Das Filmschaffen von Martin Scorsese ist geprägt von einem außerordentlichen religiösen Interesse – und nicht erst seit seinem Skandal-Werk „The Last Temptation of Christ“!
Die vorliegende Arbeit geht der Fragestellung nach inwiefern sich Scorseses Weltanschauung und Religiosität in seinen frühen Filmwerken widerspiegelt.
Einleitend werden seine ersten beiden Filme „Who’s that knocking on the door“, sowie „Mean Streets“ analysiert – der Hauptteil konzentriert sich auf sein Kult-Werk „Taxi Driver“.
INHALT
I Biografische Beweggründe für Scorseses religiöses Interesse
II WHO'S THAT KNOCKING AT MY DOOR (1969)
III MEAN STREETS (1973)
IV TAXI DRIVER (1976)
"I'm God's lonely man" - Eine Charakterstudie
a) Isolation und Artikulationsunfähigkeit
b) Hass auf die eigenen sozialen Wurzeln und Sinnsuche
c) Liebe als sinnspendendes Element
d) Scheitern der Kommunikationsversuche
e) Schizophrenie
f) Abbau der Aggression durch Gewalt
g) Schluss
V Das religiöse Element in TAXI DRIVER
a) Motiv und Dialog
b) Existentialismus
c) "Schwarzer Engel"
d) Gottesverständnis
VI THE LAST TEMPTATION OF CHRIST (1988)
VII Anmerkungen
VIII Literaturverzeichnis
I. Biografische Beweggründe für Martin Scorseses religiöses Interesse
Am 17.12.1942 in New York geboren, verbrachte Scorsese den größten Teil seiner Jugend in der gewalttätigen Atmosphäre des Italienerghettos "Little Italy", in dem die katholisch patriarchalische Struktur der Familie das Leben zu Hause und auf der Strasse prägte. "Little Italy", eine Stadt in der Stadt, in der die eingewanderten Süditaliener über Generationen hinweg an der "via vecchia" festhalten und sich gegen die ihnen fremde Kultur Amerikas abgrenzen. "La via vecchia" bezeichnet den lebendig erhaltenen süditalienischen Lebensstil, eine Tradition, in der sich das althergebrachte Bild der Familie mit religiösen Werten wie der Jungfräulichkeit und den Normen mafioser Ehre mischt. Hier entwickelte sich Scorseses starke Religiosität und der Wunsch Jesuitenpriester zu werden.
Märker: "Sie hatten auch einmal Priester werden wollen. Was hat diesen Wunsch ausgelöst?"
Scorsese: "(...) Hier in New York war es rauh. Da war die Bowery, und da gab es Müllhaufen, Ratten, alle Arten von Asozialen und Verrückten und Gangstern und viele Kämpfe. Aber da gab es auch diese kleine Ecke mit der kleinen Schule, den Nonnen und die alte St. Patricks Kathedrale, das war wunderschön, und dorthin also haben sie mich geschickt. Da bin ich zum ersten Mal mit gläubigen Menschen zusammengekommen und ich habe mich in die Religion verliebt, über die sie immerzu sprachen, in die Idee der Erlösung und in die Idee, vielleicht selbst ein Kirchenmann zu werden, ein Priester oder ein Bruder. Ich dachte, wenn man wirklich schließlich im Himmel landet - vielleicht -, dann doch wohl, damit die Seele gerettet wird. Und dann mussten doch diejenigen, die wirklich einen Einblick hatten, die Leute sein, die im Talar leben. Wenn das der leichteste Weg wäre, wenn man selbst so etwas machen würde? Ich war damals acht Jahre alt, und es war das erste Mal, dass man mir so etwas erzählte: daß wir hier leben, um erlöst zu werden und unsere Seele retten zu lassen. Und um meine Seele retten zu lassen, erschien es mir als der sicherste Weg, so zu werden wie sie. Man kann sich selbst und anderen helfen. Verrückt." (1)
Scorsese wird schließlich, aufgrund einer Affäre mit einem Mädchen, aus dem Priesterseminar wieder hinausgeworfen. Er besucht eine katholische Highschool, immer mit dem Ziel auf das Seminar zurückzukehren, beginnt dann aber doch das Filmstudium an der New York University.
Bereits in seinen Frühwerken stehen mitunter religiöse Problematiken im Mittelpunkt und zeugen von dem zwiespältigen Verhältnis des Regisseurs zu seinem Herkunftsmilieu und zu den traditionellen Lehren der katholischen Kirche. Dabei ist Gewalt immer ein wichtiger Bestandteil der Mise-en-scene, ein für Scorsese zwingend notwendiger Ausdruck seiner Weltsicht.
Scorsese: "Blood is very important in the church. Blood is the life force, the
essence, the sacrifice. And in a movie you have to see it. In practically every culture, human sacrifice is very important, very widespread." (2)
Scorsese: "Gewalt muss einfach, geradezu und schnell sein. Und unange- nehm. Unangenehm und dumm aussehend, geradeso wie sie sich im wirklichen Leben abspielt." (3)
Nach einigen Kurzfilmen schreibt Scorsese ein Treatment mit dem Titel "Jerusalem, Jerusalem", in dessen Mittelpunkt zwei 18-jährige Priesteranwärter stehen. Er plant daraus den ersten Teil einer Trilogie zu entwickeln, die dann mit "WHO'S THAT KNOCKING AT MY DOOR?" und "MEAN STREETS" tatsächlich fortgesetzt wird. Das Erstlingswerk bleibt jedoch unrealisiert.
II WHO'S THAT KNOCKING AT MY DOOR (1969)
Bereits in diesem Film erzählt Scorsese von repressiven Moralvorstellungen, die dem Protagonisten ein unvoreingenommenes Verhältnis zu Frauen unmöglich machen. Seine sexuelle Neurosen entladen sich in Gewalttätigkeiten.
Stimmungseinführend beginnt der Film mit einer Schlägerei. Der Zuschauer erfährt weder den Grund des Streits, noch kennt er die Charaktere. Wichtig ist nur, dass einer der Beteiligten vor dem Kampf, das Kreuz küsst das er um den Hals trägt: Religion und Gewalt werden miteinander assoziiert.
Immer wieder integriert Scorsese in seinen Bildern das Motiv der Madonna. Sie steht für das katholische Verbot der Sexualität und zugleich für die einzig anerkannte Form "reiner" Liebe - die zur Mutter und die in der Ehe, welche die Frau zur Mutter macht.
Religion und Gewalt, Madonna und Prostituierte - Gegensatzthemen, die später in Scorseses Kernwerk TAXI DRIVER (1976) wieder auftauchen werden.
Am Ende des Films geht der Held (J.R./Harvey Keitel) in die Kirche und betritt einen Beichtstuhl. Scorsese zeigt nun in einer Assoziationscollage Einstellungen vom Interieur, der Kirche, eine Pieta im Mittelpunkt, immer wieder Grossaufnahmen der Wundmale Christi, J.R., der seine Freundin küsst, ein Kreuz im Hintergrund, Szenen einer Vergewaltigung, die Schenkel des Mädchens, eine brotbrechende Frau: alles verbindet sich für J.R. zu einer verwirrenden Gleichzeitigkeit von Motiven der Liebe, der Gewalt und des Todes. Scorsese hat sie ironischerweise taktgenau auf den Rhythmus der verpoppten Version eines religiösen Liedes geschnitten: "Who's That Knocking at my Door?", und der Rhythmus der Bilder scheint ihren Inhalt zu verspotten. J.R., der in der Kirche Zuflucht sucht, wird dort keine Erlösung finden.
III MEAN STREETS (1973)
Der Film beginnt mit einem Satz auf Schwarzfilm:
"Für deine Sünden zahlst du nicht in der Kirche; du zahlst auf der Strasse, du zahlst zu Hause. Der Rest ist Scheiße, was sonst?"
Konsequenterweise teilt kurz darauf der Protagonist (Charlie/ Harvey Keitel) Gott und dem Zuschauer mit, dass er von der auferlegten Busse (Gebete) nichts hält und nicht mit Worten, sondern auf seine Weise, mit Taten, zu büssen gedenkt. Und Gott gewährt Charlie die erwählte Sühne in Form der Schutzpflicht gegenüber seinem Jugendfreund Johnny:
"We talk about penance and you send this through the door. Well, we play by your rules, don't we? Well, don't we?"
Scorseses "falscher Heiliger" (4) ist ein Prototyp seiner späteren typisch schizophrenen Helden: Charlie definiert sich als Christ, während er alltags für seinen Mafioso-Onkel arbeitet. Er will die Vergebung seiner Sünden, kann aber gleichzeitig der Versuchung nicht widerstehen.
Die für Scorsese charakteristische, ausschließlich zweipolige Weltsicht seiner Protagonisten und deren zwangsläufig tragische Konsequenzen kommen in "MEAN STREETS" bereits sehr stärk zum Ausdruck - Charlies sexuelle Beziehung zu Johnnys Cousine macht sie, nach den Gesetzen von "Little Italy", von einer ursprünglich Heiligen zur Hure.
Charlie selbst begründet seine Sichtweise:
"You don't fuck around with the infinite. There's no way you do that. The pain in hell has two sides: the kind you can touch with your hand, the kind you can feel with your heart. You know, the worst of the two is the spiritual."
Immer wieder betont Scorsese die Neigung seines Helden, die Hand ins Feuer zu halten - eine Geste der Abhärtung, der Mutprobe, die aber auch mit Charlies Statement auf dem Schwarzfilm korrespondiert und mitunter als seine Art der Busse verstanden werden könnte. Kein Zufall, dass ihn am Ende des Films ein Schuss ausgerechnet in die Hand trifft.
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- Arbeit zitieren
- Michael Rösel (Autor:in), 1995, Die Rolle der Religion im Werk von Martin Scorsese - Exemplarisch analysiert am Film "Taxi Driver", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/17959
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