Leseprobe
Gliederung der Hausarbeit
1. Einleitung
2. Hannah Arendts normative Machttheorie
3. Macht in den Theorien der internationalen Politik
3.1 Realismus
3.2 Institutionalismus
3.3 Liberalismus
4. Hannah Arendts normative Machttheorie und die Macht in den Theorien der iP
4.1 Konzeptualisierung der Macht
4.2 Unterschiede, Widersprüche, Gegensätze
4.3 Gemeinsamkeiten mit einzelnen Theorien?
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Der Staat ist das Reich der Herrschaft, das internationale System das Reich der Macht.“ (Schimmelfenning 1998: 317). Macht kann daher als Schlüsselbegriff der Analyse internationaler Politik definiert werden (Albrecht/ Hummel 1990: 90).
Meine Hausarbeit zum Thema „Hannah Arendts normative Machttheorie und die Macht in den Theorien der Internationalen Politik“ beantwortet die Frage, inwiefern in den Theorien der internationalen Politik Hannah Arendts Machtverständnis vorzufinden ist. Aufgrund der Normativität von Hannah Arendts Machttheorie könnte man vermuten, dass keine allzu vielen Gemeinsamkeiten mit den Theorien der Internationalen Politik bestehen.
Die enorme Komplexität des globalen internationalen Systems hat die Existenz etlicher miteinander konkurrierender und sich überschneidender Theorien der internationalen Politik zur Folge (Filzmaier/ Gewessler/ Höll/ Mangott 2006: 67,68). Aus diesem Grund beschränkt sich meine Hausarbeit auf den (Neo-)Realismus, in dem Macht die zentrale Erklärungsvariable für die Prozesse der internationalen Politik ist, und auf zwei demgegenüber kritische Ansätze: (Neo-)Institutionalismus und Liberalismus.
Zur Beantwortung der Fragestellung wird zunächst Hannah Arendts normative Machttheorie dargestellt. Danach folgt eine Beschreibung der Machtverständnisse in den gewählten Theorien der internationalen Politik. Im nächsten Schritt soll eine Konzeptualisierung der Macht, die zur Einteilung der unterschiedlichen Machttheorien dient, zu einer besseren Vergleichbarkeit führen. Abschließend werden die wesentlichen Unterschiede und Gegensätze im Großen und Ganzen, danach aber auch Gemeinsamkeiten von Hannah Arendts Machttheorie und den Machtverständnissen in den einzelnen Theorien der internationalen Politik herausgearbeitet.
2. Hannah Arendts normative Machttheorie
In dem Werk „Macht und Gewalt“ von Hannah Arendt findet sich eine Analyse der Funktion von Macht und Gewalt in der Politik (Wolf 1991: 149).
Hannah Arendts Machttheorie bezieht sich auf die athenische Polis, deren Machtbegriff nicht auf dem Verhältnis von Befehlenden und Gehorchenden basiert. Die „Herrschaft des Menschen über den Menschen“ ist dadurch ausgeschaltet, dass die Macht ihren Ursprung im Volk hat (Arendt 2008: 41,42). Macht ist nämlich als gelebter Konsens des Volkes definiert (Wolf 1991: 152)
Die für den Machtbegriff relevante Tätigkeit ist das politische Handeln, wobei hier vor allem das Sprechen als „Sprechhandlung“ im Vordergrund steht. Voraussetzung dafür ist „menschliche Pluralität“, d.h. das Vorhandensein anderer Individuen (Becker 1998: 169).
Aufgrund der Pluralität der Individuen existieren unterschiedliche Perspektiven auf der Welt, woraus eigene Urteile gebildet werden. In Hannah Arendts Kommunikationsmodell werden sie als „ästhetische Urteile“ bezeichnet. Sie besitzen eine „subjektive Allgemeingültigkeit“. Ein Urteilender muss also seine Mitmenschen vom seinem Urteil überzeugen, da die Gültigkeit eines Urteils eine Sache der Perspektive und deshalb von der Zustimmung anderer abhängig ist (Becker 1998: 170, 171).
Durch den dadurch entstehenden Austausch ästhetischer Argumente kommt es zur Regelung des Politischen mittels Überzeugung und Überredung. Als Folge werden Versprechen zur künftigen Zusammenarbeit gegeben. Im politischen Zusammenhang sind dies Verträge und Abkommen, die das weitere politische Handeln regeln. Macht wird demnach als kommunikative Kompetenz mit verfassungsbildenden Konsequenzen verstanden (Becker 1998: 171).
Macht ist demnach die menschliche Fähigkeit, im Einvernehmen mit den Mitmenschen zu handeln. Ein Einzelner kann aus diesem Grund nicht über Macht verfügen, da die Existenz der Macht nur im Zusammenhalt einer Gemeinschaft gegeben ist (Arendt 2008: 45). Macht ist folglich das Wesen aller staatlichen Gemeinwesen (Imbusch 1998: 16). Ihre Wirkkraft vollzieht sich in der Zustimmung der Anderen (Wolf 1991: 153). Macht kennzeichnet sich demzufolge durch ihre Abhängigkeit von Zahlen: Sie ist nämlich proportional zu der Zahl der Menschen, die „mit denen sie im Bunde ist“ (Arendt 2008: 42,43).
Zum Verhältnis von Macht und Gewalt führt Hannah Arendts aus, dass die beiden zwar häufig kombiniert auftreten, aber nicht identisch sind. Das Ende der Kriege bedeutet nicht das Ende der politischen Macht (Arendt 2008: 36,37).
Gewalt zeichnet sich durch seinen instrumentellen Charakter aus. Wie bei jedem Mittel besteht der Bedarf nach einem Zweck als Rechtfertigung. Gewalt kann darum zwar gerechtfertigt werden, ist aber niemals legitim, weil nur eine Berufung auf die Zukunft besteht (Arendt 2008: 52,53). Macht dagegen ist ein Absolutes bzw. ein Selbstzweck. Institutionalisierte Macht ist das Wesen des Staates, wodurch die Frage nach dem Endzweck der Macht keinen Sinn ergibt. Infolgedessen ist eine Rechtfertigung der Macht nicht mehr erforderlich. Ihre Legitimität basiert auf dem Machtursprung, nämlich dem gemeinsamen Handeln der Gemeinschaft, also eine Berufung auf die Vergangenheit (Arendt 2008. 52,53).
Die Staatsmacht ist ein Spezialfall der Macht. Eine weit verbreitete Annahme ist, dass der Schutz der Machtstruktur des Staates durch Gewalt in Innen- und Außenpolitik gegeben ist.
Es besteht aber eine prinzipielle Überlegenheit der Macht, d.h. eine ausschließliche Stützung des Staates auf Gewaltmittel ist nicht möglich. Der Gehorsam des Staatsbürgers ist nämlich abhängig von der öffentlichen Meinung, der allgemeinen Zustimmung (Arendt 2008: 50,51).
Zudem kann Gewalt sogar die größte Macht vernichten: „Was niemals aus Gewehrläufen kommt, ist Macht.“. Das Bestreben Macht durch Gewalt zu ersetzen führt zu Machtverlust (Arendt 2008: 54,55).
Am Beispiel der Revolution leitet Hannah Arendt ab, dass ein Machtzerfall nur durch direkte Konfrontation erkennbar wird, und dass der Machtverlust von Machthabenden Gewalt provoziert (Arendt 2008: 55). Eine wichtige Voraussetzung zum Machtwechsel ist aber die Bereitschaft von Menschen die Verantwortung bzw. Macht zu übernehmen (Arendt 2008: 50).
Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass Macht und Gewalt Gegensätze sind, zwischen denen keine qualitativen und quantitativen Zusammenhänge bestehen. „Wo die eine absolut herrscht, ist die andere nicht vorhanden.“ (Arendt 2008: 57). Die Tyrannis ist beispielsweise die gewalttätigste aber demzufolge auch die ohnmächtigste Staatsform (Arendt 2008: 43).
3. Macht in den Theorien der internationalen Politik
Im folgenden Abschnitt werden die gewählten Theorien der internationalen Politik vorgestellt.
Zunächst wird der (Neo-)Realismus und abschließend die ihm kritisch gegenüber stehenden Ansätze des (Neo-)Institutionalismus und des Liberalismus dargelegt.
3.1 (Neo-)Realismus
Der Forschungsgegenstand des Realismus ist das Verhalten von Staaten als einzige bedeutende Akteure im internationalen System, während hingegen internationale Institutionen, die ihre Wirksamkeit aus den Machtstrukturen erhalten, nur als Auftragnehmer der Staaten wahrgenommen werden. Die Internationale Politik ist demnach nur das Ergebnis einzelstaatlicher außenpolitischer (Inter-)Aktionen (Filzmaier/ Gewessler/ Höll/ Mangott 2006: 76).
Das internationale System wird zudem als Anarchie verstanden, da kein Machtmonopol existiert. Im Realismus wird das internationale System daher als „Selbsthilfesystem“ bezeichnet (Filzmaier/ Gewessler/ Höll/ Mangott 2006: 73). Zentraler Politikprozess ist die „Machtpolitik“ der Staaten, deren politisches Streben der eigenen Autonomie gilt. Aus diesem Grund kommt es zu keinem Zusammenschluss von Staaten, da zwar dadurch ihre Macht gestärkt, aber ihre Autonomie gefährdet wird. „Die beste Sicherheitsgarantie für einen Staat ist es, mächtiger zu sein als die anderen Staaten“, also immer den eigenen Machtvorteil auszubauen. Der politische Maßstab sind deshalb nicht die Absichten, sondern lediglich die Fähigkeiten der anderen Staaten (Schimmelfenning 1998: 320).
Die Vordenker des Realismus sind Thomas Hobbes (1588-1679), der da pessimistische Weltbild eines stets nach Macht strebenden Menschen und des Staates als Monopolist von Gewalt vertritt, sowie Georg W. F. Hegels (1770-1831), der die Souveränität des Staates und die Durchsetzung von Macht mit verschiedenen Mitteln annimmt. (Filzmaier/ Gewessler/ Höll/ Mangott 2006: 74).
Nach Hans Morgenthau, dem wichtigsten Vertreter des Realismus, gibt es folgende Grundsätze: Erstens die menschliche Haupteigenschaft und das Staatsinteresse als Streben nach Macht zum Sicherheitsgewinn ist nur abhängig von strategischen, zweckrationalen Zielen. Zweitens ist die Basis des internationalen Einflusses durch die Macht als aktuelle oder potentielle Möglichkeit, Interessen militärisch oder wirtschaftlich durchzusetzen, gegeben (Filzmaier/ Gewessler/ Höll/ Mangott 2006: 74-75).
Aufgrund der Abwesenheit von Herrschaft in der internationalen Politik ist im Realismus Macht die zentrale Erklärungsvariable für die Prozesse des internationalen Systems. Das nationale Interesse und das Ziel staatlicher (Außen-)Politik sind demnach die Erweiterung und die Demonstration von Macht (Filzmaier/ Gewessler/ Höll/ Mangott 2006: 73). Krieg und militärische Gewalt bilden die entscheidenden Machtinstrumente, und sind stets Ausdruck der Machtpolitik, wobei Machtpolitik aber nicht zwangsläufig Gewalt bedeutet.
Im Zeitalter der Globalisierung ist das Ziel der Außenpolitik der Wohlstand der Bevölkerung oder die Macht und der Einfluss der Regierung im internationalen System. Der Besitz von Macht ist die Fähigkeit andere Akteure im internationalen System zu einem gemeinsamen Ziel zu zwingen (Filzmaier/ Gewessler/ Höll/ Mangott 2006: 74).
Im Neorealismus wird die Macht durch eine systemtheoretische Sichtwiese relativiert. Machtpolitik bleibt zwar die unabhängige Variable, aber die Struktur des internationalen Systems wird als intervenierende Variable hinzugezogen (Filzmaier/ Gewessler/ Höll/ Mangott 2006: 73).
Nach Kenneth Waltz zeichnet sich das internationale System durch drei Kriterien aus:
Erstens unterliegt es einem anarchischen und dezentralisierten Ordnungsprinzip. Es gibt demnach keine den Staaten übergeordnete Instanz, sondern es herrscht gleichberechtigte Souveränität aller Staaten. Zweitens besteht eine fehlende Funktionalisierung. Im internationalen System ist keine arbeitsteilige Spezialisierung der Staaten, sondern das eigenständige Erledigung derselben Aufgaben jedes Staates vorzufinden. Drittens erkennt man eine zentrale Differenzierung der Staaten gemäß ihrer Macht (Filzmaier/ Gewessler/ Höll/ Mangott 2006: 77).
Die Machtverteilung im internationalen System ist eine Eigenschaft der Struktur des Systems und lässt sich nach der Zahl der Großmächte bemessen. Obwohl es keine klar definierten Indikatoren für Macht gibt, nennt Waltz: die Größe der Bevölkerung und des Territoriums, die Ressourcen, die Wirtschaftskraft sowie die politische Stabilität und Kompetenz als Determinanten der Macht. Entscheidend ist aber ausschließlich die militärische Stärke eines Staates (Schimmelfenning 1998: 319).
Die im internationalen System zu unterscheidende Machtstrukturen sind die Hegemonie, das bipolare System und das multipolare System. Es handelt sich hierbei also um ein labiles Machtgleichgewicht (Schimmelfenning 1998: 319). Die realistische Hypothese: „Je höher die Machtkonzentration im internationalen System ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Frieden und Kooperation.“ bedeutet, dass die Kriegsgefahr in multipolaren Systemen höher ist als in bipolaren Systemen, da mehr Konfliktkonstellationen, Fehlkalkulationen von Machtpotentialen und instabile Allianzen entstehen. Eine intakte hegemoniale Machtstruktur besitzt zwar keine systemweite Legitimation, gilt aber als friedens- und kooperationsfördernder. Der Machtverfall einer Hegemonie hat jedoch eine intensive Kriegstätigkeit zur Folge (Schimmelfenning 1998: 321).
3.2 (Neo-)Institutionalismus
Im (Neo-)Institutionalismus werden neben der Grundannahme der Anarchie im internationalen System zwei weitere strukturelle Gegebenheiten angenommen, nämlich internationale Interdependenzen und Institutionen (Schimmelfenning 1998: 322).
Interdependenzen sind, als Gegenteil von Autonomie, wechselseitige Abhängigkeiten von Staaten. Asymmetrische Interdependenzen können anhand eines interaktionalen Machtverständnisses als Machtressourcen definiert werden (Schimmelfenning 1998: 323).
Im Institutionalismus wird Macht problemfeldspezifisch aufgrund der Eigengesetzlichkeit von Problemfeldern betrachtet. Aus diesem Grund wird keine einheitliche Machtstruktur des internationalen Systems sondern eine problemspezifische Ausprägung der internationalen Politik angenommen. Die Analyse der Prozesse der internationalen Politik wird demzufolge nicht anhand von Machtstrukturen, sondern anhand von Problemstrukturen, z.B. Präferenzkonstellationen, wahrgenommen. Militärische Macht büßt somit einen Bedeutungsverlust ein, da kein Erhalt der Machtposition angestrebt wird (Schimmelfenning 1998: 325). Vielmehr kennzeichnet sich der Institutionalismus durch ein Streben nach internationaler Kooperation zur Verwirklichung der staatlichen Ziele aus, da auch aufgrund der Interdependenzen die Machtpolitik eingeschränkt wird (Filzmaier/ Gewessler/ Höll/ Mangott 2006: 81).
Zudem geht der Institutionalismus davon aus, dass aufgrund der Transnationalisierung der Politik und der zunehmenden Vernetzung bzw. Verbindung staatlicher Funktionen Institutionen geschaffen werden, die durch freiwillige, horizontale Selbstregulierung der Staaten zum „Regieren ohne Staat“ befähigen. Die Institutionen gelten dabei im Gegensatz zum Realismus aber als nahezu unabhängig von den Machstrukturen (Schimmelfenning 1998: 324). Dadurch wirken sie auf das Verhalten der Staaten ein: zum einen durch die Festlegung von Informationen, Normen und Entscheidungsstrukturen. (Filzmaier/ Gewessler/ Höll/ Mangott 2006: 82, 83). Zum anderen werden die Staaten zum angemessenen Verhalten gemäß den Normen und Regeln der Institution gezwungen. Dies ist nur aufgrund der Ersetzung der Machtbeziehungen durch Rechtsbeziehungen möglich. Bei Regelverletzung drohen so Sanktionen oder die Kooperationsbereitschaft anderer Staaten wird infolge eines Vertrauensverlustes gemindert (Schimmelfenning 1998: 326).
Nach Keohane und Nye (1977) besteht ein zweigeteilter Machtbegriff: „power as control over resources“ und „power as control over outcomes“ (Albrecht/ Hummel 1990: 96).
Gemäß dem ersten Machtbegriff können die Institutionen die Macht der Staaten bändigen, wodurch auch die Anarchie im internationalen System gemindert wird.
Institutionen sind aber ebenso immaterielle Machtressourcen. Durch eine Souveränitätsnorm und ein gleiches Stimmrecht wird beispielsweise das Überleben des schwächsten Staates gesichert, was auf den zweiten Machtbegriff zurückzuführen ist (Filzmaier/ Gewessler/ Höll/ Mangott 2006: 80).
Das Wachstum von Interdependenzen und Institutionen führt zur „Zivilisierung“ des internationalen Systems, d.h. „je höher der Grad der Interdependenzen und der Institutionalisierung im internationalen System ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von Frieden und Kooperation.“ (Schimmelfenning 1998: 325).
[...]