Polyamory. Beziehungsgestaltung polyamorer Menschen

Eine Studie


Diplomarbeit, 2011

262 Seiten, Note: Gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Ausgangsüberlegung

I. THEORETISCHER TEIL

2. Was ist eine Beziehung?
2.1 Partnerschaftliche Beziehunsen
2.2 Geschichte der Liebesbeziehung

3. Liebe und Sexualität in modernen Gesellschaften
3.1 Arten der Liebe
3.2 Veränderungen sexueller Einstellungen und Verhaltensweisen im 20. Jahrhundert
3.3 Sexuelles Verhalten

4. Polyamory
4.1 Abgrenzungen zwischen Polyfidelity, Vielehe und freie Ehe
4.2 Formen polyamorer Beziehungen
4.3 Zur polyamoren Lebensweise
4.4 Polyamory und Gesellschaft
4.5 Beispiele polyamorer Beziehungen

5.Bisherige Forschung zu Polamory
5.1 Zum Stand der Forschung zu Polyamory
5.2 Motive für die Wahl einer nichtmonogamen Lebensweise
5.3 Subjektive Begründungen polyamorer Beziehungen
5.4 Verbindlichkeit in polyamoren Beziehungen
5.5 Die Bedeutung der Polyamory für die Rolle der Frau
5.6 Kosten, Belastungen und Nutzen polyamorer Beziehungen
5.7 Zusammenfassung und offene Forschungsfragen

II. EMPIRISCHER TEIL

6. Fragestellungen

7. Versuchsplan und Untersuchungsdesign

8.Untersuchungsmethode
8.1 Methodisches Herangehen
8.2 Untersuchungsdesign
8.3 Stichprobe
8.4 Methodik und Instrumente
8.5 Entwicklung des Interviewleitfadens und Fragebogens
8.6 Geplante Auswertung der Daten
8.7 Ethische und juristische Aspekte der Studie
8.8 Methodenkritische Diskussion der Versuchsplanung
8.9 Durchführung der Studie

9. Ergebnisse
9.1 Zusammensetzung der Stichprobe
9.2 Qualitativer Teil
9.2.16 Rollenverteilung in polyamoren Beziehungen
9.3 Quantitativer Teil
9.4 Verknüpfung der qualitativen und quantitativen Ergebnisse im Sinne der Triangulation

10.Zusammenfassung und Diskussion
10.1 Zusammenfassung
10.2 Diskussion der Ergebnisse
10.3 Methodische Probleme der Studie
10.4 Implikationen/Konsequenzen der Ergebnisse für Forschung und Praxis
10.5 Weiterführende Forschungsnotwendigkeiten

11.Literaturverzeichnis

12. TABELLENVERZEICHNIS

Anhang A

ANHANG B

ANHANG C

ANHANG D

ANHANG E

ANHANG F

1. Ausgangsüberlegung

Polyamory ist bisher noch kaum beforscht. Insbesondere Studien über Polyamory im deutschsprachigen Raum sind bis dato in den gängigen Internet-Suchmaschinen wie Google und Altavista kaum zu finden. Auch in den über die Universität Salzburg zugänglichen Bibliotheksdatenbanken wie Web of Knowledge, Scopus, Psyclit und Aleph sind keine Studien über Polyamory im deutschsprachigen Raum erhältlich.

Dem steht entgegen, dass sich Popularliteratur mit dem Thema Polyamory befasst. Im Buch „Mehr als eine Liebe - Polyamouröse Beziehungen“ (Meritt, Bührmann & Scheftzig, 2005) schildern 30 polyamouröse Autoren ihre Sicht der Liebe. Auch in „Ein Frühstück zu Dritt - Leben und lieben in Mehrfachbeziehungen“ (Schlender & Söhner, 2006) kommen Menschen zu Wort, die sich offen zu „Mehrfachliebesbeziehungen“ bekennen. In Wikipedia, der freien Enzyklopädie, beschreiben anonyme Autoren auf 19 Seiten das Phänomen der Polyamory (Wikipedia, 2006). Darüber hinaus lenken deutschsprachige Internetseiten wie http://www.polyamory.ch, www.polyamore.de und http://www.polyamory.at/ die Aufmerksamkeit auf diese Thematik.

Von wissenschaftlichem Interesse ist es, das Phänomen Polyamory mit einer Kombination aus qualitativer und quantitativer Analyse zu erfassen. Im Vordergrund steht dabei grundsätzlich die Frage: Wie leben polyamoröse Menschen dieses Beziehungsmodell? Dazu ist auch von Interesse, wie sie ihre Sexualität leben, wie die polyamore Beziehung entstanden ist, wie mit Alltag und Freizeit umgegangen wird. Auch Gefühle und der Umgang mit Gefühlen wird abgefragt.

I. THEORETISCHER TEIL

2. Was ist eine Beziehung?

Um eine bessere Zugangsweise zur Komplexität polyamorer Beziehungen zu erhalten, empfiehlt es sich zuerst abzuklären, was eine Beziehung aus psychologischer Sicht überhaupt ist. Bisher gibt es kaum Definitionen im Bereich Beziehungen, die Lebensformen ähnlich der von polyamoren Menschen miteinschliessen.

Eine sehr frühe allgemeine Definition geht auf Fritz Heider (1977) zurück. Er bezeichnet „zwischenmenschliche Beziehungen als Relationen zwischen wenigen, für gewöhnlich zwischen zwei Personen. Wie eine Person über eine andere denkt und fühlt, wie sie mit ihr tut, welche Taten oder Gedanken sie von ihr erwartet, wie sie auf Handlungen der anderen Personen reagiert.“ (Heider, 1977, S. 10)

Günter Wiswede (2004) definierte im seinem Lexikon der Sozialpsychologie den Begriff der sozialen Beziehung wie folgt:

„Ganz allgemein bezeichnet man als Beziehung jede Form permanenter Interaktion. I.e.S. werden engere (private, intime) Austauschprozesse als Beziehung angesehen. Beziehungen haben verschiedene Wurzeln (z.B. Verwandtschaft, Zuneigung und Liebe, gemeinsamer Arbeitsplatz, Rollenkontext usw.)“ (Wiswede, 2004, S. 61)

Michael Argyle und Monika Henderson (1986) definieren soziale Beziehungen so:

„Als ,Beziehungen’, ,persönliche Beziehungen’ oder ,Dauerbeziehungen’ bezeichnet man regelmäßige soziale Beziehungen mit bestimmten Personen über eine gewisse Zeit hinweg. ( ) In vielen Fällen finden wir Bindung oder gegenseitige Verpflichtung; das bedeutet; dass der andere bei Abwesenheit vermisst und das Ende der Beziehung als schmerzlich und belastend erlebt wird.“ (Argyle & Henderson, 1986, S. 12)

Nach Berscheid (1994) betrachtet der Netzwerkansatz sozialer Beziehungen alle soziale Beziehungen einer Person. Unter diesen Beziehungen kann es besonders enge, emotional bedeutsame Beziehungen geben. Dazu gehören meist die Beziehungen zu den Eltern und Geschwistern, teilweise auch zu den Großeltern, später auch die Beziehungen zu besonders guten Freunden, zu Geliebten, zu (Ehe-) Partnern und zu eigenen Kindern. Ausgehend von psychoanalytischen Vorstellungen über frühe Objektbeziehungen wurden enge Beziehungen vor allem unter dem Aspekt der sozialen Bindung untersucht.

Nach Aspendorpf und Banse (2000) betrachten viele Menschen ihre Beziehungen zu anderen Menschen als den wichtigsten Teil ihres Lebens. Beziehungen stehen im Mittelpunkt der meisten Theaterstücke, Romane und Filme. Obwohl Beziehung für den Menschen einen so großen Stellenwert hat, gibt es keine Teildisziplin der Psychologie, die eine ausgefeilte Beziehungspsychologie beinhaltet. Im deutschsprachigen Raum gibt es bisher nicht einmal Ansätze zu einer solchen einheitsstiftenden Beziehungspsychologie. Im angloamerikanischen Raum existieren zwar Versuche, „(inter)personal relationships“ zum Gegenstand einer interdisziplinären Forschung zu machen, an der sich vor allem Psychologen/innen und Kommunikationswissenschaftler/innen beteiligen, aber eine methodologisch und methodisch einheitliche Disziplin ist dabei noch nicht entstanden. (Asendorpf & Banse, 2000)

Horst Heidbrink, Helmut E. Lück und Heide Schmidtmann (2009) betonen, dass im Deutschen der Begriff „Beziehungen“ verschiedene Bedeutungen hat. Sie betonen, dass es verschiedene soziale Bezeihungen gibt, wie etwa zwischen Freunden, Liebespaaren, Arbeitskollegen, Nachbarn, Eltern und Kinder, Geschwistern und „virtuelle“ Beziehungen.

2.1 Partnerschaftliche Beziehunsen

Da es kaum Literatur über polyamore Beziehungsformen gibt, werden unter diesem Kapitel einige Angaben über partnerschaftliche oder eheliche Beziehungen aus der Literatur angeführt. Darüber hinaus lässt sich ableiten, dass polyamore Beziehungen ähnlich funktionieren, wie partnerschaftliche Beziehungen allgemein. Möglicherweise setzen sich polyamore Beziehungen auch aus unterschiedlichen einzelnen Partnerbeziehungen zusammen. Der hauptsächliche Unterschied zur „normativen“ Paarbeziehung ist, dass sich diese Beziehungen nicht nur auf zwei Personen beschränken. Unklar ist; ob es auch in polyamoren Beziehungen einen Treuebegriff gibt, was dieser bedeutet und wie damit umgegangen wird.

Partnerschaftliche Beziehungen sind nach Asendorpf und Banse (2000), wie alle persönlichen Beziehungen dadurch gekennzeichnet, dass sie stabile und dyadentypische Interaktionsmuster aufweisen. Solche Interaktionsmuster können zum Beispiel darin bestehen, dass sich ein Paar in Konfliktsituationen lange, inhaltlich und emotional negativ eskalierende Wortwechsel liefert, während ein anderes Paar den Konflikt zwar thematisiert, aber nach wenigen Wortwechseln die Auseinandersetzung durch neutrale oder versöhnliche Äußerungen beendet.

Nach Baccman, Flokesson und Norlander (1999) folgt jede Beziehung bestimmten Regeln, wie persönliche Freiheit, Ähnlichkeiten, gegenseitige Unterstützung, Ehrlichkeit, Loyalität, gemeinsam Zeit verbringen, Ressourcen teilen und ein Gefühl von Liebe. Diese Regeln treffen sowohl auf Beziehungen von hetro- als auch homosexuellen Menschen zu. Hinsichtlich dieser Regeln wurden mehr Unterschiede zwischen den einzelnen Beziehungen, als zwischen der Art der Beziehung gefunden.

Unter den definierenden Charakteristiken für eine Liebesbeziehung sind nach Baron und Byrne (2003) sexuelle Anziehung und physische Intimität. Von den Individuen und der kulturellen Akzeptanz hängt es ab, was diese Intimität beeinhaltet. Die Spannweite reicht von händehalten, umarmen, küssen und explizite sexuelle 10/262Interaktionen, die von Liebkosung bis zu Geschlechtsverkehr reichen. Einer oder beide Partner denken an Liebe oder möglicherweise auch an Heirat.

Zusätzlich zur physischen Intimität bevorzugen manche Menschen nach Swann, De La Ronde und Hixon (1994) eine/n Partner/in der/die ein relevantes Feedback zum eigenen Selbstkonzept gibt, jemand der eine Quelle für Verwirklichung sein kann. Zu Beginn legen beide Partner die Aufmerksamkeit auf Akzeptanz. Sie möchten gemocht werden und den/die Andere/n vorbehaltlos mögen, wie es durch Komplimente und Loben ausgedrückt wird. Die Leute gehen miteinander aus, um eine gute Zeit miteinander zu haben und sie zeigen ihr bestes Verhalten. Die Urteile über einander sind oft unrealistisch, weil jede/r glauben möchte, den/die perfekte/n Partner/in gefunden zu haben. Sie möchten unkompliziertes und total positives Feedback von diesem Partner oder dieser Partnerin.

Aus der Perspektive eines/einer Beobachters/in kann nach Murray und Holmes (1997) ein romantisches Paar absolut unrealistisch wirken. Ein Weg um Liebesromanzen zu verstehen ist, dass sie auf Fantasien und positiven Illusionen aufbauen. Tatsächlich können solche Illusionen helfen eine bessere Beziehung zu haben. Eine Konsequenz dieser Tendenz ist es, wie in USA, Kanada und den Niederlanden untersucht, dass Paare ihre eigene Beziehung im Vergleich zu den Beziehungen anderer Paare als besser beurteilen.

Diese geteilten Illusionen über Romantik basieren nach Knee (1998) oft auf dem Glauben an ein romantisches Schicksal d.h. der Überzeugung, dass zwei Menschen füreinander bestimmt sind. Wenn zwei Menschen sich um einander sorgen und glauben, dass sie füreinander bestimmt sind, dann kann dies tatsächlich einen positiven Einfluss auf die Dauerhaftigkeit ihrer Beziehung haben.

Diese positive Betonung macht es Partner/innen schwer, sich vorzustellen, dass die Beziehung jemals enden wird.

Spanier und Lewis (1980) entwickelten ein zweidimensionales Modell der ehelichen Qualität und Stabilität. Die beiden Dimensionen beziehen sich nach Spanier und Lewis (1980) auf innere und äußere Aspekte der Partnerschaft. Die intra-dyadische Dimension wird als Kosten-Nutzen-Abwägung konzipiert. Die Partnerschaftsqualität ist hoch, wenn die Kosten-Nutzen-Abwägung positiv ist, und gering, wenn die Kosten den Nutzen übersteigen. Die zweite Dimension bezieht sich auf externe Faktoren, die die Stabilität der Partnerschaft beeinflussen. So können Barrieren wie finanzielle Aspekte, moralische Wertvorstellungen oder gesellschaftliche Normen einer Trennung entgegegenstehen, auf der andern Seite können attraktivere Alternativen (wie sie bei der Polyamory vielleicht geboten werden) die Stabilität gefärden.

2.1.1 Eheliche Treue

Willi (2004) geht davon aus, dass es, wenn das eheliche Zusammenleben seiner Natur nach der Sexualität zugewendet ist, die logische Konsequenz wäre, Sex außerhalb der Ehe zu leben, eventuell in Beziehungen ohne persönliche Intimität, Bindung und Verpflichtung. Dieser Meinung sind und waren auch viele Kulturen, die vor allem den Männern die Möglichkeit zugestanden, ihre Sexualität mit Konkubinen, Kurtisanen oder Prostituierten auszuleben. Im heutigen Modell der Liebesehe wird jedoch der Anspruch erhoben, Liebe und Sexualität ausschließlich in einer Person zu vereinen bzw. die Beziehung abzubrechen, wenn dies nicht mehr gelingt.

Nach einer Studie von Astrid Riehl-Emde (1998) stehen bei der Frage nach den Gründen einer Trennung sexuelle Außenbeziehungen an erster Stelle, unabhängig von Geschlecht, Alter und Ehedauer. Sexuelle Außenbeziehungen werden vom Betrogenen als Verletzung des Paktes, in dessen personalen Liebesgemeinschaft erfahren. Es ist ein Pakt, in dessen Realisierung die Partner ihre Lebenskraft oft über Jahrzehnte investiert haben. Sexuelle Außenbeziehungen sind ein Verrat am Vertrauen, das die Basis für diese Investitionen bildet. Die von Untreue Betroffenen beteuern, dass für sie die Welt zusammengebrochen sei.

Diese Formulierung bestätigt nach Willi (2004) die Beschreibung, wonach sich Partner in verbindlichen Beziehungen eine gemeinsame innere und äußere Welt erschaffen. Die Verletzung ist so tief, dass die Betroffenen bei fortgesetzter Außenbeziehung des Partners in schwerste Selbstzweifel und Depressionen verfallen. Oft kann der Boden unter den Füßen und die Selbstachtung erst nach einer Trennung wiedergefunden werden.

Durch eine sexuelle Außenbeziehung entsteht nach Willi (2004) in einer Ehe ein massives Ungleichgewicht. Der Betrogene ist nur noch der Reagierende. Das Zentrum und Thema, um das sich alles dreht, ist jedoch das Befinden und Verhalten des Untreuen, dem die ganze Aufmerksamkeit und Macht zukommt. Sexuelle Untreue verletzt somit auch die Fairness des Machtausgleichs in einer Beziehung.

Nach Willi (2004) wurde in den siebziger Jahren sexuelle Untreue als Zeichen der Ehrlichkeit gewertet, als Zeichen dafür, dass man offen zu seinen polygamen Phantasien und Wünschen stehe und diese lebe. Heute sind die moralischen und ideologischen Argumente in den Hintergrund getreten. Es kann nüchtern festgestellt werden, dass dauerhafte sexuelle Untreue in einer ganzheitlich gelebten Liebesbeziehung nicht über längere Zeit ertragen und hingenommen werden kann. An sich kann eine intensive geistige Verbindung oder persönliche Freundschaft (bei heterosexuellen Paaren, die zum jeweils anderen Geschlecht) die Exklusivität einer Zweierbeziehung weit mehr gefährden als eine auf die Sexualität beschränkte Außenbeziehung. Es ist nicht leicht zu erklären, weshalb sexuelle Kontakte einer Außenbeziehung eine derart zerstörerische Qualität geben und sich alles um die Frage dreht, ob es zu sexuellen Handlungen gekommen ist oder nicht, während die Frage, ob über das Sexuelle hinaus noch eine persönliche Beziehung besteht, meist untergeordnete Bedeutung zugemessen wird.

Man könnte sagen, dass jede Außenbeziehung (bei heterosexuellen Paaren, die zum jeweils anderen Geschlecht) ob sexueller, geistiger oder emotionaler Natur zu einer Aufweichung der Beziehungsgrenzen führt. Ein Paar hat selten nach außen hin absolut abgetrennte Beziehungsgrenzen.

2.1.2 Beziehungsgrenzen

Gerade bei polyamoren Beziehungen kann die Frage der Grenze der Beziehung ein großes Thema sein. Es liegt die Vermutung nahe, dass es in polyamoren Beziehungen zu einem Verschwimmen von Beziehungsgrenzen kommt.

Boszormenyi-Nagy und Spark (2001) sehen als einen der wichtigsten Aspekte in der Beziehungsdialektik die abgrenzende Unterteilung zwischen dem „uns“ und dem „ihnen“. Erst dadurch, dass „sie“ vorhanden sind, wird aus dem „uns“ eine sinn- und zweckvolle Wesenheit. Ohne die Chance des Vergleichs oder auch der Auseinandersetzung verliert jede Gruppe ihren elan vital (Lebensenergie).

Die innere Identität einer Gruppe ist mit der Abgrenzung gegen die Außengruppe untrennbar verbunden.

Psychologisch könnte man nach Boszormenyi-Nagy und Spark (1001) die Grenze zwischen Gruppe und Fremdgruppe entweder als eine erkenntnismäßige Barriere auffassen, das Wissen um ein anders sein, als die anderen oder als gefühlsmäßige, im Sinne von einem „wir“ gehören zusammen, die anderen stehen uns fern oder auch als eine aktionsmäßige, es wird das, was für andere getan wird, aufgerechnet, gegen das was die anderen für einen selbst tun.

2.1.3 Der Ehealltag als Lustkiller

Von polyamoren Menschen hört man immer wieder das Argument, dass sie gerade ihre Sexualität durch mehrere Partner/innen viel lebendiger bleibt, als bei monogamen Menschen. Sexualität scheint einen sehr hohen Stellenwert in polyamoren Beziehungen einzunehmen.

Das Zusammenleben in einer dauerhaften Partnerschaft ist nach Schmidt (1998) der Entfaltung der Sexualität nicht förderlich. Die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs sinkt mit der Beziehungsdauer. Nach einer Untersuchung von Schmidt (1998), sinkt dieser in den ersten fünf Jahren durchschnittlich auf die Hälfte des Anfangsniveaus. Die sexuelle Überraschung wird vom Alltagstrott eingeholt, dem Tagtäglichen mit seinem geregelten Ablauf, seinem Rhythmus und seiner Struktur. Das Außergewöhnliche, die Eroberung, die Spannung fällt unter den Tisch. Stattdessen nehmen die alltäglichen Sorgen und Belastungen überhand, der Stress im Beruf, die Existenzsorgen, das Erledigen des Haushalts, die Regelung und Bezahlung der Rechnungen, das Ausführen von Reparaturen, die abendliche Müdigkeit und Erschöpfung. Die sexuelle Lustlosigkeit der Frau ist im Anschluss an Geburten häufig. Teilweise hängen die Ursachen mit Erschöpfung zusammen, teilweise mit dem Abzug der Libido vom Mann und die Fokussierung der Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit auf das Kind. Von Bedeutung ist ferner, ob durch die Geburt der Zugang der Frau zur beruflichen Karriere eingeschränkt wird und sie aus oft verleugneter Eifersucht dem Mann sein nun gesteigertes berufliches Engagement neidet. Die sexuelle Aktivität ist nach Schmidt (1998) höher bei Paaren, in denen die Frau die Arbeitsteilung als gerecht erlebt. Als gravierendster Lustkiller erwiesen sich die Kinder, die eine entspannte Zweisamkeit erschweren und eine räumliche und zeitliche Abgrenzung bei vielen Paaren nicht zulassen, oder wenn überhaupt, dann erst, wenn beide Partner für Sex zu müde sind. (Schmidt, 1998)

Die häufigste Entwicklung war nach Schmidt (1998), dass unter dem Druck des Alltags die Freude am Sex nachließ und Sexualität sich nicht mehr in ihren vollen Möglichkeiten entfalten konnte. Während zu Beginn der Beziehung Männer und Frauen etwa gleich häufig Zärtlichkeit und Sex wollen, kommt es nach einigen Jahren oft zu einer Polarisierung. Die Männer wollen vor allem Sex, die Frauen Zärtlichkeit. Unter den Belastungen des Alltagslebens reduziert der Mann das Vorspiel und wünscht, rasch zum Orgasmus zu kommen. Die Frau aber fordert Vorbereitung, Gespräche, Zärtlichkeit, Herstellung von Harmonie, oder sie erwartet ein Ausbrechen aus dem Alltag, Überraschung, Umworbenwerden und Verführung. Unter dem Druck ihres Alltagslebens trägt sie aber oft für die lustvolle Gestaltung des Vorspiels auch nichts Wesentliches bei, sondern erwartet deren Erfüllung einseitig vom Mann. In früheren Zeiten ließ sie den Sex als eheliche Pflicht über sich ergehen. Heute aber wird sie sexuelle Beziehungen verweigern, wenn sie keine Lust hat.

2.2 Geschichte der Liebesbeziehung

Die Formen der Liebesbeziehungen haben sich im Laufe der Geschichte kontinuierlich verändert. Möglicherweise ist auch Polyamory, sofern diese Beziehungsform tatsächlich existiert und lebbar ist, als alternative Beziehungsform eine weitere Stufe im chronologischen Verlauf der Beziehungsgeschichte. Dies wird man voraussichtlich allerdings erst in vielen Jahren beantworten können.

In Wikipedia (2007), der freien Enzeklopädie im Internet findet sich ein kurzer Abriss über die Geschichte der Liebesbeziehung. Die „Liebesehe“ ist eine Idee, die unter dem Einfluss der Romantik um 1800 zum Ideal des Bürgertums wurde. Vorher war die stetige Paarbeziehung, die in aller Regel als Ehe geführt wurde, in allen Schichten eine Zweckgemeinschaft. Frau und Mann arbeiteten beide häufig im Sinn einer Produktionsgemeinschaft zusammen. Das änderte sich nach 1750 zunehmend.

In Wikipedia (2007) wird weiter ausgeführt, dass es Liebesbeziehungen zu jeder Zeit in der Geschichte gab, allerdings meist außerhalb der Institution Ehe. Zumindest den Männern wurde in fast allen Kulturen das Recht zugestanden, ein außereheliches oder auch voreheliches Verhältnis mit einer oder auch mehreren Geliebten zu haben. In der Antike spielten die Hetären eine wichtige Rolle, die nicht mit Prostituierten gleich zu setzen sind.

Nach Wikipedia (2007) wurden im Mittelalter sexuelle Bedürfnisse oft recht freizügig ausgelebt. Demgegenüber vertrat die Kirche die Lehre, dass geschlechtliche Beziehungen allein der Fortpflanzung dienen sollten, und erklärte 1215 im Vierten Laterankonzil die Ehe zum Sakrament.

In Wikipedia (2007) ist weiters zu lesen, dass in der höfischen Welt die außereheliche Minne eine prägende Rolle spielte, wobei das Prinzip jedoch die platonische Liebe zu einer unerreichbaren Person war. Die idealisierten Vorstellungen der höfischen Liebe entstanden im 12. Jahrhundert an den Höfen von Aquitanien, der Provence, der Champagne, und Burgunds. Die Idee der romantischen Liebe wurden in der neu entstehenden Kultur des städtischen Bürgertums, das sich am Adel orientierte aufgegriffen und hatte einen großen Einfluss auf die späteren und modernen Vorstellungen von der romantischen Liebe.

In Wikipedia (2007) wird weiter angeführt, dass sich adelige Männer über Jahrhunderte hinweg eine oder mehrere Mätressen hielten, wobei dabei echte Liebesgefühle häufig keine wesentliche Rolle spielten. Es ging zunächst um die Befriedigung sexueller Bedürfnisse, außerdem dienten Meträssen als Statussymbol. Mitunter waren diese Frauen aber auch tatsächliche Geliebte im Wortsinn.

In der Zeit der Aufklärung entwickelte sich nach Wikipedia (2007), einigen entgegengesetzten Ansätzen zum Trotz, eine Festlegung der Rollen von Mann und Frau. Dabei kam dem Mann an erster Stelle die Rolle des Berufsmenschen und der Frau die der fürsorgenden Hausfrau und Mutter zu. Diese Polarisierung der Geschlechtscharaktere verfestigte sich im 19. Jahrhundert in der Phase des Biedermeier.

Im Zuge der Romantik verbreitete sich das Konzept einer Liebesehe, die über das Willkürliche hinausgeht. Die Einführung der Liebesehe führte nach Wikipedia (2007) in der Folge zu Problemen innerhalb der Ehe, denn nie zuvor in der Geschichte war versucht worden, leidenschaftliche Gefühle und eine rechtliche Institution miteinander zu verbinden. Der neue Anspruch an das eheliche Leben führe nicht selten zu Enttäuschungen und letztendlich zu einer Zunahme der Ehescheidungen. Auch weiterhin gab es außereheliche Beziehungen, allerdings waren sie im 19. Jahrhundert gesellschaftlich verpönt und galten im Gegensatz zu früher als unanständig. In den unteren Schichten setzte sich die Idee der Liebesheirat erst deutlich später durch als im Bürgertum.

Wikipedia (2007) berichtet, dass im 20. Jahrhundert diese Rollenmuster verstärkt aufgebrochen wurden. Insbesondere seit den 1970er Jahren werden Ehe, Familie und Liebesbeziehungen in vielfältigen neuen Formen gelebt. Die geänderte gesellschaftliche Situation führte zu einer Reihe von Anpassungen der Gesetzgebung, wie zum Beispiel in den Bereichen Gleichbehandlung der Geschlechter, vor- und außerehelicher Geschlechtsverkehr, Ehescheidung, Homosexualität und im Namensrecht. Durch Gesetzesänderungen wurden vorher gesellschaftlich nicht akzeptierte Verhaltensweisen entkriminalisiert.

2.2.1 Trendwende in der Struktur der Partnerschaften

Um näher an das Phänomen Polyamory heranzuführen ist es wichtig, die Trendwende in der Struktur der Partnerschaft nach dem Jahr 1968 näher zu beleuchten.

Nach Jürg Willi (2004) sollten in Folge der kulturellen Umwälzungen des Jahres 1968 die bürgerlichen repressiven Strukturen geschliffen werden. Es wurde das Ende der Ehe, insbesondere der Monogamie, und der Tod der Familie angesagt. Es wurde mit neuen Formen partnerschaftlichen und familiären Zusammenlebens experimentiert, besonders mit Wohngemeinschaften.

Nach Willi (2004) kam es in den Jahren nach 1968 zu einem starken Anstieg der Scheidungen und zu einem deutlichen Rückgang der Eheschliessungen. Scheidung wurde besonders für Frauen zum Zeichen der Emanzipation. Die Langzeitehe wurde entwertet. Als Gründe für das Zusammenleben galten Angst vor dem Alleinsein, Abhängigkeit, Bequemlichkeit, Gewohnheit, finanzielle Vorteile oder Sozialprestige. Doch auch diese Bewegung verlor im Laufe der 1980er Jahre an Kampfkraft. Die Gesellschaft begann eine Vielfalt familiärer und partnerschaftlicher Lebensformen zu billigen. Der Anteil Verheirateter an den 35- bis 55-Jährigen blieb weiterhin erstaunlich hoch. Laut dem 5. Deutschen Familienbericht 1994 liegt sie bei 79,1 %. Seit den 1990er Jahren nimmt die Häufigkeit der Scheidungen weiterhin zu, aber damit auch die der Wiederverheiratungen. Eine partnerschaftliche Beziehung hat immer öfter nur als Liebesbeziehung Bestand.

Die Partner trennen sich nach Willi (2004), wenn die Liebe sie nicht mehr zusammenhält. Scheidung gilt nicht mehr als ein Zeichen eines gescheiterten Lebensplanes, sondern hat manchmal eine ähnliche Bedeutung wie der Wechsel einer Berufstätigkeit. Man trennt sich einvernehmlich, möchte sich aber oft auch nach einer Scheidung freundschaftlich verbunden bleiben. Es spricht einiges dafür, dass der Bestand und die Dauerhaftigkeit einer Partnerschaft in einer Welt, in der alles in Wandel und Auflösung begriffen ist, an Wert zurückgewinnen.

Sieder (2008) kam in seiner qualitativen Untersuchung geschiedener Paare zu folgendem Schluss:

„Für relativ einkommensstarke, beruflich qualifizierte und selbstbewusste Frauen kann die Mutter-Kind-Familie deutlich mehr sein als eine Erholungsstation. Sie kann zu einer Lebensform werden, die dem Anspruch der Frau auf hohe Autonomie, insbesondere auf materielle, soziale und psychische Unabhängigkeit von einem Mann besser entspricht als die Erstfamilie oder eine Folgefamilie mit einem männlichen Partner im Haushalt. Dennoch halten auch gut situierte Frauen in Mutter- Kind-Familien Ausschau nach passenden Intimpartnern oder Intimpartnerinnen. Die oft in der Mitte des Lebens erfolgte Neuorientierung erhöht, so scheint es, den Entscheidungsspielraum, manchmal auch die Experimentierlust bei der sexuellen Orientierung. Praktische, materielle und sozial-kulturelle Motive mischen sich mit emotionalen und sexuellen Sehnsüchten. Aber auch dann ist die Mutter-Kind-Familie ein relativ sicherer Ort, von dem aus ohne Übereilung nach einem neuen Intimpartner oder einer Intimpartnerin gesucht werden kann. Die Selbstsicherheit und Gelassenheit solcher Frauen entsteht oft auch aus ihrer Einsicht, dass sie nicht um jeden Preis in einer hetero- oder homosexuellen Paarbeziehung leben müssen. Sie sind meist auch von der Mutter-Kind-Familie aus in der Lage, intime Begegnungen und sexuelle Kontakte zu organisieren. Dies reduziert das Risiko einer übereilten und verfehlten Partnerwahl und die Frauen lernen Nähe und Distanz zu ihren Intimpartnern selbst zu bestimmen. Sie entscheiden, ob und wann der Intimpartner ins Haus kommt und wie lange er bleiben darf. Und sie entscheiden, in welchem Maße er freundschaftliche oder elterliche Aufgaben gegenüber dem Kind übernimmt. So gewinnen sie an Gestaltungsmacht. Die patriarchale Macht des Mannes über Frau und Kinder ist hier weitgehend überwunden.“ (Sieder, 2008, S. 324)

2.2.2 Die kulturelle Selektion von Veränderungen

Erstaunlich ist nach Willi (2004) die Differenzierung und Subtilität der Veränderungen in den Liebesbeziehungen in den letzten Jahrzehnten. Nicht in erster Linie Ideologie und ethische Werte bewirkten die Veränderungen. Nachhaltig verändert hat sich nur, was sich unter den allgemein veränderten Lebensbedingungen als individueller (Über)Lebensvorteil erwies. Dabei ist das, was als Vor- oder Nachteil erfahren wird, nicht unabhängig von kulturellen Wertvorstellungen. Grundlegend verändert hat sich, dass Partner/innen weit mehr als früher über die Gestaltung ihrer Liebesbeziehung bestimmen. Daraus hat sich nach Willi (2004) eine wesentlich größere Variationsbreite partnerschaftlicher Lebensformen ergeben. Die kirchlichen Moralvorstellungen haben ihre Bedeutung weitgehend verloren. Es ist nicht zum Verfall der Sitten und nicht zum Überhandnehmen von Egoismus und sexueller Haltlosigkeit gekommen. Willi (2004) schreibt weiter, dass an die Stelle kirchlicher und staatlicher Moralvorschriften sich eine Beziehungsethik von unten entwickelt hat. Zwischen Liebespartner/innen bildet sich eine Verhandlungskultur, in welcher jeder in eigener Verantwortung an der Gestaltung des Liebeslebens mitwirkt. Dieses folgt dem Prinzip Eigennutz. Es setzen sich nur die Lebensregeln durch, welche der angstrebten Selbstverwirklichung im Liebes- und Familienleben dienen. Der Eigenvorteil lässt sich nach Willi (2004) aber nicht rücksichtslos durchsetzen. Als Anpassungsvorteil kann sich nur erweisen, was auch einen Nutzen für den Partner / die Partnerin und im Falle einer Familiengründung dem Gedeihen gemeinsamer Kinder förderlich ist. So regulieren sich die eigennützigen Tendenzen wechselseitig. Das Zusammenleben entwickelt sich als wirkungsgeleiteter Lebenslauf nach Versuch und Irrtum. Fehlentwicklungen werden laufend korrigiert, der eingeschlagene Weg ist die optimierte Kompromissbildung unterschiedlicher Ansprüche der Partner/innen. Was sich nicht bewährte, verschwand wieder, meist ohne Diskussion, unabhängig von der Energie, welche zuvor in die Ideologiedebatte investiert wurde.

Aus der Sicht Willis (2004) sind das befürchtete gesellschaftliche Chaos und der Verfall der Sitten nicht eingetreten. Sexualität wurde verantwortungsvoller vollzogen, Liebe und Zärtlichkeit erhielten in Beziehungen einen höheren Stellenwert als je zuvor, es wurden wieder Bindungen in Beziehungen gesucht, die Liberalisierung der Abtreibung ging mit deren Abnahme einher, Trennung und Scheidung wurden fairer und in gegenseitigem Respekt vollzogen.

Durch die Möglichkeit zu individuellerem Gestalten der am besten passenden Form des Liebeslebens ist es nach Willi (2004) zu einer größeren Pluralität partnerschaftlicher Lebensformen gekommen. Zur Selbstverwirklichung in der Liebe eignen sich die verschiedenen Lebensformen nicht für jede Frau oder jeden Mann in gleicher Weise. Es gibt Menschen, denen eine feste Partnerbindung oder eine eheliche Lebensform nicht entspricht, andere fühlen sich durch eine Familiengründung in ihrer Freiheit zu sehr beschnitten. Die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse bieten jenen einen Lebensvorteil, die den bisherigen Normen nicht nachzuleben vermochten, indem etwa keine verpflichtenden Erwartungen mehr zur Eheschließung, zur Familiengründung oder zur Verleugnung homosexueller oder bisexueller Orientierung bestehen. Die Entfaltung des eigenen Potenzials wird begünstigt, wenn die Fortführung einer Ehe nicht um jeden Preis erzwungen wird und der Wiederverheiratung nichts entgegensteht.

Dennoch besteht nach der Meinung Willis (2004) weiterhin ein Bedarf an Orientierung. Mancher möchte wissen, was richtig und was falsch ist. Kirchliche, gesetzliche oder moralische Normen tragen heute wenig dazu bei. Die Medien, die eine zentrale Rolle einnehmen, wenden vor allem zwei Methoden an. Die eine ist die Orientierung an der statistischen Norm. Die andere Methode ist die Identifikation am Leben und Schicksal von Stars in Showbusiness und Sport. Allerdings werden Statistiken oft sehr tendenziös und oberflächlich verwendet, und die Lebensschicksale von Stars sind oft weder vorbildhaft noch für die Übertragung auf das eigene Leben geeignet.

Die Vielzahl der Entwicklungs- und Orientierungsmöglichkeiten partnerschaftlicher Beziehungen, gibt Anlass zu vielen spekulativen Aussagen und Annahmen über die Zukunft der Liebesbeziehung.

2.2.3 Transitorische und Experimentelle Milieus - Beziehungen in der Zukunft

Herrmann (2005) nimmt an, dass die erste Meinung der Menschen zu den Themen Liebe, Partnerschaft und Ehe, vermutlich nicht die eigene, sondern eine allgemeine, die der Erziehung, Schicht und Stellung entspringt, ist. Die eigene Meinung schwimmt nur scheinbar obenauf. Noch kaum jemand hatte den Mut zu behaupten, dass Partnerschaften auf Dauer stets daneben gehen und dass es immer schon so gewesen sei. In Deutschland wird jede zweite Ehe wieder geschieden, und die Dunkelziffer an scheidungsbereiten oder trennungsfähigen Partnerschaften ist wahrscheinlich ungleich höher als erwartet. Sie liegt geschätzt, bereits zwischen 50 und 70 Prozent. (Herrmann, 2005)

Weitere Tabus werden nach der Prognose von Herrmann (2005) fallen, Trends nebeneinander existieren und zur Wahl einladen. Dabei könnten sich verschiedene Arten der Liebe abwechseln.

Nach Herrmann (2005) dürfte das Ringen um eine wirkliche Gleichwertigkeit von Frau und Mann Thema Nummer Eins, nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch in den Partnerschaften sein. Eine neue Weiblichkeit lässt künftig Frauen nicht mehr so stillhalten und dulden, wie es ihre Partner an ihnen schätzen. Frauen werden mit Sicherheit anspruchsvoller, wählerischer, trennungsfreudiger. Im übrigen können sich Beziehungen ohne Umschweife aus der Faszination entwickeln, die eine andere Person auslöst. Menschen werden sich noch mehr als heute an Leistung, Geld, Macht und Statussymbolen orientieren. Kaum jemand dürfte zusätzlich Zeit und Energie aufwenden, um zähe Partnerschaften zu pflegen. Menschen werden sich noch weniger als bisher aufeinander einlassen.

Wird, wie nach Herrmann (2005) heute schon vielfach festzustellen ist, ein Partner oder eine Partnerin das Gefühl nicht los, dass das Wachsen im Doppel mit dem Liebsten nicht mehr möglich ist, trennt er oder sie sich von ihm oder ihr und versucht es als Single oder mit einer neuen Beziehung. Im Jahr 2017 wird es nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes (zitiert nach Herrmann, 2005) 14 Millionen Singles in Deutschland geben. Die Liebe auf Zeit wird mehr und mehr Allgemeingut werden. Ein Kind könnte beispielsweise fünf Väter haben, einen leiblichen und vier aus Beziehungen, die seine Mutter danach aufgenommen hat. Es könnte auf diese Weise an die zehn Geschwister, Großeltern, Tanten, Nichten und Neffen dazubekommen. Eine Art Großfamilie, wie sie viele Jahrhunderte die Menschheit geprägt hat.

Herrmann (2005) postuliert, dass sich Verzauberung und Entzauberung auszuschließen scheinen. Die Lage erscheint paradox und doch finden sich alle Betroffenen in eben dieser zwiespältigen Situation wieder.

Freisetzungsprozesse tragen ein Doppelgesicht. Zum einen findet sich eine prinzipiell hoffnungsfreudige Offenheit gegenüber der Zukunft, zum anderen eine ähnlich grundsätzliche Angst vor dem Ungewissen und Zukünftigen wieder. Die Biographie der Einzelnen wird offener und individuell differenzierter als früher gestaltet. Es können aber noch längst nicht alle mit der gewonnenen Freisetzung umgehen, zumal sie auch Verluste an Verlässlichkeit und Sicherheit mit sich bringt. Nicht wenige wollen die alte Geborgenheit, die gerade in den herkömmlichen Institutionen garantiert zu werden scheint, der neuen Freiheit vorziehen.

Nach Herrmann (2005) fühlen sich viele Menschen zwischen zwei Extremen aufgerieben, der endgültigen Entscheidung für die Familie hier und ein gänzlicher Verzicht auf Familie dort. Daher sucht ihre Lebensplanung nach einem dritten Weg, dem Wechsel zwischen Beziehungen, Ehen und Familien. Dieser Wechsel ist oft vermischt mit anderen Formen des Zusammen- und Alleinlebens, oder auch unterbrochen durch solche. Solche Beziehungs-Experimente nehmen einen breiten Raum in der heutigen Gesellschaft ein und werden nicht selten weniger als Befreiung zum Ich und Du denn als chaotisches Hin und Her erlebt. Ambivalenzen gehören zum menschlichen Dasein, sie machen mit ihren Instabilitätserfahrungen die conditio humana mit aus. Menschen, die nicht wie die Tiere instinktgesichert sind, haben in ihrem gesamten Leben Anpassungsleistungen zu erbringen. Niemand kann seinen Lebensentwurf ein für allemal und unabänderlich festlegen. Niemand kann für immer in Sicherheit leben, gerade nicht in Sachen Partnerschaft.

„Auch wenn wir nicht wissen, wie genau die Paarbildung der Zukunft aussehen wird, können wir doch, zumindest fürs erste, davon ausgehen, dass Frauen und Männer abwechslungsreichere und tragfähigere Lösungen als heute finden. Als wichtige Stützen dieser Suche zeichnen sich bereits ab:

Ein relativ hoher Lebensstandard und die weiter vorangetriebenen sozialen Sicherheiten.

Die Bildungsexpansion und die Medienrevolution (Kritik an einigen, wenn auch nicht an allen bürgerlichen Werten).

Die Ausbildung einer eigenen Jugendphase (Verlängerung von Schulpflicht und Ausbildung; Zeit der Selbstfindung und Persönlichkeitsentwicklung).

Die Selbstentfaltungswerte, die gegenüber Pflicht- und Akzeptanzwerten an Bedeutung gewinnen (Befreiungsdimension).

Die Entwicklung von der Normalbiographie zur Wahlbiographie. Individuen werden zu Organisatoren und Gesetzgebern ihrer eigenen (partnerschaftlichen) Lebensformen.

Der weitgehende Wegfall von herkömmlichen Kontrolldimensionen der Ehe und Familie.

Die einsetzende Freisetzung von Frauen (Verweigerung der Frauenrolle, Wandel des fraulichen Lebenslaufmusters, Möglichkeit, die Familiengründung zu verzögern, abnehmende Heiratsneigung, gewollte Kinderlosigkeit, verbesserte Geburtenkontrolle, materielle und ideologische Unabhängigkeit, Dequalifizierung der Hausarbeit, Verweiblichung der Haushaltsvorstände, Abnahme des empty-nest-Syndroms).

Die Angleichung der Bildungschancen von Frauen sowie der stark angestiegene Anteil qualifizierter Berufsarbeit von Frauen.

Die tatsächliche Entwicklung der Familie, die zunehmend von der Pflicht- und Notgemeinschaft zur Wahlgemeinschaft wird.

Der dynamische Wandel der familialen Lebensläufe (Ehe- und Elternphase werden nach hinten verschoben, die nachelterliche Phase wird verlängert).

Die Reform des Ehe- und Scheidungsrechtes (auch: gleichgeschlechtliche Verbindungen).

Die prinzipielle Akzeptanz einer - immer häufiger auch rechtlich geschützten - Trennung von Partnerschaften und der Wechsel zwischen verschiedenen Beziehungsformen.

Das Aufkommen zunehmend diversifizierter Lebensstile.

Die gesellschaftliche Anerkennung nichtehelicher und nichtfamilialer Lebensformen (Achtung statt Ächtung).

Die verstärkten Versuche, egalitäre Beziehungssysteme zu schaffen statt asymetrische, patronome zu stärken.

Das Wagnis vieler (auch älterer) Frauen, aus der Geschichte ihres Geschlechtes heraus Stärke zu entwickeln.“ (Herrmann, 2005, S. 148-150)

3. Liebe und Sexualität in modernen Gesellschaften

Im Begriff Polyamory steckt das Wort Liebe. Also wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff „viel Liebe“. Insofern ist eine Auseinandersetzung mit dem Begriff Liebe natürlich von großem Interesse.

„Liebe (von mhd. liebe „Gutes, Angenehmes, Wertes“) ist im engeren Sinn die Bezeichnung für die stärkste Zuneigung, die ein Mensch für einen anderen Menschen zu empfinden fähig ist. Analog wird dieser Begriff auch auf das Verhältnis zu Tieren oder Sachen angewendet. Im weiteren Sinne bezeichnet Liebe eine ethische Grundhaltung („Nächstenliebe“), oder die Liebe zu sich selbst („Selbstliebe“).“ (Wikipedia, 2007, S.1)

Im ersteren Verständnis ist Liebe ein Gefühl oder mehr noch eine innere Haltung positiver, inniger und tiefer Verbundenheit zu einer Person, die den reinen Zweck oder Nutzwert einer zwischenmenschlichen Beziehung übersteigt und sich in der Regel durch eine tätige Zuwendung zum anderen ausdrückt. Hierbei wird nicht unterschieden, ob es sich um eine tiefe Zuneigung innerhalb eines Familienverbundes („Elternliebe“) handelt, um eine enge Geistesverwandtschaft („Freundesliebe“) oder ein körperliches Begehren (geschlechtliche Liebe“). Auch wenn letzteres eng mit Sexualität verbunden ist, bedingt sich auch in letzterem Falle beides nicht zwingend (z.B. sog. „platonische Liebe“).“ (Wikipedia, 2007, S. 1)

Nach Shaver, Morgan und Wu (1996) sehen die meisten Menschen Liebe als eine allgemeine menschliche Erfahrung. 1993 fand Poll heraus, dass drei von vier Amerikaner/innen angeben aktuell verliebt zu sein. Liebe ist eine emotionale Reaktion auf der gleichen Basis wie Ärger, Traurigkeit, Freude und Angst. Möglicherweise ist Liebe auch gut für jeden Menschen. Dennoch ist sie auf keiner Liste der Basic Emotions, also der menschlichen universellen Grundemotionen zu finden. Liebe setzt sich aus einer Vielzahl einzelner Emotionen zusammen. Auch Bindung, Fürsorge und Sexualität haben einen großen Einfluss auf die Liebe und auf menschliche Emotionen. (Shaver, Morgen & Wu, 1996)

Aron, Paris und Aron (1995) haben herausgefunden, dass sich zu verlieben den Selbstwert und das Selbstbewusstsein steigert. Neue Liebesbeziehungen schaffen ein unterstützendes Umfeld um neue Aspekte des Selbst zu leben.

Nach Sieder (2008) spricht und träumt alle Welt von Liebe, jedoch bringt sie keine zeitlose und universale Praxis der Liebe hervor. Manche meinen zwar im Singular von ihr reden zu können, da sie das natürlichste auf der Welt sei, doch nach sozial- und kulturgeschichtlichen Forschungen ist sie das nicht.

Sieder (2008) geht davon aus, dass erstmals seit zweihundert Jahren, die romantische Liebe an Geltung verliert. Die normative Bindung der romantischen Liebe an das heterosexuelle Paar, an das verheiratete Paar und an das dauerhaft unter einem Dach zusammenlebende Paar löst sich augenscheinlich auf. Nach Sieder (2008) werden nicht eheliche Lebensgemeinschaften in den meisten westlichen Gesellschaften ohne weiters akzeptiert. Sieder (2008, S. 43) führt an: „Intime Beziehungen neben einer Ehe oder einer offiziellen Beziehung sind nicht mehr die gefährliche Ausnahme, sondern fast schon die Regel. „

Sieder (2008) argumentiert weiter, dass viele Paarbeziehungen und Ehen, wegen der Liebe eines sich neu bildenden Paares getrennt und geschieden werden. Liebe wird nach Sieder (2008) in ihren möglichen Formen und Bedingungen pluralisiert und Mann und Frau erleben sie nicht nur einmal, sondern einige Male im Leben. Für Sieder (2008) hat das Konzept der Liebe über die Ehe, über die Monogamie, über die christliche Sexualmoral und über die normative Heterosexualität gesiegt. Doch hat die Liebe auch etwas von ihrem Zauber verloren. Die Hoffnung, dass Liebe ein sicheres und hinreichendes Gefühlsfundament für eine dauernde Lebenspartnerschaft oder eine Ehe abgeben könnte, scheint heutzutage weniger angemessen. Romantische Liebe hat kein Monopol mehr in der Ehe oder in der anerkannten Lebenspartnerschaft. Es wird erfahren und anerkannt, dass sich Frauen und Männer in ihrem Leben mehrmals verlieben können. Sieder (2008) führt bereits auch polyamore Lebensgemeinschaften an:

„Dass man auch gleichzeitig mehr als einen Menschen lieben kann, ist zur Zeit erst das Postulat kleiner Minoritäten, doch seine weitere Verbreitung ist nicht auszuschließen. Seit kurzem werden wieder, nicht zum ersten Male, Konzepte diskutiert, die romantische Liebe aus den Fesseln der Monogamie zu befreien. So wird unter dem Schlagwort ,Polyamory’ behauptet, dass Mann und Frau zwei oder mehr Menschen zur gleichen Zeit lieben könnten, allerdings nur in Offenheit und Ehrlichkeit. Damit bricht eine kleine subversive Bewegung mit dem Postulat der ,einen und einzigen’ Liebe. Insbesondere soll das fatale Vorurteil aufgehoben werden, wonach eine neu entstehende Beziehung eine alte bestehende Beziehung unbedingt zerstören muss. Angestrebt wird der Aufbau relativ stabiler Netze von treuen, verbindlichen Liebesbeziehungen, die sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern unterstützen, und bei denen die Grundlage das gegenseitige Einverständnis und Vertrauen darstellt.“ (Sieder, 2008, S. 43)

3.1 Arten der Liebe

In der Psychologie spricht man von verschiedenen Arten der Liebe. Auch polyamore Menschen berichten davon die Liebe sehr differenziert zu erleben. Sechs Arten von Liebe werden von Lee (1976) differenziert:

EROS oder romantische Liebe ist es, wenn sich zwei Liebende stark zueinander hingezogen fühlen. Sie ist mit einer emotionalen und physiologischen Intensität des Erlebens verbunden.

STORGE oder freundschaftliche Liebe ist es, wenn die Liebe eine tiefe Freundschaft ist. Wichtig sind ähnliche Interessen und gemeinsame Unternehmungen; der Sexualität kommt keine zentrale Bedeutung zu und sie entwickelt sich relativ spät. LUDUS oder spielerische Liebe ist es, wenn die Liebe als ein Spiel, bei dem man sich nicht auf tiefe Gefühle oder die Bindung an einen einzelnen Partner einlässt, betrachtet. Die Betonung liegt auf der Verführung und auf sexueller Freiheit. Die Liebe beinhaltet keine Zukunftsperspektiven sondern beschränkt sich auf hier und jetzt.

MANIA oder besitzergreifende Liebe ist es, wenn die Liebe als ein dominierendes und verzehrendes Gefühl, das zu einer obsessiven Beschäftigung mit dem Liebesobjekt führt, erlebt wird. Der/Die Betroffene ist sehr eifersüchtig, möchte die ständige Aufmerksamkeit des Partners und leidet, wenn er/sie sie nicht erhält. PRAGMA oder pragmatische Liebe ist es, wenn man jemanden wegen ähnlicher Interessen und Vorstellungen liebt. Die Betonung liegt hier weder auf der Emotion noch auf der Sexualität, sondern darauf, dass der/die Partner/in pragmatische Anforderungen erfüllt.

AGAPE oder altruistische Liebe ist es, wenn in dieser Liebe der Fokus auf dem Wohlergehen des Partners oder der Partnerin liegt. Für den Partner oder die Partnerin in selbstloser Weise dazusein und ihn/sie zu unterstützen, wird als erfüllend und belohnend empfunden.

Betrachtet man die Häufigkeit der Liebesstile nach dem Geschlecht getrennt findet man nach Hendrick und Hendrick (1986) bei mehr Männer den Liebesstil Ludus als Frauen. Frauen lieben eher in den Stilen Storge, Pragma und Mania. Bei Eros und Agape gibt es keine unterschiedliche Häufigkeit zwischen Mann und Frau.

3.1.1 Warum gibt es Liebe?

Es ist nach Baron und Byrne (2003) nicht einfach zu erklären warum Menschen Liebe erfahren. Liebe könnte auch nur eine kollektive Fantasie sein, die viele von uns teilen. Sie kann auch wie psychoanalytische Konzepte behaupten, ein Transfer unbewusster Begierde für einen Elternteil in eher geeignete Kanäle sein.

Nach Buss und Schmitt (1993) basiert die am meisten akzeptierte Erklärung dafür aktuell auf evolutionären Konzepten.

Nach Buss (1994) hing das Überleben des Homo sapiens von seinem reproduktiven Erfolg ab. Das bedeutet, dass potentielle Gefährten oder Gefährtinnen sexuell attraktiv sein und idealerweise dazu bereit sein mussten Zeit und Anstrengung in die Fütterung und das Beschützen der Nachkommen zu investieren. Weiters sind Männer rascher zur sexuellen Interaktion bereit als Frauen. Buss (1994) hat auch herausgefunden, dass Männer sich eine größere Anzahl von Liebespartnerinnen wünschen. Während Frauen sich bezogen auf ein ganzes Leben ungefähr vier bis fünf Partner wünschen, berichten Männer davon, sich ungefähr achtzehn Sexualpartnerinnen zu wünschen.

Diese zwei wichtigen Kriterien (Begierde und Bindung) sind nach Rensberger (1993) wahrscheinlich gegeben, wenn ein biologisch basierender sexueller Wunsch mit einer biologisch basierenden Tendenz zur Bindung an einen Gefährten oder eine Gefährtin und seinen oder ihren Kindern auftritt. Mit der emotionalen Bindung sind die frühen menschlichen heterosexuellen Paare mehr als nur Sexpartner. Es war ein Vorteil einander zu mögen und zu vertrauen und Aufgaben zu teilen, wie Jagen, Essen sammeln und das Hüten der Kinder. Folgt man dieser Auffassung, dann fördert ein Gefühl wie Liebe den reproduktiven Erfolg. Die Konsequenz, die daraus folgt ist, dass auch heutige Menschen generell genetisch so angelegt sind, dass sie Sex, Liebe und das Behüten der Kinder anstreben.

3.1.2 Das Phänomen des Verliebens

Bei der Wahl eines Partners oder einer Partnerin erscheint es nach Hantel-Quitmann (2007) notwendig und dringlich zu wissen, was in dem anderen vor sich geht. Menschen versuchen am Anfang einer Verliebtheit, die eigenen Gefühle der Verwirrung zu verstehen. Verliebtheit ist ebenso schön wie verwirrend und manchmal auch beängstigend. Man sucht im Anderen die Sicherheit, die Eindeutigkeit oder die Klarheit der Gefühle, weil man sie selbst verloren hat. Aus dieser Verwirrung entstehen bohrende Fragen an den/die Andere/n, wie nach dem ob er/sie es ernst meint, ob er/sie sich seiner/ihrer Gefühle wirklich sicher ist und viele mehr.

Seit einigen Jahren weiß man, dass uns die Evolution auch mit Möglichkeiten ausgestattet hat, Gefühle zu erfühlen: man kann sich in andere Personen, denen man emotional sehr nahe ist, einfühlen. Der Mensch hat diese Möglichkeit instinktiv genutzt, aber bisher nie wissenschaftlich erklären können, wie so etwas funktioniert. Bauer (2005) vermittelt die Möglichkeit des sich einfühlens, durch die sogenannten Spiegelneurone. Spiegelneurone machen es möglich, dass sich Menschen in andere

Personen hineinversetzen können, mitfühlen können, Empathie empfinden können, vielleicht sogar Intuitionen haben können.

Bauer (2005) beschreibt das sich verlieben so, dass am Anfang der Verliebtheit es besondere Blicke gibt, manchmal nur für Momente, manchmal tiefere und längere. Man meint, sich für kurze Zeit im Anderen verloren zu haben.

Die gegenseitigen Blicke der Verliebtheit sind nach Bauer (2005) Hinweise darauf, dass sich zwei Menschen einander die volle Aufmerksamkeit schenken; dies wird in der Neurobiologie nach Bauer (2005) „joint attention“ genannt. Diese Aufmerksamkeit richtet sich nach innen und in die geliebte Person hinein. Deshalb erscheinen die meisten verliebten Paare auch so der Wirklichkeit entrückt.

Die gefühlsmäßige, intuitive Reaktion auf den Anderen verdanken Menschen einem emotionalen Mitschwingen, dem Phänomen der Resonanz. Resonanzphänomene des Alltags sind nach Bauer (2005) untrügliche Zeichen für die Arbeit der Spiegelneurone.

Spiegelneurone sind Nervenzellen, die im Gehirn für bestimmte Programme zuständig sind, die aber auch dann aktiv werden, wenn jemand ein bestimmtes Verhalten beobachtet, miterlebt oder sogar nur erzählt bekommt. Diese Spiegelneurone werden selbst dann aktiv, wenn man sich eine Handlung nur vorstellt

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb 1: Spiegelneurone - Mirrorneuron (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Mirror neuron.jpg )

In einer Studie von Bauer (2006) wurde weiblichen Versuchspersonen ein leichter Schmerz an der Hand zugefügt. Dieser Schmerz wurde anhand der Aktivität ihres Schmerzzentrums im Gehirn gemessen. Anschließend hat man denselben Versuchspersonen Videos gezeigt, auf denen zu sehen war, wie ihren Partnern derselbe Schmerz zugefügt wurde. Auch hier zeigte sich eine Aktivität in den Schmerzzentren der Frau. Das heißt, dass die Frauen den Schmerz ihrer Partner mit Hilfe ihrer Spiegelneurone innerlich simuliert haben. Durch solche Resonanzen auf der Basis der Aktivität von Spiegelneuronen entwickeln Menschen die Fähigkeit, intuitiv eine Sicherheit darüber zu bekommen, was der/die Partner/in empfindet oder fühlt.

Solche Resonanzprozesse, bei denen eine Person durch einen inneren Simulationsprozess das erfühlt, was eine andere spürt, können nach Bauer (2006) natürlich aktiv verlaufen. Man kann andere mit den eigenen Gefühlen anstecken. Dieses Phänomen wird nach Bauer (2006) emotionale Ansteckung „emotional contagion“ genannt. Das bekannteste Alltagsphänomen dieser Art ist ein schlichtes Lächeln, das meist durch ein Lächeln oder Schmunzeln erwidert wird. Dies geschieht meist ganz automatisch und man muss sich schon intensiv vornehmen, nicht zurückzulächeln, um die spontane Reaktion zu verhindern. Menschen mit der Fähigkeit zur intuitiven, empathischen Kommunikation bekommen durchgängig höhere Sympathiewerte.

Nach Bauer (2006) beziehen sich beide Partner/innen in der Kommunikation aufeinander, stimmen sich aufeinander ein, schwingen mit, sie stellen gegenseitig Resonanz her. Die Fähigkeit der Spiegelneuronen zur inneren Stimulation komplexer Situationen bei anderen wird in der frühen Kindheit entwickelt.

Beim Verliebten entwickelt sich nach Bauer (2006) der gleiche Prozess wie zwischen Eltern und Kind. Zwei suchende, bedürftige Menschen begegnen sich in der Hoffnung, verstanden und in ihren Gefühlen gespiegelt zu werden, auch jenseits der Worte angenommen zu sein.

Bauer (2006) geht davon aus, dass mit Hilfe der Spiegelneuronen, einem inneren Simulationsprozess, der als Resonanz bezeichnet wird, der Mensch sich ein inneres Bild von der/dem geliebten Partner/in macht, das immer weiter ergänzt, differenziert und wieder verändert wird. Man kann dem/der Anderen immer nur so nahe sein, wie es die eigene Gefühlswelt zulässt. Beim Verlieben sieht der/die eine Partner/in die/den andere/n Partner/in als ideale Person.

Nach Hantel-Quitmann (2007) spiegeln Liebende einander und schwingen mit dem Partner mit. Solange die gegenseitige Spiegelung und Resonanz anhält, weiß ein Paar, dass es sich liebt. Bei Paaren, die sich trennen, lässt nach Hantel-Quitmann (2007) die gegenseitige Aufmerksamkeit nach. Damit schwindet der emotionale Kontakt zwischen den Partnern, die emotionale Nähe lässt nach. Man weicht dem Blick des anderen aus, die körperliche Distanz vergrößert sich und man versteht sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr. Der/die andere erscheint als fremd und nicht mehr vertraut, man kann sich nicht mehr riechen, geht sich aus dem Weg.

3.1.3 Liebe als Faktor für den Zusammenhalt von Paaren

Willi (2004) und seine Mitarbeiterin Astrid Riehl-Emde befragten in einer empirischen Studie eine Stichprobe von 204 repräsentativ ausgewählten Paaren mit einem für diese Studie entwickelten Paar-Inventar. Die Probanden hatten unter anderem Items für die Stabilität ihrer Partnerschaft einzuschätzen, aber sich auch zu äußern, in welchem Grad sie mit ihrer Beziehung zufrieden sind. In der Rangfolge an erster Stelle steht eindeutig die Liebe als wichtigstes Motiv für das Zusammenbleiben, gefolgt von Identifikation mit der Partnerschaft, Austausch im gemeinsamen Gespräch und persönliche Entwicklung in der Partnerschaft.

Mit Identifiktion ist unter Anderem wie in Willi (2004) beschrieben, der Zusammenhalt gemeint, der entstanden ist durch die gemeinsame Geschichte, insbesondere auch durch die schwierigen Zeiten, die man miteinander durchgestanden hat, aber auch die Überzeugung, dass sich das Zusammenleben lohnt.

Männer und Frauen beurteilten nach Willi (2004) die Liebe und die Identifikation mit der Partnerschaft in gleicher Weise als die wichtigsten Stabilisatoren. Themen wie die Aufteilung von gemeinsamen und eigenen Lebensbereichen oder die Rollenaufteilung fanden sich nicht auf den vorderen Rängen. Zärtlichkeit stand an zehnter, Erotik an zwölfter und gemeinsames Sexualleben an vierzenter Stelle von insgesamt 19 Items.

Die Rangfolge für die Stabilität der Beziehung deckte sich wie von Willi (2004) beschrieben weitgehend mit der Rangfolge für Glück und Zufriedenheit in der Partnerbeziehung.

Willi (2004) führte an, dass sich die Befragten zum Fragezeitpunkt im Vergleich mit dem ersten Jahr ihrer Beziehung als weniger glücklich und zufrieden bezeichneten, unabhängig von der Dauer der Beziehung. Auf die Frage, ob sich die Liebe im vergangen Jahr im Vergleich zum ersten Beziehungsjahr verstärkt, abschwächte oder gleich geblieben sei, gaben mehr als die Hälfte der Befragten an, dass sie gleich geblieben sei, 30% jedoch, dass sie etwas abgenomen habe. Ähnlich hielt es sich mit dem Austausch im Gespräch.

Mit ihrer persönlichen Entwicklung in der Partnerschaft waren wie in Willi (2004) festgehalten, fast ebenso viele zum Fragezeitpunkt zufriedener wie unzufriedener als im ersten Jahr. Im Unterschied zu diesen Resultaten steht die Identifikation mit der Partnerschaft, die in mehr als 75% der Fälle zugenommen und nur selten abgenommen hat.

Besonders groß war, schrieb Willi (2004) der Anteil der Unzufriedenheit im intimen Bereich, im gemeinsamen Sexualleben: 52 % waren unzufriedener als im ersten Jahr. Bei Zärtlichkeit sind 50% unzufriedener und bei der Erotik 41%.

Insgesamt kann man also sagen, im Laufe einer Beziehung nimmt die Identifikation mit der Partnerschaft zu, das Gefühl von Glück und Zufriedenheit mit der verbalen und sinnlichen Kommunikation jedoch ab. (Willi, 2004)

3.2 Veränderungen sexueller Einstellungen und Verhaltensweisen im 20. Jahrhundert

Die Fragestellung dieser Studie bezieht auch das sexuelle Verhalten polyamorer Menschen mit ein. Daher ist es unumgänglich, Theorien über Sexualität in diese Arbeit miteinfließen zu lassen.

Nach Baron und Byrne (2003) haben religiöse und gesetzliche Sanktionen gegen vorehelichen Sexualverkehr in vielen Kulturen eine lange Geschichte. Wärend des 20. Jahrhunderts kam es in der westlichen Welt zu weitreichenden Veränderungen im sexuellen Verhalten. Einstellungen über Sexualität wurden toleranter und der Sexualverkehr wurde eine allgemein akzeptierte Komponente einer romantischen Beziehung.

Umfragen vor und nach dem 2. Weltkrieg zeigen nach Baron und Byrne (2003) eine klare Veränderung in Richtung sexuelle Toleranz, speziell in den USA, Kanada, Europa und Australien. In den späten 1940er Jahren wurden die statistischen Tabellen von Alfred Kinsey und seinen Kollegen als unakzeptabler Angriff auf die moralischen Werte, die die Gesellschaft zusammenhalten, denunziert. Zwanzig Jahre lang veränderten sich die Sichtweisen in Bezug auf Sexualität so, dass sie als „Sexuelle Revolution“ der 1960er bezeichnet wurden. Zum Beispiel wurde Oralsex in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als psychologische Perversion und in manchen amerikanischen Staaten auch als kriminell angesehen. In den 1970er Jahren berichteten die meisten amerikanischen Männer und Frauen, dass sie häufig Oralsex praktizieren und es genießen.

Nach Coontz (1992) Theorie wurden die 1950er Jahre oft als letzte Dekade der sexuellen Unschuld in den USA portraitiert. Es war auch die Zeit, als vorehelicher Sex eine zunehmend allgemeine Erfahrung für Paare in einer Beziehung wurde.

In den 1980er Jahren berichteten nur 17 Prozent der amerikanischen CollegeStudenten nach Christopher und Cate (1985), noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben.

Es gibt nach Fisher und Barak (1991) keine einheitliche Sexualität unter Menschen. Große Unterschiede hinsichtlich der Sexualität bestehen im Wissen, Verhalten und in den Praktiken. Die Einstellungen zu sexuellen Themen reichen von erotophil, also sehr positiv und tolerant bis hin zu erotophob, sehr negativ und zurückhaltend. Männer tendieren eher zu Erotophilie als Frauen. Verhaltensunterschiede sind gleich verteilt. (vgl. Fisher & Barak, 1991)

Obwohl nach Baron und Byrne (2003) die „Blumenkinder“ der späten 1960er Jahre und frühen 1970er Jahre große Hoffnungen hatten, dass die Welt ein besserer Platz wird, wenn die Menschen „Liebe statt Krieg“ machen, tauchten warnende Reaktionen am Ende dieser Periode auf. Immer deutlicher wurde die Annahme, dass tolerante Sexualität nicht die Lösung von politischen Problemen und nicht einmal von Problemen hinsichtlich Liebe und Beziehungen ist.

Nach DeLamater (1981) realisierten Menschen, dass Sex zu haben nicht immer nur eine persönliche Entscheidung ist. Er geht davon aus, dass der sexuelle Ausdruck eines Menschen stark von der Sozialisation und dem sozialen Einfluss durch den er/sie soziale Normen lernt, beeinflusst wird. Ebenso wird der sexuelle Ausdruck durch Partner und spezifische Beziehungen beeinflusst. Für DeLamater (1981) sind die Einflussfaktoren für die sexuelle Einstellung vor allem Religion, Familie und Freunde. Sex ist nicht immer nur ein Ausdruck von Freiheit, sondern eine Angelegenheit der Anpassung an einen sozialen Druck. Jede/r, der oder die sich enthält, wird oft als steif, zickig, verklemmt, unterdrückt und als out bezeichnet.

Zusätzlich brachten nach Baron und Byrne (2003) die 1980er und 1990er Jahre ein höheres Bewusstsein für die potentiellen Kosequenzen des wahllosen Sexualverhaltens. Sex war nicht nur Spass und Spiel, sondern konnte auch unerwünschte Schwangerschaften und sexuell übetragbare Krankheiten mit sich bringen.

3.3 Sexuelles Verhalten

Manche polyamore Menschen behaupten, dass ihnen eine polyamore Lebensform gestattet ihre sexuellen Wünsche frei ausleben zu können oder sexuelle Erregung nicht unterdrücken zu müssen. Es wird auch beschrieben dass, das Ausleben von Sexualität mit anderen Menschen auch die sexuelle Erregung beim primären Partner wieder steigern würde. Manche polyamore Menschen beschreiben es so, dass mehrere Partner, ein reicheres und länger lebendiges Sexualleben ermöglichen. Um dem nachzugehen, warum viele polyamore Menschen dies so empfinden ist es interessant, zu fragen: „Was ist sexuelle Erregung? Wie wird sie ausgelöst? Was ist Sexualität? Was ist sexuelles Verhalten?“:

Sexuelles Verhalten ist nach Zimbardo (1995) nicht für das individuelle Überleben, sondern für das der Art unentbehrlich.

„Sexuelle Erregung kann von Deprivation unabhängig sein.

Sexuelle Erregung wird ebenso aktiv angestrebt wie die Spannungsreduktion.

Sexualität kann eine ungewöhnliche Spannbreite von Verhaltensweisen und psychologischen Prozessen motivieren.

Der Sexualtrieb kann durch fast jeden vorstellbaren Reiz angeregt werden - von der Berührung der Genitalien über flüchtige Phantasien bis zu konditionierten Fetischen.

Jeder Reiz, der mit sexueller Erregung gekoppelt wird, kann zum erworbenen motivierenden Reiz werden, jeder Reiz, der mit sexueller Befriedigung gekoppelt wird, zum konditionierten Verstärker.“ (Zimbardo, 1995, S. 421)

Nach Zimbardo (1995) ist sexuelle Erregung beim Menschen der motivationale Zustand der Aufregung und Spannung, der durch physiologische und kognitive Reaktionen auf erotische Reize entsteht. Erotische Reize, sowohl physischer als auch psychischer Art, lassen nach Zimbardo (1995) sexuelle Erregung oder Gefühle der Leidenschaft entstehen. Durch erotische Reize ausgelöste sexuelle Erregung wird nach Zimbardo (1995) durch sexuelle Aktivitäten, die zur Befriedigung führen, insbesondere durch das Erreichen des Orgasmus, reduziert.

„Wissenschaftler befragten 40 Studenten und 40 Studentinnen, welche Bedeutung für sie das Berühren unterschiedlicher Körperstellen durch einen Freund / eine Freundin habe. Die Meinungen der Geschlechter gingen auseinander. Für Frauen war die Berührung um so weniger mit Wärme, angenehmen Gefühlen oder Freundlichkeit verbunden, je mehr sie an sexuelles Begehren gekoppelt war. Wenn ein enger Freund eine Frau in einer Region ihres Körpers berührt, die sexuelles Interesse signalisiert, so nimmt die Frau das als die einzige Bedeutung. Bei Männern wird dieselbe Berührung mit einem Muster von Bedeutungen verbunden: angenehme Empfindung, Wärme, Liebe und sexuelles Begehren. Missverständnisse können daraus entstehen, dass die „zärtliche Berührung“ des einen von der anderen als „sexuelle Annäherung“ aufgefasst wird.“ (Zimbardo, 1995, S. 425)

4. Polyamory

Laut einem Postulat von Noel (2006) tauchte Polyamory in der Literatur erstmals um 1990, im sozialkulturellen Kontext als eine Beziehungsstruktur auf, in der eine Person sich dafür entscheiden kann, mehr als eine Person zur gleichen Zeit zu lieben und Sex zu haben und darüber auch offen sprechen zu können.

Im Internet findet man auf der Seite der freien Enzyklopädie Wikipedia (2006, S. 1) folgende Definition zu Polyamory:

„Polyamory - von griech. polys, „viel“ und lat. amor, „Liebe“ mit griechischer Endung - ist ein Oberbegriff für die Praxis, Liebesbeziehungen zu mehr als einem Menschen zur gleichen Zeit zu haben, mit vollem Wissen und Einverständnis aller beteiligten Partner.

Die angestrebten Beziehungen sind langfristig und vertrauensvoll angelegt und schließen normalerweise (aber nicht unbedingt) Verliebtheit und Teilen von Zärtlichkeit und Sexualität mit ein. Der Begriff der Liebe wird also weiter gefasst als bei der romantischen Zweierbeziehung. Menschen, die solche Beziehungen bevorzugen oder führen, werden als „polyamor“ oder „polyamorös“ bezeichnet. Die seit den 1960er Jahren entstandene polyamore Subkultur bezeichnet weiterhin auch ein Erfahrungs- und Kommunikationsnetz von Menschen, die die Idee von nichtausschließlichen Beziehungen fördern wollen und bereit sind, in solchen Beziehungen zu leben, und sich hierin gegenseitig unterstützen.

Politisch stellt die polyamore Subkultur die Vorstellung in Frage, dass Zweierbeziehungen die einzig erstrebenswerte oder mögliche Form des Zusammenlebens in Beziehungen darstellen (Mono-Normativität) und bejaht, dass ein Mensch mit mehreren anderen Personen zur gleichen Zeit Liebesbeziehungen haben kann.“ (Wikipedia, 2006, S. 1)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb 2: Das Herz mit dem Zeichen der Unendlichkeit als Symbol für Polyamory

(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Polyamory.svg )

Das Zeichen für polyamore Beziehungen ist ein Herz mit darüberliegender Acht, als Symbol für Unendlichkeit. Nach Bührmann, Meritt und Schefzig (2005) wurde dieses Zeichen von Brian Crabtree entworfen und erfreut sich großer Beliebtheit. Zusammen drücken sie die unendlichen Möglichkeiten aus, wie Liebesbeziehungen gelebt werden können. (Bührmann, Meritt & Schefzig, 2005, S. 93)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb 3: Die Polyamory-Schleife (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Poly Ribbon.png )

Die Polyamory Schleife findet sich auf der Internetseite Wikipedia (2006), wie dort beschrieben gilt sie als Erkennungszeichen und als Zeichen von Respekt gegenüber Menschen, die Polyamory leben. Die Schleife zeigt von oben nach unten drei Farben in blau, rot und schwarz, mit folgender Symbolik: Blau steht für Offentheit und Ehrlichkeit zwischen den Partnern in einer Poly-Beziehung, rot steht für Liebe und Leidenschaft, schwarz zeigt Solidarität mit jenen Menschen, die polyamor empfinden, es aber aufgrund von sozialem Druck nicht leben können. In der Mitte der Schleife steht in goldener Farbe der griechische Buchstabe Pi, dieses Zeichen steht für den

Anfangsbuchstaben des Wortes Polyamory. Die Farbe Gold symbolisiert den hohen Wert, der auf innige, emotionale Verbindung gelegt wird. (Wikipedia, 2006)

Sheff (2005) definiert Polyamory als eine Beziehungsform, in der Menschen mehrere romantische, sexuelle, und/oder emotionale Partner haben. Sie unterscheidet sich vom Swingen durch langzeitliche Ausrichtung, emotionell verbundene Beziehungen und dem Schwerpunkt auf Ehrlichkeit und idealerweise der vollen Offenlegung des sexuellen Beziehungsnetzes mit allen, die daran teilhaben bzw. davon betroffen sind. Eine polyamore Beziehung unterscheidet sich von der Polygamie dadurch, dass sowohl Männer als auch Frauen die Möglichkeit zu zusätzlichen Partner haben.

Barker (2005) beschreibt Polyamory als eine nichtmonogame Beziehung, in der es akzeptiert wird, mehr als eine Person zu lieben. Von großer Wichtigkeit sind Offenheit und Ehrlichkeit innerhalb dieser Beziehung.

Rüther (2005, S. 70) verwendet in seiner Diplomarbeit folgende Definition:

„Bewusst gewählte Beziehungsform / Lifestyle / Möglichkeit, über einen bestimmten Zeitraum hinweg mit mehreren Menschen eine sexual-erotische Beziehung zu haben, wobei alle Beteiligten davon wissen und damit einverstanden sind.“

Für Anapol (1997) ist Polyamory ein Entwicklungsweg. Es brauchte für sie viele Jahre, eine Ehe und eine Scheidung, um zu realisieren, dass das Geheimnis eine intime Verbindung lebendig halten zu können, darin besteht, in jedem Moment total authentisch zu sein und radikale Ehrlichkeit zu praktizieren. Sie lernte, dass Beziehungen, die auf Ehrlichkeit und Selbstverantwortung und bedingungsloser Liebe basieren, viele Formen annehmen können. Sie lernte auch, dass es tatsächlich möglich ist, mehr als eine Person über viele Jahre zu lieben. Sie nennt diese Art zu lieben verantwortungsvolle Nichtmonogamie oder Polyamory.

Klesse (2006) definiert daher im Anschluss daran Polyamory kurz als „verantwortungsvolle Nichtmonogamie“. Als charakteristische Merkmale für Polyamory sieht er eine starke Betonung von Liebe, Intimität, Verbindlichkeit, Konsens und Ehrlichkeit an. Er sieht Polyamory als eine Form von Nichtmonogamie, aber nicht generell als Nichtmonogamie. Klesse (2006) betont weiter, dass sich der

Begriff Polyamory vom Begriff Promiskuität insofern unterscheidet, dass Pormiskuität eine stärkere Betonung auf der Sexualität hat und Polyamory eher die Liebe als charakteristisch in den Vordergrund stellt.

4.1 Abgrenzungen zwischen Polyfidelity, Vielehe und freie Ehe

Alternativ wurden, wie in Wikipedia (2006) beschrieben, vor allem vor der Verbreitung des Begriffs „Polyamory“, das eigentlich unzutreffende Wort „Polygamie“ sowie der Begriff Polyfidelity verwendet, der von der Kreista Kommune in San Francisco geprägt wurde und genau genommen „Gruppenehe“ bedeutet, aber oft noch synonym zu Polyamory gebraucht wird.

Zu unterscheiden von Polyamory ist der Begriff der Polygamie oder Vielehe. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass Polyamory nicht an gesellschaftlichen Institutionen und Normen wie eine Einehe oder Vielehe gebunden ist und die Wahlfreiheit der Beteiligten betont wird.

Nach McCullough und Hall (2006) ist Polyamory die Ideologie und Praxis, mehr als eine Person zur gleichen Zeit mit Ehrlichkeit und Integrität zu lieben. Kennzeichen für Polyamory sind Verantwortlichkeit, Ethik, die Entscheidung zu dieser Lebensform und das es keine monogame Beziehung ist.

Polyamore Menschen behaupten nach McCullough und Hall (2006), dass ihre Philosophie die aufrichtige Akzeptanz und Wertschätzung der Wahrhaftigkeit der menschlichen Natur sei. Sie behaupten auch, dass Sexualität nicht der Feind sei, die wahren Feinde sehen sie in Betrug und Verrat des Vertrauens als Resultat des Versuchs, unser natürliches Selbst in rigide, unnatürliche soziale Systeme zu zwängen. Sie sehen Sexualität als eine positive Macht, wenn sie mit Ehrlichkeit, Verantwortung und Vertrauen einhergeht. Über Monogamie schreiben McCullough und Hall (2006), dass sie als einzige Struktur von Wert angesehen wird, in der Menschen sexuelle Beziehungen pflegen können. Die Autoren führen auch vergleichend zur Tierwelt an, dass nur sehr wenige Tierarten monogam leben. Sie versuchen hier einen Bezug zur Natürlichkeit einer polyamoren Lebensweise herzustellen.

McCullough und Hall (2006) betonen weiters, dass auch Religionen einen positiven Bezug zur natürlichen Sexualität hatten. Als Beispiel führen sie asiatische Tempelbilder und die Bilder auf antikem europäischem Steingut und Tonwaren an. Kritisch beleuchten sie den gegenwärtigen prüden Umgang, den heutige westliche Religionen in Bezug auf Sexualität haben.

Allerdings, so heben die Autoren auch hervor, werde Polyamory missverstanden, wenn man glaubt, sie wäre eine Lösung für Partnerschaftsprobleme. Auch sollte es nicht als Swingen missverstanden werden. Als Swingen bezeichnen die Autoren häufig wechselnde Sexualpartner/innen, wobei der Fokus auf die Ausübung von Sex und nicht auf die Beziehung selbst gerichtet sei. Die Autoren berichten auch davon, dass Polyamory nicht „Freie Liebe“ sei, wie sie in den 1960er Jahren propagiert wurde. Sie sehen die „Freie Liebe“ als reaktionale Bewegung gegen Prüderie. Nach den Autoren ging es eher um ein nicht verantwortliches und manchmal nicht ehrliches freies Ausleben von Sexualität, oft in Verbindung mit Drogen. Die Ideolgie der „Freien Liebe“ sehen die Autoren als einen Akt der Befreiung von Tabus gegenüber der Sexualität.

Zur Eifersucht schreiben McCullough und Hall (2006), dass es ein großer Mythos wäre, dass sie angeboren, unvermeidlich und unmöglich zu bewältigen sei.

4.2 Formen polyamorer Beziehungen

In polyamoren Internet-Communities bemerkt man immer wieder Versuche der Strukturierung unterschiedlicher polyamorer Beziehungsmodelle, um die Diskussion über polyamore Beziehungen zu erleichtern. Ein unter polyamoren Menschen weitgehend üblicher Poly-Jargon hat sich im Laufe der Zeit herausgebildet, der sich aus weitgehend beschreibenden Wörtern zusammensetzt.

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Ende der Leseprobe aus 262 Seiten

Details

Titel
Polyamory. Beziehungsgestaltung polyamorer Menschen
Untertitel
Eine Studie
Hochschule
Universität Salzburg  (Psychologie)
Note
Gut
Autor
Jahr
2011
Seiten
262
Katalognummer
V180924
ISBN (eBook)
9783656039716
ISBN (Buch)
9783656040286
Dateigröße
1494 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Polyamory, Beziehungsgestaltung
Arbeit zitieren
Sonja Friedwagner (Autor:in), 2011, Polyamory. Beziehungsgestaltung polyamorer Menschen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180924

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