Leseprobe
Inhalt
1 ‚Professor Unrat‘ von Heinrich Mann
2 Darstellung wichtiger Leitmotive in ‚Professor Unrat‘
2.1 Namensmetaphorik - Nomen est omen
2.2 Farbmetaphorik
2.3 Machtverhältnisse: „Oben und unten“
2.4 Psychologische Analyse des Macht- und Ordnungsbedürfnisses Raats
2.5 Körpermetaphorik
2.6 Rosa Fröhlich - eine Femme fatale?
3 Zur Wirkungsgeschichte des Romans
4 Literaturverzeichnis
4.1 Primärliteratur
4.2 Sekundärliteratur
4.3 Elektronische Medien/ Filme
1 ‚Professor Unrat‘ von Heinrich Mann
‚Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen‘, dieser Titel des Romans von Heinrich Mann ist Programm. Er beschreibt die Karriere des Gymnasialprofessors Raat, der sich, getrieben von allerlei Motiven, in die Hände der Künstlerin Rosa Fröhlich begibt und der am Ende wegen Spielschulden, Diebstahl und weiteren Vergehen von der Polizei verhaftet wird. Die Ursachen liegen freilich tiefer, was diese Arbeit an einigen Beispielen verdeutlichen will.
Verschiedene Rezipienten haben darauf hingewiesen, dass viele autobiografisches Züge im Roman verortet sind. So lassen sich Straßennamen wie „Siebenbergstraße“ oder „Kohlmarkt“ in Heinrich Manns Heimatstadt Lübeck finden. Das Lokal „Der Blaue Engel“ ist nach Flügge eine Mischung des Gasthofs ‚Im blauen Engel‘ und des Bordells ‚Goldener Engel‘. In Letzterem befindet sich eine Bühne mit Tanzsaal,[1] ganz wie im ‚Blauen Engel‘ des Romans.
Die Idee zu seinem Roman hatte Mann während einer Theaterpause in Florenz, als ihm das ‚Berliner Tageblatt‘ in die Hände fiel. ‚Vom Professor zum Kuppler‘ lautete der Titel eines Artikels über die Betrugsaffäre Meyer in Berlin. Im Alter von 60 Jahren heiratet der Dozent für Volkswirtschaft eine 40 Jahre jüngere ehemalige Sängerin und gibt daraufhin seinen Beruf auf, um mit ihr zusammen ein Kabarett zu gründen und zu unterhalten. 1904 wird er wegen Schulden, Meineid und Kuppelei angeklagt.[2]
1905 erscheint der Roman Heinrich Manns bei Albert Langen in München, die Rezeption und die Urteile fallen darüber höchst unterschiedlich aus. Sein älterer Bruder Thomas urteilt hart: „Das Alles ist das amüsanteste und leichtfertigste Zeug, das seit Langem in Deutschland geschrieben wurde. […] Das Buch scheint nicht auf Dauer berechnet.“[3] Ob und inwieweit sich diese Aussage rezeptionsgeschichtlich bewahrheitet, soll im Schlussteil dieser Arbeit näher betrachtet werden.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit verschiedenen Leitmotiven des Romans: So werden die bedeutungsschwangeren Rufnamen der im Roman auftretenden Protagonisten erläutert. Das zentrale Machtmotiv wird über einen psychologischen Zugang einerseits und über das Wortfeld ‚oben‘ und ‚unten‘ andererseits analysiert. Ein weiteres Augenmerk wird auf die im Roman verwendeten Farbschemata gelegt, mit denen einzelne Figuren charakterisiert werden. Auch die Darstellungen der Körper folgen einem Muster, welches einer näheren Betrachtung lohnt. Schließlich soll der Frage nachgegangen werden, ob und inwiefern die Figur der Rosa Fröhlich als die einer ‚Femme fatale‘ gedeutet werden kann.
2 Darstellung wichtiger Leitmotive in ‚Professor Unrat‘
2.1 Namensmetaphorik - Nomen est omen
Nomen est omen - dieses umgangssprachliche Sprichwort scheint auf die Protagonisten des Romans ‚Professor Unrat‘ zuzutreffen. Rosa Fröhlich wird als lebensbejahender und positiv gestimmter Mensch beschrieben, die sich „rin ins Vergnügen“ (71)[4] stürzt und herzlich gerne lacht. Der Nachname beschreibt also von Beginn an ihr Naturell. Aber auch der Vorname taucht motivisch immer wieder auf: Sie bringt die Menschen in ihrem Umfeld oftmals zum Erröten, zaubert ihnen also rosa Farbe ins Gesicht: „Er griff in seinen Rock, errötete wolkig […]“ (70), „Unrat ward rot“ (177) oder „Und Unrat, errötend, nach Hilfe suchend“ (94).
Professor Unrat, dessen akademische Würde durch seinen eigentlichen Namen Raat verdeutlicht wird, wird von allen nur mit dem Pseudonym „Unrat“ betitelt. Dieser Name ist ihm Schicksal und Verheißung, hat es sich der Professor doch selbst zur Aufgabe gemacht, ihn und seine pejorative Bedeutung auszurotten. Die unbarmherzige Gesellschaft um Raat kennt hierbei keine Gnade, sie ärgern ihn, indem sie „einander zuschreien: ‚Riecht es hier nicht nach Unrat?‘“ (9). Dennoch ist ihm dieser Spitzname höchst zu Eigen, bezeichnet er sich doch selbst als „Professor Un - der Professor Raat“ (28). Seine Geliebte nennt ihn gar zärtlich „Unratchen“ (180), was er sich gefallen lässt. Der Kampf gegen seinen Spitznamen ist ein Kampf, welcher nie gewonnen werden kann, da es ein Kampf gegen ihn selbst ist. Sein Körper passt sich sogar in der Wahrnehmung seiner Mitmenschen seinem Namen an:
„Was ist denn mit dem Unrat? Er wird alt.“
„Und immer schmutziger.“
„Anders als schmutzig habe ich ihn nie gekannt.“
„[…]Als Hilfslehrer war er noch `n ganz adretter Mensch.“
„So? Was der Name tut. Ich kann ihn mir überhaupt nicht sauber vorstellen.“
„Wissen Sie, was ich glaube? Er sich selber auch nicht. Gegen so `n Namen kann auf die Dauer keiner an.“ (37)
Auf dem Höhepunkt seines Triumphes über die Scheinmoral der Bürger der Kleinstadt jedoch ist er stolz auf seinen Namen. Den Menschen, die er ausplündert, offenbart er auf die Schulter klopfend: „Jaja, ich bin ein rechter Unrat“ (212). Es ist die Rache für den aus Unrats Augen jahrelangen Missbrauch seines Namens. Freilich hält dieser Triumph nicht fortwährend an, bei der Wiederherstellung der scheinbar bürgerlichen Ordnung am Ende der Handlung gewinnt der Name in seiner pejorativen Bedeutung erneut die Oberhand: „‘ne Fahre Unrat!“ (238) ist das letzte gesprochene Wort des Romans.
Ein weiterer für sich sprechender Name ist der des Klassenprimus‘ aus Unrats Stufe: Er heißt ‚Angst‘ (vgl. 13). Sein Name bezeichnet wohl zugleich die Emotion, welche ihn am unmittelbarsten steuert und welche ihn im Machtgefüge des Professors in die Position des Klassenbesten gebracht hat, da er sich aus diesem Angsttrieb heraus dem Professor total unterordnet und sich so in seinem System angepasst hat.
Ebenso interessant ist die Verschlüsselung des Schülernamens Lohmann, welcher ein Kunstprodukt aus L(uiz) + o + H(einrich) + Mann darstellt und so auf den Autoren des Werkes zurückblicken lässt.[5] Dazu passt auch die Rolle Lohmanns als „Kommentator“ (237), wie ihn der Erzähler aufschlüsselnd nennt.
Es zeigt sich, dass die Namen der im Roman auftretenden Figuren nicht zufällig gewählt wurden, sondern einer ersten Charaktierisierung dienen sollen.
2.2 Farbmetaphorik
Auch die Farbmetaphorik dient dieser Personencharakterisierung. Passend zum Pseudonym ‚Unrat‘ im schmutzigen Sinne ist die Farbe, die Professor Raat am besten beschreibt, grau. Nicht nur seine Finger sind grau (vgl. 110, 187), sondern sogar seine Gesamterscheinung: „Er sah sehr grau aus“ (108). Selbst in seiner Wahrnehmung seiner Mitmenschen dominiert die Farbe grau, ein Schüler ist laut Raat „ein mausgraues, unterworfenes und heimtückisches Wesen“ (26).
Passenderweise finden die ersten Ausflüge des Professors auch immer während der dunklen Nacht statt, in der keine Farben, sondern lediglich verschiedene Schwarz- und Grautöne voneinander unterschieden werden können. So „wanderte er auf der dunklen Seite; drüben verbreitete sich heller Mond“ (47). Er selbst gehört nicht zu der Welt des Lichts, welche er von seinem dunklen Standpunkt aus betrachtet. So nimmt er nur wahr, dass in Konsul Breetpoots hell erleuchteten Haus ein Ball stattfinden muss (vgl. 47f.). Ein erster Hinweis auf das, was ihn im späteren Handlungsverlauf erwarten wird, ist ein „rosa gekleideter Arm“ (49), der sich nach dem grauen Unrat ausstreckt. Noch flieht der ‚überrieselte‘ (ebd.) Unrat davor.
Es ist eine wankende helle Laterne vor dem Blauen Engel, die Unrat schließlich dazu bewegt, die Dunkelheit der Nacht zu durchbrechen. Im wahrsten Sinne des Wortes bringt Rosa Fröhlich Farbe in die graue Welt des Professors, denn alles an ihrer Erscheinung ist bunt: Der große rote Federhut (vgl. 93), das geschminkte Gesicht (vgl. 97), der orangefarbene Unterrock (vgl. 96), selbst ihre schwarzen Strümpfe weisen eine „veilchenblaue Stickerei“ (63) auf.
Unrat mußte wohl hinsehen; aber sie verwirrte ihn gleich wieder durch ihre Buntheit. Ihr Haar war rötlich, eigentlich rosig, fast lila, und enthielt mehre geschliffene grüne Glasstücke, in ein verborgenes Diadem gefaßt. Die Brauen über den trockenblauen Augen waren sehr schwarz und kühn. Aber der Glanz der schönen bunten Farben in ihrem Gesicht, rot, bläulich, perlweiß, hatte gelitten vom Staub (64).
Selbst die Gardine in Rosa Fröhlichs Kabine hat die Farbe Rot (vgl. 87). Es ist kein Wunder, dass Unrat hin und hergerissen ist zwischen der gewohnt düsteren und der verlockenden neuen bunten Welt. Als er das erste Mal für sich erkennt, dass er selbst an Lohmanns Stelle bei Rosa sitzen möchte, ‚verdunkelt‘ sich diese Erkenntnis jedoch sofort wieder (vgl. 88).
Später ist das Haus von Rosa und Unrat das verdorbene Zentrum vor den Toren der Stadt, und es ist das hellste. Die Helligkeit leuchtet aufgrund einer makabren Begebenheit, denn auf der metaphorischen Ebene brennen all die Opfer, die durch ihren Besuch den gesellschaftlichen oder finanziellen Ruin fanden, sie „drängten sich, sie ihm anzünden, sich selbst ihm anzuzünden“ (212).
In einem intimen sektseligen Moment schließlich gibt aber auch Rosa zu erkennen, dass diese bunte Welt, in der sie sich fortbewegt, nur die Welt des Schauspiels und des Theaters darstelle, beileibe aber nicht die Realität abbildet: „Das is [sic!] ja man die glänzende Außenseite‘, brachte sie hervor. ‚Drinnen gibt’s nichts als graues Elend…‘“ (106). Trotz des fröhlichen Namens und der farbenfrohen Erscheinung bleibt die Figur durch ihre nachdenkliche, traurige und pessimistische Innensicht vielschichtig. So wird einerseits die Verschmelzung der beiden Körper zum Ausdruck gebracht, andererseits zeigt sich hier die farbliche Ebenbürtigkeit der Figuren Rosa und Unrat, welche im Innersten beide grau sind.
2.3 Machtverhältnisse: „Oben und unten“
Diese Ebenbürtigkeit von Rosa und Raat lässt sich auch im zentralen Thema des Romans wiederfinden, im Umgang mit Macht. Es verwundert nicht, dass das die Machtverhältnisse spezifizierende Wortfeld um Höhenangaben wie ‚oben‘ und ‚unten‘ extrem häufig anzufinden ist: Von „hehrer Höhe“ (100), vom Lächeln „von unten (105; 154; 177), „sich rein und hoch machen“ (234), dem Paar, welches „schon oben“ (132) ist, vom Fragen „von unten“ (133), vom „so hochgestellt[en]“ (133) Weib, von „Unrat […] unter allem Schindluder“ (134), von Rosa, die „aus solcher Höhe gestürzt war!“ (134), der „Hohen Schule“ (234), „unterwerfen“ (230) und von „der Perspektive unterhalb des Katheders“ (229) ist die Rede. Dieses Wortfeld erweiternd kommen ebenso die Machtverhältnisse beschreibenden Wörter vor, die mit Fallen oder Steigen zu tun haben: „Gesunken war er. Sie war gesunken.“ (226), Ertzum könne wieder „hinabklettern“ (120), Rosa sei „würdiger als alle Oberlehrer […] und höher als der Direkter“ (122), Ertzum tastet „sich wankend die sechs Stufen wieder hinunter“ (133), „wie tief sie jetzt gefallen ist?“ (146), Unrat glaubt Lohmann „darniedergeworfen“ (165), „Lorenzen liegt zerschmettert am Erdboden“ (196), und es verwundert nicht, dass „jemand, dem die hellsten Gipfel zu erklimmen gelange - daß ein solcher auch mit den undurchdringlichen Schlünden wohlvertraut ist.“ (205).
[...]
[1] vgl. Flügge, S. 83.
[2] vgl. ebd.
[3] Kesting, 33f.
[4] Im Folgenden beziehen sich im Fließtext Seitenzahlen, die in Klammer angegeben sind, auf Mann, Heinrich: Professor Unrat. Der blaue Engel, S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 622009.
[5] vgl. Stein, S. 67.