Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Vorbemerkungen
1.2. Methodik
2. Aufbau des Romans und das Musikthema
2.1. Blues
2.2.Schalmeientwist
2.3. Notturno
2.4. Cantus firmus
3. Konflikte
3.1. Geschlechterkonflikte
3.2. Generationskonflikte
3.3. Wissenschaftlervs. Arbeiter
4.Schlussbetrachtung
5.Literaturverzeichnis
5.1.Primärliteratur
5.2.Sekundärliteratur
1. Einleitung
1.1. Vorbemerkungen
Der Roman „Rumba auf einen Herbst“ der 1990 verstorbenen Autorin Irmtraud Morgner wurde 1963 und 1965 vom Aufbau Verlag, „einem der bedeutendsten belletristischen Buchverlage in der DDR“1 abgelehnt, da er in beiden Versionen nicht im Sinne des Bitterfelder Programms war. Drei Hauptaufgaben bestimmten dieses neue Kulturprogramm der DDR: die Arbeiterklasse sollte die „‘Höhen der Kultur erstürmen2 “, die „‘Kluft zwischen Kunst und Leben“ sollte überwunden werden und der „Weg zu gebildeten Nation“ sollte geebnet werden.3 So sollte ein allgemeines sozialistisches Bewusstsein geschaffen werden, und Autoren hatten die Aufgabe, am „Alltag der Arbeiter teilzunehmen, sie zum Schreiben zu motivieren und über ihr Leben zu berichten.“ Dieses Parteiprogramm ist allerdings ein zweischneidiges Schwert: Arbeiter und Künstler, besonders Berufsschriftsteller, werden zwar zusammengeführt, aber der SED war auch die Möglichkeit gegeben, das Schaffen der Autoren zu überwachen und systemkritische Texte zu unterbinden. So, wie es im Falle von Irmtraud Morgners Roman geschah.
In der Begründung aus dem Jahre 1963 heißt es unter anderem sinngemäß, dass die Tanzszene im ersten Kapitel keine glaubhafte Grundlage für den Schluss liefert, und dass ihre Figurenzeichnung nicht einheitlich gestaltet ist4. Konkret im Sinne des Bitterfelder Wegs ist der Vorwurf bezüglich eines Fehlens eines „auktorialen Werturteils“5, auf das Morgner auch an anderen Stellen verzichtet. Den Figuren fehlt „die positiv bestimmende Kraft“6, also eine Kraft im sozialistischen Sinne, die die Volksgenossen zusammenhält und auf einer Linie gehen lässt.
Zwei Jahre später reichte Morgner das abgeänderte Manuskript bei Mitteldeutschen Verlag in Halle ein. Zur gleichen Zeit geriet die Beat-Bewegung, die große Teile der Jugendlichen erfasst hatte, in den Fokus der SED. Sie wurde als Auslöser und Anlass für Staatsfeindlichkeit und Sittenverfall deklariert, Künstlern wurde die Verantwortung für die Erziehung der Jugend übertragen. Folgen waren Auftrittsverbote, Verleumdungskampagnen und ähnliches. Für ,Rumba auf einen Herbst‘ bedeuteten die Richtlinien des 11. ZK der SED - nämlich die Verurteilung von Skeptizismus, Nihilismus und Individualismus - die endgültige Ablehnung.
Morgner notierte dazu: „‘Begründung der Zensur war: skeptizistisch durch und durch bis zum Nihilismus, ein Buch des enthemmten Individualismus.“7 Morgner wurde also zum Vorwurf gemacht, dass sich die von ihr erschaffenen Figuren nicht vollständig in die sozialistische Gesellschaft eingliedern und gesellschaftliche Entwicklungen als falsch erachten, so wie es im Fall Benno Pakulats geschieht.
Das Manuskript erhielt die Autorin nicht zurück, wenig lesbare Durchschläge waren die Grundlage für die Textstellen, die in ihren späteren Romanen zu finden sind; etwa in den sieben Intermezzos im Trobadora-Roman8. ,Rumba auf einen Herbst‘ wurde schließlich, so Bussman9, „aus vier Mappen“ und „weiteren Teilen“ aus „zerstreuten Fundorten“ rekonstruiert, so dass er - posthum herausgegeben - in der Fassung von 1965 vorliegt.
Titelgebend ist nicht nur der politisch „heiße Herbst“, sondern auch ein kubanischer Volkstanz, die Rumba. Gemeint ist damit zumeist ein „Paartanz, [...] bei dem sich beide Partner erotisch lockend umkreisen, jedoch ohne einander zu berühren“10. In diesem Sinne verhält sich auch ein Teil von Morgners Figuren; neben diversen anderen Konflikten ist das Liebesthema allgegenwärtig.
1.2.Methodik
Der Roman fällt durch seine ungewöhnliche Struktur und die Verbindung verschiedener Motive - Musik, Gesellschaftskritik, Mythologie - auf. Desweiteren wurden Teile des Romans häufig in andere Werke Morgners übernommen. Die Autorin bezeichnete ihn sogar als ihren „ersten Roman“11, maß so seinen Vorgängern kaum noch Bedeutung bei und erhöhte die Bedeutung dieses Romans für ihr späteres Schaffen. Die komplizierte Geschichte seiner Veröffentlichung macht einen Blick auf das verloren geglaubte „Stück Prosa“12 zusätzlich lohnenswert.
Insbesondere wird der Aufbau des Romans und gleichzeitig die Bedeutung des musikalischen Themas untersucht. Die Arbeit soll hierbei untersuchen, inwieweit Bussmanns These, dass der Roman einem Sonatenaufbau folgt, zutrifft. Die drei hauptsächlichen Konflikte des Romans - Geschlechterkonflikte, Generationskonflikte und Konflikte bezüglich Wissenschaft und Sozialismus - werden darauf aufbauend im Anschluss einer Analyse unterzogen. So werden die einzelnen Kapitel, die durch ihre Struktur getrennt werden, miteinander verknüpft.
2. Aufbau des Romans und das Musikthema
Der Aufbau des Romans entspricht einer viersätzigen Sonate13, unterbrochen und eingerahmt von der mythologischen Erzählung der romantischen Abenteuer Persephones zwischen Himmel und Erde. Die titelgebende Rumba gibt einen erotisch angehauchten, frechen und revolutionären Rhythmus vor, der die einzelnen Episoden miteinander verbindet, eben gleich einer Sonate, deren einzelne Sätze eine Einheit bilden.
„Die Themen, ihr Verhältnis und die Dynamik ihrer Motive, werden formbestimmend. Sie erfassen die Überleitung und beschäftigen die Durchführung. Die Durchführung wird zum Zentrum des Satzes. Die Konzentration kleiner und kleinster Motive führt eine große Ereignisdichte herbei.“14
Diese Beschreibung kann man ohne Ausnahme aufMorgners Roman überstülpen. ,Rumba auf einen Herbst‘ beschäftigt sich mit einigen Schwerpunkten, die ständig wiederkehren, neu zusammengefügt, verdichtet und aus immer anderen Blickwinkeln erzählt werden. Eben das schafft den Zusammenhang zwischen den zum Teil untereinander unbekannten Figuren.
Der erste und vierte Satz der Sonate bzw. des Romans sind thematisch verbunden, die beiden anderen fügen sich enger oder weniger eng verbunden ein.
2.1.Blues
Das erste Kapitel, ,Blues‘, entspricht dem ersten Satz oder Allegro einer Sonate, aufgebaut nach der Sonatensatzform. Dieser zerfällt in drei Teile, wobei der erste Teil wiederum nach einem vierteiligen Schema aufgebaut ist.15
Der 1. Teil des 1. Satzes enthält Hauptthema, der 2. Teil stellt eine Überleitung dar, der 3. Teil ist das kontrastierende Seitenthema, der 4. Teil der einer Ausbreitung, die in „virtuosen Passagen und „kräftige[n] Kadenzen“16 endet.
Andeutungen für diese Gedanken finden sich schon im ersten Absatz: das Liebesthema wird mit dem beginnenden Tanz von Lutz und Evelyne angeschnitten, die doomsday-machine weist auf die weltpolitisch prekäre Lage - die Vernichtung der Erde durch einen möglichen Atomschlag - hin. In den drei folgenden Absätzen wechselt die Perspektive zwischen Evelyne und Lutz, weitere Themen, die nicht nur das erste Kapitel bestimmen, sondern Grundlage des Romans sind, sind: die Differenzen zwischen Wissenschaftlern und Kommunisten - hier vertreten durch den Professor und seine schier endlosen Vorträge und Lutz, der sich diesen einerseits nicht gewachsen fühlt und sie andererseits ablehnt, das desolate Eheleben der beiden Protagonisten und Anspielungen auf die väterliche Generation. Untermalt wird es durch den allgegenwärtigen Blues-Rhythmus, der die Grundlage für Jazz, Rock und viele weitere Musikrichtungen bildet, ebenso wie das erste Kapitel für den weiteren Roman. Ein „einfacher alter Rhythmus. Naturereignis.“ (S. 85)17, eine universelle Musik, wie gemacht für das Lebensgefühl des Liebespaares: die (wahrscheinlich kurzweilige) Flucht aus dem alten Leben, eingetauscht gegen eine kurze, leidenschaftliche Verbindung, die nicht verspricht, was sie hält.
Im weiteren Verlauf werden diese Motive verarbeitet: weitere Debatten über Wissenschaft folgen, Lutz und Evelyne begegnen sich zunehmend, fühlen sich zueinander hingezogen, ohne den Gedanken an ihr zurückgelassenes Leben verdrängen zu können.
[...]
1 Judt, Matthias (Hrsg.): DDR-Geschichte in Dokumenten. Bonn 1998. S. 294.
2 Bussmann, Rudolf: Die Utopie schlägt den Takt. Rumba auf einen Herbst und seine Geschichte. Ein Nachwort. In: Morgner, Irmtraud: Rumba auf einen Herbst. 1992 Hamburg/Zürich. S. 334.
3 vgl. ebd., S. 297.
4 Appell Walter Ulbrichts an die Schriftsteller, ebd.
5 ebd., S. 335.
6 ebd.
7 Briefentwurf Irmtraud Morgners 1966 an Paul Wiens. Nachlass der Autorin. In: ebd., S. 345.
8 vgl. „Bauplan des Romans“. In: Irmtraud Morgner: Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura . Berlin und Weimar 1983. S. 448 - 456.
9 Bussmann, Rudolf: Editorische Notizen. In: Morgner, S. 373 ff.
10 Hoffmann, Bert: Kuba. München 2009. S. 172.
11 Bussemann: Nachwort, In: Morgner S. 332.
12 ebd., S.331.
13 vgl. ebd.
14 Noltensmeier, Ralf et. al.: Sachlexikon Musik Stuttgart 1998. S. 980.
15 vgl. ebd.
16 ebd.
17 Morgner, Irmtraud: Rumba auf einen Herbst. Hamburg/Zürich 1992. Im Folgenden wird ,Rumba auf einen Herbst‘ unter Angabe der Seite nach dieser Ausgabe zitiert.
- Arbeit zitieren
- Bachelor of Arts Maria Reinhold (Autor), 2011, „I’ve got the blues so bad“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/181588
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