Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Qualitätsstandards der Kriegsberichterstattung
3. Embedding-System - Das Konzept einer qualitativen Kriegsberichterstattung?
3.1. Das Modell des Embedding-Systems
3.2. Einschränkungen und Probleme der militärischen ,Einbettung‘
3.3. Kriegsberichterstattung im Netz der Kontrolle - Embedding zwischen Zensur und Propaganda
3.4. Das Embedding-System im Kontrast
4. Kriegsberichterstatter im Kampf um Wahrheit und Objektivität - Wie Ideal und Realität vereinigt werden können
5. Resümee
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Krieg ist eines der wohl grausamsten Mittel zur Konfliktlösung. Er ist brutal, zerstörerisch und unberechenbar. Für die Mehrzahl der Menschen ist der Krieg eine schreckliche Angelegenheit, eine Art der Konfliktbewältigung, die sinnlos zu sein scheint. Dennoch gibt es ihn, ebenso wie es Menschen gibt, die ihn als einzigen und letzten Ausweg sehen, um einen Konflikt auszutragen und die machtpolitische Überlegenheit des eigenen Landes unter Beweis zu stellen. Doch wie grausam der Krieg auch sein mag, entscheidend ist, die Augen davor nicht zu verschließen. Die Gräueltaten, die ein Krieg mit sich bringt, sind Teil der Realität und daher nicht zu verleugnen. Es gilt, der Wahrheit des Krieges ins Gesicht zu blicken, schon allein um unschuldigen Zivilisten den Weg in die Öffentlichkeit zu gewähren, die alles verloren haben oder ihr Leben für die Durchsetzung staatlicher Interessen opfern mussten. Auch ihr Schicksal und ihre Meinungen müssen eine öffentliche Beachtung finden.
Die Wahrheit ans Licht zu bringen, das ist die primäre und verantwortungsvolle Aufgabe der Kriegs- und Krisenberichterstattung. Bei der Verbreitung politischer Interessen spielen die Medien als „Vierte Gewalt“ eines demokratischen Staates eine besonders entscheidende Rolle. Sie nehmen Informationen auf und tragen sie in die Öffentlichkeit. Ihre Aufgabe ist es, die Bürger umfassend über politische Ereignisse zu informieren und dabei stets verdeckte Wahrheiten zu enthüllen. Damit nehmen die Medien, vor allem im Bereich der Kriegsberichterstattung einen wichtigen Stellenwert in der Gesellschaft ein. Indem sie über politische Geschehnisse informieren, geben sie dem Bürger die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden und angemessene politische Entscheidungen treffen zu können.1
Die besondere und primäre Verantwortung der Medienschaffenden in Kriegs- und Krisengebieten besteht darin, die Öffentlichkeit über die Entwicklungen eines Krieges zu informieren und dabei das journalistische Ideal einer objektiven und wahrheitsgemäßen Berichterstattung zu erfüllen. Dies bedeutet, die Wahrheit auf beiden Seiten aufzudecken und mögliche Missstände zu enthüllen.2
So lautet zumindest die Theorie einer qualitativen Kriegsberichterstattung. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Ist eine wahrheitsgemäße und objektive Kriegsberichterstattung überhaupt realisierbar oder ist dies vielmehr ein bisher unerfülltes Ideal, das nicht erreicht werden kann, dem aber nachzustreben ist? Ist es den Kriegsberichterstattern überhaupt möglich, dieser Aufgabe nachzukommen, und welche Faktoren verhindern möglicherweise eine objektive Berichterstattung?
Im Verlauf der vorliegenden Arbeit sollen diese Fragen diskutiert werden. Hierzu scheint es sinnvoll zu sein, zunächst auf die Aufgaben und journalistischen Qualitätsstandards der Kriegsberichterstattung einzugehen. Diesbezüglich werden im nachfolgenden Kapitel einige Aspekte näher erläutert, die die Wertbeständigkeit der Berichterstattung gewährleisten sollen. Hierzu beziehe ich mich hauptsächlich auf das „Embedding-System“, dessen Konzept erläutert und im Anschluss einer kritischen Betrachtung unterzogen wird. Nachfolgend werden hieraus auch die Schwierigkeiten verdeutlicht, mit denen ein Kriegsberichterstatter während seiner Arbeit in einem Krisengebiet konfrontiert werden kann und inwiefern diese die journalistische Tätigkeit unter Umständen beeinträchtigen. Die zusammengetragenen Ergebnisse sollen schließlich die Diskussion einleiten, inwieweit eine objektive, wahrheitsgemäße und damit qualitative Kriegsberichterstattung unter den jeweiligen Arbeitsbedingungen noch gewährleistet werden kann. Das Ziel dieser Arbeit ist zu klären, wie die Kriegsberichterstattung versucht, ihr Ideal und ihre Aufgaben zu erfüllen, welche Strategien hierfür angewandt werden und ob diese tatsächlich eine qualitative, objektive Berichterstattung garantieren können. Diesbezüglich wird abschließend diskutiert, was vorausblickend unternommen werden kann, um die Vorgehensweise der Embedded-Journalists und die Kriegsberichterstattung insgesamt zu optimieren.
2. Qualitätsstandards der Kriegsberichterstattung
Der Einsatz eines Reporters in einem Kriegsgebiet erfordert neben qualifizierten journalistischen Fähigkeiten und langjährigen Erfahrungen eine angemessene Vorbereitung, besonderes persönliches Engagement und vor allem Mut und Überzeugung.3
Doch ein Kriegsberichterstatter kann den Krieg weder beenden noch besiegen. Es ist auch nicht seine Aufgabe, den Krieg zu bewerten oder ihn in irgendeiner Weise zu unterstützen.4 Die zentrale Aufgabe der Kriegsberichterstattung besteht vielmehr darin, die Bürger umfassend über das Kriegsgeschehen zu informieren. Entscheidende Informationen müssen gesam- melt, analysiert, selektiert und schließlich in die Öffentlichkeit transportiert werden.5 Dabei wird vor allem erwartet, dass die Wahrheit dokumentiert und veröffentlicht wird, da der Bürger über das wahrhafte Kriegsgeschehen informiert werden will.
Für den Kriegsberichterstatter vor Ort gilt, aus den zahlreichen Informationen unterschiedlichster Quellen die wichtigsten herauszufiltern und dabei trotzdem eine objektive Gesamteinschätzung des Kriegsgeschehens zu präsentieren.6
Der Journalist selbst übernimmt die Rolle eines unabhängigen Zuschauers und Vermittlers, der auch die ,hässliche‘ Wahrheit von Tod und Elend in die Öffentlichkeit trägt. Er muss die Geschehnisse des Krieges glaubhaft schildern und dabei fortwährend objektiv bleiben. Dies bedeutet, stets eine kritische Distanz einzuhalten und ohne jegliche Vorurteile über die Ereignisse zu berichten.7
Ein Kriegsberichterstatter steht in der Verantwortung, einen objektiven Gesamtüberblick über das Kriegsgeschehen zu vermitteln, das heißt, er muss die Realität erfassen, um eine freie individuelle Meinungsbildung zu unterstützen. Seine persönliche Meinung ist dabei von den öffentlichen Nachrichten zu trennen, um eine verzerrte Darstellung des Kriegsgeschehens zu vermeiden und eine objektive Berichterstattung zu garantieren.8
Ziel ist es, einen Eindruck über die Stimmung der betroffenen Bevölkerung zu vermitteln und über den Kriegsverlauf möglichst vorurteilsfrei und wertneutral zu berichten.9 Es kann festgehalten werden, dass besonders der Objektivitätsanspruch in der Kriegsberichterstattung eine zentrale Rolle einnimmt. Außerdem sollte ein Journalist möglichst nah am Kriegsgeschehen sein, um einen authentischen Eindruck von den Ereignissen zu erhalten und damit eine umfassende und glaubhafte Berichterstattung gewährleisten zu können.
In der Kriegsberichterstattung hat sich in den vergangenen Jahren ein Konzept entwickelt, das die eben beschriebenen Qualitätsstandards garantieren soll und die Bevölkerung so mit umfassenden und authentischen Informationen über das Kriegsgeschehen versorgen kann.
Das Konzept, das eine völlig neue Perspektive des Krieges zeigen soll, ist das „Embedding- System“, also die dauerhafte Einbettung der Journalisten in das System einer in einem Kriegsgebiet stationierten Militäreinheit.10
3. Embedding-System - Das Konzept einer qualitativen Kriegsberichterstattung?
3.1. Das Modell des Embedding-Systems
Die Methoden und Strategien der Kriegsberichterstattung haben sich in den vergangenen Jahren verändert und weiterentwickelt. Die aktuellste Entwicklung stellt das Embedding-System dar. Das Konzept besteht darin, dass die Kriegsberichterstatter die militärischen Einheiten während des gesamten Zeitraumes der Kriegsführung begleiten und direkt über das Kriegsgeschehen berichten.11
Das Embedding-System wurde bereits während des Bosnien-Krieges Mitte der 1990er Jahre eingeführt. Damals konnten die Journalisten die Kriegstruppen für einige Tage begleiten. Auch während des Ersten Weltkrieges sollen schon Reporter die Möglichkeit gehabt haben, in die militärische Einheit der Briten eingebettet zu werden. Allerdings wurden die Journalisten in beiden Fällen den Streitkräften nur für kurze Zeit zugeteilt.12
Die weiterführende Entwicklung, in der Reporter verschiedene Militäreinheiten während des gesamten Zeitraums der Kriegshandlungen begleiten können, begann im Afghanistan-Krieg 2001. Den Journalisten vor Ort wurde ein uneingeschränkter Zugang zu den stationierten Kampftruppen gewährt. Diese journalistische Arbeitsstrategie befand sich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch in einer ersten Testphase.13
Im Jahre 2002 verkündete das Pentagon, dass es im Falle eines Krieges gegen den Irak den eigenen Truppen Journalisten zuteilen wird, damit diese unmittelbar vom Kriegsgeschehen berichten können. Damit wurde der Plan für das System der Einbettung in der Kriegsberichterstattung erstmals offiziell von der US-Regierung bekannt gegeben und im Irak-Krieg 2003 auch tatsächlich durchgeführt.14
Das Embedding-System ist jedoch das Resultat eines langwierigen historischen Prozesses, in dem zahlreiche Weiterentwicklungen stattfanden und das Konzept des eingebetteten Journalisten verändert und optimiert wurde.15
Die Grundidee des Embedding-Systems veränderte sich jedoch nicht. Sie besteht in erster Linie darin, den Kriegsberichterstattern die Möglichkeit zu geben, das Kriegsgeschehen ,haut- nah‘ mitzuerleben, um so einen authentischen Eindruck von den aktuellen Ereignissen vor Ort zu erhalten. Hierfür werden die Journalisten und ihre Mitarbeiter in die jeweilige militärische Einheit eingebettet, die sie während des gesamten Zeitraumes des Krieges begleiten.16 Um sich auf die Zusammenarbeit mit der Armee und auf das Leben in einem Krisengebiet im Vorfeld optimal vorbereiten zu können, wurden vom Department of Defense (DOD) so genannte „Media Boot Camps“ eingerichtet. Hier erhalten die Journalisten einen ersten Eindruck von den alltäglichen Lebensbedingungen in einem Kriegsgebiet und lernen außerdem, wie man sich in Gefahrensituationen zu verhalten hat. Dem Militär wiederum bietet sich so die Möglichkeit, sich an die Begleitschaft von Reportern und Kamerateams zu gewöhnen.17 Im realen Kriegsalltag erhalten die Journalisten zentrale Einblicke in die Einsätze und Aktivitäten der Militäreinheiten. Auf diese Weise können außerdem zahlreiche Informationen zusammengetragen werden, die der Journalist direkt erhält und sich damit nicht mehr ausschließlich auf Quellen ,aus zweiter Hand‘ verlassen muss. Das Konzept soll eine umfassende und sachliche Informationsvermittlung für die Öffentlichkeit garantieren. Zudem ergibt sich für die journalistische Tätigkeit vor Ort der entscheidende Vorteil, dass die Gefahren für die Journalisten unter dem Schutz des Militärs eingedämmt werden und sie sich so effektiver auf ihre Arbeit konzentrieren können.18
Mithilfe der Live-Berichterstattung durch die audiovisuellen Medien und dem Embedding- Konzept können die Kriegshandlungen und -entwicklungen in Echtzeit an die Öffentlichkeit vermittelt werden. Dies führt zu dem verstärkten Eindruck einer authentischen Berichterstattung. Auch die spektakulären Bilder in den Printmedien scheinen das dramatische Kriegsgeschehen direkt von der Front zu dokumentieren.19
Die soziale Nähe zu den Soldaten, soll den Reportern dazu verhelfen, jederzeit zuverlässige, ,echte‘ Informationen einzuholen und Erfahrungen von Menschen zu dokumentieren, die direkt an den Kriegshandlungen beteiligt sind. Auch hieraus verspricht man sich die höchste Authentizität für die Berichterstattung.20
Donald Rumsfeld bezeichnete das Embedding-System im Zuge des Irak-Krieges, bei dem rund 600 Embedded-Journalists eingesetzt wurden, als das Grundprinzip der Informationspolitik. Mit diesem neuen System brach im Bereich der Kriegsberichterstattung ein neues Zeitalter an. Die Medien hofften, auf diese Weise eine qualitative, sachliche Berichterstattung garantieren zu können und das reale Geschehen des Krieges zu dokumentieren.21
Dies sind zumindest die gewünschten Ziele, die mithilfe des Embedding-Systems erreicht werden sollen. In der Realität wird das Ideal dieses Systems jedoch von einigen Schwierigkeiten überschattet, die die Umsetzung der geforderten Aufgaben erheblich einschränken.
Die eingebetteten Reporter sind oft mit Problemen konfrontiert, die ihre Arbeit erschweren und eine qualitative Berichterstattung beeinträchtigen können.
3.2. Einschränkungen und Probleme der militärischen ,Einbettung‘
Die Einbindung der Journalisten in das System einer militärischen Kriegseinheit bringt zwar den entscheidenden Vorteil, dass die Reporter das Kriegsgeschehen unmittelbar miterleben können, doch die Nähe zu den kämpfenden Soldaten kann eine objektive Berichterstattung unter Umständen erheblich beeinträchtigen.
Es besteht die Gefahr einer stark personalisierten Berichterstattung, die mit Distanz und Objektivität nicht mehr viel gemeinsam hat.22 Dies muss jedoch keineswegs ausschließlich am beruflichen Unvermögen des Journalisten liegen. Die Gründe einer personalisierten Berichterstattung sind vielmehr bei dem journalistischen Konzept der Einbettung selbst zu suchen.
Ein Reporter, der über einen längeren Zeitraum inmitten des Kriegsgeschehens lebt und arbeitet, sammelt naturgemäß viele persönliche Eindrücke. Festzustellen ist dies beispielsweise im Falle der Berichterstattung vom Irak-Krieg 2003. Einer der Kritikpunkte ist hier unter anderem die starke Personalisierung. Die Reporter verbanden ihre Berichte häufig mit persönlichen Erlebnissen und auch die Erfahrungen der Soldaten spiegelten sich in ihren Arbeiten wider.23 Hierbei kann es sich vor allem um traumatische Erlebnisse handeln, mit denen ein Kriegsreporter zwangsläufig konfrontiert wird. Auch das Erleben des Neuartigen und Ungewöhnlichen verleitet viele Journalisten dazu, ihre Berichte als eine Art Abenteuergeschichte zu gestalten, die mit Begeisterung vermittelt wird und sich damit von einem wertneutralen journalistischen Beitrag abgrenzt.24
Des Weiteren wirkt sich auch die soziale Nähe der Reporter zu den Militäreinheiten nicht gerade positiv auf eine objektive Kriegsberichterstattung aus. Aufgrund des langen Zeitraumes, den die Journalisten mit den jeweiligen Einheiten verbringen, wird das Vertrauen der Beteiligten untereinander gestärkt. Mit der Zeit kann sich sogar ein freundschaftliches Verhältnis zwischen Journalisten und Soldaten entwickeln.
[...]
1 Vgl. Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (Hg.), Projektleitung Thomas Roithner: Gute Medien - Böser Krieg? Medien am schmalen Grat zwischen Cheerleadern des Militärs und Friedensjournalismus [2007]. Wien: LIT Verlag, S. 56-57
2 Vgl. Ebd., S. 56-57
3 Vgl. Ebd., S. 112
4 Vgl. Antonia Rados: Die Fronten sind überall. Aus dem Alltag der Kriegsreportage; Hg.: Hannes Haas [2009]. Wien: Picus Verlag, S. 37-38
5 Vgl.: Christoph Mangold, Lars Ultzsch: Kontrollierte Berichterstattung? Der Irak-Krieg 2003 aus der Sicht beteiligter Journalisten [2004]. München: kopaed Verlag, S. 43
6 Vgl. Ebd., S. 75
7 Vgl. Ebd., S. 73-74
8 Vgl. Ebd., S. 74
9 Vgl. Ebd., S. 73-75
10 Vgl. Kristina Isabel Schwarte: Embedded Journalists. Kriegsberichterstattung im Wandel [2007], 1. Auflage, Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot, S. 7
11 Vgl. Ebd., s. 7
12 Vgl. Ebd., s. 79
13 Vgl. Ebd., S.79-80
14 Vgl. Ebd., S. 7, S. 80
15 Vgl. Ebd., S. 80-81
16 Vgl. Ebd., 79-80
17 Vgl. Ebd., S. 84-85
18 Vgl. auch: Ebd., S. 80, S. 88
19 Vgl. auch: Ebd., S. 82-83
20 Vgl. auch: Ebd., S. 55-56
21 Vgl. Ebd., S. 81-82
22 Vgl. Ebd. S. 91
23 Vgl. Ebd., S. 91
24 Vgl. Ebd., S. 97
- Arbeit zitieren
- B.A. Christina Klemke (Autor), 2010, Kriegsberichterstattung zwischen den Fronten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/181608
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