Ein typisches Merkmal im Gesamtwerk von Eric Rohmer ist seine Vorliebe, Filme zu Zyklen zusammenzufassen. Doch die „Contes des quatre saisons“ unterscheiden sich insofern von den vorherigen Zyklen „Contes moraux“ und „Comédies et Proverbes“, da es sich um einen abgeschlossenen Zyklus handelt. Dieser Zyklus wurde nicht in chronologischer Reihenfolge gedreht, sondern nach filmisch günstigen klimatischen Bedingungen. Ganz im Gegensatz zu der Vorhersehbarkeit der immer wieder kehrenden Merkmale der vier Jahreszeiten stehen zufällige Ereignisse, die durch die Eigenschaft der Unvorhersehbarkeit geprägt sind. Die „Erzählungen der vier Jahreszeiten“ spielen sich zwar vor einem festen Hintergrund der Jahreszeiten ab, greifen aber immer wieder das Phänomen des Zufalls auf. So ist Félicies große Liebe Charles in Conte d’hiver zufällig verschwunden und sie kann ihn nicht wiederfinden. Und wiederum durch einen dummen Zufall erfährt Charles nichts von seinem Vaterglück, da Félicie ihm versehentlich die falsche Adresse gibt. Der Titel „Conte d’hiver“ lässt an die gleichnamige Shakespeare-Komödie denken, in welcher es ebenfalls um unmögliche Liebe und Trennungen geht, doch die Hoffnung vereint am Ende das sizilianische Königpaar Leontes und Hermione wieder. Rohmers Geschichte von Félicie ähnelt inhaltlich zwar nur sehr grob Shakespeares „Wintermärchen“, doch in beiden Fällen wurde etwas schuldhaft verloren, wodurch später Leid entstand. Und nur der Glaube an irgendeine Art von Wiedergeburt des Verlorenen hält bei Shakespeare Leontes und bei Rohmer Félicie wirklich am Leben.
Die Protagonisten in Rohmers Filmen sind immer auf der Suche, auf der Suche nach der Liebe, nach dem Sinn oder nach einem Zentrum. Es ist also auch ein Kino der Existenzweisen bei dem die „choix“ eine wichtige Rolle spielt: ein Mann zwischen zwei Frauen oder zwei Frauen zwischen einem Mann, die Auserwählte oder die Geliebte, Großstadt oder Provinz oder Zufall oder Vorhersehung?
Im Folgenden wir der Film „Conte d’hiver“ näher beleuchtet. Welche verschiedenen Lektüren bietet der Film an? Wie wird Paris im Film inszeniert? Welche amourösen Begegnungen gibt es?
1. Hinführende Gedanken
Ein typisches Merkmal im Gesamtwerk von Eric Rohmer ist seine Vorliebe, Filme zu Zyklen zusammenzufassen. Doch die „Contes des quatre saisons“ unterscheiden sich insofern von den vorherigen Zyklen „Contes moraux“ und „Comédies et Proverbes“, da es sich um einen abgeschlossenen Zyklus handelt. Dieser Zyklus wurde nicht in chronologischer Reihenfolge gedreht, sondern nach filmisch günstigen klimatischen Bedingungen. Ganz im Gegensatz zu der Vorhersehbarkeit der immer wieder kehrenden Merkmale der vier Jahreszeiten stehen zufällige Ereignisse, die durch die Eigenschaft der Unvorhersehbarkeit geprägt sind. Die „Erzählungen der vier Jahreszeiten“ spielen sich zwar vor einem festen Hintergrund der Jahreszeiten ab, greifen aber immer wieder das Phänomen des Zufalls auf. So ist Félicies große Liebe Charles in Conte d’hiver zufällig verschwunden und sie kann ihn nicht wiederfinden. Und wiederum durch einen dummen Zufall erfährt Charles nichts von seinem Vaterglück, da Félicie ihm versehentlich die falsche Adresse gibt. Der Titel „Conte d’hiver“ lässt an die gleichnamige Shakespeare-Komödie denken, in welcher es ebenfalls um unmögliche Liebe und Trennungen geht, doch die Hoffnung vereint am Ende das sizilianische Königpaar Leontes und Hermione wieder. Rohmers Geschichte von Félicie ähnelt inhaltlich zwar nur sehr grob Shakespeares „Wintermärchen“, doch in beiden Fällen wurde etwas schuldhaft verloren, wodurch später Leid entstand. Und nur der Glaube an irgendeine Art von Wiedergeburt des Verlorenen hält bei Shakespeare Leontes und bei Rohmer Félicie wirklich am Leben.
Die Protagonisten in Rohmers Filmen sind immer auf der Suche, auf der Suche nach der Liebe, nach dem Sinn oder nach einem Zentrum. Es ist also auch ein Kino der Existenzweisen bei dem die „choix“ eine wichtige Rolle spielt: ein Mann zwischen zwei Frauen oder zwei Frauen zwischen einem Mann, die Auserwählte oder die Geliebte, Großstadt oder Provinz oder Zufall oder Vorhersehung?
Im Folgenden wir der Film „Conte d’hiver“ näher beleuchtet. Welche verschiedenen Lektüren bietet der Film an? Wie wird Paris im Film inszeniert? Welche amourösen Begegnungen gibt es?
2. Figuren und Handlung
2.1 Abriss der Handlung
Rohmers Wintermärchen beginnt eigentlich im Sommer, denn im Urlaub lernt Félicie den hübschen Koch Charles kennen. Die beiden verlieben sich sofort und ihnen ist klar, dass sie ineinander die Liebe ihres Lebens gefunden haben. Der Zuschauer sieht das glückliche Pärchen fischen, kochen, spazieren gehen, Rad fahren, am Strand spielen und sich gegenseitig fotografieren. Doch beim Abschied, als Félicie wieder nach Paris zurückkehren muss, gibt sie Charles versehentlich eine falsche Adresse, sie verwechselt einen Straßennamen. Er, der auf ihre Angaben vertraut gibt ihr seine Adresse nicht und er kann sie mit den falschen Angaben nicht wiederfinden. Die Liebenden verlieren sich aus den Augen. Charles erfährt nie, dass aus ihrer Liebe ein gemeinsames Kind entstanden ist, Elise. Félicie gibt die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Charles nie auf, sie hält an ihrem Traum fest und hängt überall in der Wohnung Bilder von Charles auf, sie will ihn nicht vergessen. Trotzdem gibt es fünf Jahre später zwei Männer in ihrem Leben. Den intellektuellen Loïc und den Frisör Maxence. Félicie ist unentschlossen. Mal folgt sie Maxence nach Nervers, ein Ort zwei Stunden von Paris, um in seinem Frisörsalon zu arbeiten, dann entschließt sie sich um, kehrt zurück nach Paris und bandelt wieder mit Loïc an. Doch wirkliche Bedeutung für sie hat nur Charles, das wissen auch die beiden anderen Männer, denn sie redet offen mit ihnen darüber. Der Zuschauer sieht Félicie in vielen Gesprächen, mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und vor allem mit Loïc und Maxence.
Am Ende findet Félicie ihren Charles durch Zufall wieder, sie trifft ihn in einem Bus. Zunächst jagt ihr die Wiederbegegnung einen Schrecken ein, denn sie hätte nie geglaubt Charles je wiederzusehen. Das Happy End, die Frau, die ihren Mann wiederfindet, die Tochter, die ihren Vater wiederfindet, gleicht jedoch nicht einem typischen Hollywood- Happyend, es symbolisiert vielmehr die Erfüllung eines Urvertrauens und tiefen Glaubens. Der Schluss ist sehr schlicht und glücklich. Erst im Abspann sieht man, wie die Familie zusammen ihr Wiedersehen und Weihnachten feiert.
2.2 Figurenkonstellationen
Rohmers Figuren befinden sich immer in einem Dazwischen: ein Mann zwischen zwei Frauen, eine Frau zwischen zwei Männern, Paare, sie sich auflösen, und andere die dabei entstehen. In den Contes moraux hatten die Männer die Wahl, in den Filmen der Comédie et proverbes waren es die Frauen und in den Contes de quatre saisons sind es sowohl die Männer als auch die Frauen. Im Wintermärchen ist es die Friseuse Félicie die zwischen zwei, eigentlich drei Männern steht. Es ist eine „relation triangulaire“, Félicie- Loïc- Maxence, die eigentlich ein Quartett ist, weil Charles, der verlorene Liebhaber, eine derart große Rolle im Leben von Félicie spielt, sozusagen in ihrem Kopf anwesend ist, jedoch nicht physisch. Eine weitere „relation triangulaire“ wäre die zwischen Félicie, Elise und Charles. Hierbei agiert Elise praktisch als Verbindungsglied zwischen den beiden Liebenden Félicie und Charles, die nicht beieinander sein können.
Insgesamt sieht es zwar so aus, als würden sowohl Maxence als auch Loïc um Félicie buhlen, jedoch wirkt ihr Verhalten nicht hundertprozentig überzeugend. Sie bestätigen beide, dass sie lieben, doch als sie zu verlieren scheinen, kommt keiner von ihnen auf die Idee wirklich um sie zu kämpfen. Félicie hat die beiden Männer sozusagen instrumentalisiert. Einerseits liegen sie ihr zu Füßen, die andere Seite der Instrumentalisierung ist aber der trügerische Gedanke beider Männer, dass sie eine Frau lieben könnten, die sie nicht wirklich liebt. Letztendlich verbindet Félicie mit beiden Männern lediglich eine tiefe Freundschaft. Beide Männer haben sich in die Liebe zu Félicie verrannt. Maxence wird alleine in Nevers zurückgelassen und versteht die Welt nicht mehr, weil er letztlich seine eigenen Gefühle zu Félicie nicht versteht und Loïc wird von der Hoffnung beherrscht, Félicie doch noch zurück zu gewinnen, obwohl er sie eigentlich nie hatte.
2.3 Charakterisierung der Figuren
2.3.1 Félicie
Félicie, gespielt von Charlotte Véry, ist eine attraktive junge Frau, die als Frisöse arbeitet. Sie hat eine kleine Tochter und lebt bei ihrer Mutter. Félicie wirkt insgesamt sehr unentschlossen, sie hängt immer noch ihrer großen Sommerliebe von vor 5 Jahren nach, aus der auch ihre Tochter Elise entstanden ist. Trotzdem steht sie, neben ihrer großen Liebe Charles, zwischen zwei Männern, dem Frisör Maxence und dem intellektuelle Loïc. Doch sie weiß nicht was bzw. wen sie will. Sie denkt, sie müsse einen der beiden Männer wählen und sich entscheiden zwischen einem Leben auf dem Land oder in der Großstadt Paris. „Je suis la fille introuvable. […] J’ai été conne, conne. Conne à lier. '' (Rohmer 1998: 198) Sie befindet sich in einem Dazwischen, kann sich nicht entscheiden und weiß zudem nicht, was sie eigentlich genau will. „Je n’aime pas les gens qui tombent quand je souffle dessus. (Elle rit) Je n’aime pas être dominée intellectuellement, mais physiquement, j’aime. J’aime les hommes qui me donnent une impression de force, pas ceux qui sont toujours courbés sur les bouquins’’ (Rohmer 1998 : 193) Sie ist immer auf der Suche, vor allem nach sich selbst, denn sie fühlt sich nicht vollständig ohne ihre große Liebe Charles. ,,…je ne serai jamais un intello. J’ai pas envie d’être intello. J’ai envie d’être moi. Hier dans la cathédrale, je me suis senti tout à fait moi. Il y a cinq ans, là aussi. Je me sentais moi.’’ (Rohmer 1998: 235) Bei dem einen Mann vermisst sie die Körperlichkeit, am anderen den fehlenden Intellekt. All das ist letztlich Ausdruck davon, dass Félicie einen Mann in ihrem Herzen trägt, bei dem weder Körperlichkeit noch Geist ein Problem zu sein scheinen. Bei Charles erfuhr sie Intelligenz wie Körperlichkeit als etwas Natürliches, Gebendes, als etwas, das sie nicht beherrschte. Doch nun liebt sie auf kompromisslose Weise einen Mann, der jahrelang abwesend ist und von dem sie kaum erwarten kann, dass sie ihn je wieder sieht. „Que Charles réapparaisse ou non, c’est pas là l’essentiel. Il reste dans mon cœur, et c’est pourquoi je ne peux donner mon cœur à personne d’autre.“ (Rohmer 1998 : 239) Sie glaubt zwar nicht an Gott, aber sie glaubt an die Liebe und das Weiterleben der Seele und sie verliert nie die Hoffnung. „Vivre avec l’espoir, je pense que c’est une vie qui en vaut bien d’autres.“ (Rohmer 1998 : 232) Außerdem hat sie Überzeugungen, an die sie sich hält. Als sie Maxence fragt, ob sie je überlegt hat ihr Kind abzugeben antwortet sie: „Non, ça ne m’a jamais effleurée. C’est contre ma conviction, pas conviction religieuse, parce que la religion et moi…On est plutôt brouillés, mais disons conviction… […] Intime, je dirais. J’aime pas ce qui est contre la nature, enfin…“ (Rohmer 1998: 196f) Ihre Orientierungslosigkeit resultiert daraus, dass sie vor 5 Jahren eine Wahl getroffen hat, die nicht ihrer jetzigen Situation entspricht. Sie muss sich nun entscheiden, aber weiß weder für was noch für wen, weil sie sich ja eigentlich schon entschieden hat, vor fünf Jahren. „ Il n’y a pas de bon ni de mauvaise choix. Ce qu’il faut c’est que la question du choix ne se pose pas. (…) Bon. J’ai fait un choix. C’est du passé.“ (Rohmer 1998 : 221) Außerdem ist sie von Selbstzweifeln geplagt, sie fragt sich, ob es richtig ist, alles von einem Mann abhängig zu machen, den sie seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hat und den sie wahrscheinlich auch nie wieder sehen wird. „Mais moi, je suis folle. Il faut me prendre comme je suis.“ (Rohmer 1998: 218) Teilweise erfährt der Zuschauer Félicie auch als etwas oberflächlich, auf Äußerlichkeiten bedacht und auch sehr fordernd, denn sie spricht sehr oft von der Schönheit Charles oder was ihr äußerlich an Maxence und Loïc nicht gefällt, warum ihr ihre Nase nicht gefällt und die ihrer Schwester schon und wie wichtig es ist, dass Elise weiß, dass ihr Vater der Schönste von allen ist. „..mais moi j’aime pas les maigres. J’aime les hommes plûtot enveloppés.“ (Rohmer 1998: 210) Diesen hohen Ansprüchen steht jedoch ihr Äußeres entgegen. Sie wirkt im Film nicht so als würde sie sehr auf ihr Äußeres achten, ist ungeschminkt und trägt Kleidung, die ihre Figur nur erahnen lässt. Ganz im Gegensatz zu den Bildern am Anfang des Filmes aus dem Sommerurlaub, auf denen sie strahlend schön und knapp bekleidet zu sehen ist. Sie ist im Laufe des Films von der „Liebesprinzessin“ zum „Aschenputtel“ (Felten 2004: 135) mutiert. „Tu vois je suis très exigeante.“ (Rohmer 1998: 238) Dabei wirkt Félicie immer wirklich, nie gestellt, in dem Sinne, dass sie immer das sagt, was sie gerade denkt, sie spricht und reagiert auch ohne darüber nachzudenken und wirkt deswegen sehr ehrlich und spontan. Sie ist die typische nicht perfekte, durchschnittliche Heldin von Rohmer, die sich teilweise schlecht ausdrückt, Wörter falsch ausspricht und dadurch so authentisch wirkt. „Je sais: je suis inculte.“ (Rohmer 1998: 203)
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- Quote paper
- Andrea Köbler (Author), 2011, Conte d´hiver: Zwischen Erleuchtung und idées reçues, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/179413