Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Soziale Arbeit als Kontrolle? Dirty Work oder Kontrolle als Ressource? Zum Profil einer sozialpädagogischen legitimierten Kontrolle
3. Integrität und Mündigkeit. Ist eine advokatorische Ethik möglich?
3. Vergleich der beiden Quellen
4. Thesen
„Man hilft Menschen nicht, wenn man für sie tut, was sie selbst können“
Abraham Lincoln
1. Einleitung
Dieses Zitat beschreibt die Thematik, die in dem folgenden Posititionspapier bearbeitet werden soll. In dieser Seminararbeit wird die Frage erörtert, in wie weit die soziale Kontrolle ein Entmündigen der betroffenen Personen bewirkt oder ob diese Kontrolle als eine Möglichkeit zur Förderung der Selbstbestimmung der Klienten angesehen werden kann.
Im ersten Teil werden die Texte von Klaus Wolf „Soziale Arbeit als Kontrolle? Dirty Work oder Kontrolle als Ressource? Zum Profil einer sozialpädagogischen legitimierten Kontrolle“ und Micha Brumlik „Integrität und Mündigkeit. Ist eine advokatorische Ethik möglich?“ vorgestellt und die Positionen der Verfasser herausgearbeitet. Im zweiten Teil sollen die beiden Texte miteinander verglichen, Thesen und Kritik meinerseits angemerkt und zugleich ein Bezug zu der Sozialen Arbeit hergestellt werden.
2. Soziale Arbeit als Kontrolle? Dirty Work oder Kontrolle als Ressource? Zum Profil einer sozialpädagogischen legitimierten Kontrolle
Wolf beschreibt in seiner Literatur zu Beginn, dass die Kontrolle und möglicherweise anschließende Sanktionierung in der sozialen Arbeit einen negativen Charakter mit sich bringt. In vielen sozialen Bereichen werden die Klienten überwacht und es werden ihnen verschiedene Maßregeln auferlegt. Dabei gerät der Sozialarbeiter leicht in das Spannungsfeld der sozialen Kontrolle und Hilfe, da befürchtet wird, dass die Selbstbestimmung des Klienten untergraben wird. Dabei sollte Ziel der Sozialen Arbeit sein, den Klienten zu mehr Empowerment zu verhelfen. „Empowerment lässt sich sinngemäß übersetzen als Selbst-Bemächtigung, als Gewinnung oder Wiedergewinnung von Stärke, Energie und Fantasie zur Gestaltung eigener Lebensverhältnisse“ (Lenz, 2002, S. 13)1. Allerdings kritisiert Wolf an diesem Punkt die, mit dem Empowerment-Konzept geforderte, Aufhebung des Experten-Laien-Verhältnisses. Wolf bemängelt dabei, dass dadurch die Annahme entstehen kann, dass der professionelle Betreuer eine symmetrische Beziehung zu dem Klienten anstrebt. Wolf betont explizit, wie entscheidend er einen Machtüberhang des Betreuers findet, da sie die Ansprech- und Beratungspersonen der Klienten darstellen müssen. Es ist wichtig, dass die Klienten das Gefühl haben dem Sozialpädagogen im Privaten, aber auch in fachlichen Angelegenheiten, vertrauen zu können. Sie müssen professionelle Strategien besitzen, mit denen sie ihren Klienten Orientierungshilfen und Handlungsmöglichkeiten geben können. Dabei soll der Sozialarbeiter aber dem Klienten auch nicht das Gefühl verrmitteln, dass er immer besser weiß was für den Klienten gut ist oder eine zu große Distanz zu dem Klienten erzeugen zu wollen.
Für eine gelingende Sozialarbeit ist es für den Betreuer entscheidend, eine Beziehung zu dem Klienten aufzubauen. Durch eine positive Beziehung können Entwicklungsprozesse bei den Klienten gefördert werden, mit dem
1Lenz, Albert (2002): Empowerment und Ressourcenaktivierung- Perspektiven für die psychosoziale Praxis.. In: Lenz, Albert, Stark Wolfgang (Hrsg.): Empowerment. Neue Perspektiven für psychosoziale Praxis und Organisation. Tübingen: dgvt-Verlag
Ziel, dass das ‚Verhandeln‘ an Stelle von Vorschreibungen und Gehorchen tritt. Eine Beziehung bedeutet allerdings auch, dass die beiden Parteien der Beziehung voneinander abhängig sind. „Wenn der eine stärker auf den anderen angewiesen ist als dieser auf ihn, entsteht ein Machtdifferential“ (Wolf). Je intensiver diese Beziehung ist, umso größer wird allerdings auch die Abhängigkeit des Klienten von dem Betreuer, da dieser massiver auf den Betreuer angewiesen ist, als der Betreuer auf ihn. Der Sozialpädagoge trägt sehr zum Gelingen einer gesunden Beziehung und dem Umsetzen und Gelingen verschiedener Ziele des Klienten bei. Ich bin der Meinung, dass man diese Abhängigkeit in der Betreuer-Klienten-Beziehung sehr kritisch gegenüberstehen muss. Im späteren Vergleich werde ich mich diesem Punkt nochmals widmen.
Allerdings ist die Kontrolle der Klienten und somit auch ein Eingreifen in das Privatleben immer eine Gratwanderung und muss an engen, ethisch begründeten Grenzen gebunden sein. Fremdkontrolle wird dann notwendig, wenn die betroffenen Menschen keine Selbstkontrolle übernehmen können und dadurch eine Selbst- oder Fremdgefährdung besteht. Für Wolf befürwortet sozialpädagogische Interventionen, sobald die Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen und ihre psychische Gesundheit gefährdet sind oder falls Jugendliche eventuell ihre Zukunft aufs Spiel setzen, um eine mögliche, dauerhafte Schädigung der Klienten zu vermeiden. Allerdings weist Wolf daraufhin, dass diese Eingriffe verschiedene Fragen aufwerfen, zum Beispiel wie, wann und in welchem Umfang eine Intervention durchgeführt werden soll. Ich finde es wichtig, dass eine regelmäßige Reflexion des eigenen Handelns äußerst bedeutsam ist. Darauf möchte ich im späteren Verlauf näher eingehen.
Wolf kritisiert bei der direkten Kontrolle, dass es zu Scheinanpassungen statt zu einer Verinnerlichung führen kann. Die Klienten passen sich möglicherweise im Umgang mit den Betreuern ihren Forderungen an und zeigen eine scheinbar positive Entwicklung. Dies funktioniert allerdings nur in diesem eng kontrollierten Rahmen, sobald sie wieder auf sich gestellt sind treten erneut Schwierigkeiten auf. Wolf beschreibt an dieser Stelle, dass er
es für sinnvoller hält, die Klienten über die positive Beziehungsebene und somit über das ‚Verhandeln‘ zu erreichen und dadurch die Selbststeuerung der Klienten zu fördern. Dadurch kann ein guter Entwicklungsprozess verinnerlicht werden.
Wolf beschreibt weiterhin, dass anstatt einer durchgängigen Kontrolle eher versucht werden soll mit den betroffenen Personen zusammenzuarbeiten um so auch die Selbstbestimmung zu fördern. Allerdings trifft die Soziale Arbeit häufig auf Menschen, die mehrfach die Erfahrung gemacht haben, dass alle Bemühungen und Unternehmungen misslingen. Diese wiederholten Erlebnisse führen dazu, dass die Person den Glauben an die eigene Handlungsfähigkeit verliert und dementsprechend demotiviert und hoffnungslos ist. Dies wird als ‚erlernte Hilflosigkeit‘ bezeichnet. Ziel der Sozialen Arbeit soll es sein, den Menschen bei der Rückgewinnung von Selbstbestimmung und Eigenkontrolle zu helfen. Die Aufgabe der Betreuer soll es sein, den Klienten dabei zu motivieren, Ziele für sich zu entwickeln, die er auch bewältigen und umsetzen kann. Dadurch sollen Erfolgserlebnisse wieder erfahrbar gemacht werden und somit auch das Selbstbewusstsein gestärkt wird. Außerdem kann der Sozialarbeiter mögliche Ressourcen zur Verfügung stellen, die das Umsetzen der Ziele fördern. Wichtig ist hierbei, dass der Sozialarbeiter sehr vorsichtig vorgeht, da viele Klienten aufgrund ihrer Vergangenheit sehr sensibel auf Fremdkontrolle reagieren und damit einhergehende Degradierungserfahrungen verbinden. Ich empfinde es als notwendig, dass mit dem Klienten offen über die nötige Kontrolle gesprochen wird. Durch die Ehrlichkeit kann eine offene Beziehung zu dem Klienten gefördert werden. Wolf benennt verschiedene Faktoren, wodurch die Kontrolle bei den Klienten weniger negativ behaftet ist. Als wichtig wird benannt, dass eine partielle Kontrolle der vollständigen Kontrolle vorgezogen werden soll. Weiterhin sei es günstiger, wenn die Kontrolle ein, dem Klienten bekannter und geschätzter, Mitarbeiter übernimmt. Außerdem sollte versucht werden, nach und nach die Kontrolle zu reduzieren, um dem Klient auch seine Erfolge aufzeigen zu können. Zudem sollte der Klient an bei der Planung z.B. weiteren Zielen unbedingt beteiligt werden, wodurch auch eine Verbindlichkeit für alle Beteiligten entstehen sollte.
3. Integrität und Mündigkeit. Ist eine advokatorische Ethik möglich?
Fasst man „Ethik“ als „ein System von Behauptungen und Aufforderungen auf, das Werturteile und Verhaltensmaximen zur Orientierung für richtiges Handeln“ enthält, so kann mit Brumlik eine advokatorische Ethik vorläufig so definiert werden: „Eine advokatorische Ethik ist ein System von Behauptungen und Aufforderungen in Bezug auf die Interessen von Menschen, die nicht dazu in der Lage sind, diesen selbst nachzugehen sowie jenen Handlungen, zu denen uns diese Unfähigkeit anderer verpflichtet“ (Brumlik, 2004). Die advokatorische Ethik zeigt sich als notwendig, da durch das Verfassen dieser advokatorischen Ethik, betroffene Menschen, die nicht dazu bereit sind die ihnen auferlegten Maßnahmen nachzugehen, eine entsprechende Sanktionierung besser durchgeführt werden kann. Eine anwaltschaftliche Ethik fragt nach der Legitimation des vormundschaftlichen Vertretens von Interessen und von vormundschaftlichen Handlungen und liefert Gründe für die Legitimation solchen Verhaltens. Der advokatorische Diskurs beinhaltet somit die Erarbeitung von Maßstäben, um die Handlungsmotive der Vormünder, Helfer und Pfleger auf ihre Stichhaltigkeit und Tragfähigkeit hin zu überprüfen. Brumlik erklärt weiter, dass im Prinzip jede Pädagogik auch eine advokatorische Ethik enthält, insofern ein Gefälle an Mündigkeit gegeben ist. Sobald dieses Gefälle angefochten oder der Begründung der Unmündigkeit Fehlerhaftigkeit erkennen lassen, wird die Anwendung der advokatorischen Ethik aufgehoben. Durch verschiedene Bewegungen, wie zum Beispiel der Antipsychiatrie oder der antiautoritären Erziehung, wurde diese Bevormundung kritisiert, da sie die Selbstbestimmung und körperliche und geistige Integrität, also die Echtheit der Persönlichkeit der Klienten, nachhaltig schädigt. Die Pädagogik argumentiert daraufhin, dass die Eingriffe im Grunde kaum Bereiche beeinflussen, die die Integrität und Selbstbestimmung des Klienten schädigen würden. Laut Brumlik bedeutet vormundschaftlich, advokatorisches Handeln, dass die professionellen Mitarbeiter an Stelle der Klienten, welche selbst keine Verantwortung übernehmen können, tätig werden. Pädagogisch ist dieses Handeln aber nur dann, wenn das Ziel die Herstellung von Mündigkeit und Selbstbestimmung ist. Ich stehe dieser Ansicht eher kritisch gegenüber. Ich bin vertrete den Standpunkt, dass der Sozialarbeiter dem Klienten nicht alle Entscheidungen abnehmen sollte, sondern, dass sie gemeinsam tätig werden. Dies wird im Vergleich auch nochmals näher erläutert.
Nun stellt sich die Frage, in welche Kategorie der Ethik die advokatorische Ethik fällt. Brumlik stellt hierzu die Güter- und die Sollens- bzw. Pflichtethik vor. Die Unterschiede liegen darin, welche Merkmale sie für ein begründet gebotenes Handeln ansetzen. Die Güterethik beinhaltet „eine Hierarchie von Dingen und Zuständen, die für jeden einzelnen von uns oder für uns alle aus welchen Gründen auch immer
erstrebenswert sind“ (Brumlik, 2004). Demzufolge handelt es sich um Maxime, deren Erreichung wünschenswert, jedoch nicht zwingend erforderlich ist. Die Sollens- bzw. Pflichtethik hingegen hat „eine oberste, unbedingt, d.h. unabhängig von unseren Vorlieben und Wertschätzungen gültige Verhaltensmaßregel“ (Brumlik, 2004). Gemäß einer Klassifikation in der Sollensethik wären Mündigkeit und Personalität eines Menschen also unumgängliche Zustände, die mit sämtlichen Mitteln herbeigeführt werden müssen. Dies rechtfertigt automatisch ein entsprechendes externes Eingreifen bei Personen, die diese Charakteristika nicht aufweisen. Ich teile auch die Meinung, dass das (wieder)herstellen der Mündigkeit ein bedeutendes Ziel der Sozialarbeit sein muss. Allerdings sehe ich es als kritisch, dass die Sollensethik damit das Eingreifen und somit die Kontrolle von Personen rechtfertigt. Darauf möchte ich ebenfalls später Bezug nehmen. Kritiker der advokatorischen Ethik definieren Mündigkeit meist als psychischen Zustand entsprechend der Güterethik und begreifen Mündigkeit deshalb als schlichte Machtbeziehung, die in anderen Gesellschaftsmodellen überflüssig sein könnte. Brumlik lehnt jedoch diesen Einwand ab und verweist auf die fortwährende Situation eines Mündigkeitsgefälles in unserer Gesellschaft (Politik) und die Notwendigkeit
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