Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I) Problematik des Kartenverständnisses
II) Potentielle Beeinflussung durch Geschichtskarten
1.) Grundlegende Aspekte
2.) Unterschiedliche Kartentypen
3.) Historische Wandel im Kartographischen Zeichensystem
4.) Grundlagen zum Kartenverständnis
5.) Ausgewählte Fallbeispiele
a) Die Varusschlacht
b) Das Frankenreich Karls des Großen
c) Der Dreißigjährige Krieg und der Westfälische Frieden
d) Mitteleuropa nach dem Westfälischen Frieden (Schulbuchkarte)
e) Zeitalter des Imperialismus
f) Deutschland im 20. Jahrhundert
III) Abschließende Zusammenfassung
IV) Literaturverzeichnis
I) Problematik des Kartenverständnisses
Karten haben eine wichtige Orientierungsfunktion im Alltag.[1] Sie können uns täglich in Form eines Stadtplanes, eines Autoatlasses oder als Skizze in einer Zeitung begegnen. Doch obwohl eine häufige Auseinandersetzung mit Karten und kartenähnlichen Abbildungen unumgänglich ist, scheint es trotzdem, dass die Kulturtechnik des Kartenlesens eher autodidaktisch und nebenher erlernt wird.[2] Im Geschichtsunterricht liegt das Augenmerk wohl eher auf der Verwendung anderer Quellen, wie historischen Texten und Bildern, als auf der Nutzung historischer Karten und dem Gebrauchen von Geschichtskarten. Eine grundlegende Einführung in die eigentliche Kartenarbeit findet im Unterricht auch kaum Platz.[3] Doch genau dies wäre von entscheidender Wichtigkeit, wenn es darum geht, mit der dargestellten „Wirklichkeit“ richtig umzugehen. Geschichtskarten veranschaulichen Staatengebilde, doch darüber hinaus verdeutlichen sie historische Zustände, Entwicklungen und Zusammenhänge.[4] Um diese Kriterien jedoch korrekt auffassen zu können, müssen Karten gelesen und nicht nur betrachtet werden. Genauso ist es essentiell, Karten die die gleichen Aspekte thematisieren, untereinander zu vergleichen um somit zu einer objektiven Geschichtsbetrachtung und auch – auffassung zu gelangen.[5]
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Problematik der Beeinflussung durch Geschichtskarten. Ob im Sinne gewollter Manipulation oder durch ungewollte Einflussnahme auf den Betrachter, Geschichtskarten können die objektive Geschichtsbetrachtung beeinträchtigen.
Daher sollen einflussnehmende Aspekte durch Kartenbetrachtung in dieser Arbeit näher erläutert und thematisiert werden sowie anhand von exemplarischen Fallbeispielen verdeutlicht werden.
II) Potentielle Beeinflussung durch Geschichtskarten
1.) Grundlegende Aspekte
Eine Karte veranschaulicht historische Inhalte mit Hilfe von graphischer Darstellung. Aufgrund ihrer Eingeschränktheit durch graphische Zeichen und durch maximal stichpunktartig verwendbare Beschriftung muss eine Karte zugleich aber stark abstrahieren und vereinfachen. Dies kann sogar soweit führen, dass sich einiges überhaupt nicht darstellen lässt und manche Sachverhalte so vereinfacht werden müssen, dass sie ihrer historischen Bedeutung und Gegebenheit nicht mehr gerecht werden können.[6] Schließlich muss eine Karte stets eine eindeutige Aussage treffen, was letztlich bedeutet, dass in ihr bereits eine Interpretation der dargestellten Aspekte enthalten ist, zumal jede Geschichtsschreibung auch an ihre Entstehungszeit gebunden ist.[7] Karten sind also zeichenhafte Verdichtungen, die man nur mit dem Beherrschen ihrer Symbolsprache verstehen kann.[8]
Dieses Konglomerat aus bereits getätigter Interpretation, dargestellter Sachverhalte und eventuell sogar weggelassener Fakten im Zuge einer Vereinfachung oder aufgrund von Propa-ganda führt schließlich zu einer nichtobjektiven Darstellung von Geschichte.
Daher ist es von großer Bedeutung, diese Karten nicht unreflektiert oder ungeprüft sprichwörtlich für bare Münze zu nehmen. Es kann durch eine knappe Fassung ein zu einseitiges Bild entstehen, die Karte kann also, gewollt oder ungewollt, Einfluss auf das Geschichtsbild ihres Betrachters nehmen,[9] zumal sich kartographische Informationen im Gesamtbild wesentlich effizienter in Form von „mental maps“ ins Gedächtnis einprägen lassen als textlich-verbale Informationen.[10]
2.) Unterschiedliche Kartentypen
Zunächst einmal gilt es zwei Arten von Karten zu unterscheiden: Geschichtskarten und historische Karten. Während die Geschichtskarte mit Hilfe späterer Darstellung einen historischen Sachverhalt thematisiert, handelt es sich bei der historischen Karte um eine Karte, die in der Tat in der Vergangenheit entstanden ist und daher nicht zwingend ein „historisches“ Thema beinhalten muss.[11] Historische Karten, wie beispielsweise die Ebstorfer Weltkarte, stellen also zugleich Quellen dar und bieten Erkenntnisgewinn über zeitgenössische Denkhorizonte.[12]
Weitere Unterscheidungsmöglichkeiten für Karten sind der dargestellte Raum, der thematisierte Sachverhalt und die bestimmte Zeit. Im Kartentitel sollte hierbei jedoch eine klare Festlegung verankert sein.[13] Für die Darstellung der Zeitebene unterscheidet man statische und dynamische Karten. Statische Karten bilden einen bestimmten Zeitpunkt ab, dynamische zeigen Veränderungen im Zeitverlauf auf. Inhaltlich kann sich eine Karte mit politischer Geschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie ideen- und kultur-geschichtlich beschäftigen. Auch der topographische Aspekt kann eine Rolle spielen, da die Topographie meist an dem Entstehen von Grenzen und Siedlungen beteiligt ist.[14]
Auch können sich Karten in ihrer Komplexität und ihrer Präsentationsform (Wandkarte, Transparent,…) unterscheiden.
3.) Historischer Wandel im kartografischen Zeichensystem
Für das Erstellen einer Karte existieren gewisse Bestimmungen. So stehen Punkte unterschiedlicher Größe für Orte, Linien bilden Grenzen-, Fluss- und Straßenverläufe ab und Farbflächen symbolisieren Gebiete oder Vorkommenshäufigkeiten. Historische Ereignisse werden mit Hilfe bildhafter Symbole dargestellt, während Ereignisse und Objekte aber auch durch Schriftzüge abgebildet werden können.[15]
Wie nun aber bereits genannt, abstrahieren und vereinfachen alle Karten. Auf diese Weise sind eingezeichnete Grenzen, Straßen und Flüsse immer breiter abgebildet, als dass sie in Realität tatsächlich sind. Eine besondere Ausprägung erfährt diese Tatsache in Straßen-atlanten, deren Zweck es hauptsächlich eben ist, das Straßennetz klar und übersichtlich dar-zustellen. Dennoch gilt es allgemein aber, bestimmte Tatsachen zu beachten.
Es wird die Stadt in allen Zeitepochen auf Karten mit einem Punkt eingezeichnet, obwohl es sich bei der Stadt der Antike, bei der des Mittelalters und der Stadt der Moderne um völlig unterschiedliche Gebilde im Bezug auf Ausdehnung, Bevölkerungszahl und Verfassung handelt. Ähnliche Problematik beherbergt die einheitliche Flächenfärbung, die für frühe, teilweise auch nichteuropäische Kulturen eine flächendeckend organisierte Herrschaft oder Verwaltung impliziert, was beispielsweise auf den mittelalterlichen Personenverbandsstaat sicherlich nicht zutrifft.[16]
Karten geben keinen technischen oder mentalen Wandel wieder, sie differenzieren auch nicht in Entfernungsangaben, was aber durchaus wichtig wäre, da sich die Reisegeschwindigkeit und die technischen Reisemöglichkeiten im Laufe der Zeit stark verändert haben.[17]
Weiteren Irritationsnährboden bietet die Wahl der Flächenfärbung. So lässt sich zunächst festhalten, dass nicht jeder Atlas jedem Land dieselbe Farbe zukommen lässt und die gewählten Farben eine psychologische Wirkung auf den Betrachter ausüben können. So wird beispielsweise blau als die vereinheitlichte Farbe der Nato-Staaten eher als kühl und distanziert wahrgenommen, während das rote Pendant der Staaten des Warschauer Paktes eher als aggressiv und bedrohlich empfunden wird.[18] So wird zusätzlich eine bestimmte Rollenzuschreibung von Aggression und Defensive suggeriert.[19]
Der CVK – Atlas von 1975 versuchte sich genau diese Suggestionskraft der Farben zu Nutze zu machen und bildete starke und expandierende Staaten mit aggressiven Farben ab, während die schwachen Gegenspieler eher defensiv eingefärbt waren. Das Ergebnis bestand allerdings aus absoluter Irritation, was das Projekt frühzeitig zum Scheitern verdammte.[20]
4.) Grundlagen zum Kartenverständnis
Um eine Karte verstehen und richtig interpretieren zu können, gilt es zunächst, sich am Titel und an der Legende zu orientieren. Als nächster Schritt sind, sofern nicht bereits durch die Karte gewährleistet, eine Reihe von Reduktionen zu leisten. Diese Reduktionen sind thematischer, räumlicher und zeitlicher Natur und helfen, die wichtigen und benötigten Informationen aus der Karte herauszufiltern.[21]
Schüler sollten daher lernen, den Karten gezielt Informationen zu entnehmen. Für sie ist es wichtig zu wissen, dass die Legende und der Titel der Karte zugehörig sind, als auch Kenntnis von den gebräuchlichen graphischen Darstellungen zu haben. Zudem sollten sie aber auch in Kenntnis gesetzt werden, dass sich eine objektive Wiedergabe der Sachverhalte manchmal zwar als schwer möglich, oftmals aber als gänzlich unmöglich gestaltet. Selbst die Beschriftung von Orten oder Objekten kann bereits einer Interpretation dienen. Eine Karte kann zwar nicht alles aufzeigen, aber dennoch sehr viel. Daher sollte auch beachtet werden, dass unterschiedliche Karten ein und denselben Sachverhalt unterschiedlich abbilden können, weshalb ein Vergleich von Karten vollzogen werden sollte.[22]
5.) Ausgewählte Fallbeispiele
a) Die Varusschlacht
„Vare, Vare redde mihi legiones meas!“ - „ Varus, Varus gib mir meine Legionen zurück“, soll der römische Kaiser Augustus entgeistert ausgerufen haben, als die Schlacht im Teuto-burger Wald im Jahre 9 n. Chr. unter massivsten römischen Truppenverlusten gegen die Germanen unter dem Cheruskerfürsten Armenius verloren gegangen war.
Versucht heute ein Kartenzeichner jedoch diese Schlacht in einer Geschichtskarte einzufangen, so wird er zunächst auf Schwierigkeiten stoßen. Eine Karte ist nonverbal, daher kann sie nicht umschreiben, sondern sie muss sich festlegen. Jedoch existieren zu wenig archäologische Beweise um den genauen Schlachtort geographisch fix einzuordnen. Ein Kartenautor kann daher einen genauen Schlachtpunkt nicht markieren, bzw. er sollte mehrere mögliche Schlachtorte mit einem Fragezeichen versehen.[23] Allerdings darf hierbei nicht vergessen werden, dass nicht der Schlachtort die wichtigste historische Gegebenheit dieser Thematik ist, sondern vielmehr der Schlachtverlauf und die Tatsache, dass diese Schlacht stattgefunden hat. Sie kennzeichnet nämlich das Ende einer aggressiven römischen Ausdehnungspolitik in Germanien.[24] Irmgard Hantsche kritisiert auch eine mögliche Datierung mit „9 n. Chr.“ und schlägt stattdessen die Zeitangabe „+ 9“ vor.[25] Sie versucht damit eine „ideologische Schwierigkeit“ zu kompensieren und übersieht dabei die Tatsache, dass diese Komplikation nicht durch Weglassen des Zusatzes „nach Christus“ umgangen werden kann, da der Ausgangsrechenpunkt (Christi Geburt) stets der gleiche bleibt.
[...]
[1] Sauer 2000, S 37.
[2] Sauer 2000, S 37.
[3] Sauer 2000, S 37.
[4] Hantsche 1991, S 257.
[5] Hantsche 1991, S 257.
[6] Hantsche 1991, S 258.
[7] Hantsche 1991, S 257.
[8] Sauer 2000, S 38.
[9] Hantsche 1991, S 258.
[10] Sauer 2000, S 38.
[11] Sauer 2000, S 38.
[12] Sauer 2000, S 38.
[13] Sauer 2000, S 38.
[14] Sauer 2000, S 39.
[15] Sauer 2000, S 42.
[16] Sauer 2000, S 42.
[17] Sauer 2000, S 42.
[18] Sauer 2000, S 43.
[19] Sauer 2000, S 43.
[20] Sauer 2000, S 43.
[21] Sauer 2000, S 44.
[22] Hantsche 1991, S 268.
[23] Hantsche 1991, S 260.
[24] Hantsche 1991, S 260.
[25] Hantsche 1991, S 261.