1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Peter L. Bergers und Thomas Luckmanns Werk „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ (Berger/Luckmann 2004). Insbesondere soll deren Relevanz und Anwendung für Beratungs- und Therapiesituationen, sowie das Erfordernis einer fortwährenden Korrespondenz zwischen der individuellen Auffassung der Welt und der gemeinsamen Auffassung ihrer Wirklichkeit herausgearbeitet werden.
Berger/Luckmann gelten mit ihrem Werk als Wegbereiter sozialkonstruktionistischer Ideen. Mit ihrer Theorie der Wissenssoziologie, wonach Wirklichkeit gesellschaftlich konstruiert wird, fokussieren sie die Art und Weise der Entwicklung, Vermittlung und Bewahrung dessen, was in einer bestimmten Gesellschaft als Wissen gilt (Schildberg 2005: 213).
Die Autoren verfolgen weder die Absicht, einen historischen Überblick zu geben noch einen umfassenden Abriss der Wissenssoziologie darzustellen. Vielmehr stellen sie anstelle des Ideologieproblems das vortheoretische Alltagswissen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen und machen es so zum Kernproblem ihrer Wissens-soziologie. Damit wollen sie die für die Gesellschaft zentrale Rolle des Wissens herausstellen und dasselbe innerhalb des gesellschaftlichen Entstehungsprozesses verorten. Berger und Luckmann beschreiben den Dualismus von Strukturen und Handeln, indem institutionalisierte Strukturen aus individuellen Handlungen entstehen und gleichzeitig einen Orientierungsrahmen für Akteurhandlungen bilden (Miebach 2006: 361).
Die Arbeit beginnt mit der Darstellung der Grundlagen des Wissens in der Alltagswelt nach Berger/Luckmann und einem ersten Überblick der Theorie. Im dritten Kapitel werden die Elemente zur Wirklichkeitsentstehung beschrieben. Das vierte Kapitel soll aufzeigen, wie die konstruierte Wirklichkeit gesichert und transformiert werden kann. Abschluss der Arbeit bildet eine kurze Zusammenfassung sowie eigene Anmerkungen. In allen Abschnitten wird ein Übertrag auf den Kontext der Beratung angestellt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundlagen der Alltagswelt
2.1. Wirklichkeit der Alltagswelt
2.2. Interaktion und Vis-à-vis-Situation
2.3. Sprache in der Alltagswelt
2.4. Wissen
3. Entstehung von Wirklichkeit
3.1. Externalisierung
3.2. Objektivation der Wirklichkeit
3.2.1. Institutionalisierung
3.2.2. Legitimierung
3.3. Internalisierung von Wirklichkeit
4. Sicherung und Übertragung von Wirklichkeit
5. Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Peter L. Bergers und Thomas Luckmanns Werk „Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ (Berger/Luckmann 2004). Insbesondere soll deren Relevanz und Anwendung für Beratungs- und Therapiesituationen, sowie das Erfordernis einer fortwährenden Korrespondenz zwischen der individuellen Auffassung der Welt und der gemeinsamen Auffassung ihrer Wirklichkeit herausgearbeitet werden.
Berger/Luckmann gelten mit ihrem Werk als Wegbereiter sozialkonstruktionistischer Ideen. Mit ihrer Theorie der Wissenssoziologie, wonach Wirklichkeit gesellschaftlich konstruiert wird, fokussieren sie die Art und Weise der Entwicklung, Vermittlung und Bewahrung dessen, was in einer bestimmten Gesellschaft als Wissen gilt (Schildberg 2005: 213).
Die Autoren verfolgen weder die Absicht, einen historischen Überblick zu geben noch einen umfassenden Abriss der Wissenssoziologie darzustellen. Vielmehr stellen sie anstelle des Ideologieproblems das vortheoretische Alltagswissen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen und machen es so zum Kernproblem ihrer Wissens-soziologie. Damit wollen sie die für die Gesellschaft zentrale Rolle des Wissens herausstellen und dasselbe innerhalb des gesellschaftlichen Entstehungsprozesses verorten. Berger und Luckmann beschreiben den Dualismus von Strukturen und Handeln, indem institutionalisierte Strukturen aus individuellen Handlungen entstehen und gleichzeitig einen Orientierungsrahmen für Akteurhandlungen bilden (Miebach 2006: 361).
Die Arbeit beginnt mit der Darstellung der Grundlagen des Wissens in der Alltagswelt nach Berger/Luckmann und einem ersten Überblick der Theorie. Im dritten Kapitel werden die Elemente zur Wirklichkeitsentstehung beschrieben. Das vierte Kapitel soll aufzeigen, wie die konstruierte Wirklichkeit gesichert und transformiert werden kann. Abschluss der Arbeit bildet eine kurze Zusammenfassung sowie eigene Anmerkungen. In allen Abschnitten wird ein Übertrag auf den Kontext der Beratung angestellt.
2. Grundlagen der Alltagswelt
Berger und Luckmann beginnen Ihre Überlegungen mit der Feststellung, dass innerhalb verschiedener Gesellschaften, aufgrund eines unterschiedlichen allgemeinen Wissensvorrats, jeweils abweichende Wirklichkeiten existieren. Ihrer Meinung nach ist die Wirklichkeit ein vom Menschen konstruiertes Produkt und somit nicht naturgegeben. Damit verstehen Berger und Luckmann das Gebiet der Wissenssoziologie dergestalt, dass sie sich „mit allem zu beschäftigen habe, was in einer Gesellschaft als „Wissen“ gilt“. Demzufolge muss sie sich auch damit befassen, warum und „auf Grund welcher Vorgänge ein bestimmter Vorrat von Wissen gesellschaftlich etablierte Wirklichkeit werden konnte“ (Berger/Luckmann 2004: 3).
2.1. Wirklichkeit der Alltagswelt
Berger/Luckmann bestimmen Wirklichkeit als „Qualität von Phänomenen (…), die ungeachtet unseres Wollens vorhanden sind - wir können sie ver- aber nicht wegwünschen“ (Berger/Luckmann 2004: 1). Für sie ist jene Wirklichkeit von zentraler Bedeutung, die jedem zugänglich und für welche kein theoretisches Wissen erforderlich ist: Die Alltagswirklichkeit. An ihr nimmt der Mensch unausweichlich und wiederkehrend teil und sie stellt sich ihm somit als gegeben dar. Sie wird zunächst fraglos und unproblematisch wahrgenommen. Diese vom Individuum erlebte Alltagswirklichkeit wird immer in einem bestimmten Raum-Zeit-Bezug empfunden, welcher die spezifische Perspektive des Menschen ausbildet (Berger/Luckmann 2004: 28 ff.). Abgesehen von dieser sehr nahen Wirklichkeitszone existieren auch räumlich und zeitlich graduell weit entfernte Wirklichkeiten, wie Traumwelt, Erinnerungswelt oder Zukunftswelt. Die zeitlich und räumlich nächstliegende Welt ist dennoch die Alltagswelt, denn sie ist die Wirklichkeit, die von den Menschen begriffen und von ihnen subjektiv als sinnvoll erachtet wird. In ihr leben und arbeiten wir, wir erfahren sie als unsere Welt. Die Alltagswelt enthält auch Bereiche, welche nicht auf diese Art zugänglich sind. Da diese jedoch für die Individuen nicht eine derartige Präsenz aufweisen, sind sie von geringerem Interesse (Berger/Luckmann 2004: 21 ff.).
Die Wirklichkeit der Alltagswelt wird als Wirklichkeitsordnung erlebt, denn sie erscheint bereits objektiviert, bevor der Einzelne an ihr teilnimmt. Es bestehen Präfor-mationen, die das Begreifen und Deuten der Welt vorbestimmen. Die bereits existente Realität der Alltagswelt, die vermeintlich nicht verändert werden kann, tritt dem Individuum als Objekt gegenüber (Berger/Luckmann 2004: 26, 64).
Die Wirklichkeit ist überdies eine intersubjektive Welt. Jedes Individuum ist sich zum einen bewusst, dass es seine Alltagswelt mit anderen teilt, aber es kann auch sicher sein, dass seine Vorstellungen von der Welt, denen der Anderen entsprechen. Hinsichtlich des jeweils spezifischen Standortes jedes Einzelnen in der Alltagswirklichkeit existieren jedoch unterschiedliche Perspektiven. Die Wirklichkeit im alltäglichen Leben besitzt demnach einen Doppelcharakter. Einerseits stellt sie sich dem Menschen als subjektiv sinnvolle Welt dar, andererseits jedoch auch als objektive Faktizität, da sie sich ihm als Individuum als unveränderbare soziale Tatsache darstellt (Berger/Luckmann 2004: 20).
Überträgt man diese Annahme der Wirklichkeiten auf die Beratungsumgebung, so ergibt sich zunächst die Idee des gemeinsamen Gestaltens einer therapeutischen bzw. beraterischen Wirklichkeit. Ziel in der Beratung ist es, die subjektive Sinnwelt des Einzelnen an die objektive Wirklichkeit heranzuführen. In der praktischen Beratung bzw. Therapie lassen sich viele Beispiele für unterschiedliche Wirklichkeiten finden:
- Suchtkranke entwickeln mit der Zeit ihre eigene Wirklichkeit, die es Ihnen oft unmöglich macht im Alltagsleben weiterhin zurechtzukommen.
- Beim Eintritt in das Berufleben oder beim Arbeitsplatzwechsel kann die neue Unternehmenskultur eine für das Individuum unbekannte sein und somit erlernt werden müssen, um im Unternehmen „bestehen“ zu können.
- Migranten werden häufig mit einer Ihnen völlig fremden objektiven Wirklichkeit konfrontiert, als die bisher erfahrene.
Diese Probleme lassen sich häufig nur durch Beratung bzw. Therapie lösen.
2.2. Interaktion und Vis-à-vis-Situation
Die Wirklichkeit der Alltagswelt wird immer mittels Interaktion mit anderen Menschen geteilt. Die Vis-à-vis-Situation ist dabei das Basismodell aller Interaktions-formen, die den Menschen am stärksten beeinflusst. Bei der Vis-à-vis-Situation handelt es sich um einen Austausch zwischen zwei Menschen von Angesicht zu Angesicht (z. B.: Beratungsgespräch) und sie ist grundsätzlich durch Wechselseitigkeit charakterisiert. Mein Gesprächspartner ist mir gleichermaßen gegenwärtig wie ich es ihm bin. Andere Wechselbeziehungen sind immer durch eine größere Distanz gekennzeichnet. Abgesehen von der Besonderheit der Sprache, kann mir mein Gesprächspartner in einer Vis-à-vis-Situation sogar näher sein als ich es mir selbst bin (Berger/Luckmann 2004: 32). Während mir mein Gegenüber und dessen Ausdruck direkt zugänglich sind, muss ich mich selbst erst reflektieren, bevor ich mir über meine Wirkung auf den anderen bewusst werde. Während eines Gesprächs fehlt die Zeit zur Selbstreflexion, da die Antworten spontan erfolgen. Vis-à-vis-Situationen sind demnach sehr flexibel und lassen sich nur sehr schwer schematisieren. Wegen der unterschiedlichen Beziehungen der Akteure zueinander können die Situationen beliebig variieren. Dennoch lassen sich in Vis-à-vis-Situationen auch Typisierungen vorfinden. So werden häufig Gesprächspartner in eine bestimmte Typuskategorie, z. B. in die Kategorie „Jurist” eingeordnet und es wird schon eine Meinung über ihn gebildet, bevor man ihn besser kennen lernt. Diese Meinung kann jedoch bezüglich neu gewonnener Erfahrungen über mein Gegenüber wieder revidiert werden. Ebenso wird mich mein Gesprächspartner als bestimmten Typus wahrnehmen. Typisierungen gestalten sich anonymer, wenn ich mein Gegenüber gar nicht, flüchtig oder nur aus der Vergangenheit kenne. Ich differenziere demnach zwischen Mitmenschen, mit denen ich wiederholt in Kontakt trete und denen, die ich unter Umständen gar nicht richtig wahrnehme. (Berger/Luckmann 2004: 33 ff.).
Die Vis-à-vis-Situation stellt für die meisten Beratungskonstellationen die am besten geeignete dar. In einem Beratungsgespräch sollte versucht werden Anonymität und Typisierungen abzubauen, damit eine erfolgversprechende Grundlage geschaffen werden kann. Der Berater sollte zusätzlich durch empathisches Verhalten eine gute Atmosphäre erzeugen und durch Reflexion und Selbstreflexion das Gespräch in die gewünschte Richtung lenken.
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- Arbeit zitieren
- Khatuna Ehlen (Autor:in), 2007, Die „gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“ nach Berger/Luckmann und deren Implikationen für die Kommunikation in der Beratung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/179389