Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Einführung
1.1 Verhaltensstörung
1.1.1 Definition Verhaltensstörung
1.1.2 Verhaltensstörungen existieren nur im sozialen Kontext
1.1.3 Klassifikation von Verhaltensstörungen
1.1.4 Kriterien für Verhaltensstörungen
1.1.5 Verhaltensstörungen verstehen
1.2 AD(H)S als Verhaltensstörung
1.2.1 Begriffsklärung
1.2.2 Erklärungsansätze
1.2.3 Prävalenz
1.2.4 Ausprägungsformen
1.2.5 Symptome
1.2.5.1 Basissymptome
1.2.5.2 Sekundärsymptome
1.2.6 Verlauf
1.2.7 Maßnahmen
1.2.7.1 Pädagogische Angebote
1.2.7.2 Therapeutische Angebote
1.2.7.3 medikamentöse Behandlung
2 Projektbeschreibung
2.1 ‚FreiRaum – Zentrum für Kinder und Eltern’
2.1.1 Träger und Finanzierung
2.1.2 Verortung und Beschreibung der Einrichtung
2.1.3 Einzugsgebiet
2.1.4 Zielgruppe
2.1.5 Ziele
2.1.6 Angebotsstruktur
2.1.6.1 niedrigschwellige Angebote
2.1.6.2 höherschwellige Angebote
2.1.7 Angebotspalette
2.1.7.1 Angebote für Kinder mit AD(H)S
2.1.7.2 Angebote für Kinder mit AD(H)S und deren Geschwister
2.1.7.3 Angebote für Eltern/erwachsene Angehörige der Kinder mit AD(H)S
2.1.7.4 Angebote für Eltern/erw. Angehörige, Kinder mit AD(H)S u. Geschwister
2.1.7.5 allgemeine Angebote
2.1.8 Vernetzung
2.1.9 Mitarbeiter
2.1.9.1 hauptamtliche Mitarbeiter
2.1.9.2 sonstige Mitarbeiter
3 Fazit
Quellenverzeichnis
Einleitung
In dem Seminar ‚Verhaltensstörung als Herausforderung für die Heilpädagogik’ habe ich mich mit AD(H)S beschäftigt. Die Aufgabe bestand darin, ein Konzept für eine sozialpädagogische Beratungsstelle für Menschen mit AD(H)S und ihre Angehörigen zu entwickeln. Im ersten Teil der Hausarbeit stelle ich theoretische Grundlagen zu Verhaltensstörungen im Allgemeinen und zu AD(H)S im Besonderen dar. Im zweiten Teil stelle ich das Projekt ‚FreiRaum – Zentrum für Kinder und Eltern’ vor und gehe im dritten Teil auf die sozialpädagogische Relevanz des Themas ein.
Die Informationen für den Theorieteil habe ich zum Teil aus „Einführung in die Verhaltensgestörtenpädagogik“ von Hillenbrand entnommen. Angaben, die nicht mit dieser Quelle gekennzeichnet sind, stammen aus meinen Mitschriften zu den Veranstaltungen vom 20. und 27.4.2004 des Seminars ‚Verhaltensstörung als Herausforderung für die Heilpädagogik’.
1 Einführung
1.1 Verhaltensstörung
1.1.1 Definition Verhaltensstörung
„Verhaltensstörung ist ein von den zeit- und kulturspezifischen Erwartungen abweichendes maladaptives Verhalten, das organogen und/oder milieureaktiv bedingt ist, wegen der Mehrdimensionalität, der Häufigkeit und des Schweregrades die Entwicklungs-, Lern- und Arbeitsfähigkeit sowie das Interaktionsgeschehen in der Umwelt beeinträchtigt und ohne besondere pädagogisch-therapeutische Hilfe nicht oder nur unzureichend überwunden werden kann“ (Myschker, zit. n. Hillenbrand, 2002, S. 31).
Myschker berücksichtigt in seiner Definition verschiedene Ebenen (Phänomen, Verursachung, Klassifikation, Konsequenzen, Forderung nach Hilfe) und verdeutlicht so den komplexen Charakter von Verhaltensstörungen (vgl. Hillenbrand, 2002, S. 31).
1.1.2 Verhaltensstörungen existieren nur im sozialen Kontext
Myschker beschreibt das Phänomen Verhaltensstörung als ein Verhalten, dass von den zeit- und kulturspezifischen Erwartungen abweicht. Verhaltensstörungen setzten also ein soziales Bezugssystem voraus, denn nur wo bestimmte Werte, Normen und Verhaltensweisen als ‚richtig’ angenommen werden, fallen abweichende Verhaltensweisen auf. Wenn sich die sozialen Rahmenbedingungen ändern, ändern sich oft auch die Normen, nach denen Verhalten beurteilt wird (vgl. Hillenbrand, 2002, S. 29). „Die motorische Unruhe von Kindern mit Hyperaktivität wird oft erst in der Schule, wo die Anforderung des Sitzen-Bleibens am Tisch gilt, zum Problem. Ohne solche sozialen Rahmenbedingungen gibt es kein auffälliges Verhalten!“ (ebd. S. 29).
1.1.3 Klassifikation von Verhaltensstörungen
Der Begriff Verhaltensstörung umfasst eine Vielzahl von Verhaltensweisen, die sich nur schwer fassen lassen. Es gibt verschieden Klassifikationsmodelle. Myschker ordnet die verschiedenen Verhaltensstörungen in vier Kategorien ein:
1.1.4 Kriterien für Verhaltensstörungen
Wann kann man von Verhaltensstörungen sprechen? Um diese Entscheidung treffen zu können, muss es Kriterien geben, nach denen man sich richten kann, doch „da Auffälligkeit und Normalität […] eng beieinander liegen, erscheint selbst die Festlegung solcher Kriterien nicht unproblematisch. Soziale Faktoren und Bewertungen besitzen ein ganz erhebliches Gewicht für die Bestimmung von Verhaltensstörungen, und die Wirkungen der Störung auf die Entwicklung werden selbst zu einem zentralen Entscheidungsmerkmal“ (Hillenbrand, 2002, S. 37). So stellt das Ausmaß der Beeinträchtigung des Kindes oder Jugendlichen ein wichtiges Kriterium dar:
In der Kinder- und Jugendpsychatrie werden darüber hinaus bei der Abgrenzung von Verhaltensstörungen unter anderem folgende Kriterien zugrunde gelegt:
Um von einer Verhaltensstörung sprechen zu können, müssen mehrere dieser Kriterien erfüllt sein. Es ist nicht für alle Verhaltensstörungen einheitlich bestimmbar, welche und wie viele der Kriterien ausschlaggebend sind. So ist z.B. ein Suizidversuch oder eine delinquente Handlung wie etwa eine schwere Körperverletzung eine Verhaltensstörung, auch, wenn das Verhalten nicht sehr häufig oder langandauernd auftritt (vgl. Hillenbrand, 2002, S. 38). Myschker betont aus der Sicht der Pädagogik bei Verhaltensstörungen „die erschwerten Entwicklungs-, Lern- und Arbeitsmöglichkeiten, die durch das Problemverhalten entstehen“ (Hillenbrand, 2002, S. 38) und gibt ihnen so ein besonderes Gewicht.
Um in der Praxis mit dem Begriff Verhaltensstörung umgehen zu können, werden möglichst genaue, beobachtbare Kriterien notwendig, die für einzelne Verhaltensstörungen, z.B. durch internationale Klassifikationssysteme, definiert sind. Um Diagnosen abzusichern und um eine gemeinsame Grundlage zu haben, auf die man sich beziehen und über die man reden kann, werden oft die internationalen Klassifikationssysteme ICD-10 der WHO und das amerikanische System DSM IV angewendet (vgl. Hillenbrand, 2002, S. 31).
1.1.5 Verhaltensstörungen verstehen
Das systemische Denken gewinnt in der Pädagogik bei Verhaltensstörungen zunehmend an Bedeutung. Ein Kind, das Verhaltensstörungen zeigt, wird von dieser Warte aus nicht als ein isolierter Problemfall mit bestimmtem Symptomen verstanden, sondern im Kontext seiner Lebenszusammenhänge gesehen (vgl. Hillenbrand, 2002, S. 95).
Die Verhaltenstörung weist auf eine fehlende Balance im System hin, die zum Beispiel in einer Diskrepanz zwischen den Erwartungen und Anforderungen der Umwelt und den Bedürfnissen und Fähigkeiten des Kindes liegen kann. Das Kind, das Verhaltensstörungen zeigt, repräsentiert die im System bestehende Störung nach außen (vgl. ebd., S. 96).
„Aus der verstehenden Perspektive sind auffällige Verhaltensweisen individuelle Problemlösungsversuche in einer gestörten Kind-Lebenswelt-Beziehung“ (Werning, zit. n. Hillenbrand, 2002, S. 97).
Daraus folgt, dass systemisches Handeln auf eine Veränderung des Systems hinwirkt. Dabei wird auf bereits entwickelte Methoden aus verschiedenen Disziplinen zurückgegriffen, die auf den gegeben Kontext abgestimmt werden. Angesetzt werden kann bei den Rahmenbedingungen (z.B. Hausaufgabenhilfe für ein in der Schule überfordertes Kind), bei einzelnen Settings des Systems (z.B. Familie oder Schulkasse), auf verschiedenen Ebenen des Settings (z.B. einzelne Schulklasse oder ganzes Schulsystem) oder bei den Kompetenzen des Kindes (z.B. Selbstkonzept stärken, soziale Beziehungen fördern, etc.) (vgl. Hillenbrand, 2002, S. 97).
1.2 AD(H)S als Verhaltensstörung
1.2.1 Begriffsklärung
AD(H)S heißt ‚Aufmerksamkeits-Defizit-(Hyperaktivitäts)-Syndrom’, ist als ADHS in dem Klassifikationssystem DSM IV erfasst und meint „Störungen der Aufmerksamkeit, häufig verbunden mit motorischer Überaktivität, die früh in der Entwicklung einsetzen und relativ zeitstabil und situationsunabhängig sind“ (Hillenbrand, 2002, S. 176). Die Kinder, die dieses Verhalten zeigen, werden häufig als ‚Zappelphilipp’ charakterisiert. Es gibt keinen einheitlichen Begriff für dieses Problemverhalten, neben AD(H)S sind in der Literatur weitere Bezeichnungen zu finden, z.B. MCD (Minimale Cerebrale Dysfunktion), ADHD (Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsdysfunktionen) und hyperkinetisches Syndrom. Es liegt keine eindeutige Begriffsbestimmung vor, da bisher nicht klar ist, was genau diese Störung ausmacht (vgl. ebd., S. 176).
1.2.2 Erklärungsansätze
Die Ursache für AD(H)S ist bisher nicht eindeutig belegt, es werden verschiedene Erklärungsansätze diskutiert:
Organogene Erklärungen nehmen einen breiten Raum in der Diskussion ein (Hirnfunktionsstörungen, Störungen im Transmitterstoffwechsel, Allergien, ...).
Ein weiterer Ansatz sagt, dass eine erhöhte Vulnerabilität (=Verletzlichkeit) zu einer ständigen Überforderung des Kindes führt, da zu viele Eindrücke auf es einwirken.
Psychosoziale Erklärungen werden nicht als alleinige Ursache aber als Verstärker diskutiert (Prägung durch psychosoziales Umfeld; Reaktion, um Aufmerksamkeit zu erzwingen; ungünstiges Erzieherverhalten der Eltern, ‚Konfliktspirale’ führt zu Verstärkung des Problemverhaltens;...).
Die neuere Entwicklung führt zu integrativen Erklärungsansätzen. „Die Störungen der Selbstregulation auf verschiedenen Ebenen (Physiologie – Verhalten – Kognition) gelten danach als Kernproblem“ (Hillenbrand, 2002, S. 180).
1.2.3 Prävalenz
Da das Phänomen AD(H)S nicht klar abgegrenzt werden kann, kommen verschiedene Studien zu unterschiedlichen Zahlen. Erschwerend kommt hinzu, dass ‚hyperaktiv’ eine bei Eltern und Erziehern sehr verbreitete Bezeichnung für ‚schwierige’ Kinder ist, „so dass nach ihrem Urteil bis zu 30% der Kinder damit belastet sind“ (Hillenbrand, 2002, S. 178).
Eine Schätzung durch Experten hat eine Prävalenzrate von 3 bis 5% ergeben, wobei Jungen deutlich häufiger betroffen sind als Mädchen (3:1 bis 9:1) (vgl. Hillenbrand, 2002, S. 178).
1.2.4 Ausprägungsformen
AD(H)S kommt in unterschiedlichen Ausprägungen vor:
Als ‚Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom’ (ADS) ohne Formen der Hyperaktivität, bis hin zur Lethargie,
als hyperaktives und extrem impulsives Verhalten
oder als Mischform.
Am bekanntesten sind die Formen von AD(H)S, die hyperaktives Verhalten beinhalten. Sie werden zu den externalisierenden Verhaltensstörungen gezählt (vgl. ebd., S. 176).
1.2.5 Symptome
Es lassen sich drei primäre Basissymptome bestimmen, die in der Regel eine Reihe von Sekundärsymptomen nach sich ziehen.
1.2.5.1 Basissymptome
Aufmerksamkeitsstörungen
Das Interesse des Kindes wechselt schnell von einem Objekt zum anderen, es beendet begonnene Aufgaben nicht sondern bricht sie ab, um sich einer anderen Tätigkeit zuzuwenden. Die selektive Aufmerksamkeit, bei der der Mensch auf eine bestimmte Aufgabe ausgerichtet und konzentriert ist, ist nicht altersgemäß entwickelt. Das Kind ist nicht gut in der Lage, ablenkende Reize auszublenden. Die Daueraufmerksamkeit, die es ermöglicht, sich längere Zeit mit einer Sache zu beschäftigen, ist ebenfalls nicht altersgemäß entwickelt.
In neuen, Furcht erregenden oder interessanten Situationen zeigen auch Kinder mit AD(H)S Aufmerksamkeitsverhalten. Diese Fähigkeiten fehlen also nicht völlig, sie sind nur unterentwickelt (vgl. ebd., S. 176).
Impulsivität
Das Kind zeigt plötzliche, unüberlegte Verhaltensweisen, es kann Handlungen, Bedürfnisse und Wünsche kaum aufschieben oder zurückstellen und extrem schlecht abwarten. Auch im kognitiven Bereich ist eine impulsive Vorgehensweise zu beobachten: das Kind stürzt sich in unüberlegte und unbesonnene Lösungsversuche, was oft zu fehlerhaften Ergebnissen führt und die mangelnde Selbstkontrolle des Kindes in Problemlösungsprozessen deutlich macht (vgl. Hillenbrand, 2002, S. 177).
Hyperaktivität
Das Kind ist sehr unruhig, ständig in Bewegung und nimmt dabei oft auch Kontakt zu anderen auf, was in der Schule als extreme Störung des Unterrichts aufgefasst wird. Auch die verbale Aktivität ist deutlich erhöht. Darüber hinaus kommt das Kind häufig mit sehr wenig Schlaf aus und leidet unter Einschlafproblemen (vgl. ebd., S. 177).
1.2.5.2 Sekundärsymptome
Störungen im emotionalen Bereich
Häufig sind Wutausbrüche und emotionale Schwankungen zu beobachten. Auch depressive Stimmungen, Angst, soziale Unsicherheit und ein geringes Selbstvertrauen in sich und in die eigenen Fähigkeiten kommen oft vor (vgl. ebd., S. 177).
Störungen im sozialen Kontakt und des Sozialverhaltens
Das Kind zeigt häufig oppositionelle Verhaltensweisen, widersetzt sich aktiv Anweisungen und kann so aggressive Störungen des Sozialverhaltens entwickeln. Die Anpassung an verschiedene soziale Situationen fällt dem Kind schwer, es wirkt eher unreif, wird von Gleichaltrigen oft abgelehnt und hat in der Regel eine sehr negative soziale Stellung.
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