Leseprobe
In der Geschichtswissenschaft hat es immer wieder Entwicklungsschübe gegeben, die das Fach revolutioniert haben. Dabei wurden neue Perspektiven erschlossen, altbekannte Begriffe mit neuen Inhalten diskutiert und vor allem neue Methoden und Themen vorgeschlagen. Als einer der größten, aber auch kontrovers diskutierten Innovatoren der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiet der Geistes- und Sozialwissenschaften gilt der französische „Allround-Denker“ Michel Foucault. „Es ist die Geschichte der Wahrheitsproduktion , die im Zentrum des Foucaultschen Denkens steht“, bringt es Hannelore Bublitz in einem Sammelband mit dem Titel „Geschichte schreiben mit Foucault“ auf den Punkt.[1] Und treffender könnte man auch eine Einleitung zu Edward Saids viel beachtetem und von der Kritik sehr unterschiedlich aufgenommenem Buch Orientalism nicht formulieren, in dem dieser den Orientalismus nicht nur als einen vom Okzident über den Orient entwickelten Diskurs beschreibt sondern soweit geht, zu behaupten, der „Orient“ sei eine nahezu europäische Erfindung.[2]
Der verstorbene Literaturwissenschaftler beruft sich in seinem Werk darauf, mit den von Michel Foucault entwickelten Methoden gearbeitet zu haben. Dazu zählen die Instrumente „Archiv“, „Archäologie“, „Genealogie“ und „Diskurs“, wobei letzterer die zentrale Rolle in Saids Analysen einnimmt[3] und der Autor sogar sagt:
„My contention is that without examining Orientalism as a discourse one cannot possibly understand the enormously systematic discipline by which EU-culture was able to manage – and even – produce the Orient political, sociologically, militarily, scientificaly., imaginatively […]”.[4]
Der in erster Line von französischen und britischen Orientalisten ausgehende und von ihnen beherrschte Diskurs über die islamisch-arabische Welt kann, in Anlehnung an Michel Foucault, als ein Netzwerk von Texten, Dokumenten, Praktiken und Disziplinen beschrieben werden, in dem Wissen produziert und der Rahmen möglicher Äußerungen bestimmt wird.[5] Orientalismus kann zudem verstanden werden als ein Denkstil, basierend auf einer ontologischen bzw. epistemologischen Unterscheidung zwischen dem „Orient“ und dem „Okzident“.[6] Das dabei in den Texten und durch die Praktiken produzierte Wissen ist in keinster Weise objektiv, sondern erschafft eine Realität, die sie vorgeblich nur darstellt und ist des Weiteren eng mit dem Begriff der Macht verbunden.[7] Um es auf den Punkt zu bringen, der „Orient“ ist nach Ansicht von Said kein Fakt, sondern ein mystisches Konstrukt, erzeugt und gefestigt durch ganze Generationen von Künstlern, Politikern und Orientalisten aus dem Okzident, wobei sich innerhalb des westlichen Diskurses über den Orientalismus niemand seinen Vorstellungen entziehen kann.[8]
Das Fundament des Orientalismus gründet sich dabei auf ungleichen Machtverhältnissen auf den Ebenen der Politik Bildung, Kultur und Moral und bestätigt konstant westliche Überlegenheit. Er dient zudem, nach Ansicht Saids, auch als Filter für westliche Vorstellungen vom „Orient“ und als ein Vorrat an Theorie und Praxis für den Umgang mit dem „Orient“, wobei dieser zusätzlich abwertend dargestellt wird.[9]
Allein anhand dieser komprimierten Darstellung von Saids Werk wird deutlich, dass man dabei nicht ohne einen Rückbezug auf Foucault auskommt. Doch schreibt Edward Said wirklich Geschichte konsequent nach den Vorstellungen Michel Foucaults oder dient ihm dieser vielleicht nicht eher als kongenialer Stichwortgeber? Festhalten lässt sich zunächst, dass Said grundsätzlich mit Foucaults Konzept der Diskursanalyse arbeitet, das Philipp Sarasin zusammenfassend als ein Bemühen versteht, „die formellen Bedingungen zu untersuchen, die die Produktion von Sinn steuern“[10]. Foucault selber war vor allem interessiert an der Art und Weise wie sich eine bestimmte kulturelle Ordnung durch diskursive Definitionen wie gesund/geisteskrank, legal/illegal, normal/pervers konstituiert.[11] Edward Said hat nun Foucaults Analysen ausgeweitet, in dem er untersucht wie eine kulturelle Ordnung von außen definiert wird. So nehmen im kolonialen Kontext Definitionen und Darstellungen des „Orients“ die gleiche konstitutive Rolle ein wie in den Foucaultschen Arbeiten.[12] Da der Westen der Urheber dieses eigenartigen Konzepts ohne real existierendes Referenzobjektes ist, sagt es letztlich mehr über die Welt aus, in der es konstruiert wurde, als über die Welt, die es konstruiert:
„[…] that Orientalism makes sense at all depends more on the West than on the Orient, and this sense is directly indebted to various Western techniques of representation that make the Orient visible, clear, “there” in discourse about it. And these representations rely upon institutions, traditions, conventions, agreed-upon codes of understanding for their effects, not upon a distant and amorphous Orient.”[13]
[...]
[1] Vgl. Bublitz, Hannelore (2002): "Geheime Rasereien und Fieberstürme". Diskurstheoretisch-genealogische Betrachtungen zur Historie. In: Martschukat, Jürgen (Hg.): Geschichte schreiben mit Foucault. Frankfurt/Main, S. 29–41, S. 29
[2] Vgl. Said, Edward W. (2003): Orientalism. London, S. 1
[3] Vgl. Chuaqui, Rubén (2005): Notes on Edward Said's View of Michel Foucault. In: Alif: Journal of Comparative Poetics, H. 25, S. 89–119, S. 98.
[4] Said 2003, S. 3.
[5] Vgl. Hauser, Stefan (2001): Orientalismus. In: Cancik, Hubert: Der neue Pauly. : Enzyklopädie der Antike. Herausgegeben von Manfred Landfester. Stuttgart, Weimar, Sp. 1233–1243, Sp. 1235.
[6] Vgl. James Clifford, Review on Orientalism, in: History and Theory 19 (1980), S. 204–223, H. 2, S. 208.
[7] Vgl. Chuaqui 2005, S. 102.
[8] Vgl. Stefan Hauser 2001, Sp. 1234.
[9] Vgl. Stefan Hauser 2001, Sp. 1235.
[10] Sarasin, Philipp (2003): Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. Frankfurt am Main, S. 33.
[11] Vgl. Clifford, 1980, S. 213.
[12] Vgl. Ebenda.
[13] Said 2003, S. 22.