Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definitionsbestimmungen
Gewalt
Einfluss
Adoleszenz
Soziales Umfeld
Doing Gender
3. Entwicklung der Aggression unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten
4. Das Phänomen Gewalt bei Mädchen
4.1 Kirsten Bruhns und Svendy Wittmann: „ Mit Gewalt kannst du dir Respekt verschaffen“(Bruhns, Wittmann, 2002)
4.2 Mirja Silkenbeumer: Biografische Selbstentwürfe und Weiblichkeitskonzepte aggressiver Mädchen und junger Frauen( Silkenbeumer, 2007)
5. Gewaltprävention bei adoleszenten Mädchen
6. Fazit
7. Literaturverzeichnis
7.1 Internetquellen
1. Einleitung
Gibt man im Internet über bekannte Suchmaschinen das Stichwort: „Gewaltbereite Mädchen“ ein, wird man mit einer wahren Flut an Informationen überschütten. Da heißt es z.B. bei Focus Online:“ Mädchen schlagen öfter zu“ (www.focus.de/ schule/familie/erziehung), Zugriff: 06.07.2010) oder bei Spiegel Online:“Lidstrich und Leberprellung“ (www.spiegel.de/schulspiegel/leben), Zugriff: 06.07.2010)
Mit solch provokanten Schlagzeilen wird der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass unsere „lieben“ und „braven“ Mädchen auf alarmierende Art und Weise zusehends in „soziale Abgründe“ rutschen. Der Leser solcher Schlagzeilen wird sich mit einigen Fragen beschäftigen, vor allem nach dem warum und wieso junge Mädchen physische Gewalt anwenden. Vielleicht geraten sie auch nur momentan in den Focus der Öffentlichkeit, weil es vielleicht gerade für große Schlagzeilen sorgt. Oder gibt es sie schon immer, die Mädchen, die Yvonne Raub mit dem Schlagwort „Amazonismus“ versieht (Raub, Yvonne, Amazonismus, 2010).
In nachfolgender Arbeit soll sich mit folgender Frage auseinander gesetzt werden: „Welchen Einfluss übt das soziale Umfeld auf die Gewaltbereitschaft von adoleszenten Mädchen aus?“
Es wird davon ausgegangen, dass das Elternhaus grundlegende Meilensteine in der Sozialisation eines Kindes legt, und im Laufe der kindlichen Entwicklung, das soziale Umfeld, wie Peer-Group und Schule, zusehends an Bedeutung gewinnen. Somit könnte man zu der Erkenntnis gelangen, dass das soziale Umfeld den größten Einfluss auf die Gewaltbereitschaft junger Mädchen ausübt.
Um die Fragestellung eindeutig beantworten zu können, wird neben allgemeinen Begriffsbestimmungen im nächsten Punkt, auf die Adoleszenz und ihr Gewaltpotential eingegangen, dabei wird der Versuch unternommen, nach geschlechtsspezifischen Punkten zu unterscheiden
Zwei aktuelle Studien zum Thema Mädchen und Gewalt werden gegenüber gestellt, die vom Aufbau und der Fragestellung her, sehr ausführlich auf die Besonderheiten und Schwierigkeiten der Mädchen eingehen. Anschließend wird auf den Bereich Prävention, und welche Anforderung sie erfüllen sollte, eingegangen. Im Fazit werden die Ergebnisse zusammengetragen und zusammengefasst, um zu einer Beantwortung der Frage zu gelangen.
2. Definitionsbestimmungen
Um eine genauere Vorstellung von der Fragestellung dieser Arbeit zu erhalten, müssen vorab einige Definitionen dargestellt werden. Damit soll möglichen Missverständnissen vorgebeugt und ein einheitliches Verständnis geschaffen werden.
Gewalt
Grundsätzlich ist es sehr schwierig, in aller Kürze, Gewalt zu erklären. In der Psychologie wird Gewalt meist mit Aggression in Verbindung gebracht.
Allgemein definiert für diese Arbeit gilt, „alle Gewalt ist Aggression, aber nicht alle Aggression ist Gewalt.“ ( Hacker, 1988, zitiert nach Raub, 2010, S.21) Man könnte auch sagen, dass Gewalt die Steigerung von Aggression darstellt. Nach Definition des Duden heißt Aggression: „ Angriffsverhalten, feindselige Haltung eines Menschen oder eines Tieres mit dem Ziel, die eigenen Macht zu steigern oder die Macht des Gegners zu mindern.“(Duden,1997, S.38)
Aus diesem Grund wird der Focus vermehrt auf Gewalt gelegt, wobei immer wieder eine Vermischung mit Aggression erfolgen wird. Da es unterschiedliche Formen der Gewalt gibt, aber nicht jede Form Gültigkeit für diese Arbeit besitzt, erscheint eine allgemeine Erklärung angebrachter. Die WHO hat im Jahre 2002 eine detaillierte Definition zu Gewalt erarbeitet, die die verschiedene Arten von Gewalt beschreibt: „Der absichtliche Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichen Zwang oder physischer Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft, die entweder konkret oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklungen oder Deprivation führt. (Gugel, 2007, S.3)
Einfluss
Mit Einfluss ist hier gemeint, durch wen oder was ein Mensch dazu veranlasst wird, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen, oder zu einer bestimmten Einstellung zu gelangen.
Adoleszenz
Mit Adoleszenz wird die Lebensphase zwischen 17-20 Jahren bezeichnet. Man spricht bei Adoleszenten auch von den Heranwachsenden. Schröder und Leonhardt haben dazu eine einprägsame Definition erstellt: „Bei vielen Jugendlichen kommt das gesamte körperliche Gefüge ins Wanken, wenn hormonelle Veränderungen mit der einsetzenden Pubertät die Entwicklung der Geschlechtsreife vorantreiben. Das neu aufkommende Verlangen, setzt enorme Energien und enorme Ängste frei.“ (Schröder, Leonhardt, 1998, S.31) Damit wird ersichtlich, in welchem Zwiespalt Adoleszente in dieser Lebensphase stecken. Das Überschreiten von Grenzen und die Suche nach der eigenen Identität sind wichtige Entwicklungsschritte. Das kann große Ängste auslösen, die in regelrechten Krisen enden können.
Soziales Umfeld
Mit sozialem Umfeld sind sämtliche Lebensbereiche gemeint, in denen ein Mensch lebt. Das sind die Familie, die Schule oder Arbeit und der Freundes- und Bekanntenkreis.
Doing Gender
Da in dieser Arbeit immer wieder von geschlechtsstereotypen Rollenbildern die Rede sein wird, und in welchen Ausprägungen erwartet wird, inwieweit sich ein Mädchen rollen-konform verhält, muss hier kurz der Ansatz des Doing Gender erwähnt werden. Dieser Ansatz beruht auf den Ethnologinnen Candace West und Don H. Zimmermann. Doing Gender heißt, die soziale Konstruktion von Geschlecht. Das meint, das Menschen ihr „Geschlecht“ nicht nur aufgrund von Erziehung oder der Natur erlernen, und sich deshalb geschlechtstypisch verhalten, sondern dass sich der Mensch daran orientiert, was man darüber weiß, wie sich ein Mann oder eine Frau zu verhalten hat. (vgl.,Stauber/Rohmann(Hrsg.), 2007, S.33)
3. Entwicklung der Aggression unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten
Im Folgenden wird ein Überblick über das Aggressionsverhalten von der Kleinkindsphase bis zum Erwachsenenalter gegeben. Dabei werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Jungen und Mädchen aufgezeigt.
Von der Entwicklungspsychologie weiß man, dass viele Verhaltensmuster in der Kindheit angelegt werden. Aggressive Jugendliche verhalten sich bereits in der Kindheit auffällig. Auch Menschen, die in der Kindheit Bindungsdefizite erleben mussten, oder emotional vernachlässigt oder misshandelt wurden, werden auch als Erwachsenen folgenschwere Defizite in ihrem Verhalten aufweisen. ( Krowatschek, Theiling, 2008, S.13)
Ausdrucksformen aggressiven Verhaltens sind zum einen alters- und entwicklungs-abhängig, zum anderen zeigen sich Geschlechterunterschiede in etlichen Untersuchungen: „So werden bestimmte Verhaltensweisen typischer eher im Kindesalter gezeigt (etwa oppositionelles oder trotziges Verhalten) andere hingegen eher im Jugendalter(z.B. kriminalisierbare Handlungen, Schlagen und Bedrohen).“ (Silkenbeumer, 2007,S.34) Silkenbeumer(2007) führt weiter an, dass belegt werden konnte, dass 4-jährige Jungen über ein höheres Aggressionspotential im Bereich körperlicher Aggression verfügen, als Mädchen, die sich bis zum Grundschulalter wieder legt.1 Insgesamt konnte bei einer Untersuchung über die verschiedenen Aggressionsformen der Geschlechter festgestellt werden, dass beide Geschlechter über ein fast gleiches Aggressionsgesamtniveau verfügen. Daran lässt sich erkennen, dass Mädchen und Jungen gleichermaßen Aggressionen lernen und ihnen ausgesetzt sind. Mädchen lernen allerdings auf andere Weise, mit ihren Aggressionen umzugehen, und zwar auf indirekte Weise.2 Das ist das Ergebnis der geschlechtsstereotypen Erwartungen, die an Mädchen gestellt werden. Dazu sagt Werner et.al. (1999,S.172): „Wir wissen inzwischen, dass Frauen und Männer in gleichem Ausmaß aggressiv sein können, wenngleich die Art des aggressiven Verhaltens bei Mädchen qualitativ anders ist als bei Jungen.“ (Silkenbeumer, 2007, S.34)
In einer finnischen Studie wurde von Björkqvist et al (1992), herausgefunden, dass körperliche Aggressivität im Alter von 8 Jahren, bei Jungen das Mittel der Wahl ist. In diesem Alter sind Jungen den Mädchen an körperlicher Aggressivität überlegen. Auch mit 11 Jahren konnte dieser Unterschied noch nachgewiesen werden. Mit 18 Jahren erst, nahm die körperliche Aggression bei Jungen ab. Auch was verbale Aggression anbelangt, waren die Jungen den Mädchen im Alter von 8 Jahren noch überlegen. Mit 11 Jahren zeigten hier die Mädchen mehr Aktivität als die Jungen, welches sich mit 12 Jahren wieder legte. (vgl.,Silkenbeumer, 2007, S.35)
Im Bereich indirekter Aggression, was z.B. über jemanden reden oder Gerüchte verbreiten, meint, waren die Mädchen den Jungen weit voraus. Diese hatten im Alter von 11 Jahren die Jungen weit überholt und wurde auch mit 18 Jahren nicht weniger. Björkqvist et al erklärten interessanterweise dazu, „[…] dass direkte physische, verbale und indirekte Aggression als aufeinander folgende Entwicklungsstufen aggressiven Verhaltens zu interpretieren sind, die abhängig von der individuellen Entwicklung kognitiver und verbaler Fähigkeiten sind. Mit zunehmender kognitiver Reife sind Kinder eher in der Lage, ihre Konflikte mit verbalen Mitteln zu regeln, während die direkten, körperlichen Methoden zurückgehen. Mit steigendem Lebensalter bevorzugen Mädchen, aber auch Jungen zunehmend sprachliche und indirekte Mittel, um Aggressionen und Konflikte auszutragen[…]“ (Silkenbeumer, 2007, S.35)
Die Ergebnisse der Studie von Björkqvist et al erscheinen sehr nachvollziehbar. Viele Mädchen und Jungen mit Entwicklungsdefiziten oder Defiziten in anderen Bereichen, reagieren oftmals mit Verhaltensmustern, die nicht altersentsprechend angesehen werden können. Oder sie haben schlichtweg nie gelernt, adäquat mit Konflikten umzugehen, da die entsprechenden Rollenvorbilder fehlten.
[...]
1 Andere Autoren, wie Krowatschek verweisen dagegen darauf, dass Mädchen und Jungen im Alter von 4 Jahren ein gleich hohes Aggressionspotential aufweisen( vgl., Krowatschek, Theilling,2008, S.14)
2 Hier wird oft von indirekter oder relationaler Aggression gesprochen. (vgl., Silkenbeumer, 2007, S.32)