Mauern, Zäune, Tore: Sozialräumliche Exklusion am Beispiel von gated communities in Russland (Moskau)


Hausarbeit (Hauptseminar), 2008

20 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Annäherung an den sowjetischen Öffentlichkeitsbegriff
2.1 Räumliche Einordnung: Öffentlichkeit und Wohnraum in der Sowjetunion
2.2 (Wohn-) Raum und Öffentlichkeit in der Transformationsphase

3. Der Wohnungsmarkt in der Transformationsphase

4. Gated communities als Sonderfall des “elitären Wohnens”
4.1 Zum Phänomen der gated communities in Moskau: Ursachenforschung
4.2 Sicherheitskonzepte
4.3 Verbreitung und Akzeptanz der GCs in der russischen Gesellschaft

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Darstellung der Entwicklung der öffentlichen und privaten Sphäre in der Sowjetunion .

Abb. 2: Wohnpreise 1999 (räumlich differenziert)

Abb. 3: Wohnungspreisentwicklung

Abb. 4: Räumliche Lage ausgewählter gated communities in Moskau

Abb. 5: Berufsstruktur der moskauer Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter (1989)

1. Einleitung

Die heutigen Konzepte von “Öffentlichkeit” und “Privatsphäre” sind Produkte der westeuropäischen Gesellschaftsentwicklung. Das Interesse des sich herausbildenden Bürgertums war es, sein Privateigentum zu schützen und über dessen Verwertung mitentscheiden zu können. Der öffentliche Raum bot hierzu eine Plattform der Kommunikation und Meinungsbildung, des Austausches zwischen staatlichem und privatem Interesse und einen gewissen Grad an Autonomie gegenüber dem Staat; somit wurde es dem Bürger ermöglicht aus seiner Privatsphäre herauszutreten. Ab dem 20. Jahrhundert wurde das bürgerliche Konzept von Öffentlichkeit allmählich von einem demokratischen Pluralismus mit privater Marktwirtschaft abgelöst. Der Begriff der “Öffentlichkeit” ist demnach eng mit gesellschaftlichen, politischen und sozialen Entwicklungen verbunden.1

Seit Beginn des Transformationsprozess in Russland in den 1980er Jahren, dem damit verbundenem Zerfall der Sowjetunion 1991, den ersten marktwirtschaftlichen Reformen, der Entwicklung eines pluralistischen politischen Systems und der beginnenden Demokratisierung der Gesellschaft scheint sich die Wahrnehmung vom Öffentlichkeitsbegriff und dem damit verbundenen Konzept des Äöffentlichen Raums“ in Russland zu verändern.2

Die Transformationsprozesse im postsowjetischen Russland schufen eine neue soziale Ordnung und führten zur Modifizierung alter Werte. Neue kulturelle Werte und soziale Prinzipien können aber nicht völlig neu erfunden werden, sondern orientieren sich an bekannten, erlernten Mustern. Räumliche und soziale Ordnungsmuster beeinflussen sich gegenseitig und sind Voraussetzung für das “soziale Lernen”. Die Untersuchung des Phänomens gated communities in Russland muss daher sowohl die sozio-ökonomischen Veränderungen, als auch die historischen und kulturellen Bedingungen, die ihre schnelle Verbreitung und Akzeptanz begünstigten, betrachten.3

Diese Arbeit wird sich daher auf die oben beschriebenen Veränderungen während des russischen Transformationsprozess„ konzentrieren. Besonderes Augenmerk gilt der Entwicklung des Wohnsektors, wobei der Bereich des sogenannten bewachten Wohnens im Hinblick auf die These untersucht werden soll, dass die Verbreitung russischer GCs mit der Abnahme gemeinwohlorientierter Steuerungsmöglichkeiten der Stadtentwicklung beim Übergang von der sozialistischen in die kapitalistische Marktwirtschaft zusammenhängt.

2. Theoretische Annäherung an den sowjetischen Öffentlichkeitsbegriff

Nimmt man sich obige Konzeptionen von Öffentlichkeit bei der Betrachtung der sowjetischen Gesellschaft zur Grundlage, stellt man fest, dass es eine Öffentlichkeit in diesem Sinne nicht geben konnte: es gab weder Privateigentum, noch war der Staat bürgerlich oder plural strukturiert. Der öffentliche Raum erfüllte in der Sowjetunion zwei Funktionen: er diente auf politischer Ebene der Manifestation des Politischen und der Herstellung einer Identität zwischen Machthabern und Volk mittels Kundgebungen und Paraden. Darüber hinaus wurde er als Mittel zur Kontrolle der Gesellschaft und der Repression benutzt. Oswald & Voronkov (2003) unterscheiden daher zwischen einer “offiziell-öffentlichen Sphäre” (Repräsentation) und einer “privat-öffentlichen Sphäre” (Kontrolle). Charakteristika letzterer war es, dass sie weder öffentlich noch privat im eigentlichen Sinne war, sondern durch den Übergang der offiziellen staatlichen Kontrolle in den Privatbereich gekennzeichnet war.4

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Darstellung der Entwicklung der öffentlichen und privaten Sphäre in der Sowjetunion

Quelle: Oswald & Voronkov (2003), S. 48, (modifiziert).

2.1 Räumliche Einordnung: Öffentlichkeit und Wohnraum in der Sowjetunion

Während der Wohnbereich im bürgerlichen Verständnis zur Privatsphäre gehört und damit vor Fremdeinwirkungen zu schützen ist, drang in der Sowjetunion die offizielle Sphäre, d.h. der Staat, tief in dessen Gestaltungsmöglichkeiten ein. Die Privatsphäre widersprach der Ideologie des kollektiven Lebens und war somit nicht schützenswert.

Die Wechselwirkungen zwischen dem Wohnbereich einerseits und den Öffentlichkeitssphären andererseits waren geprägt von der Politik der jeweiligen Machthaber, dem jeweiligen Selbstverständnis der Bürger, sowie materiell- technologischen Veränderungen, so dass sie bestimmten Schwankungen unterlagen.5 Es lassen sich drei Phasen unterscheiden, die diese Entwicklungen widerspiegeln:

Die erste Phase erstreckte sich von 1917 bis zur Mitte der 1930er Jahre und war gekennzeichnet durch Wohnungsenteignungen und Umverteilungen von Wohnraum. Diese Politik war Folge der postrevolutionären Landflucht der Bürger in die großen Städte. Genossenschaften waren die Hauptakteure in diesem Prozess: Neben der effektiven Wohngestaltung lag ihre Aufgabe darin, die staatliche Ideologie in die Privatsphäre des Wohnens zu tragen. Später eignete sich der Staat diese Aufgaben schrittweise selbst an, was bis 1937 in der völligen Verstaatlichung des Wohnungssektors mündete.6

Das Instrument der Stadtplanung diente dem Staat zur Aufhebung sozialer Unterschiede und Segregationstendenzen. Die aus der Not geborene Übergabe von Wohnraum der oberen Klassen an Besitzlose und die Schaffung von Gemeinschaftswohnungen (Kommunalki), als Sinnbild des egalitären Wohnens, ließ sich ideologisch gut rechtfertigen.7

In den Kommunalki wurden Generationen von Sowjetbürgern, unter Bedingungen kaum vorhandener Privatsphäre und ständiger Kontrolle, sozialisiert. Das Soziale, als "Vergesellschaftung des Privaten", wurde daher von vielen Bürgern als etwas Negatives assoziiert.8

Unter Stalin (1924 - 1953) erreichte der Prozess der Entindividualisierung seinen Höhepunkt: Repression, Denunziation und Bespitzelung drangen nun bis hinein in die Wohnungsflure, Küchen und Bäder. Freie Persönlichkeitsentfaltung und das potentielle Interesse zu gesellschaftlicher Mitgestaltung wurden so bereits im Keim erstickt.9

In den drei nachstalinzeitlichen Jahrzehnten nahm die staatlich-offizielle Kontrolle wieder sukzessive ab; die Liberalisierungstendenzen wurden im Wohnungssektor durch den beginnenden Massenwohnungsbau seit Mitte der 1950er Jahre sichtbar. Dieser schuf für Hunderttausende von Städtern die Voraussetzungen für einen eigenen Wohnbereich außerhalb der Kommunalka. Zwar hatte der Staat weiterhin das Primat der Macht inne, dennoch war seine Kontrollmöglichkeit begrenzt. Die Rückzugsmöglichkeit in die Privatheit erlaubte den Einbezug Gleichgesinnter in einen Raum des Meinungsaustauschs, der weder der Ideologie der Machthaber ausgesetzt war noch der Auseinandersetzung mit sich selbst. Die “Küche der Intelligenzija”, als Sinnbild einer Privatsphäre, avancierte zum Ort einer neuen privaten Öffentlichkeit.10

Der privat-öffentliche Raum zeichnete sich dadurch aus, dass er auf einem Vertrauensverhältnis der jeweiligen Nutzer basierte, die sich in “getarnten” Gesellschaften (z.B. Literaturzirkeln) zusammenfanden und sich kritisch mit politischsozialen Themen auseinander setzten. Dieser Bereich war weder öffentlich noch privat im eigentlichen Sinne, da bereits außerhalb der eigenen Wohnung die offiziellöffentliche Sphäre begann, die theoretisch immer wieder in die Privatsphäre eindringen konnte. Bereits für das unmittelbare Wohnumfeld fehlten daher Anreize zu ziviler Mitgestaltung, so dass Gleichgültigkeit und Vandalismus um sich griffen, soweit bezahlte Hausmeister dies nicht verhinderten.11

Der ständige Spagat zwischen offiziellen Verhaltensvorschriften und informellen Alltagsnormen führte einerseits zur “sozialen Schizophrenie des homo sovieticus”, der stets darum bedacht sein musste das für die jeweilige Sphäre korrekte Handeln an den Tag zu legen. Andererseits bewirkte er eine Depolitisierung, besser: “ein sich Entziehen von den allumfassenden Ansprüchen des Staates” von breiten Bevölkerungsschichten; dadurch erhielt der Begriff der Depolitisierung im gesellschaftlichen Verständnis eine befreiende und positive Implikation.12

Da es weiterhin das erklärte Ziel der Politik war soziale Unterschiede aufzulösen, blieben durch die staatlich gelenkte Wohnungsvergabe die Stadtviertel weitestgehend sozial heterogen. Dennoch gab es vor allem in Moskau, dem administrativen Zentrum der Sowjetunion, einen gewissen Grad an sozialräumlicher Differenzierung. Dieser zeigte sich in der teilweisen Absonderung der Machthaber (Nomenklatura) in eigenen Wohnkomplexen, die meist in Zentrumsnähe oder westlich des Kremls lagen und sich durch ihre sehr gute Bausubstanz, die repräsentative Lage und z.T. durch eigene Infrastruktur auszeichneten.13

2.2 (Wohn-) Raum und Öffentlichkeit in der Transformationsphase

Die seit 1987 unter Gorbatschow durchgeführten Reformen (Glasnost, Perestroika) führten zu einer Liberalisierung von Politik, Wirtschaft und öffentlichem Diskurs. Die Transformation der Märkte und deren Öffnung für privates Kapital, die Einführung einer pluralen Demokratie und neuer Foren der Meinungsbildung brachten eine fundamentale Neuordnung der öffentlichen und privaten Sphäre mit sich: Symbole staatlicher Macht verschwanden und an ihre Stelle traten Orte der Allgemeinheit (Parks, Einkaufszentren). Außerdem wurde Systemkritik nun geduldet, so dass die Grenzen zwischen offiziell-öffentlich und privat-öffentlich immer unschärfer wurden.14

Die politische und wirtschaftliche Transformation hatte somit auch weitreichende Auswirkungen auf die sowjetischen Gesellschafts- und Sozialstrukturen. Hervorzuheben ist in diesem Prozess die Abnahme sozialer Netze durch Differenzierung und Individualisierung, sowie die rasche Polarisierung der Gesellschaft in Gewinner (die sogenannten "Neuen Russen") und Verlierer der marktwirtschaftlichen Reformen. Diese neue Ordnung ersetzte zugleich das einstige sowjetische Prinzip sozialer Gleichheit und schuf die Voraussetzungen für die Separierung nach Einkommen und Besitz.15

Die Neuen Russen, sowie die etwas zeitversetzt aufkommende neue Mittelklasse, die jeweils etwa 5 % bzw. 20 % der Moskauer Bevölkerung ausmachten, hegten das Bedürfnis ihren neuen Wohlstand öffentlich zu demonstrieren und sich bezüglich ihres sozialen Status von den anderen Schichten abzugrenzen - insbesondere über die Wahl des Wohnorts.16

[...]


1 Vgl. Glasze (2002), S. 15 ff; Lentz & Lindner (2003), S. 50 f.; Oswald & Voronkov (2003), S. 39 & 42.

2 Vgl. Brade (2002), S. 12; Schröder (2003), S 14 ff.

3 Vgl. Brade (2002), S. 15; Lentz (2006), S. 209. Im Folgenden wird gated community mit ‚GC„ abgekürzt.

4 Vgl. Lentz & Lindner (2003), S. 51.; Oswald & Voronkov (2003), S. 47 ff. & 57.

5 Vgl. Lentz & Lindner (2003), S. 51; Oswald & Voronkov (2003), S. 47 f.

6 Vgl. Lentz & Lindner (2003), S. 51 f; Rudolph & Lentz (1999), S. 27 f.

7 In den Kommunalki teilten sich mehrere Haushalte Küche und Sanitäreinrichtungen. Die Autoren heben hervor, dass "nicht nur Unterschichtbevölkerung in solchen Verhältnissen lebte": Lentz & Lindner (2003), S. 51 f; Vgl. Rudolph & Lentz (1999), S. 27 f.; Wendina & Brade (1996), S. 17.

8 Noch 1995 betrug der Anteil der Kommunalki in Moskau 10-12 % des Gesamt-Wohnungsbestands, im Stadtzentrum lag er gar bei 45 %: Vgl. Wendina & Brade (1996), S. 17; Rudolph & Lentz (1999), S. 28; Oswald & Voronkov (2003), S. 47.

9 Vgl. Lentz & Lindner (2003), S. 52.; Schröder (2003), S. 12 f.

10 Vgl. Lentz & Lindner (2003), S. 52; Oswald & Voronkov (2003), S. 49.

11 Vgl. Lentz & Lindner (2003), S. 51 f.; Oswald & Voronkov (2003), S. 47 ff. & 57.

12 Vgl. Oswald & Voronkov (2003), S. 46 & 52.

13 Vgl. Rudolph & Lentz (1999), S. 27, 29; Lentz (2006), S. 218.

14 Vgl. Lentz & Lindner (2003), S. 52 - 55.

15 Vgl. Rudolph & Lentz (1999), S. 29, 31; Rudolph (2002a), S. 204 f.; Rudolph (2002b), S. 237; Glasze (2003), S. 6. Vgl zu "Neue Russen" Rudolph & Lentz (1999), S. 28 und in dieser Arbeit S. 7, Fußnote "19".

16 Vgl. Rudolph (2002b), S. 237.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Mauern, Zäune, Tore: Sozialräumliche Exklusion am Beispiel von gated communities in Russland (Moskau)
Hochschule
Universität zu Köln  (Wirtschafts- und Sozialgeographisches Institut)
Veranstaltung
Regionale Kulturgeographie
Note
2,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
20
Katalognummer
V180345
ISBN (eBook)
9783656029427
ISBN (Buch)
9783656029342
Dateigröße
1230 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bewachtes Wohnen, Sozialräumliche Exklusion, Transformation, Wohnraum, Öffentlicher Raum, Moskau, Russland, Gated Community, Elitäres Wohnen, Wohnungsmarkt, Kommunalki, Sowjetunion, Privatisierung, Sozialismus, Liberalisierung, Wohnungsbaupolitik, Segregation, Neue Russen, Nomenklatura, Sicherheit, homo sovieticus, Wertewandel
Arbeit zitieren
Bruno Yote (Autor:in), 2008, Mauern, Zäune, Tore: Sozialräumliche Exklusion am Beispiel von gated communities in Russland (Moskau), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180345

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