d. h., dass der Erwartungswertoperator entfallen kann). Durch mehrere einfache Umformungen kann schließlich eine Risikoprämie in Höhe von
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten ermittelt werden, wobei corr (⋅) den Operator für den Korrelationskoeffizienten darstellt und σ (⋅) die Standardabweichung ausdrückt.[19]
Anhand von Gleichung (2.3) wird die Intuition hinter dem CCAPM verständlich. Die Risikoprämie E r ( ) − r ist umso höher, je stärker die negative Korrelation zwischen f dem Grenznutzen des Konsums und der Aktienrendite ausgeprägt ist.[20] Für Aktien, die in Boomphasen mit stark wachsendem Konsum bei gleichzeitig abnehmendem Grenz- nutzen hohe Renditen erzielen, muss folglich eine hohe Risikoprämie gewährt werden. Anlagen, die in Zeiten geringer Konsumniveaus besonders erfolgreich sind, werden hingegen als überdurchschnittlich attraktiv wahrgenommen und erfordern daher eine geringere Prämie. Dieses Phänomen wird häufig auch als „consumption smoothing“ bezeichnet.[21]
Abschließend bleibt die Frage zu beantworten, welche weiteren Faktoren neben der Korrelation zwischen Konsum und Rendite Einfluss auf die Höhe der Risikoprämie haben. Hierzu kann Gleichung (2.3) zu
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umgeformt werden, wobei Δ c das Konsumwachstum darstellt.[22] Es lassen sich nun zwei weitere Determinanten der Risikoprämie erkennen. Die gewährte Prämie fällt um- so höher aus, je stärker die Risikoaversion α ausgeprägt ist und je mehr das Konsum- wachstum Δ c im Zeitverlauf schwankt. Da historische Kapitalmarktdaten bis auf den nicht direkt messbaren Risikoaversionsparameter Werte zu allen Variablen aus (2.4) liefern, kann ein implizites α für verschiedene Länder hergeleitet werden.
Tab. 1 zeigt, dass sowohl in den USA als auch in Deutschland eine sehr hohe Risikoaversion der Konsumenten benötigt wird, um die realisierten Überrenditen in Einklang mit dem CCAPM zu bringen.
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Tab. 1: Implizite Risikoaversionskoeffizienten für die USA und Deutschland (Quelle: In Anlehnung an CAMPBELL, J. Y. (2003), S. 820)
In beiden Ländern konnte trotz geringen Konsumrisikos σ (Δ c) eine durchschnittliche Risikoprämie von über 8 % erzielt werden. In Deutschland waren zudem Konsum- wachstum und Aktienrenditen im Betrachtungszeitraum nahezu unkorreliert, wodurch im Vergleich zu den USA ein nochmals mehr als doppelt so hoher Risikoaversionspa- rameter impliziert wird. Ähnliche Resultate lassen sich auch für eine Reihe weitere Länder zeigen.[23] Solch hohe Werte für α erscheinen wenig plausibel, zumal in der Lite- ratur überwiegend von deutlich geringeren Risikoaversionskoeffizienten ausgegangen wird.[24] MEHRA/PRESCOTT zeigen, dass für eine häufig gewählte Obergrenze vonα =10 die durch das Standardmodell erklärte Risikoprämie höchstens 0,35 % be- trägt.[25]
Die deutliche Diskrepanz verdeutlicht, dass das CCAPM in seiner ursprünglichen Form nicht geeignet ist, um die Höhe tatsächlich realisierter Risikoprämien abzubilden. Diese Erkenntnis ist sowohl Kern des Equity Premium Puzzles als auch gleichzeitig Ausgangspunkt für dessen mögliche Lösung.
3 Ansätze zur Anpassung des konsumbasierten Standardmodells
Da das konsumbasierte CAPM bislang keine befriedigenden Resultate erzeugt, liegt es nahe, durch Modifikationen den Erklärungsgehalt des Modells zu erhöhen. Insbesonde- re müssen dessen Annahmen einer kritischen Überprüfung unterzogen und gegebenen- falls verallgemeinert werden. Dazu gehören die Spezifikation der Nutzenfunktion sowie das Vorliegen vollkommener Märkte ohne Transaktionskosten. Jedes potentielle Lö- sungsmodell muss mindestens eine dieser Annahmen aufgeben.[26] Im vergleichsweise jungen Forschungszweig der Behavioral Finance wird zudem berücksichtigt, inwiefern irrationale Verhaltensweisen zur Lösung des Puzzles beitragen können.[27]
3.1 Modifikationen der Nutzenfunktion
In den bisherigen Ausführungen wurde auf eine zeitseparable Nutzenfunktion mit konstanter relativer Risikoaversion (CRRA) zurückgegriffen.[28] Im Folgenden werden durch verschiedene Modifikationen alternative Nutzenfunktionen entwickelt, welche die tatsächlichen Präferenzen der Haushalte realistischer abbilden sollen.
3.1.1 Rekursive Präferenzen
Ein wesentliches Merkmal der CRRA-Nutzenfunktion ist, dass der Risikoaversionskoeffizient und die intertemporale Substitutionselastizität unmittelbar durch eine Kehrwertbeziehung miteinander verknüpft sind.[29] Während ersterer die Aversion gegen Konsumschwankungen zu einem bestimmten Zeitpunkt misst, drückt letztere die Aversion gegen Schwankungen im Zeitverlauf aus. Ausökonomischer Sicht gibt es jedoch keine schlüssige Begründung dafür, dass beide Elemente der Risikoaversion simultan und in gleichem Ausmaß auftreten müssen.[30]
KREPS/PORTEUS definieren daher eine rekursive Nutzenfunktion, mit deren Hilfe die feste Verbindung zwischen Zeitpräferenz und Risikopräferenz gelöst wird.[31]
In additiver Form kann diese durch
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beschrieben werden.[32] Der Gesamtnutzen U wird nun von zwei verschiedenen Aspekten beeinflusst. Zunächst wird der zukünftige Konsum durch eine zusätzliche Nutzenfunktion υ(⋅) bewertet, deren Konkavität der Risikoaversion im Zeitpunkt t+1 entspricht. Anschließend wird der Nutzen der einzelnen Perioden addiert, d. h. dass die Nutzenfunktion u (⋅) die intertemporalen Präferenzen charakterisiert.[33]
Bezugnehmend auf das Equity Premium Puzzle entwickelten EPSTEIN/ZIN eine spezielle Variante dieser allgemeinen rekursiven Funktion, die sich durch
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darstellen lässt, wobei die intertemporale Substitutionselastizität durch den Parameter ρ nun explizit berücksichtigt wird.[34] Die Idee hinter dieser Spezifikation ist, dass durch unabhängige Kombination von α und ρ die wahre Risikoaversion der Konsu- menten exakter beschrieben werden kann und dies letztendlich realistischere Werte für die Risikoprämie und den risikolosen Zinssatz erzeugt. In der Tat wurde nachgewiesen, dass eine Verbesserung gegenüber dem Modell von MEHRA/PRESCOTT erreicht wird. Allerdings impliziert auch diese Modifikation weiterhin entweder eine zu hohe relative Risikoaversion oder eine unplausibel niedrige Substitutionselastizität.[35] Daher wird überwiegend die Schlussfolgerung gezogen, dass rekursive Präferenzstrukturen zwar einen Fortschritt darstellen, aber keine endgültige Lösung des Equity Premium Puzzles ermöglichen.[36]
3.1.2 Gewohnheitsbildung
Ein weiterer Ansatz berücksichtigt, dass Individuen ihren Nutzen aus gegenwärtigem Konsum in der Regel relativ zu vergangenen Konsumniveaus bewerten. Von interner Gewohnheitsbildung spricht man dabei, wenn Haushalte den eigenen Konsumpfad als Bezugsgröße heranziehen. Unter externer Gewohnheitsbildung versteht man hingegen den Vergleich mit anderen Akteuren einer Volkswirtschaft.[37]
Die zentrale Idee der internen Gewohnheitsbildung ist, dass der Nutzen eine abnehmen- de Funktion des eigenen vergangenen Konsums darstellt. Diese Annahme liegt darin begründet, dass Individuen sich schnell an neue Konsumniveaus gewöhnen und es als besonders schmerzhaft empfinden, nicht an diese anknüpfen zu können.[38] Da rationale Individuen diese Konsequenzen vorausschauend in ihren Konsumentscheidungen be- rücksichtigen, müssen alternative Präferenzstrukturen modelliert werden.
Einen möglichen Ansatz stellt die folgende modifizierte Nutzenfunktion
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dar, in der χ den Parameter für das Ausmaß der internen Gewohnheitsbildung bezüg lich des vergangenen Konsumniveaus c darstellt.[39] (Im Folgenden wird der Einfach- t −1 heit halber der Spezialfall χ = 1 angenommen.) Je größer die Differenz zwischen c t und c ist, desto höher ist der daraus gezogene Gesamtnutzengewinn u und desto klei- t −1 ner der erzielte Grenznutzen u ′ .
Um die Implikationen aus Funktion (3.3) näher zu betrachten, muss zwischen dem allgemeinen Risikoaversionskoeffizienten α und der relativen Risikoaversion RRA unterschieden werden. Letztere entspricht der Scheu gegenüber Konsum risiko und kann durch das Arrow-Pratt-Maß
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bestimmt werden.[40] Die Gleichung zeigt, dass aus einem geringen Konsumwachstum c t −1 / c t bei gegebenem α eine stärker ausgeprägte relative Risikoaversion folgt. In ei- ner zeitstetigen Modellspezifikation von CONSTANTINIDES ermöglicht diese Tatsa- che eine Erklärung der Risikoprämie bei plausiblen Parameterwerten, aber unwahr- scheinlich hoher Autokorrelation.[41]
Im Gegensatz zu obigem Modell hängt bei der externen Gewohnheitsbildung die Nutzenfunktion für gegenwärtigen und zukünftigen Konsum nicht von eigenen Entscheidungen der Haushalte ab. Vielmehr wird der Nutzen relativ zu den anderen Individuen der Gesellschaft bewertet.
Eine Nutzenfunktion, die dieses Streben nach sozialem Aufstieg abbildet, kann durch
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beschrieben werden, wobei γ ein Maß für die Intensität der externen Gewohnheitsbil dung darstellt und C dem (exogenen) durchschnittlichen Pro-Kopf-Konsum ent- t +1 spricht.[42] Gleichung (3.5) impliziert, dass bei steigendem aggregierten Konsum der rest- lichen Wirtschaftsakteure der aus einem gegebenen Konsumniveau gezogene Gesamt- nutzen u sinkt bzw. der Grenznutzen u ′ steigt. ABEL leitet mithilfe dieses Modells bei einem vergleichsweise niedrigen Risikoaversionskoeffizienten von α = 6 realistische Werte für die Risikoprämie her. Allerdings muss einschränkend festgestellt werden, dass die Standardabweichung des risikolosen Zinssatzes mit 17.87 % unplausibel hoch ist.[43] CAMPBELL/COCHRANE beziehen sich explizit auf dieses Problem und schla- gen ein alternatives Modell vor, in dem die externe Gewohnheitsbildung aus einer nicht- linearen Funktion des vergangenen Konsums resultiert.[44] Diese Spezifikation verur- sacht allerdings wiederum unvernünftig hohe Werte für die relative Risikoaversion.[45]
Zusammenfassend ist es also bislang noch nicht gelungen, die Risikoprämie allein durch alternative Präferenzstrukturen zufriedenstellend zu erklären. Es erscheinen daher weitergehende Anpassungen des Modells notwendig.
3.2 Berücksichtigung von Marktunvollkommenheiten
Eines der Hauptmerkmale des neoklassischen Bewertungsmodells mit einem repräsen- tativen Haushalt ist, dass es indirekt vollkommene Märkte ohne Friktionen voraussetzt.
D. h. alle Individuen besitzen annahmegemäß freien Zutritt zum Kapitalmarkt, wo sie beliebige Wertpapiere ohne Transaktionskosten handeln können.[46] Folglich basieren eine Reihe von möglichen Lösungsansätzen des Equity Premium Puzzles auf einer Abschwächung dieser starken Annahmen.
3.2.1 Idiosynkratische Risiken
Neben Konsumschwankungen, die sich durch volatile Renditen an den Finanzmärkten ergeben, sehen sich Haushalte zusätzlich idiosynkratischen Risiken ausgesetzt. Darunter versteht man unsystematische individuelle Risiken, wie z. B. die persönliche Gefahr, von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein.[47] CONSTANTINIDES/DUFFIE entwickeln ein Modell einer Volkswirtschaft mit heterogenen Marktteilnehmern, welches das Equity Premium Puzzle erklären soll.[48] Einkommensrisiken haben demnach einen signifikanten Effekt, falls sie drei Eigenschaften aufweisen. Erstens dürfen sie nicht versicherbar sein. In einer Volkswirtschaft mit vollkommenen Märkten können sich Konsumenten gegen Schwankungen in ihrem Einkommen versichern und damit ihren Konsum glätten. Das sich daraus ergebende Gleichgewicht entspricht in diesem Fall dem Resultat bei homogenen Haushalten.[49] Tatsächlich jedoch sind Versicherungsmärkte aufgrund a- symmetrischer Informationsverteilung in der Regel unvollkommen.[50] Eine zweite Vor- aussetzung ist, dass die Einkommensschocks dauerhaft wirken und somit nachhaltige Auswirkungen auf das Konsumniveau ausüben.[51] Im Fall lediglich vorübergehender Schocks könnten sich die Konsumenten eigenständig absichern, indem sie bei positiven Einkommenseffekten zusätzliche Ersparnisse aufbauen bzw. Einkommenseinbußen durch temporäre Kreditaufnahme ausgleichen. Diese Art der Selbstversicherung würde wiederum zu einem ähnlichen Gleichgewicht wie im Fall vollkommener Märkte füh- ren.[52] Die dritte und letzte Bedingung erfordert, dass sich die Einkommensrisiken anti- zyklisch verhalten, d. h. dass die Varianz ihrer Verteilung in Abschwungphasen einen höheren Wert aufweist.[53] Dies impliziert, dass sich bei sinkenden Aktienrenditen die Wahrscheinlichkeit negativer Einkommensrisiken (z. B. durch Arbeitsplatzverlust) er- höht. Folglich übersteigt das individuelle Konsumrisiko die Schwankungen des Pro- Kopf-Konsumwachstums, wodurch eine höhere Risikoprämie gerechtfertigt wird. [54]
[...]
[1] Vgl. z. B. DAMODARAN, A. (2009).
[2] Vgl. CORNELL, B. (1999), S. 18.
[3] Vgl. CORNELL, B. (1999), S. 27-29.
[4] Vgl. MEHRA, R./PRESCOTT, E. C. (1985), S. 145-161.
[5] MEHRA, R./PRESCOTT, E. C. (1985), S. 158.
[6] WELCH, I. (2000), S. 501.
[7] Vgl. SPREMANN, K. (2004), S. 121.
[8] Vgl. REESE, R. (2007), S. 5.
[9] Zu verschiedenen Alternativen für den Basiszinssatz vgl. z. B. BALLWIESER, W. (2007), S 83-89; GEBHARDT, G./DASKE, H. (2004), S. 2-9; REESE, R. (2007), S. 5-29.
[10] Vgl. CORNELL, B. (1999), S. 19.
[11] Vgl. DAMODARAN, A. (2008), S. 3 f.
[12] Vgl. MEHRA, R./PRESCOTT, E. C. (1985), S. 153-158.
[13] Vgl. BREALEY, R. A./MYERS, S. C./ALLEN, F. (2008), S. 223.
[14] Vgl. COCHRANE, J. (2008), S. 242; KOCHERLAKOTA, N. R. (1996), S. 43.
[15] Vgl. LUCAS, R. E. (1978), S. 1430.
[16] Vgl. MEHRA, R./PRESCOTT, E. C. (1985), S. 150.
[17] Vgl. COCHRANE, J. H. (2005), S. 5.
[18] Vgl. COCHRANE, J. (2008), S. 6-8; MEHRA, R. (2003), S. 57.
[19] Für eine ausführliche Herleitung vgl. COCHRANE, J. (2005), S. 13 f.
[20] Vgl. DANTHINE, J.-P./DONALDSON, J. B. (2005), S. 171.
[21] Vgl. RUDOLF, M. (2007), S. 880.
[22] Vgl. COCHRANE, J. (2005), S. 20 f.; CORNELL, B. (1999), S. 140. Erwähnenswert ist zudem, dass der linke Quotient dieses Ausdrucks der Sharpe Ratio, einem Performancemaß für die Überrendite pro Einheit übernommenen Risikos, entspricht, vgl. hierzu auch SHARPE, W. F. (1966), S. 119-138.
[23] Vgl. CAMPBELL, J. Y. (2003), S. 810 ff.
[24] Vgl. z. B. BANSAL, R./YARON, A. (2004), S. 1492; BRAV, A./CONSTANTINIDES, G. M./ GECZY, C. C. (2002), S. 796; FRIEND, I./BLUME, M. E. (1975), S. 906-920.
[25] Vgl. MEHRA, R./PRESCOTT, E. C. (1985), S. 156.
[26] Vgl. KOCHERLAKOTA, N. R. (1996), S. 43.
[27] Für eine Übersicht der wichtigsten Konzepte und Theorien der Behavioral Finance vgl. PERRIDON, L./STEINER, M. (2007), S. 284-297.
[28] Vgl. Gleichung (2.1), S. 4.
[29] Vgl. DONALDSON, J. B./MEHRA, R. (2008), S. 44 f.
[30] Vgl. MEHRA, R./PRESCOTT, E. C. (2008), S. 16.
[31] Vgl. KREPS, D. M./PORTEUS, E. L. (1978), S. 185-200.
[32] Vgl. GOLLIER, C. (2001), S. 298.
[33] Vgl. GOLLIER, C. (2001), S. 298 f.
[34] Vgl. EPSTEIN, L. G./ZIN, S. E. (1991), S. 266. Darstellung angelehnt an KOCHERLAKOTA, N. R. (1996), S. 53.
[35] Vgl. WEIL, P. (1989), S. 408-415.
[36] Vgl. z. B. CAMPBELL, J. Y. (2003), S. 831 f.; DONALDSON, J. B./MEHRA, R. (2008), S. 49.
[37] Vgl. MEHRA, R./PRESCOTT, E. C. (2003), S. 912.
[38] Vgl. KOCHERLAKOTA, N. R. (1996), S. 56.
[39] Hierbei handelt es sich um eine vereinfachte Form angelehnt an DANTHINE, J.-P./DONALDSON, J. B. (2005), S. 171 f. Für eine zeitstetige Variante vgl. CONSTANTINIDES, G. M. (1990), S. 521-529.
[40] Vgl. MEHRA, R./PRESCOTT, E. C. (2003), S. 913. Zum Arrow-Pratt-Maß vgl. ARROW, K. J. (1970), S. 90-120; PRATT, J. (1964), S. 122-136.
[41] Vgl. CONSTANTINIDES, G. M. (1990), S. 529-532 und (2008), S. 340 f.
[42] Vgl. ABEL, A. B. (1990), S. 38.
[43] Vgl. ABEL, A. B. (1990), S. 40 f.
[44] Vgl. CAMPBELL, J. Y./COCHRANE, J. H. (1999), S. 212-216.
[45] Vgl. CAMPBELL, J. Y./COCHRANE, J. H. (1999), S. 243-245.
[46] Vgl. AIYAGARI, S. R. (1993), S. 18-21; CONSTANTINIDES, G. M. (2008), S. 350; MEHRA, R./PRESCOTT, E. C. (2003), S. 916.
[47] Vgl. COCHRANE, J. H. (2008), S. 302.
[48] Vgl. CONSTANTINIDES, G. M./DUFFIE, D. (1996), S. 219-240.
[49] Vgl. CONSTANTINIDES, G. M./DUFFIE, D. (1996), S. 220.
[50] Zur Problematik adverser Selektion und Moral Hazards auf Versicherungsmärkten vgl. u. a. ROTH- SCHILD, M./STIGLITZ, J. E. (1976), S. 629-649; SPENCE, M. (1978), S. 427-447.
[51] Vgl. CONSTANTINIDES, G. M./DUFFIE, D. (1996), S. 231.
[52] Vgl. HEATON, J./LUCAS, D. J. (1996), S. 458 f.
[53] Vgl. CONSTANTINIDES, G. M./DUFFIE, D. (1996), S. 229 ff.
[54] Vgl. MEHRA, R./PRESCOTT, E. C. (2003), S. 917.