On the Road to European Economic Governance

Die europäische Schuldenkrise im Spiegel der funktionalistischen Integrationstheorien


Hausarbeit, 2011

22 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Die europäische Schuldenkrise Eine strukturelle Krise?

2. Form Follows Function Zur funktionalistischen Theoriebildung

3. Shift towards Supranationalism Die Schuldenkrise als Katalysator für die Vertiefung der Integration

4. Intergovernmental Bargain or Spillover? Das Überschwappen der Integration auf cJie Haushaltspolitik

1. Die europäische Schuldenkrise Eine strukturelle Krise?

„Der Europäische Wirtschaftsund Währungsraum droht auseinanderzubrechen“. So lauten derzeit die weltweiten Schlagzeilen, wenn es darum geht die aktuell krisenhafte Lage der Europäischen Wirtschaftsund Währungsunion (WWU) zu beschreiben, die ihre Gründung 1992 in den Verträgen von Maastricht fand. Dabei fällt es schwer, die „EuroKrise“, so eine weitläufige Bezeichnung, zeitlich einzugrenzen. Gemeinhin wird der Terminus mit einer Reihe von Krisenereignissen in Verbindung gebracht, die mit der internationalen Finanzkrise 2007 und den darauf folgenden staatlichen Interventionen zur Stabilisierung des globalen Finanzund Wirtschaftssystems ihren Anfang nahmen. Im Angesicht des Kollapses sogenannter „systemrelevanter“ Banken sahen sich die europäischen Staaten genötigt, milliardenfach finanzielle Risiken der Banken mit Steuergeldern abzusichern. Gleichzeitig folgte der Finanzkrise eine weltweite Wirtschaftskrise. Die Staaten reagierten mit in ihrem Umfang beispiellosen Konjunkturpaketen, um ihre Volkswirtschaften mit Kapital und Nachfrage zu versorgen und den Schock der Finanzkrise abzufedern. Die Folge war, dass sich die Weltwirtschaft langsam stabilisierte, jedoch zu dem Preis, dass die Haushaltslage einiger europäischer Staaten bald höchst problematisch wurde. Die eigentlichen Probleme des europäischen Währungsraums begannen mit dem Bekanntwerden des griechischen Haushaltsdefizits von 2009, das der neue griechische Finanzminister Giorgos Papakonstantinou am 20. Oktober bekanntgab und bei 13% des Bruttoinlandprodukts lag. Die Vorgängerregierung hatte bis dahin ein Defizit von lediglich 6% angegeben. (vgl. Der Spiegel 2009) Der komplette Schuldenstand Griechenlands belief sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf 127% des Bruttoinlandsprodukts und wuchs daraufhin innerhalb eines Jahres auf über 140% (Stand Ende 2010, Quelle: Eurostat). Auf die Bekanntgabe des Staatsdefizites folgte alsdann die Abwertung griechischer Staatspapiere durch die großen amerikanischen Ratingagenturen, woraufhin die Zinsen auf die Staatsanleihen sprunghaft anstiegen. Griechenland drohte , seine Schulden nicht mehr am Kapitalmarkt finanzieren zu können und richtete einen Hilferuf an die europäischen Partner und den IWF. In dieser Situation trafen sich die Staatsund Regierungschefs der EuroStaaten am 7. Mai 2010 zu einer Sondersitzung in Brüssel und beschlossen unter großem Zeitdruck die Einrichtung eines provisorischen „Europäischen FinanzStabilisierungsmechanismus“ (EFSM), der mit finanziellen Garantien im Umfang von 750 Milliarden Euro ausgestattet wurde und im Falle einer drohenden Zahlungsunfähigkeit Griechenland und anderen in Not geratenen EULändern zu Hilfe kommen sollte. Seitdem haben die europäischen Staaten ein immer komplexeres System zur Kontrolle und Aufsicht der Finanzmärkte und der Haushaltspolitiken angeschlagener Staaten entwickelt. Diese Vielzahl an Umstrukturierungen wurde dabei nötig, weil schnell klar wurde, dass das dauerhafte Vertrauen der Finanzmärkte in die Stabilität und den Zusammenhalt der Euroländer durch begrenzte Maßnahmen nicht zu erreichen war. Dabei drohte offenbar als Alternative zu den Rettungsmaßnahmen nicht weniger als ein „Auseinanderbrechen der Währungsunion“, das die Europäische Union wohl um „Jahrzehnte zurückgeworfen hätte“ (Der Spiegel 2011). Ein Staatsbankrott Griechenlands wäre wahrscheinlich auf weitere schwächelnde EU-Staaten wie Irland, Spanien, Portugal und vielleicht sogar Italien übergeschwappt, da die Kreditwürdigkeit dieser Ländergruppe (sog. PIIGSStaaten) inzwischen von dem Vertrauen der Finanzmärkte darin abhing, dass die EUPartner notfalls für deren Verbindlichkeiten mithaften.

In dem Versuch, eine Erklärung für die Krise abzugeben, wird in der öffentlichen Diskussion oft auf die mangelnde Haushaltsdisziplin der südlichen Euroländer verwiesen, wenn nicht wie im Falle Griechenlands auf die ohnehin verschwenderische Mentalität. Mit Anhalten der Krise und ihrer Ausbreitung auf andere Länder der EU wurde jedoch deutlich, dass dieser Erklärungsansatz wahrscheinlich zu kurz greift. So mag es beispielsweise verwundern, dass eben Spanien und Irland, die nun finanziell wanken, stets die Konvergenzkriterien der Währungsunion erfüllt haben. Dagegen stehen Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland, die die Stabilitätskriterien jahrelang aufzuweichen wusste, nun als Stabilitätsländer da. (vgl. Enderlein 2010: 7) Daneben kam es, infolge der weltweiten Finanzkrise, in keinem anderen Teil der Welt in einer solchen Vielzahl von Ländern zu Zahlungsproblemen. Es liegt also nahe, die eigentlichen Gründe für die europäische Staatsschuldenkrise auf der strukturellen Ebene der Währungsgemeinschaft zu suchen. Tatsächlich lässt sich feststellen, dass Ökonomen bereits bei der Einführung des Euro auf Konstruktionsfehler hingewiesen haben. Unter anderem ließ sich der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman mit den Worten zitieren, „der Euro werde seine erste große Krise nicht überstehen“ (zit. nach: Der Spiegel .2011, vgl. auch Enderlein 2010: 7). Der Kern der Kritik lag von Anfang an in der Annahme, dass einer Währungsunion notwendigerweise ein einheitlicher Wirtschaftsraum vorausgehen müsse. Die EU dagegen bestehe weiterhin aus einer Vielzahl von Wirtschaftsräumen, mit divergierenden Wirtschaftszyklen, weitgehend getrennten Arbeitsmärkten und unterschiedlicher Wettbewerbsfähigkeit. Mit der aktuellen Krise scheinen sich die anfänglichen EuroKritiker in ihren Vorhersagen bestätigt zu sehen. In dieser Perspektive erscheint die Krise des EuroRaums also als strukturelle Krise der Währungsunion. Konkret lässt sich aus dieser Erklärung wiederum die Forderung nach einer Verlagerung wirtschaftspolitischer Kompetenzen auf die supranationale Ebene der EU zum Zwecke der Vereinheitlichung des europäischen Wirtschaftsraumes ableiten. Es stellt sich nun die Frage, ob die bisherigen Schritte zur Bekämpfung der Krise der Europäischen Währungsgemeinschaft bereits zu einer Vertiefung der Integration der Währungsund Wirtschaftspolitik der EU geführt haben und wie es zu diesen Schritten kam. Diese Frage soll im Rahmen dieses Aufsatzes beantwortet werden. Die vorläufige Antwort aufdiese Fragen stellt gleichzeitig des Aufsatzes dar:

Die Konstruktion der Währungsund Wirtschaftsunion im Vertrag von Maastricht löste eine Eigendynamik aus, die, verstärkt durch die aktuelle Krise, zu einer Vertiefung der Integration in der Wirtschaftspolitik geführt hat.

2. Form Follows Function Zurfunktionalistischen Theoriebildung

Um die vorangestellte These testen zu können, muss zunächst ein theoretischer Rahmen zur Verfügung gestellt werden. Er sollte dabei behilflich sein, die politischen Prozesse zu erklären, die eine solche Integration befördern oder erst ermöglichen. Außerdem sollte der Begriff der Integration definiert werden.

Die Evolution der politikwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der europäischen Integration entwickelte sich praktisch in Symbiose zu der tatsächlichen Entwicklung der Europäischen Union. Die vormals im Forschungsbereich der „Internationalen Beziehungen“ angesiedelten und anschließend an die speziellen Gegebenheiten in Europa angepassten Theorien werden gemeinhin zusammengefasst unter dem Begriff der „Integrationstheorien“. Die „klassische“ Theorie in diesem Zusammenhang, die vor allem in der Entstehungsphase in den 1940er und 50er Jahren weite Verbreitung fand, war der „Funktionalismus“. Zentraler Theoretiker war der Brite David Mitrany. Ausgehend von den Erfahrungen der Zwischenkriegszeit der beiden Weltkriege, in der es mit der Einrichtung der Vereinten Nationen nicht gelungen war, eine dauerhafte Friedensordnung zu etablieren, entwickelte Mitrany eine Theorie, nach der „friedensstiftende internationale Kooperation“ nur Erfolg haben könne, wenn sie „von unten“ entsteht „aus der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf Sachgebieten“ (Conzelmann 2010: 158). Ziel der Kooperation war dabei die schrittweise „Schwächung und schließlich Überwindung der nationalen Grenzen“ (ebd.). Hierzu sollte die Kooperation möglichst dem populären Credo des „form follows function“ (vgl. ebd.) folgen, also der Ausrichtung der Kooperation streng nach sachlichen Notwendigkeiten verbunden mit der Steuerung der Kooperation durch Experten und nicht etwa durch Politiker. Hierin lässt sich eine wichtige Charakteristik der funktionalistischen Theorie nach Mitrany erkennen. Sie war keine rein sachliche Theorie mit empirisch überprüfbaren Kernaussagen, sondern zu großen Teilen verbunden mit einer ideologischen Position, die friedenspolitische Handlungsempfehlungen anbieten wollte. Es schien also vonnöten die Theoriekonzeption schrittweise von seinen ideologischen Bestandteilen zu befreien und die „breit ausgefächerte“ (Conzelmann 2010: 160) funktionalistische Diskussion in ein „theoretisch stringentes“ (ebd.) Konzept zu überführen. In dieser Hinsicht kommen die größten Verdienste dem US-amerikanischen Politikwissenschaftler Ernst B. Haas zu, der in den 1960er Jahren als der entscheidende Theoretiker des Neofunktionalismus auftrat. Im entfernten Sinne sind zwar auch die Arbeiten von Haas von einem „friedenspolitischem Interesse geprägt“ (Conzelmann 2010: 163), jedoch versteht er es, die Aussagen des Funktionalismus „näher an die sozialwissenschaftliche Theoriebildung heranzuführen“ (ebd.), indem er sie an einer klar formulierten Fragestellung ausrichtete: Warum und wie kommt es dazu, dass Staaten einen Teil ihrer Souveränität zugunsten internationaler Kooperation an supranationale Institutionen aufgeben? Im Zentrum seiner Erklärung steht anschließend die Vorstellung einer „expansiven Logik“ der Integration (Haas 1968: 283-317). Die Kooperation in einzelnen Sachgebieten soll selbstverstärkende Mechanismen auslösen, die dazu führen, dass die Zusammenarbeit früher oder später auch auf andere Politikbereiche ausgedehnt wird. Diese als „Spillover“ (vgl. Haas 1961: 368) bezeichneten Mechanismen wurden von späteren Vertretern des Neofunktionalismus im Hinblick auf verschiedene Argumentationspfade Haas als funktional, politisch bzw. institutionell klassifiziert (vgl. Schmitter 1969). Der funktionale Spillover entsteht, wenn Kooperation in einem Politikbereich spätere Kooperation in einem anderem, benachbarten, Politikbereich notwendig macht, auch wenn dies ursprünglich politisch nicht beabsichtigt war. Ein Beispiel wäre, dass, infolge der Öffnung der Grenzen, der zwischenstaatliche Verkehr derart zunimmt, dass dadurch Koordinationsbedarf in der Verkehrspolitik entsteht. Der politische Spillover basiert auf der Verschiebung der „Loyalitäten, Erwartungen und politischen Aktivitäten“ (Haas 1961: 367) gesellschaftlicher Akteure von der nationalen auf eine übergeordnete Ebene, „in dem Maße, in dem Integration ihnen Hilft, ihre Ziele besser als in einem nationalen Rahmen zu verwirklichen“ (Rittberger/ Schimmelpfennig 2005: 36). In der Folge würden diese Akteure schließlich „wirksamen Druck [...] zugunsten fortschreitender Integration“ (ebd.) auf ihre jeweils eigene Regierung ausüben. Der dritte Mechanismus der institutionelle Spillover widmet sich schließlich der Rolle der supranationalen Institutionen im Integrationsprozess. Insbesondere die 1958 gegründete Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft trug für Haas durch ihre Funktion als „Mediator“ (Haas 1961: 367) in den Verhandlungen zwischen den Mitgliedsstaaten zum Fortschreiten der Integration bei, indem sie ihren, aus der Vorbereitung der Verhandlungen gewonnenen, Informationsvorsprung zur Begünstigung supranationaler Lösungen nutzte (Vgl. Rittberger/ Schimmelpfennig 2005: 35f). An seinen Überlegungen zur Rolle der supranationalen Institutionen, die gerade erst aus der Taufe gehoben worden waren, wird wiederum deutlich, wie sehr die (neo-) funktionalistische Theoriebildung immer noch mit der tatsächlichen Entwicklung der Europäischen Union verknüpft war. Die wissenschaftliche Kritik am Neofunktionalismus entzündete sich schließlich nicht zuletzt daran, dass es ihren Vertretern nie gelungen war, ihrem Anspruch gerecht zu werden, von den geschichtlichen Besonderheiten der europäischen Integration losgelöste und auf andere Weltregionen übertragbare Voraussagen machen zu können (Vgl. Conzelmann 2010: 172). Die Bedeutung des Neofunktionalismus musste schließlich davon abhängen, wie lange und wie gut sich dessen Aussagen mit der realen Entwicklung deckten. Der überwiegend positiven Einschätzung der Wahrscheinlichkeit fortschreitender politischer Integration und der Annahme, wonach „political leaders as constraints“ (Jensen 2007: 93) eine eingeschränkte Rolle spielen, stand sodann Mitte der 1960er Jahre die französische „Politik des leeren Stuhls“ (vgl. ebd.) gegenüber. Entsprechend folgte, dass das wissenschaftliche Interesse am Neofunktionalismus versiegte, auch wenn verschiedene Versuche unternommen wurden, die Theorie an die veränderten Umstände anzupassen und weiterzuentwickeln.

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
On the Road to European Economic Governance
Untertitel
Die europäische Schuldenkrise im Spiegel der funktionalistischen Integrationstheorien
Hochschule
Technische Universität Kaiserslautern  (Fachbereich Politikwissenschaft (Internationale Politik))
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
22
Katalognummer
V178887
ISBN (eBook)
9783656023616
ISBN (Buch)
9783656023869
Dateigröße
462 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Europäische Union, Schuldenkrise, Eurokrise, Euro, Krise, Funktionalismus, Neofunktionalismus, Supranationalismus, Rettungsschirm, European financial stability facility, efsf, ernst b. haas, griechenland, staatsschuldenkrise, schulden, staatsschulden, stone sweet, sandholtz, wirtschaftsregierung, integration, währungsunion, wwu, wirtschafts- und währungsunion, europäischer stabilitätsmechanismus, europäischer stabilisierungsmechanismus, stabilitäspakt, wachstumspakt, stabilitäts- und wachstumspakt
Arbeit zitieren
Marcel Richter (Autor:in), 2011, On the Road to European Economic Governance, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/178887

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