Das Verhältnis von Arzt und Patient im Wandel


Bachelorarbeit, 2010

67 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Gesundheitswesen im Wandel

3 Das Arztbild im Wandel
3.1 Alte und neue Idealtypen des Arztes
3.1.1 Das Paternalistische Modell
3.1.2 Das Partnerschaftliche Modell
3.1.3 Der Arzt als Dienstleister und Gesundheitsmanager
3.2 Ärzte im Spannungsfeld zwischen Solidarsystem und Wettbewerb

4 Wandel der Patientenrolle
4.1 Definition des Begriffs „Patient“
4.2 Patienten als Partizipienten
4.3 Der mündige Patient im Diskurs
4.3.1 Überblick der Angebote zur Patienteninformation in der Medizin
4.4 Die betriebliche Perspektive – Der Patient als Kunde
4.4.1 Elemente der Kundenorientierung

5 Die Arzt-Patient-Beziehung im Wandel
5.1 Neue Formen der Patientenbeteiligung im Behandlungsprozess
5.1.1 Empowerment: Begriffsdefinition
5.1.2 Patientenbeteiligung durch Disease Management Programme (DMPs)
5.1.3 Patientenbeteiligung durch Shared Decision Making (SDM)

6 Fazit und Ausblick

7 Literaturverzeichnis

Um die Lesbarkeit zu erleichtern, wird bei Personenbezeichnungen innerhalb der vorliegenden Arbeit stets die männliche Form verwandt.

Diese Bezeichnungen erfassen jedoch weibliche und männliche Personen und stellen somit keine Wertung dar.

1 Einleitung

„Jeder fünfte Patient in Deutschland wünscht sich, dass ihn sein Arzt bei Entscheidungen zur Behandlung stärker einbezieht. Wie eine Studie im Auftrag der Techniker Krankenkasse zudem ergab, beklagten 60 Prozent, dass sie von ihrem Arzt nicht über Alternativen der Behandlung aufgeklärt würden.

Die Techniker Kasse hatte rund 1000 Patienten repräsentativ befragen lassen.

Es ging ausschließlich um die Zufriedenheit bei der ambulanten Behandlung.

Zu wenig Aufklärung über die Nebenwirkungen von Medikamenten bemängel-ten fast 40 Prozent.

"Nicht immer treffen sich Arzt und Patient auf gleicher Augenhöhe", sagte der Chef der Techniker Kasse, Norbert Klusen.“ (Quadbeck 2010)

Diese Pressemeldung aus dem Onlinebestand der Rheinischen Post vom 17.6.2010 bezieht sich auf eine aktuell viel diskutierte Situation und fasst in kurzen Worten das Thema der vorliegenden Bachelorarbeit zusammen:

Der Fokus dieser Arbeit liegt auf dem Verhältnis von Arzt und Patient im deutschen Gesundheitswesen bzw. auf den Veränderungen, welche sich in dieser Beziehung in den letzten Jahren ereignet haben.

Diese Analyse konzentriert sich allein auf die „Mikroebene“ der Patientenbeteiligung; d.h. auf die konkrete Interaktion von Arzt und Patient.

Institutionelle Faktoren bzw. in diesem Kontext stattgefundene Veränderungen werden hingegen nicht untersucht.

Im Rahmen der dargestellten Analyse wird insbesondere auf das Handlungsmodell der Partizipativen Entscheidungsfindung (PEF) als mögliche „Zukunft“ des Arzt-Patienten-Verhältnisses eingegangen. An dieses wird die Erwartung gerichtet, zu höherer Therapietreue, verbesserten Behandlungseffekten und somit zu höherer Zufriedenheit sowohl auf Patienten- als auch auf Ärzteseite beizutragen.

Im ersten Teil der Arbeit werden allgemeine Veränderungen im Gesundheitssektor analysiert, wobei besonders auf die fortschreitende Ökonomisierung im Gesundheitswesen eingegangen wird.

Anschließend werden in Kapitel 3 verschiedene Sichtweisen bezüglich der Veränderungen des Arztbildes bzw. -selbstverständnisses vorgestellt.

In Kapitel 4 wird der bereits stattgefundenen Wandel der Patientenrolle bzw. des Patientenselbstverständnisses untersucht; insbesondere die Vorstellung von dem „ mündigen Patienten “ soll hierbei kritisch beleuchtet werden.

Im Anschluss daran sollen in Kapitel 5 die Konsequenzen der dargestellten Veränderungen für das Arzt-Patienten-Verhältnis analysiert werden.

Dabei wird auf bereits angewandte Methoden der Patientenbeteiligung eingegangen, indem sogenannte Disease Management Programme (DMP s) sowie das Shared Decision Making (SDM) bzw.das Modell der Partizipativen Entscheidungsfindung (PEF) vorgestellt werden.

Abschließend soll in Kapitel 6 der bereits stattfindende Wandlungsprozess innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung zusammengefasst und ein Fazit gezogen werden, wie das Arzt-Patienten-Verhältnis zukünftig aussehen könnte bzw. welche Maßnahmen notwendig sind, um eine möglichst erfolgreiche, qualitativ hochwertige und somit Arzt und Patient gleichermaßen zufriedenstellende Behandlung zu gewährleisten.

2 Das Gesundheitswesen im Wandel

Besonders in den letzten 20 Jahren haben grundlegende Faktoren und Bedingungen im Gesundheitssektor eine massive Veränderung erfahren. Gerade in Zeiten der wirtschaft-lichen Rezession lässt sich eine signifikante Erhöhung des „Reformdrucks“ auf das Gesundheitswesen beobachten. Neue, innovative Maßnahmen und Konzepte werden entwickelt, welche gleichzeitig die Gesundheitskosten senken sowie eine „optimale“ Behandlung gewährleisten sollen. Auch der Einbezug des Patienten in den Behand- lungsprozess soll durch diese Konzepte erleichtert werden.

Was die exakte Datierung dieses Wandlungsprozesses betrifft, ist sich die wissenschaft-liche Forschung bisweilen allerdings noch ziemlich uneins.

So macht die Ärztin Helma Bleses in ihren Ausführungen darauf aufmerksam, dass sich seit ca. zehn Jahren, seit Ende der 1990er Jahre, eine Veränderung der „Rahmen-bedingungen und gesetzlichen Grundlagen im Gesundheitswesen“ beobachten lässt, welche auch weiterhin stattfindet. (Vgl. Bleses 2005: 3)

Der Mediziner Prof. Linus Geisler hingegen setzt diesen Prozess bereits etwas früher an, laut ihm befinden sich „Medizinverständnis und Arzt-Patient-Beziehung […] seit den 70er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts im Wandel (Wittern 1991), wobei neben technologischen Errungenschaften gesellschaftliche Einflüsse und ökonomische Rahmenbedingungen als interferierende Elemente bedeutsam sind“. (Geisler 2002: 1)

Möchte man den Wandel im Gesundheitswesen einer grundlegenden Analyse unter-ziehen, geht damit zwangsläufig eine Auseinandersetzung mit dem Prozess der zu-nehmenden Ökonomisierung und Vermarktlichung innerhalb dieses Sektors einher.

So betont auch Dr. Thomas Gerlinger (Arzt und Professor für Medizinische Soziologie), dass durch den Wettbewerb im Gesundheitswesen „nach und nach finanzielle Anreize in den Alltag von Krankenkassen, Leistungsanbietern, Versicherten und Patienten ein-gedrungen“ sind und zunehmend stärkeren Einfluss auf deren Handeln sowie deren Sozialbeziehungen ausüben. Dieser Prozess lässt sich laut Gerlinger seit dem Beginn der 1990er Jahre beobachten, als „wettbewerbliche Anreize und Strukturen“ massiv konzipiert bzw. umgesetzt wurden. (Vgl. Gerlinger 2009: 145)

Auch Bleses scheint diese Gedanken zu teilen, denn sie verweist auf den Aspekt, dass im Bezug auf das Gesundheitssystem immer häufiger Forderungen nach mehr „Humanität, Qualität und Wirtschaftlichkeit“ laut würden, welche oft auch mit der Forderung nach höherer Patientenorientierung einhergingen.

Charakteristisch für das Gesundheitssystem in der Bundesrepublik zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind für Bleses „drastische ökonomische Restriktionen“, ein allgegen-wärtiger Kostendruck sowie massive Sparzwänge und Konkurrenzdenken zwischen den einzelnen Krankenhäusern. (Vgl. Bleses 2005: 3)

Die Auswirkungen dieser zunehmenden Ökonomisierung macht die Autorin an drei zentralen Punkten fest:

Eine wesentliche Veränderung lässt sich bei den wirtschaftlichen und strukturellen Rahmenbedingungen in den Krankenhäusern beobachten, auch die Qualitäts-anforderungen bei der Leistungserbringung haben sich deutlich gewandelt. Über allem steht das allgegenwärtige „Postulat von Wirtschaftlichkeit und Qualität“.

Damit einhergehend wurde 2001 das GKV- Gesundheitsreformgesetz erlassen, welches explizite Forderungen nach Patientenorientierung und Mitarbeiterorientierung be-inhaltet. Dadurch soll die Qualität der medizinisch-pflegerischen Leistung weiterhin gewährleistet werden, trotz der angeordneten Restriktionen. Diese übergeordneten Ziele sollen nun für sämtliche „Leistungen, Interaktionen, Prozesse und Strukturen“ gelten.

Eine weitere Folge der Ökonomisierung des Gesundheitssektors ist die Tatsache, dass sich die Arbeitsorganisation deutlich verändert und sich die Arbeitsbelastung der Beschäftigten erhöht hat. Als Ursache dafür kann der erhöhte Aufwand an Dokumen-tation und administrativen Tätigkeiten gelten, da die Verweildauer der Patienten (aus Kostengründen) stets so knapp wie möglich bemessen wird. (Vgl. Bleses 2005: 5)

Der Diplom-Politologe Benjamin Ewert weist abschließend auf die bereits evidenten Folgen der zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitssektors hin:

„Im Zuge voranschreitender Ökonomisierungs- und Vermarktlichungsprozesse in Gesundheitssystemen entstehen für Nutzer von Gesundheitsleistungen neue Partizipa-tionslogiken und Verhaltensanforderungen.“ (Ewert 2009a: 151)

3 Das Arztbild im Wandel

Wie unter 4.1 (Definition des Begriffs „Patient“) noch ausführlicher erläutert werden wird, stehen Arzt und Patient in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis zu-einander. Dieses spezifische Interaktionsverhältnis bedingt, dass mit dem Wandel der Patientenrolle auch ein Wandel des Arztbildes einhergeht.

Die beiden Autorinnen Karin Böhm und Anja Afentakis fassen die zentralen Aufgaben eines Arztes zusammen und berufen sich dabei auf eine (Muster-)Berufsordnung der Bundesärztekammer.

Diese besagt, dass es Aufgabe des Arztes ist „das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken“.

Dabei zählen Tätigkeiten wie die medizinische Untersuchung und das Erstellen eines Befundes genauso zu den zentralen Aufgaben eines Arztes wie auch die Diagnostik sowie die „Einleitung und Durchführung von Maßnahmen zur Behandlung und Vorbeugung von Krankheiten“.

Darüber hinaus sind Ärztinnen und Ärzte mit „wissenschaftlichen Untersuchungen, Gutachten, Management- und Verwaltungstätigkeiten etc. beschäftigt.“

Um die ärztliche Tätigkeit ausüben zu können bzw. dürfen, ist eine Approbation notwendig. (Vgl. Böhm, Afentakis 2009: 12)

Die Diplom-Ökotrophologin Bayer-Pörsch hat sich ebenfalls mit dem Bild bzw. der Rolle des Arztes befasst und greift in ihrer Dissertation eine Zusammenstellung der all­gemeinen Merkmale der Arztrolle auf, welche der amerikanische Soziologe Talcott Parsons für die westlichen Industriegesellschaften konzipiert hat:

Nach Parsons existieren in den westlichen Industrienationen fünf zentrale Rollenerwar­tungen an den Arzt. So zeichnet sich der Idealtyp eines Arztes durch „Universale Hilfs­bereitschaft“, „Affektive Neutralität“, „Funktionale Spezifität“, „Uneigennützigkeit“ sowie „Fachliche Kompetenz“ aus. (Vgl. Potthoff 1991 in Bayer-Pörsch 2003: 26)

Bayer-Pörsch bemerkt jedoch, dass diese Rollenerwartungen von Parsons (nur) „den normativen Charakter der formellen (positionsspezifischen) sozialen Rolle des Arztes“ beschreiben. Auch das Genfer Ärztegelöbnis des Weltärztebundes hat Bayer-Pörsch einer Analyse unterzogen und kommt zu dem Schluss, dass dieses „das ärztliche Handeln in eine der Gesellschaft und dem individuellen kranken Menschen verpflichtenden Rahmen“ stellt. Sich an dem Hippokratischen Eid orientierend, wird ärztliche Ethik so verstanden, dass sich das ärztliches Handeln stets am Wohle des Patienten zu orientieren hat, die Würde des Menschen (be)achten muss; zugleich sollen eventuelle Schäden abgewandt sowie die Erhaltung des Lebens bewirkt werden. Auch sollte das ärztliche Handeln niemals der Vertrauenswürdigkeit des Arztes schaden. Bayer- Pörsch kritisiert nun, dass sich nach den genannten ethisch-normativen Aspekten die Rolle des Arztes auf die medizinische Intervention reduziere.

Die "informelle" Rolle des Arztes, welche sich auf Aspekte der Arztrolle wie etwa „die Bedeutung personenbezogener Erwartungen an den Arzt sowie seine persönlichen Motive und Einstellungen“ bezieht, wird in der obigen Definition jedoch grob vernachlässigt.

Nach Bayer-Pörsch finden aber gerade im Kontext der "informellen" Rolle die essentiellen und ausschlaggebenden Prozesse der Interaktion und Kommunikation statt, welche einen nachhaltigen Einfluss auf das Verhältnis von Arzt und Patient ausüben: „Hier entstehen Nähe oder Distanz, Vertrauen oder Ablehnung, Partnerschaft oder Idealisierung.“ (Vgl. Bayer-Pörsch 2003: 26f.)

Angesichts des allgemeinen Wandels im Gesundheitswesen bemerkt der Autor Thomas Bliesener hinsichtlich der ärztlichen Tätigkeit, dass Ärzte zunehmend für neue Auf-gaben und in neuen Arbeitsfeldern tätig werden, „die weit über das traditionelle Berufsbild von Klinik und Praxis hinausreichen“. (Vgl. Bliesener 1993: 45)

Die Diplom-Kulturwirtin Julia Hillebrand hat im Rahmen eines wissenschaftlichen Beitrags verschiedene Typologien des ärztlichen Rollenverständnisses analysiert und macht darauf aufmerksam, dass das Ärztebild in der Gegenwart gerade durch die gewandelte Stellung des Patienten und die verstärkte Ökonomisierung des Gesundheits-wesens immer facettenreicher wird. (Vgl. Hillebrand 2008: 85)

Auch die Medizinerin Retzlaff befasst sich in ihrer Dissertation mit der Position des Arztes bzw. dem Wandlungsprozess, dem diese unterworfen ist.

Aufgrund ihrer Analyse zahlreicher Erscheinungen des Deutschen Ärzteblattes stellt Retzlaff die These auf, dass sich die Position des Arztes, betrachtet aus der Perspektive des Deutschen Ärzteblattes, „auf die Einhaltung ärztlicher Pflichten, die sich abhängig von der Entwicklung sozialer Normen und moralischer Wertvorstellungen verändern“, stützt.

Als zentrale Bereiche gelten hier etwa die ärztliche Schweigepflicht, die ärztliche Haftpflicht sowie die Pflicht, Leben zu erhalten und zu schützen. (Vgl. Retzlaff 2008: 14)

Retzlaff hält hierzu fest:

„Die ärztliche Schweigepflicht wird heute nicht nur – wie unter Hippokrates – als „heilige Pflicht“ in der Berufsordnung verankert, sondern im Standes-, Arbeits-, Zivil- und Strafrecht abgesichert. Dadurch soll die Grundlage für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient aufrechterhalten und eine erfolgreiche Behandlung ermöglicht werden.“

(Heberer 2001: 309f. in Retzlaff 2008: 14)

Der Jurist Dr. Martin Rehborn hat sich ebenfalls dem Zusammenhang der ärztlichen Pflichten mit dem Vertrauensverhältnis in der Arzt-Patient-Beziehung befasst und merkt dazu an, dass gerade die Fragen der ärztlichen Aufklärungspflicht von besonderer Bedeutung in diesem Verhältnis sind: Hierin sei einer der zentralen Spannungsbereiche angelegt, welcher das Verhältnis zwischen Arzt und Patient massiv gefährden könne. (Vgl. Rehborn 2000: 233)

Innerhalb seiner Analyse verschiedener Arten der ärztlichen Aufklärung wendet sich Rehborn auch der sogenannten Verlaufsaufklärung zu:

„Man versteht darunter die Information des Patienten über Art, Umfang und Durchführung eines geplanten Eingriffs. Der Patient soll im großen und ganzen (sic!) wissen, wann was mit ihm geschieht.

Sie hat ihre Grundlage im Selbstbestimmungsrecht des Patienten; wer nicht weiß, wann was mit ihm geschieht, kann in die Maßnahmen auch nicht wirksam einwilligen.“ (Rehborn 2000: 237)

Dies bedeutet im Klartext: „Allein durch die Einwilligung des Patienten als Folge einer ausreichenden Aufklärung durch den Arzt wird dessen Eingriff rechtsmäßig.“ (Rehborn 2000: 256)

3.1 Alte und neue Idealtypen des Arztes

In ihren Ausführungen stellt Hillebrand drei unterschiedliche Idealtypen vor, welche alle gemeinsam haben, dass das Arzt-Patienten-Verhältnis stets das Zentrum des ärztlichen Selbstverständnisses geblieben ist.

In der wissenschaftlichen Fachdiskussion wird zwischen dem „Paternalistischen Modell“, dem „Partnerschaftlichen Modell“ sowie der sich neu herausgebildeten Vorstellung vom Arzt als „Dienstleister“ unterschieden.

In jüngster Zeit hat man eine weitere Differenzierung dieser Idealtypen vorgenommen, nun ist immer öfter vom Arzt als „Gesundheitsmanager“ die Rede. (Vgl. Hillebrand 2008: 89ff.)

3.1.1 Das Paternalistische Modell

Hans-Jürgen Seelos weist darauf hin, dass der sogenannte „ benevolente Paternalismus “ als die (historisch gesehen) älteste Rollendefinition zwischen Arzt und Patient zu nennen sei. Diese „Haltung wohlwollender-bevormundeter Fürsorge“ ist geprägt durch eine strukturelle Beziehungsasymmetrie sowie eine „deutlich ausgeprägte professionelle Dominanz der medizinischen Entscheidungsfindung“. (Vgl. Dierks et al. 2001 in Seelos 2008: 81)

Die Diplom-Kulturwirtin Hillebrand bemerkt hierzu, dass man heute von dem modernen Paternalisten spricht, welcher als autoritärer Experte auftritt und auf die Zustimmung des Patienten bei ärztlichen Entscheidungen verzichtet. Im Rahmen dieses idealtypischen Modells, welches als „nicht mehr ganz zeitgemäß“ bewertet wird, nimmt der Arzt die Rolle des Experten ein. Der Patient dagegen verhält sich passiv und befolgt die ärztlichen Anweisungen, ohne diese zu hinterfragen. (Vgl. Hillebrand 2008: 89)

Dieses „Paternalismus-Modell“ wird allerdings von aktiven, gut informierten Patienten immer weniger akzeptiert, sie fordern ein Mitspracherecht bei der Behandlung und äußern höhere Ansprüche an ihren Arzt. Für diejenigen Patienten, die selbst nicht mehr dazu in der Lage sind, sich ein klares Urteil über ihre Erkrankung zu bilden bzw. die sich mit ihrer Situation schlichtweg überfordert fühlen und daher keine Verantwortung im Entscheidungsprozess übernehmen wollen bzw. können, kann der paternalistisch auftretende Arzt jedoch eine große Unterstützung und Hilfe darstellen. (Vgl. Hillebrand 2008: 89)

Innerhalb einem paternalistischen geprägten Verhältnis überlässt der Patient dem Arzt allein die Entscheidung über die Behandlung und „ergibt“ sich somit passiv der professionellen Autorität. Beide Akteure gehen in diesem Kontext davon aus, „dass der Arzt nach objektiven Kriterien die bestmögliche Behandlungsentscheidung treffen kann, der Patient mithin so gut wie nicht in den Prozess der ärztlichen Entscheidungsfindung zu involvieren ist“. (Vgl. Seelos 2008: 83)

Der Arzt holt im idealtypischen Fall die für die Diagnose notwendigen Informationen vom Patienten ein, interpretiert diese für sich und wählt aufgrund der vorliegenden Befundlage, seiner Kenntnisse sowie seiner Erfahrung eine Behandlungsalternative aus, die er dann dem Patienten präsentiert. Dieser kann dann entscheiden, ob er die aus-gewählte Behandlungsmethode akzeptiert (Informed consent) oder verweigert – dies ist letztlich die einzige Beteiligungsmöglichkeit des Patienten am Entscheidungsprozess. (Vgl. Dierks et al. 2001 in Seelos 2008: 83)

Der Mediziner Linus Geisler bemerkt im Rahmen seiner wissenschaftlichen Analyse, dass die Arzt-Patient-Beziehung „meist in eine wechselnde Kontextualität eingebettet“ ist und somit nicht von einem stabilen „Kräfteverhältnis“ zwischen Arzt und Patient ausgegangen werden kann. Geisler spricht vielmehr von einem „Floaten“, das kaum mit einer einzigen Modalität des gegenseitigen Umgangs durchgängig bewältigt werden kann.

Aufgrund dessen spricht er sich deutlich gegen eine „einseitige Präferenz von Paternalismus bzw. Autonomie“ aus, keines dieser Rollenextreme kann der jeweilige "Königsweg" in der Beziehung zwischen Arzt und Patient sein. (Vgl. Geisler 2002: 2)

Zur Begriffserläuterung des Paternalismus schreibt Geisler, dass darunter im Allgemeinen ein „Eingriff in die Freiheit des Patienten“ verstanden werde. Einige sehen in ihm eine "zwingende Einmischung in die Handlungsfreiheit eines anderen, die sich ausschließlich auf das Gute für einen anderen" beruft (G. Dworkin), andere verstehen Paternalismus als „Eingriff in die Freiheit der Person, der durch einen Appell an das Wohl der betreffenden Person gerechtfertigt wird" (T. Pinkard).

Geisler zitiert u.a. Klaus Dörner, welcher eine paternalistische Haltung so beschreibt:

„Ich als Arzt-Subjekt unterwerfe Dich mir und mache Dich zu meinem Patienten-Objekt, da Du auf diese Weise am schnellsten wieder Subjekt werden kannst. [...]

Da ich einen uneinholbaren Vorsprung an Kompetenz, Wissen und Macht habe, ist es vernünftig, wenn Du Dich mir aussetzt, Dich mir völlig anvertraust.“ (Dörner 2001: 71 in Geisler 2002: 2)

Geisler merkt weiterhin an, dass in den fachlichen Debatten zwischen einem sogenanntem "starken" und "schwachen" Paternalismus unterschieden wird, ebenso spricht man von aufgefordertem und unaufgefordertem Paternalismus (sollicited und unsollicited paternalism). (Vgl. Geisler 2002: 2)

3.1.2 Das Partnerschaftliche Modell

Des Weiteren existiert die Vorstellung vom Arzt als Partner; dieses Ärztebild kann als eine Reaktion auf das Paternalistische Modell bzw. als Kritik an selbigem beschrieben werden und ist somit deutlich „jünger“ als dieses.

Von zentraler Bedeutung ist der Aspekt, dass der Arzt hierbei nach ausführlicher medizinischer Information und Diskussion gemeinsam mit dem Patienten eine Ent-scheidung bezüglich dessen individueller Behandlung trifft; dies wird auch als Shared Decision Making (SDM) bezeichnet (nähere Ausführungen hierzu siehe Kapitel 5.1.3 ).

Dieses Konzept beinhaltet den Grundgedanken, dass die Verantwortung für die Ent-scheidung zu einer Behandlung gemeinsam getragen wird; der Patient wird dabei als gleichberechtigtes Subjekt anerkannt.

Zugleich erfährt er aber auch eine große Entlastung, da der Arzt ihm anbietet, einen Teil der Verantwortung abzunehmen. (Vgl. Schuster 2006: 220 in Hillebrand 2008: 90)

Von zentraler Bedeutung bei diesem Interaktionsverhältnis ist, dass es dem behandeln-den Arzt gelingt, eine Vertrauensbasis zu schaffen und gleichzeitig die Entwicklung eines „angemessenen Gesundheits- und Risikobewusstseins“ beim Patienten zu fördern. (Vgl. Hillebrand 2008: 90)

Hans-Jürgen Seelos hat sich ebenfalls mit den Charakteristika dieses partnerschaft-lichen Konzepts der Arzt-Patient-Interaktion befasst und greift dabei auf die Definition des SDM Modells von C. Charles et al. (1997) zurück, nach der vier Bedingungen erfüllt sein müssen:

Erstens müssen mindestens zwei Akteure „vorhanden“ sein, Arzt und Patient.

Diese beiden Akteure partizipieren gleichermaßen am Prozess der Entscheidungs-findung.

Um „die richtige“ Entscheidung treffen zu können, ist es von essentieller Bedeutung, Informationen zu teilen bzw. dem Interaktionspartner bereitzustellen.

Der Arzt hat den Patienten über mögliche Behandlungsalternativen, Konsequenzen und Risiken zu informieren; beide Partner müssen sich gegenseitig ihre Entscheidungs-präferenzen und deren Begründungen darlegen.

Hinsichtlich der so getroffenen Entscheidung müssen beide Partner nicht nur damit ein-verstanden, sondern auch bereit sein, diese aktiv umzusetzen. (Vgl. Seelos 2008: 84f.)

Wenn der Arzt in einer solchen direkten sozialen Beziehung (Interaktionsprozess) „durch Kommunikation und Information auf die Einstellungen und das Verhalten des Patienten Einfluss nimmt um definierte Behandlungsziele zu erreichen“, spricht man auch von Patientenführung oder interaktioneller Führung im Arzt-Patient-Verhältnis. (Vgl. Seelos 2008: 116)

3.1.3 Der Arzt als Dienstleister und Gesundheitsmanager

Die Diplom-Kulturwirtin Julia Hillebrand weist daraufhin, dass sich besonders in den letzten Jahren „aufgrund des Wandels der ökonomischen Rahmenbedingungen und der veränderten Erwartungshaltung der Patienten“ das Bild des Arztes als Dienstleister zunehmend in der fachlichen Diskussion wie auch im medizinischen Alltag etabliert hat.

Bei diesem Konzept wird der Arzt zum gewinnorientierten Leistungserbringer, welcher dem Patienten bzw. Kunden gegenübertritt - das Vertrauensverhältnis wird zum „Vertragsverhältnis“.

In diesem Kontext hat der Arzt nun primär die Aufgabe, den Patienten ausführlich über die medizinische Sachlage zu informieren. Dieser kann dann aufgrund der erhaltenen Informationen eigenständig über das weitere Vorgehen im Behandlungsprozess entscheiden, stets im Rahmen seiner eigenen Wertvorstellungen. Zudem entwickelt er im Verlauf der Behandlung eine hohe Erwartungshaltung und zeigt ein forderndes Verhalten gegenüber dem „Dienstleister“. Reagiert der behandelnde Arzt auf dieses Verhalten damit, dass er sich zunehmend der Verantwortung entzieht, wächst die Distanz zu dem Patienten, welcher die allein getroffene Entscheidung dann auch selbst zu verantworten hat. (Vgl. Hillebrand 2008: 91)

Besonders durch den enormen Einfluss der Kostendämpfung hat sich in jüngster Zeit noch ein weiteres, viertes „Idealbild“ des Arztes entwickelt:

Der Arzt als „Gatekeeper“, als „Gesundheitsmanager“, welcher verstärkt die Wirtschaft-lichkeit seiner Tätigkeit und eine generelle Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen im Auge hat. (Vgl. Hillebrand 2008: 92f.)

Unter Gatekeeping wird dabei eine Form der Versorgungssteuerung verstanden, bei welcher der „Zugang des Patienten zum System der medizinischen Versorgung (ausgenommen Notfälle und einige definierte Leistungsbereiche) stets nur über einen Primärarzt (Allgemeinmediziner, Internist, Durchgangsarzt in der Unfallversicherung) möglich ist“. (Seelos 2008: 165)

Der Patient hat stets zuerst einen solchen Primärarzt aufzusuchen, welcher dann als „Gatekeeper“ darüber entscheiden kann, ob und wenn ja, welche anderen konkreten Leistungserbringer (Fachärzte) zu welchem Zeitpunkt hinzugezogen werden müssen. (Vgl. Seelos 2008: 165)

Das bedeutet konkret, dass der Arzt nun dafür Sorge zu tragen hat, dass ein Patient „nur Zugang zu den medizinisch notwendigen Leistungen erhält, die ihm wirklich zustehen“. Darüber hinaus soll der Arzt den Patienten dahingehend „erziehen“, dass dieser sich ein gesundheitsbewusstes und damit kostensparendes Verhalten aneignet.

(Vgl. Seelos 2008: 165)

Allerdings sehen sich viele Ärzte durch die zunehmende Ökonomisierung ihrem ärztlichen Selbstverständnis entfremdet und konstatieren bereits eine „Entarztung des Arztberufes“. Die Mediziner beklagen ein regelrechtes „Spannungsverhältnis“ zwischen Fürsorglichkeit und ökonomischen Interessen, welches zunehmend wächst - diese Entwicklung könnte sich als massive Gefährdung für das bisweilen noch hohe Sozialprestige der Ärzte herausstellen. (Vgl. Hillebrand 2008: 92f.)

3.2 Ärzte im Spannungsfeld zwischen Solidarsystem und Wettbewerb

Die Autoren Axel Munte und Sonja Froschauer haben sich eingehend mit dem Arzt in seiner Eigenschaft als Unternehmer befasst und bemerken, dass gerade seit Beginn des neuen Jahrhunderts die Rahmenbedingungen vertragsärztlicher Tätigkeit einige grund-legende Veränderungen erfahren haben.

Das bisher vorherrschende Modell der Kollektivverträge wird beispielsweise zunehmend von dem der Selektivverträge verdrängt, eine Entwicklung, welche nicht zuletzt auch vom Gesetzgeber forciert wurde. Die Krankenkassen wiederum greifen dieses neue Angebot auf und setzen es um, zudem gewinnen Versorgungskonzeptionen aus einer Hand immer mehr an Bedeutung. Ein Beleg dafür ist, dass sich in den letzten Jahren beispielsweise die Zahl der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) deutlich erhöht hat. Auch die Grenze zwischen der ambulanten Versorgung und dem stationären Sektor wird zunehmend durchlässiger.

Da das bestehende Vertragsrecht zugleich eine Liberalisierung erfährt, ist der Arzt „gezwungen“, als Unternehmer zu agieren und betriebswirtschaftlich zu denken.

Die Autoren Munte und Froschauer betonen hinsichtlich dieser Entwicklung, dass auch die Bereitschaft der Ärzte zur Kooperation mit anderen ärztlichen Leistungsanbietern sowie mit nichtärztlichen Heilberufen zunehmend an Bedeutung gewinnt, was wiederum ein Umdenken der Ärzteseite hinsichtlich ihres Selbstverständnisses mit sich bringt. (Vgl. Munte, Froschauer 2008: 9f.)

Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass die bisherige Art und Weise der ärztlichen Tätigkeit (patientenzentriert, weitgehend autark) zunehmend unter Druck gerät; Ursache hierfür sei eine wachsende „Notwendigkeit einer betriebswirtschaftlichen und ertragsorientierten Praxisführung“. (Vgl. Munte, Froschauer 2008: 12)

Auch der Privatdozent Dr. Hagen Kühn, ehemaliger Leiter der Arbeits-/Forschungs-gruppe Public Health beim Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), konstatiert für die Arzt-Patient-Beziehung ein Spannungsverhältnis zwischen Patienten-interessen und ökonomischen Rahmenbedingungen. Während auf der einen Seite das Schutzbedürfnis und zugehörige Erwartungen der Patienten stehen, lassen sich auf der anderen Seite übergeordnete ökonomische Interessen vorfinden, welche Einfluss auf das ärztliche Handeln ausüben. (Vgl. Kühn 2005 in Dieterich 2006: 14f.)

Das bedeutet, dass Patienten vor allem Unterstützung suchen und von Ärzten erwarten, dass diese sich am Patienteninteresse orientieren, während sich die Professionellen in einem Interessenkonflikt befinden, da sie einerseits ihrem beruflichen Ethos ent-sprechend handeln möchten, andererseits aber massiv durch finanzielle Anreize in Form von Budgets und Pauschalen in ihrem Handeln beeinflusst werden.

Kühn stellt fest, dass gegenwärtig finanzielle Erwägungen im Behandlungsprozess immer mehr in den Vordergrund treten, während Patienteninteressen als nachrangig gegenüber ökonomischen Eigeninteressen betrachtet werden.

Daher sei von Seiten der Ärzteschaft die Strategie entwickelt worden, die Patienten als ‚Kunden’ oder ‚Konsumenten’ neu zu definieren - quasi „zur Aufhebung „moralischer Dissonanz.“ (Vgl. Kühn 2005: 23 in Dieterich 2006: 14f.)

Kühn stellt die These auf, dass die individuelle Gestaltung der Arzt-Patient-Beziehung in einem hohen Maß durch vorgefertigte Annahmen von Seiten des Arztes sowie bestimmten Erwartungen an Patienten beeinflusst wird.

Tritt ein Patient beispielsweise in der „Rolle“ des Hilfebedürftigen und Leidenden auf, so führt dies in den meisten Fällen dazu, dass der Arzt fürsorglich agiert und sein Handeln entlang ethischer Prinzipien orientiert. Gibt sich ein Patient jedoch als souverän und gut informiert, und beweist zudem seine Konsumenten- bzw. Kunden-bedürfnisse, kann das unter Umständen dazu führen, dass Ärzte ein abgrenzendes, zurückziehendes Verhalten zeigen und dazu neigen, sich auf die individuelle Verantwortlichkeit des Patienten zu berufen, Krankheit von vorneherein zu vermeiden oder für anfallende Behandlungskosten privat aufzukommen. Daher geht mit den verschiedenen Sichtweisen der Professionellen auf Patienten stets auch eine „funktionale Bedeutung“ für die behandelnden Ärzte einher. (Vgl. Kühn 2005 in Dieterich 2006: 15)

Auch der Diplom-Politologe Benjamin Ewert hat sich mit der zunehmenden Ökonomi-sierung der ärztlichen Tätigkeit befasst und bemerkt hierzu:

„Die Priorisierung und Rationierung medizinischer Leistungen beeinträchtigt beispielsweise die Vertrauensbasis des Arzt-Patient-Verhältnisses, indem insbesondere die Fürsorgeverpflichtung von Ärzten unterminiert wird.“ (Ewert 2009a: 151)

Ähnlich kritisch äußert sich hierzu Kühn, indem er schreibt, dass das ärztliche Abwägen, ob eine medizinische Leistung zwingend erbracht werden muss oder nicht, sich nicht mehr primär an Patientenerwartungen orientiere - diese würden mittlerweile im Sinne des Kundenstatus als potentiell „ausufernde Begehrlichkeiten“ gedeutet. (Vgl. Kühn 2005 in Dieterich 2006: 15)

Wolfgang Schuldzinski, Gesundheitsexperte der Verbraucherzentrale NRW, hat sich ebenfalls mit dieser Problematik befasst und schreibt:

„Selbstverständlich kann man keinem Arzt absprechen, für seine Patienten grund-sätzlich die bestmögliche Behandlung erreichen zu wollen“. (Schuldzinski 2005: 4)

Im Anschluss an diese Aussage spricht er jedoch eine immer drängendere Frage an:

„Was aber ist, wenn in Zeiten wirtschaftlicher Zwänge das ökonomische Interesse des Arztes als Unternehmer mit den Bedürfnissen des Patienten kollidiert?“ (ebd.)

In diesem Kontext verweist der Autor auch auf das verstärkte Angebot von Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL), welche für manche Ärzte bereits zu einem wichtigen Teil ihres Einkommens geworden sind. Problematisch sei dabei, dass es für den Patienten oftmals nicht abzuschätzen ist, wie sinnvoll bzw. notwendig eine solche Leistung für ihn dabei tatsächlich ist. (Vgl. Schuldzinski 2005: 46ff)

Von dem Diplom-Politologen Benjamin Ewert wird hierzu angemerkt, dass bei IGeL - Arrangements die Ärzte in die Rolle von „Verkaufsberatern“ schlüpfen, während die Patienten diesen als Käufer bzw. „Experten ihrer eigenen Krankheit oder ihres Gesundheitsbedarfs gegenüberstehen“.

Jedoch birgt diese Konstellation ein Risiko dahingehend, dass „dem ärztlichen Rat passiv- folgsame Nutzer“ oftmals zusätzliche Gesundheitsleistungen „einkaufen“, ohne über fundierte Kenntnisse diesbezüglich zu verfügen.

Ewert kritisiert, dass das Vertrauensverhältnis in der (partnerschaftlich orientierten) Arzt-Patienten-Interaktion schweren Schaden nehmen kann, „wenn Nutzer den Eindruck gewinnen, die Konsensfindung innerhalb von partnerschaftlichen Ent-scheidungsfindungsprozessen wird von (verdeckten) Verkaufsinteressen der Profes-sionellen beeinflusst“. (Vgl. Ewert 2009a: 157) Für Ewert steht damit fest:

„Die Einführung von IGeL forciert daher eine ökonomistische Überforderung des Arzt-Patient-Verhältnisses; günstige Voraussetzungen wechselseitiger Vertrauensbildung und ärztlicher Fürsorge werden dadurch beeinträchtigt.“ (Ewert 2009a: 157)

Auch die Diplom-Ökotrophologin Bayer-Pörsch hat sich mit der Arzt-Patient-Interaktion im gesundheitsökonomischen Kontext auseinandergesetzt und bemerkt, dass in der gesundheitsökonomischen Diskussion das Thema „Patientenpartizipation am Gesundheitsprozess“ eine zentrale Rolle einnimmt. Diese spezifische Interaktion sei – wirtschaftswissenschaftlich betrachtet - als eine Dienstleistungsbeziehung zu bewerten.

Beispielsweise können in der Arzt-Patienten-Beziehung dann sogenannte Produktivitätsgewinne erzielt werden, wenn die Qualität der Interaktion zwischen Produzent (Arzt) und Konsument (Patient) sowie eine sinnvolle Arbeitsteilung der Dienstleistungsebenen gewährleistet sind.

In diesem Kontext bemerkt Bayer-Pörsch, dass die „aktive Einbeziehung und Mitarbeit der Adressaten (Patienten) in den Dienstleistungsprozess“ von entscheidender Bedeutung für die „Prozess- und Ergebnisqualität des Leistungsgeschehens“ sei.

Noch immer aus wirtschaftswissenschaftlicher Sichtweise argumentierend stellt die Autorin fest, dass „je inaktiver, unmotivierter und inkompetenter der Konsument“ sei, sich der Aufwand der zu erbringenden Arbeit stark erhöhe und zugleich das Risiko deutlich steige, dass die Dienstleistungserbringung völlig scheitert. Daher fordert sie, dass sowohl Anbieter als auch Konsumenten entsprechend den erforderlichen Kenntnissen qualifiziert werden.

Von Bedeutung erscheint auch der Aspekt, dass bei einer „personenbezogenen Dienstleistung“ das wichtigste „Arbeitsinstrument“ die zwischenmenschliche Kommunikation darstellt – daher sollte diese „trainiert“ bzw. optimiert werden.

(Vgl. Bayer-Pörsch 2003: 42f.)

4 Wandel der Patientenrolle

Die Ärztin Bleses weist darauf hin, dass sich, einhergehend mit dem grundlegenden Wandel des deutschen Gesundheitssystems, auch weitgehende Veränderungen bezüglich „Umfang, Art und Qualität der pflegerischen und medizinischen Betreuung von Patienten“ vollzogen haben.

Ein Novum ist zudem, dass Qualität nun nicht mehr nur bei der Leistungserbringung sowie gegenüber dem Leistungsbesteller (Krankenkassen) nachgewiesen werden muss, sondern „auch gegenüber dem Leistungsempfänger, dem Patienten“.

(Vgl. Bleses 2005: 5)

Die Autorin schreibt, dass sich die Erwartungshaltung des Patienten hinsichtlich „Dienstleistung, sozialer Betreuung und Serviceleistungen“ deutlich erhöht hat. Dies sei sowohl auf eine „bessere gesundheitliche Information, Beratung und Aufklärung“ als auch auf eine „höhere Eigenbeteiligung und hohe Vorsorgeaufwendungen“ zurück-zuführen. Von Interesse ist, dass die Patienten zwar weiterhin ein starkes Bedürfnis nach „Sicherheit, Geborgenheit und Kontinuität“ haben, sich ihr Selbstverständnis und –bewusstsein zugleich aber dahingehend gewandelt hat, dass sie sich nun als „Kunden von Gesundheits- und Dienstleistungen“ wahrnehmen. (Vgl. Bleses 2005: 5)

Benjamin Ewert hat sich ebenfalls mit dem Wandel der Patientenrolle auseinander-gesetzt und im Rahmen seiner Analyse festgestellt, dass Patienten zu „Koproduzenten“ (der eigenen Gesundheit) werden, wenn sie aktiv an der „Erstellung von krankheits-spezifischen Leistungen“ mitwirken. Dazu zählt die Schilderung der persönlichen Krankheitsgeschichte, um dem Arzt eine maßgeschneiderte, individuelle Hilfeleistung zu ermöglichen, ebenso wie die Befolgung des ärztlichen Rates (compliance). Auch das Einbringen von eigenen Gesundheitskompetenzen gehört zur Koproduktion der eigenen Gesundheit. (Vgl. Ewert 2009a: 153)

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Ende der Leseprobe aus 67 Seiten

Details

Titel
Das Verhältnis von Arzt und Patient im Wandel
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen
Note
1,7
Autor
Jahr
2010
Seiten
67
Katalognummer
V181235
ISBN (eBook)
9783656043409
ISBN (Buch)
9783656043171
Dateigröße
627 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
verhältnis, arzt, patient, wandel
Arbeit zitieren
Valerie Grimm (Autor:in), 2010, Das Verhältnis von Arzt und Patient im Wandel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/181235

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