Diese Arbeit geht am Beispiel der Sudetendeutschen Landsmannschaft bzw. ihrer Verbandszeitung, der „Sudetendeutschen Zeitung“ der Frage nach, wie und warum Menschen die Wahrheit suchen und stattdessen ihre eigene Wirklichkeit finden.
Im Mittelpunkt steht dabei die Theorie des „kulturellen Gedächtnisses“: Sie zeigt auf, dass sich Kollektive wie etwa Familien, Stämme, Ethnien oder Nationen ihre eigene Version der Vergangenheit konstruieren und dabei Gegenmeinungen außer Acht lassen oder sogar angreifen. Ihren Niederschlag finden die Vergangenheitsvorstellungen vor allem auch in den Medien dieser Kollektive. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es deshalb, die Konstruktion eines kulturellen Gedächtnisses in einem Medium empirisch mit der Methode der Inhaltsanalyse nachzuvollziehen. Als Beispiel dient die Verbandszeitung „Sudetendeutsche Zeitung“ der Sudetendeutschen Landsmannschaft, die als Vertriebenenorganisation die Interessen der nach dem Zweiten Weltkrieg aus der damaligen Tschechoslowakei geflüchteten bzw. vertriebenen Deutschen vertritt.
Der umfassende Theorieteil gibt Einblicke in die Prinzipien von individuellem und kulturellem Gedächtnis. Des weiteren wird der Stand der Geschichtsforschung zur Historie der deutschen Minderheit auf dem Gebiet der ehemaligen Tschechoslowakei von den ersten Siedlungen bis zur Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg zusammengefasst. Der darauffolgende Abschnitt setzt nach Ankunft der Vertriebenen in Deutschland ein. Nun werden die historischen
Ereignisse aber bereits mit der Ausbildung und dem Wandel von Erinnerungskulturen in der tschechoslowakischen bzw. der deutschen Gesellschaft verknüpft. Die Erläuterungen dienen als Beispiele für die vorausgehenden Einheiten zum kulturellen Gedächtnis, setzen dabei aber auch gleichzeitig den Rahmen für die genauere Betrachtung des kulturellen Gedächtnisses der Sudetendeutschen Landsmannschaft, die mit ihren Vergangenheitsvorstellungen zum Großteil im Widerstreit zu tschechoslowakischen/tschechischen bzw. gesamtdeutschen Positionen steht. Das letzte theoretische Kapitel stellt schließlich die Sudetendeutsche Landsmannschaft bzw. die Sudetendeutsche Zeitung genauer vor und geht dabei u. a. auf Geschichte, Organisation und Ziele ein.
Als Ergebnis der Ausführungen stehen schließlich eine Reihe von Hypothesen zur Konstruktion eines kulturellen Gedächtnisses in der Sudetendeutschen Zeitung, die in der folgenden Inhaltsanalyse untersucht werden.
Inhaltsverzeichnis
- Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
- 1 Forschungsfrage und Herangehensweise
- 2 Konstruktion der Wirklichkeit
- 2.1 Konstruktivismus
- 2.2 Das individuelle Gedächtnis
- 2.2.1 Wahmehmung und Speicherung von Informationen
- 2.2.2 Erinnerung
- 2.2.3 Vergessen
- 2.2.4 Der Einfluss der Emotionen
- 2.2.5 Fazit
- 2.3 Das kulturelle Gedächtnis
- 2.3.1 Forschungsgeschichtlicher Hintergrund
- 2.3.2 Begriff
- 2.3.3 Einführung
- 2.3.4 Topoi des kulturellen Gedächtnisses
- 2.3.5 Soziale Funktionen
- 2.3.6 Erinnerungspolitik
- 2.3.7 Kulturelles Gedächtnis in den Medien
- 2.3.8 Kulturelles Gedächtnis und Geschichtswissenschaft
- 3 Geschichte der deutschen Minderheit in Böhmen, Mähren und Österreich-Schlesien
- 3.1 Deutsche Besiedelung und Herrschaft der Habsburger
- 3.2 Erstarken des Nationalgedankens
- 3.3 Neuordnung nach 1918
- 3.4 Volkstumsbewegung
- 3.5 Die „Sudetenkrise"
- 3.6 Protektorat Böhmen und Mähren
- 3.7 Zwangsumsiedlung, Flucht, Vertreibung
- 3.8 BeneS-Dekrete
- 3.9 Fazit
- 4 Erinnerungskulturen der Vertreibung
- 4.1.1 Die deutsche Erinnerungskultur der Vertreibung
- 4.1.1.1 1945-1957: Vergangenheitspolitik
- 4.1.1.2 1958-1984: Kritik der Vergangenheitsbewältigung
- 4.1.1.3 Ab 1985: Erinnerung
- 4.1.2 Die tschechoslowakische Erinnerungskultur der Vertreibung
- 4.1.2.1 1945-1989
- 4.1.2.2 Ab 1989
- 4.1.3 Fazit
- 5 Die „Sudetendeutsche Landsmannschaft"
- 5.1 Konstruktion einer Volksgruppe
- 5.2 Organisation und Aktivitäten
- 5.3 Ziele
- 5.4 Die „Sudetendeutsche Zeitung"
- 5.5 Rechtsradikale Einflüsse
- 5.6 Die SL als Repräsentation der „Volksgruppe" ?
- 5.7 Fazit
- 6 Empirische Untersuchung der Sudetendeutschen Zeitung
- 6.1 Hypothesen
- 6.2 Konzeption der Inhaltsanalyse
- 6.2.1 Stichprobe
- 6.2.2 Vorgehen
- 6.2.2.1 Codierung auf Artikelebene
- 6.2.2.1.1 Formale Kategorien
- 6.2.2.1.2 Inhaltliche Kategorien — Anlässe zur kulturellen Erinnerung
- 6.2.2.2 Codierung auf Aussagenebene
- 6.2.2.2.1 Inhaltliche Kategorien — Topoi des kulturellen Gedächtnisses
- 6.2.2.2.2 Bewertende Kategorien— Umgang mit der Vergangenheit
- 6.3 Ergebnisse
- 6.3.1 Anlässe zur kulturellen Erinnerung
- 6.3.1.1 Anlässe und Themen
- 6.3.1.2 Beteiligung von Politikern
- 6.3.1.3 Vorkommen codierter Aussagen
- 6.3.1.4 Zwischenfazit
- 6.3.2 Topoi des kulturellen Gedächtnisses
- 6.3.2.1 Graphische Auswertung
- 6.3.2.2 Analyse
- 6.3.2.2.1 Sudetendeutsche
- 6.3.2.2.2 Deutsche Gesellschaft
- 6.3.2.2.3 Andere Akteure
- 6.3.2.2.4 Zwischenfazit
- 6.3.3 Umgang mit der Vergangenheit
- 6.3.3.1 Graphische Auswertung
- 6.3.3.2 Analyse
- 6.3.3.2.1 Sudetendeutsche
- 6.3.3.2.2 Sonstige deutsche Flüchtlinge/ Vertriebene des 2. Weltkrieges
- 6.3.3.2.3 Tschechische Gesellschaft
- 6.3.3.2.4 Sonstige Herkunftsgesellschaften deutscher Flüchtlinge/ Vertriebener des 2. Weltkrieges
- 6.3.3.2.5 Deutsche Gesellschaft
- 6.3.3.3 Zwischenfazit
- 6.4 Gesamtfazit der Inhaltsanalyse
- 7 Fazit
- 8 Quellen- und Literaturverzeichnis
- 9 Anhang
- Konstruktion des kulturellen Gedächtnisses in Medien
- Zusammenhänge zwischen individueller und kollektiver Wahrnehmung der Wirklichkeit
- Analyse der Erinnerungskulturen der Vertreibung in Deutschland und der Tschechoslowakei
- Die Rolle der Sudetendeutschen Landsmannschaft und ihrer Verbandszeitung
- Identitätsstiftende Narrationen und die Abwehr von abweichenden Meinungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Bachelorthesis befasst sich mit der medialen Konstruktion eines kulturellen Gedächtnisses. Sie untersucht, wie und warum Menschen die Wahrheit suchen und stattdessen ihre eigene Wirklichkeit finden. Die Arbeit konzentriert sich auf die Theorie des „kulturellen Gedächtnisses" und analysiert, wie ein Kollektiv seine Version der Vergangenheit konstruiert und dabei Gegenmeinungen außer Acht lässt oder sogar angreift. Als Beispiel dient die Verbandszeitung „Sudetendeutsche Zeitung" der Sudetendeutschen Landsmannschaft, die als Vertriebenenorganisation die Interessen der nach dem Zweiten Weltkrieg aus der damaligen Tschechoslowakei geflüchteten bzw. vertriebenen Deutschen vertritt.
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 1 stellt die Forschungsfrage und die Herangehensweise der Arbeit vor. Es werden die theoretischen Grundlagen des Konstruktivismus, des individuellen und des kulturellen Gedächtnisses erläutert. Kapitel 2 beleuchtet die Prinzipien von Wirklichkeits- und Vergangenheitskonstruktionen auf individueller und kollektiver Ebene. Es werden die Prozesse der Wahrnehmung, Speicherung, Erinnerung und des Vergessens sowie der Einfluss von Emotionen auf das Gedächtnis betrachtet.
Kapitel 3 beschreibt die Geschichte der deutschen Minderheit in Böhmen, Mähren und Österreich-Schlesien von den ersten Siedlungen bis zur Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg. Es werden die wichtigsten historischen Ereignisse, wie die deutsche Besiedelung, die Herrschaft der Habsburger, das Erstarken des Nationalgedankens, die Neuordnung nach 1918, die Volkstumsbewegung, die „Sudetenkrise", das Protektorat Böhmen und Mähren, die Zwangsumsiedlung, Flucht und Vertreibung sowie die BeneS-Dekrete beleuchtet.
Kapitel 4 analysiert die deutschen und tschechoslowakischen Erinnerungskulturen der Vertreibung. Es werden die verschiedenen Phasen der Erinnerungskulturen und die Veränderungen in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg dargestellt. Die Analyse zeigt, wie die Erinnerungskulturen die Konstruktion des kulturellen Gedächtnisses beeinflussen und die Folgen für die Vertriebenen aufzeigen.
Kapitel 5 stellt die „Sudetendeutsche Landsmannschaft" vor. Es werden die Konstruktion der „Volksgruppe" der Sudetendeutschen, die Organisation und Aktivitäten der Landsmannschaft, ihre Ziele und ihre Verbandszeitung „Sudetendeutsche Zeitung" sowie die rechtsradikalen Einflüsse auf die Landsmannschaft beleuchtet. Das Kapitel hinterfragt schließlich, inwiefern die SL tatsächlich die Interessen der „Volksgruppe" repräsentiert.
Kapitel 6 analysiert die Inhalte der „Sudetendeutschen Zeitung". Es werden die Hypothesen zur Konstruktion eines kulturellen Gedächtnisses in der Zeitung aufgestellt und anhand einer Inhaltsanalyse verifiziert oder falsifiziert. Die Analyse untersucht die Themen und Akteure in der Zeitung, die traditionellen Topoi des kulturellen Gedächtnisses sowie den Umgang der verschiedenen Akteure mit der Vergangenheit.
Kapitel 7 fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen. Es wird die Bedeutung des kulturellen Gedächtnisses für die Identität und den Zusammenhalt von Kollektiven hervorgehoben. Die Arbeit zeigt, dass ein kulturelles Gedächtnis zum Problem werden kann, wenn Denkschemata vom Hilfsmittel der relativen Einordnung von Informationen zum absoluten Wahrheitsanspruch werden.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen das kulturelle Gedächtnis, die Medien, die Sudetendeutschen, die Vertreibung, die Tschechoslowakei, die Erinnerungskulturen, die Sudetendeutsche Landsmannschaft, die Sudetendeutsche Zeitung, die Konstruktion der Wirklichkeit, die Identität, die Geschichte, die Politik und die Soziologie. Die Arbeit beleuchtet die mediale Konstruktion eines kulturellen Gedächtnisses am Beispiel der Sudetendeutschen Zeitung und untersucht die verschiedenen Aspekte der Erinnerungskulturen, die mit der Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei verbunden sind. Die Arbeit analysiert die Rolle der Sudetendeutschen Landsmannschaft und ihrer Verbandszeitung in der Konstruktion einer „Volksgruppe" und in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.
- Arbeit zitieren
- Damaris Stocklassa (Autor:in), 2011, Mediale Konstruktion eines kulturellen Gedächtnisses am Beispiel der Sudetendeutschen Zeitung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/178936