Löst die Präsenz von Justizvollzugsanstalten in Vechta vermehrt Furcht vor Kriminalität aus?


Forschungsarbeit, 2000

39 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Theoretischer Hintergrund
2.1. Kriminalitätsfurcht
2.1.1. Zum Begriff der Kriminalitätsfurcht
2.1.2. Komponenten der Kriminalitätsfurcht
2.1.3. Theoretische Erklärungsansätze
2.1.4. Kriminalitätsfurcht und Vertrauen
2.1.5. Kriminalitätsfurcht und registrierte Kriminalität
2.2. Soziale Wahrnehmung
2.3. Der Strafvollzug unter ausgesuchten Gesichtspunkten
2.3.1. Vollzugslockerungen
2.3.2. Entlassung
2.3.3. Strafvollzug und Sicherheit
2.3.3. Der Strafvollzug in Vechta

3. Methodisches Vorgehen bei der Datengewinnung
3.1. Fragestellung
3.2. Meßinstrument
3.3. Stichprobe und Erhebungszeitpunkt

4. Darstellung der Ergebnisse
4.1. Kenntnisse der Bevölkerung Vechtas über die Justizvollzugsanstalten der Stadt
4.2. Sicherheit der Justizvollzugsanstalten
4.3. Ausgangsregelung
4.4. Gefahr von Haftentlassenen
4.5. Schutzmaßnahmen
4.6. Personengruppen der Haftanstalt
4.7. Maßnahmen zur Stärkung des Sicherheitsgefühls
4.8. Zusammenfassung der Ergebnisse

5. Ergebnisdiskussion

6. Ausblick

7. Literaturverzeichnis

8. Anhang

1. Einleitung

„Modern und zuverlässig“, so wirbt das Niedersächsische Justizministerium auf einem Faltblatt von 1999 für den Justizvollzug. Weiter heißt es: “In den Vollzugsanstalten macht moderne Sicherheitstechnik Ausbrüche weitgehend unmöglich.“ Man wirbt also von offizieller Seite her damit, daß eine Flucht aus Strafanstalten nahezu unmöglich sei. Dies scheint auch notwendig zu sein, ruft man sich Berichte über entflohene Häftlinge, die auf der Flucht auch noch Straftaten begehen, ins Gedächtnis. Tatsächlich jedoch sind Entweichungen eher selten. Doch wie sieht die Bevölkerung, beeinflußt durch Medienberichte, diesen Sachverhalt? Was ist insbesondere mit den Menschen, die in der Nähe einer Justizvollzugsanstalt leben?

Forschungsergebnisse zu Fragen betreffend ortsansässiger Haftanstalt und der dortigen Bevölkerung konnten wir nicht finden. Dennoch stießen wir in der Auseinandersetzung mit dem Thema „Kriminalitätsfurcht als soziales Erleben“ auf diesen Sachverhalt, denn nicht nur mögliche Fluchten sondern auch andere Aspekte in Bezug auf diese Thematik deuten für uns darauf hin, daß eine Strafanstalt im eigenen Wohnort Ängste auslösen kann. Daher zunächst ein Blick auf Vechta: hier gibt es drei Haftanstalten, die ihren Standort im Ortskern der Stadt haben. Neben einer möglichen Flucht gibt es hier konkrete Möglichkeiten der Begegnung mit einem Straftäter. So halten sich Häftlinge ohne Aufsicht außerhalb der Anstalt auf, die Ausgang oder ähnliche Lockerungen bekommen. 1995 wurden beispielsweise 1.492 Ausgänge aus dem geschlossenen und 2.160 Ausgänge aus dem offenen Vollzug gewährt (Jahresrückblick 1995). Hier zeigt sich die Häufigkeit von Ausgängen und läßt danach fragen, ob die Vechtaer Einwohner vor Straftätern auf Ausgang Angst haben.

Auch in diesem Punkt lassen sich nur Vermutungen anstellen, allerdings deuten Untersuchungen zur Einstellung gegenüber Haftentlassenen darauf hin, daß man auch Ausgängern nicht durchweg positiv gegenüberstehen könnte, werden sie doch vielmehr als „Übeltäter“ stigmatisiert und ausgegrenzt (vgl. Kury 1980, S.114).

Zu den Entlassenen muß zudem festgehalten werden, daß neben denen, die aus Vechta und Umgebung stammen, sich auch diejenigen, die nach der Entlassung auf Bus oder Bahn warten müssen, für einen bestimmten Zeitraum in der Stadt aufhalten. Da stellt sich die Frage, ob z.B. drogenabhängige Entlassene, auf der Suche nach der ersten Droge in Freiheit (7,4% der Inhaftierten des geschlossenen Vollzugs in Vechta wurden wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt, vgl. Jahresrückblick 1995), ihre erste Straftat sofort vor Ort begehen.

Nicht außer acht gelassen werden soll in diesem Zusammenhang die Annahme vom Gefängnis als „Hort der kriminellen Infektion“ (vgl. Walter 1999). Hier geht man u.a. davon aus, daß die sozialen Kontakte im Strafvollzug kriminalitätsfördernd sind, Kontakte mit (härteren) Drogen womöglich erst in der Strafanstalt hergestellt werden und zudem persönliche und soziale Kompetenzen, Neigungen und Orientierungen ungünstig beeinflußt werden. Dies stellt zwar nur eine Sicht der Folgen einer Strafhaft dar, weist jedoch darauf hin, daß eine Haft eher negative denn positive Folgen haben und somit das Begehen von Straftaten nach der Entlassung nicht ausgeschlossen werden kann.

Diesen Überlegungen zugrunde stellt sich für uns die Frage, ob der Umstand, in einer Stadt mit Haftanstalten zu leben, eine besondere Furcht vor Kriminalität auslöst oder ob dieses eher keinen Einfluß ausübt. Ausgehend von dieser zentralen Fragestellung führten wir in der Kreisstadt Vechta, in der drei Strafanstalten ihren Standort haben, eine Umfrage mittels Interviews durch, um dann vergleichend mit einer Umfrage in einer Stadt ohne Haftanstalten zu einer Beantwortung der oben genannten Frage zu kommen.

2. Theoretischer Hintergrund

2.1. Kriminalitätsfurcht

2.1.1. Zum Begriff der Kriminalitätsfurcht

Die Kriminalitätsfurcht kann noch nicht auf eine lange Geschichte als eigenständig zu behandelndes Problem zurückblicken. Erst ab Mitte der 70er Jahre konzentrierte man sich, da die Kriminalitätsraten nicht geringer wurden, auf die Reduzierung der subjektiven Folgen von Kriminalität. Seitdem gilt sie als eigenständiges soziales Problem neben der Kriminalität und ist dem Forschungsbereich der Viktimologie unterzuordnen (vgl. Boers 1993).

Zur Erklärung des Begriffs der Kriminalitätsfurcht lassen sich verschiedene Definitionen heranziehen. Schneider definiert Kriminalitätsfurcht als „die psychische Beunruhigung darüber, Opfer eines Verbrechens, insbesondere eines Gewaltverbrechens zu werden“ und weiter „sich in Gefahr einer Schädigung, insbesondere einer körperlichen und psychischen Verletzung“ zu fühlen (Schneider 1993, S. 283). Kaiser (1980) sieht die Kriminalitätsfurcht zudem als körperliche aber auch vor allem emotionale Reaktion eines Individuums, welches durch ein Delikt oder einem damit in Zusammenhang stehenden Faktor bedroht werde. Dabei könne diese Bedrohung abstrakt, real oder nur eingebildet sein.

Diesen Definitionen ließen sich noch weitere hinzufügen, aber allen gemeinsam ist die Aussage von Schwind (2000) hierzu: er spricht von einem Bedrohtheitsgefühl, das sich, soweit es sich auf Verbrechen beziehe, als Kriminalitätsfurcht definieren ließe (S.386).

2.1.2. Komponenten der Kriminalitätsfurcht

Ein detaillierteres Verständnis der Kriminalitätsfurcht als soziale Einstellung, setzt sich aus drei Komponenten zusammen: der kognitiven, der affektiven und der Verhaltenskomponente. Dieses bedeutet im einzelnen:

- die Besorgnis des Menschen über Verbrechen.
- die Einschätzung des persönlichen Risikos, Opfer zu werden.
- die Verhaltensweisen im Umgang mit Verbrechen und Bedrohung

(vgl. Schweer 1999).

Anhand dieser Komponenten ist es möglich, Kriminalitätsfurcht zu messen.

Bei der kognitiven (verstandesbezogenen) Komponente handelt es sich um die allgemeine Einschätzung der Kriminalität, wobei meist von einem Kriminalitätsanstieg ausgegangen wird. Forschungsergebnisse in diesem Bereich hatten auch die Feststellung des „Verbrechens-auf-Distanz-Phänomens“ zur Folge. Dieses besagt, daß Befragte davon ausgehen, Verbrechensanstiege seien weniger im unmittelbaren Nahbereich, denn weiter entfernt und im gesamten Bundesgebiet zu verzeichnen. Allgemein wird hier der Einfluß der Massenmedien zur Erklärung herangezogen. Eigene Erfahrungen verblassen vor dem Hintergrund (überzogener) Medienberichte über steigende Kriminalität (vgl. Schwind 2000).

Desweiteren gehört zur kognitiven Komponente die Viktimisierungserwartung, also inwieweit der einzelne erwartet, in einem bestimmten Zeitraum selbst Opfer einer bestimmten Straftat zu werden.

Die affektive Komponente stellt das Sicherheitsgefühl des Menschen in den Vordergrund. Dieses nimmt einen hohen Stellenwert beim Menschen ein. Bei Maslow (1981) steht es sogar an zweiter Stelle seiner „Bedürfnishierarchie“ und ist eines der Grundbedürfnisse des Menschen. Kriminalitätsfurcht kann nun entscheidend das Sicherheitsgefühl beeinträchtigen. Wer sich nicht sicher fühlt, sieht sich stärker der Gefahr ausgesetzt, selbst einmal Verbrechensopfer zu werden (Viktimisierunsfurcht). Daß das Vertrauen in den Rechtsstaat zum Sicherheitsgefühl entscheidend beiträgt, zeigt eine Allensbacher Umfrage von 1995: nur 47% der Befragten sind der Meinung, daß man in Deutschland sicher leben kann und 41% fühlen sich durch unser Rechtssystem nicht ausreichend geschützt, in den neuen Bundesländern liegt diese Zahl sogar bei 72% (vgl. Ostendorff 1998). Von Interesse innerhalb dieser Arbeit ist aus diesem Grunde auch, wie das Vertrauen in die Justizvollzugsanstalten als staatliche Institutionen ist, bzw. ob davon ausgegangen werden kann, daß diese sicher sind.

Die konative Komponente schließlich ist als Reaktion auf ein bestehendes Unsicherheitsgefühl zu sehen, denn dieses kann u.a. Abwehr- und Vermeidungsverhalten auslösen. Auswirkungen wären somit möglicherweise:

- der Verlust von Lebensqualität, wenn man z.B. aus Furcht nicht mehr ausgeht,
- die Vermeidung bestimmter Gegenden, wodurch dort durch fehlende soziale Kontrolle Straftaten begünstigt werden,
- die Verlagerung der Kriminalität auf sozial Schwächere, da sie sich teure Sicherungs- und Schutzmaßnahmen nicht leisten können,
- die Veranlassung der Bürger zu negativem Abwehr- und Vermeidungsverhalten, das im Gegensatz zur Nachbarschaftshilfe mit Verhalten wie Selbstjustiz, Bewaffnung, Bürgerwehren etc. der Kriminalprävention entgegenstehen kann,
- die Abnahme des Vertrauens gegenüber staatlichen Institutionen, was zur verminderten Bereitschaft der Mithilfe bei der Kriminalitätsvorbeugung und -aufklärung führen kann,
- die (objektiv unberechtigte) kriminalpolitischen Forderungen, wie z.B. die nach härteren Strafen

(vgl. Schweer 1999 und Schwind 2000).

2.1.3. Theoretische Erklärungsansätze

Eine komplexe Darstellung des Gesamtzusammenhangs des Phänomens Kriminalitätsfurcht erscheint uns innerhalb dieser Arbeit als zu umfassend. Dennoch soll im folgenden versucht werden, einen Einblick in die Entstehungszusammenhänge von Kriminalitätsfurcht zu geben.

Es wird im allgemeinen davon ausgegangen, daß eigene Opfererfahrungen, Viktimisierungen anderer, Straßenbild (Betteln, erkennbarer Drogenhandel, Verschmutzungen, Obdachlose u.s.w.), Medienberichte, ängstliche Lebenseinstellungen, Existenz- und Zukunftsängste, Gespräche im Bekanntenkreis etc. als Bedingungsfaktoren für Kriminalitätsfurcht anzusehen sind (vgl. Schwind 2000). Drei Erklärungsansätze, die das Phänomen Kriminalitätsfurcht zu erklären versuchen, nehmen einige dieser Aspekte auf.

Die Viktimisierungsperspektive, die auf der personalen Ebene anzusiedeln ist, geht davon aus, daß die Kriminalitätsfurcht auf einer gravierenden individuellen Opfererfahrung beruhe. Ausgeweitet wurde diese These, indem auch indirekte Opfererfahrungen von Bekannten und Medienberichte über Opferwerdung zur Erklärung herangezogen wurden. Die Viktimisierungsperspektive konnte aufgrund von Untersuchungen bisher jedoch nicht ausreichend bestätigt werden: Opfer sind nur wenig stärker verunsichert als „Nichtopfer“ (vgl. Boers 1993, S.70).

Im Zusammenhang mit der Viktimisierungsperspektive wird auch vom sogenannten Kriminalitäts-Furcht-Paradoxon gesprochen, nach dem die Bevölkerungsgruppen mit den niedrigsten Viktimisierungsraten (Frauen und ältere Menschen) sich am meisten davor fürchten, Opfer zu werden. Als verwundbarer sehen sie sich an, da sie sich vermeintlich weniger wirksam schützen können. Zur Erklärung, warum sie dennoch weniger oft Opfer werden, wird hier i.a. herangezogen, daß diese furchtsameren Bevölkerungsgruppen mehr Vermeidungsverhalten zeigen und somit auch weniger angegriffen werden (vgl. Schwind 2000, S. 391).

Die Soziale-Kontroll-Perspektive (Mikro-Ebene) sieht im Zustand der sozialen Stabilität des unmittelbaren Nahbereichs eine Bedeutung für die Entstehung von Kriminalitätsfurcht. Die von Lewis und Salem 1986 formulierte Theorie geht davon aus, daß in einem Wohnviertel, daß durch verfallene Gebäude, Sprühparolen an Hauswänden (Hinweis auf Jugendgangs) und Drogensüchtigen verfallen wirke, keine informelle Kontrolle durch die Bewohner möglich sei. Dies führe zu Kriminalität und Kriminalitätsfurcht (Boers 1993, S. 72). Dieses Erklärungsmodell ist laut Boers ebenfalls nicht überzeugend (ebd., S.73). Auch hier ist jedoch ein Zusammenhang zwischen „social disorder“ (Bezeichnung von Lewis und Salem für verfallene Wohnviertel) und persönliche Risikoeinschätzung feststellbar.

Der Ansatz der Soziale-Problem-Perspektive stellt die Wirkung der Massenmedien in den Mittelpunkt. Nicht eine reale Kriminalitätsbedrohung sei Ursache des Unsicherheitsgefühls, sondern dieses sei die Folge einer verzerrten und übertreibenden Berichterstattung in den Medien. Weiter wird hier angenommen, daß das Thema „Kriminalität“ nur aufgeschaukelt werde, um von anderen sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit oder Umweltverschmutzung abzulenken.

Dieser Ansatz ist laut Boers (1993, S. 73) insofern vertretbar, wenn man zwischen personaler und sozialer Kriminalitätseinschätzung unterscheide, da es erwiesenermaßen kaum Zusammenhänge zwischen der Medienberichterstattung und der personalen Kriminalitätseinschätzung (persönliche Risikoeinschätzung) gäbe, dafür jedoch starke Korrelationen zwischen einer überregionalen Medienberichterstattung und dem sozialen Kriminalitätsempfinden (gesellschaftliche Anschauung der Kriminalität).

Die hier vorgestellten Erklärungsansätze gehen je nur auf die persönliche, die mikro- und die makrosoziale Ebene ein. Eine Feststellung von Boers (1993, S.74) zeigt jedoch auf, wie diese Ansätze miteinander zu verbinden sind, damit ein ganzheitliches Bild entsteht:

„Was als Viktimisierungsrisiko, Angst- oder Furchtemotion nur persönlich wahrgenommen bzw. empfunden werden kann, entsteht vor dem Hintergrund bedrohlicher Erlebnisse sowie der Kommunikation hierüber im mikrosozialen Bereich der Nachbarschaft und wird geprägt durch Bewertung von Kriminalität als gesellschaftliches Problem im politischen Diskurs auf der gesellschaftlichen Makroebene.“

2.1.4. Kriminalitätsfurcht und Vertrauen

Vertrauen spielt eine wichtige Rolle im Kontext der Kriminalitätsfurcht. Ein stabiles Netzwerk und Vertrauen in Institutionen können die Kriminalitätsfurcht positiv beeinflussen. Entscheidend ist, ob man das Vertrauen, das man in eine Institution hat, auch bestätigt sieht. Einflußreiche Aspekte sind dabei laut Schweer (1999, S.18):

- ihre Arbeit im Sinne der öffentlichen Verantwortung durchzuführen,
- ihrer Hilfefunktion zu entsprechen,
- ihre Orientierung an moralischen Grundsätzen und deren Realisierung,
- Bürgernähe.

Übertragen auf den Strafvollzug ist es demnach wichtig, daß

- das Vollzugsziel der Resozialisierung erreicht wird,
- Straftäter erst dann entlassen werden, wenn sie als resozialisiert einzustufen und somit weniger gefährlich für die Allgemeinheit sind,
- Vollzugsmaßnahmen entsprechend moralischer Grundsätze durchgeführt werden,
- er keinen von der Gesellschaft abgeschlossenen Bereich darstellt, sondern ein gewisses Maß an Transparenz gewährleistet.

Die hier aufgeführten Punkte sind sicherlich sehr allgemein gefaßt und ließen sich beliebig erweitern, dennoch ist aus unserer Sicht der wichtigste Punkt bereits genannt. Vertrauen in den Justizvollzug und somit eine Stärkung des Sicherheitsgefühls ist dann gegeben, wenn die wichtigste Aufgabe (Resozialisierung) erfüllt wird. Dem muß jedoch hinzugefügt werden, daß die Resozialisierung zwar laut Strafvollzugsgesetz als erste Aufgabe genannt wird, aber heute immer mehr der Schutz der Allgemeinheit im Vordergrund steht. Somit spielt auch die Sicherheit der Vollzugsanstalten eine wichtige Rolle (vgl. 2.3.3.).

2.1.5. Kriminalitätsfurcht und registrierte Kriminalität

Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch das Verhältnis zwischen Kriminalitätsfurcht und registrierter Kriminalität. Deutschland steht in bezug auf die Häufigkeit von Gewaltdelikten an letzter Stelle in Europa. Schwerverbrechen wie Mord oder Totschlag nehmen ab, die Zahl der insgesamt registrierten Straftaten verringert sich ebenfalls, bei Raubdelikten ist sogar ein Rückgang von 6, 5% zu verzeichnen (Ostendorf 1998).

Positive Zahlen – so denkt man. Allerdings steht Deutschland in einer anderen Statistik ganz oben, bei der Erfassung der Kriminalitätsfurcht: „Diese ist in den letzten Jahren erheblich mehr gestiegen als die tatsächliche Kriminalität“ (Ostendorf 1998) und ist in Deutschland höher als in anderen europäischen Staaten, obwohl dort die Kriminalität z.T. erheblich größer ist. Diese Zahlen lassen folgenden Schluß zu: ein Anstieg der Kriminalitätsfurcht läßt sich nicht auf einen Anstieg von registrierter Kriminalität zurückführen. So schreibt auch Schweer (1999), daß “die tatsächliche, objektive Bedrohung (.) also zur Erklärung der Furcht allein nicht aus[reicht]“ und somit das Dunkelfeld zur Erklärung herangezogen werden müsse (S. 27).

2.2. Soziale Wahrnehmung

Wie schon erwähnt, variiert das Ausmaß der Kriminalitätsfurcht: nicht jeder sieht sich gleichermaßen bedroht. So fühlen sich beispielsweise Frauen und ältere Menschen verwundbarer als andere. Das ist ihre Sicht der Wirklichkeit, obwohl gerade diese Bevölkerungsgruppen statistisch weniger oft Opfer werden (vgl. Schwind 2000). Hier kommt der Begriff der „sozialen Wahrnehmung“ (Personenwahrnehmung) ins Spiel (vgl. Brandstätter 1977, S.119).

Soziale Wahrnehmung drückt aus, daß Wahrnehmung nicht nur in der Informationsaufnahme besteht, sondern daß diesen Informationen auch eine bestimmte Bedeutung zugewiesen wird, und daß diese verarbeitet werden. Dabei spielen nicht nur die Informationen eine Rolle, sondern auch vorhandene Gefühle, Interessen, Einstellungen und Vorstellungen wirken darauf ein, wie man eine Person wahrnimmt. Schweer (1999, S.27) bringt in diesem Zusammenhang auch den Begriff der „selbst - erfüllenden - Prophezeiung“ mit ein, indem er beschreibt, daß jemand, der das Kriminalitätsniveau als hoch einschätze, bestimmte Gegenden meide, die dann wiederum durch fehlende soziale Kontrolle tatsächlich zu einem Kriminalitätsbrennpunkt werden könnten.

2.3. Der Strafvollzug unter ausgesuchten Gesichtspunkten

Im folgenden sollen nun die verschiedenen Möglichkeiten des Kontakts zwischen Bevölkerung und Inhaftierten vorgestellt werden, die möglicherweise die Kriminalitätsfurcht steigern.

2.3.1. Vollzugslockerungen

Als eine naheliegende Möglichkeit sind als erstes die Lockerungen als Teil des Vollzugsplans zu sehen. Der Vollzugsplan, der für jeden Inhaftierten individuell erstellt wird und sich an der Persönlichkeit und der Strafdauer des Inhaftierten orientiert, ist auf das Erreichen des Vollzugsziels ausgerichtet. Laut §2, S. 1 Strafvollzugsgesetz lautet dieses:

“Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel)“.

Um dieses Ziel der Resozialisierung zu erreichen, werden Lockerungen als Teil der Vollzugsplanung eingesetzt. Diese sollen schrittweise auf die Entlassung vorbereiten und beinhalten Außenbeschäftigung, Freigang, Ausführung und Ausgang. Freigang und Ausgang erscheinen in diesem Zusammenhang von größerer Wichtigkeit, da sich die Inhaftierten bei dieser Maßnahme bis zu maximal 13 Stunden ohne Aufsicht außerhalb der Anstalt frei bewegen können. Dadurch ergibt sich der Kontakt zu den Einwohnern, die unwissentlich oder wissentlich in Kontakt zu Strafgefangenen treten.

Diese Lockerungsmaßnahmen, wie auch die besondere Form des Urlaubs, werden jedoch nur eingeräumt, wenn sicher ist, daß bei dem betroffenen Gefangenen weder Flucht- noch Mißbrauchsgefahr besteht. Und dies scheint in der Praxis weitestgehend zu funktionieren: 1995 kehrten nur 1,93% der Inhaftierten des Landes Nordrhein – Westfalen nicht aus dem Urlaub zurück (vgl. Walter, S. 431). Es stellt sich hier jedoch die Frage, ob solche Zahlen bei der Bevölkerung bekannt sind oder ob Berichte in den Medien über Strafgefangene, die diese Maßnahmen ausnutzen, ein falsches Bild bei der Bevölkerung - und somit auch Furcht – hervorrufen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 39 Seiten

Details

Titel
Löst die Präsenz von Justizvollzugsanstalten in Vechta vermehrt Furcht vor Kriminalität aus?
Hochschule
Universität Vechta; früher Hochschule Vechta  (Institut für Erziehungswissenschaft)
Note
sehr gut
Autoren
Jahr
2000
Seiten
39
Katalognummer
V17945
ISBN (eBook)
9783638223829
Dateigröße
635 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Im Rahmen dieser Forschungsarbeit wird der Frage nachgegangen, ob der Umstand, in einer Stadt mit Haftanstalten zu leben, eine besondere Furcht vor Kriminalität auslöst oder ob dies eher keinen Einfluß ausübt. Ausgehend von dieser zentralen Fragestellung führten wir in der Kreisstadt Vechta, in der drei Strafanstalten ihren Standort haben, eine Umfrage mittels Interviews durch, um dann vergleichend mit einer Umfrage in einer Stadt ohne Haftanstalten zu einer Beantwortung der o.g. Frage zu kommen
Schlagworte
Löst, Präsenz, Justizvollzugsanstalten, Vechta, Furcht, Kriminalität
Arbeit zitieren
Andrea Triphaus (Autor:in)Kerstin Nuxoll (Autor:in), 2000, Löst die Präsenz von Justizvollzugsanstalten in Vechta vermehrt Furcht vor Kriminalität aus?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17945

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Löst die Präsenz von Justizvollzugsanstalten in Vechta vermehrt Furcht vor Kriminalität aus?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden