Sozialkritik und Kulturkonflikt in Puccinis 'Madama Butterfly'

Ein Literatur- und Fassungsvergleich


Seminararbeit, 2009

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe

Inhalt

1. Einleitung

2. Thematik
2.1 Vorgeschichte und Pierre Loti
2.2 John Luther Long und David Belasco

3. Puccinis Madama Butterfly

4. Fazit

5. Anhang

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Puccinis berühmte Oper Madame Butterfly ist eine der meist aufgeführten Opern der Welt. Nach einer katastrophalen Uraufführung in Mailand 1904 schrieb Puccini sie mehrmals um und nahm wesentliche Änderungen am Text vor, sodass sich heute mehrere Fassungen rekonstruieren lassen. Der Stoff der Oper geht zurück auf zwei Romane, Madame Chrysanthème von Pierre Loti und Madame Butterfly von John Luther Long, und ein Theaterstück, Madame Butterfly von David Belasco. Sie entstanden im Zuge des damals aufkommenden Japonismus (ca. 1855-1910), einer Strömung in Europa, besonders in Frankreich, die japanische Kunst in die eigene aufnimmt. Die Oper sowie die Bücher spielen in Japan und behandeln unter anderem das Aufeinanderprallen von Ost und West. Diese Arbeit soll die Quellen der Oper - die vorangegangene Literatur - sowie die Urfassung und die gängige Fassung unter dem Aspekt der Sozialkritik und des Kulturkonflikts betrachten.

2. Thematik

2.1 Vorgeschichte und Pierre Loti

Die Geschichte um ein armes japanisches Mädchen, das eine Zeitehe mit einem Seemann eingeht, beruht auf Tatsachen. Von 1600 bis 1868, während der Tokugawa (Edo)-Zeit, in der der Shōgun die politische Macht hatte, war Japan von der Außenwelt vollständig abgeschirmt.1 Nur auf einer kleinen Insel vor Nagasaki hatte die niederländische East Indies Company seit 1630 einen Handelshafen. Dort war es normal, dass sich die Seemänner junge Japanerinnen zur Frau nahmen für die Zeit, in der sie in Nagasaki blieben. Gleichzeitig wurden die Frauen von der Regierung auch als Spione eingesetzt, da Japan nicht wollte, dass geographische oder politische Informationen ins Ausland gerieten. In Europa wurde dieser lässige Lebensstil der Seefahrer dort vor Ort bekannt durch den deutschen Arzt Dr. Philip von Siebold (1796-1866), der mehrere Bücher verfasste über japanische Geschichte, Geographie und Biologie sowie Schulen in Japan gründete und selbst unterrichtete. Auch er hatte eine japanische Frau und ein Kind, mit denen er nach seiner Rückkehr nach Deutschland noch Kontakt hatte und schließlich mit seinem legitimen Sohn Alexander von Siebold besuchte2.

Auch Pierre Loti (1850-1923), eigentlich Julien Viaud, war ein solcher Seemann. Er war französischer Marineoffizier und Schriftsteller und hielt in seinem autobiographischen Buch Japan von 1887 seine Zeit in diesem Land fest. Er war mit seinem Freund Pierre ÄYves“ Le Cor 1885 in Nagasaki und heiratete die siebzehnjährige O-Kane-San3. In seinem Buch, das wie ein Reisebericht aufgemacht ist, bleibt er länger und heiratet O-Kiku-San, Madame Chrysanthème. Der Roman beschreibt vor allem das Leben in Japan, die Umgebung und die Natur. Pierre kommt in Nagasaki schon mit dem Plan an, sich eine Frau zu nehmen, wie er seinem Freund Yves noch auf dem Schiff erzählt:

„ ‚As for me‟, I said, ‚I shall at once marry.‟[«] ‚Yes - I shall choose a little yellow-skinned woman with black hair and cat‟s eyes. She must be pretty. Not much bigger than a doll. [«] A little paper house, in the midst of green gardens, prettily shaded.‟ [«] I had quite made up my mind to carry out the scheme I had unfolded to him. Yes, actually, led on by ennui and solitude, I had gradually arrived at dreaming of and looking forward to this absurd marriage.”4

Pierre sieht die Heirat von Beginn an als absurd und nicht bindend an. Vor seiner zukünftigen Braut hat er keinerlei Respekt und betrachtet sie als ein Spielzeug, eine ÄPuppe“. Von den Japanern hat er im Allgemeinen kein gutes Bild und ihre Kultur findet er lächerlich:

„But, good gracious, how ugly, mean and grotesque all those folk were.”5

„No sooner had I landed, than there bounded towards me about a dozen strange beings, of what description it was almost impossible to make out through the blinding showers - a species of human hedge-hog, each dragging some large black thing.”6

Im Verlauf der Geschichte ändert sich seine Einstellung kaum, zu seiner Frau hat er kein besonderes Verhältnis und ist sogar der Meinung, sie hätte eine Affäre mit Yves:

„These quarters and his excessive liberty, give me some uneasiness about my poor Yves; for this country of frivolous pleasure has a little turned his head. Moreover, I am more and more convinced that he is in love with Chrysanthème.

It is really a pity that the sentiment has not occurred to me instead, since it is I who has gone to the length of marrying her.”7

Als sein Schiff unerwartet aufbrechen muss, tut das weder Pierre noch Chrysanthème besonders Leid. Sie freut sich sogar sehr über Geld, welches er ihr zukommen lässt, und singt fröhlich ein Lied, während sie die Silberstücke fachmännisch auf ihre Echtheit untersucht. Nur für die alte Madame Prune, die sich anscheinend in ihn verliebt hat, tut es Pierre etwas leid. Der Abschied ist unsentimental und spannungslos.

2.2 John Luther Long und David Belasco

Der Anwalt und Schriftsteller John Luther Long (1861-1927) arbeitete in seiner Kurzgeschichte Madame Butterfly von 1898 den Stoff auf und erzählt eine beinahe identische Geschichte. Zusätzlich griff er zurück auf Angaben seiner Schwester, deren Mann ein Missionar in Nagasaki war.8 Dieter Schickling schreibt dazu: ÄJedenfalls wandelt Long Lotis japanische Exoten-Idylle in ein handgreiflich menschliches Drama.“9

In Longs Roman heiratet der amerikanische Marineoffizier B. F. Pinkerton Cho-Cho- San, Madame Butterfly, und bezieht mit ihr ein Haus auf einem Hügel, das er für 999 Jahre gemietet hat. Der größte Teil des Buches konzentriert sich auf das Warten Madame Butterflys auf Pinkertons Rückkehr. Pinkerton versteht von japanischer Tradition und seiner Frau nicht viel und macht sich fortwährend darüber lustig. Als erstes verbietet er ihr allen Kontakt zu ihren Verwandten, weshalb sie von ihnen verstoßen wird:

„Madame Butterfly [«] asked him why he had gone to all that trouble - in Japan!

‚To keep out those who are out, and in those who are in [the house],‟ he replied [«]. She was greatly pleased with it all [«] until she learned that among others to be excluded were her own relatives.

‚I shall have to serve in the capacity of ancestors, - let us say ancestors-at-large, - and the real ones will have to go - or rather not come.‟”10

Nachdem Pinkerton das Land verlassen hat, bekommt Madame Butterfly ein Kind, das sie ÄTrouble“ nennt. Sie wartet mit ihrer Dienerin Suzuki auf seine Rückkehr, doch Pinkerton hat in Amerika längst geheiratet und denkt überhaupt nicht daran. Madame Butterfly schlägt in der Zwischenzeit den Antrag des reichen Yamadori aus, da sie sich Pinkertons Rückkehr sicher ist und er vor dem Abschied sich nicht von ihr scheiden ließ.

Der Konsul Sharpless informiert ihn schließlich über das Kind und seine neue Frau Adelaide kommt, um das Kind zu holen. Sie entdeckt Madame Butterfly, zu der sie zwar mit Bewunderung aber ohne den geringsten Respekt spricht und fortwährend Anspielungen macht:

„ ‚How very charming - how lovely - you are, dear! Will you kiss me you pretty - plaything!‟ Cho-Cho-San stared at her with round eyes [«].

‚No,‟ she said, very softly.

‚Ah, well,‟ laughed the other, ‚I don‟t blame you. They say you don‟t do that sort of thing - to women, at any rate. I quite forgive our men for falling in love with you [«].‟”11

Madame Butterfly nimmt in ihrer Kammer das Schwert ihres Vaters mit der Aufschrift ÄTo die with honour when one can no longer live with honour” und schneidet sich in den Nacken. Die Dienerin bringt das Kind herein, das sich auf Butterflys Schoß setzt. Suzuki verbindet die Wunde. Was letztendlich passiert, bleibt offen. Der letzte Satz des Buches lautet: ÄWHEN Mrs. Pinkerton called the next day at the little house on Higashi Hill it was quite empty.”12

Der amerikanische Dramatiker David Belasco (1853-1931) war von der Kurzgeschichte begeistert und machte daraus den Einakter ÄMadame Butterfly - A Tragedy of Japan“. Das Stück wurde 1900 in New York Uraufgeführt.13 Das Stück beginnt mit Madame Butterfly und Suzuki. Suzuki zählt ihr verbliebenes Geld und fragt, was sie tun sollen, wenn Pinkerton nicht zurück kommt. Madame Butterfly erzählt, wie er ihr versprochen hat, zurückzukommen Äw‟en robins nes„ again“. Der Konsul Sharpless trifft ein mit einem Brief von Pinkerton. Madame Butterfly fragt ihn, wann in Amerik]a die Rotkehlchen nisten, und ist enttäuscht, als er antwortet, dass sie zur gleichen Zeit wie in Japan nisten. Sie klärt den Konsul über Pinkertons Rotkehlchen-Geschichte auf, woraufhin dieser etwas von Pinkertons Charakter verrät: ÄPoor devil! One of his infernal jokes.“14 Sharpless entdeckt immer wieder, dass Madame Butterfly genauso redet und sich genauso verhält wie Pinkerton. Nakodo tritt ein, der versucht hat, sie mit dem reichen Yamadori zu verheiraten. Dieser sucht eine Frau für drei Monate und Butterflys Großmutter ist krank und braucht Geld. Im Verlauf des Gesprächs willigt Madame Butterfly deshalb ein, ihn einzuladen.

[...]


1 John W. Hall. Das Japanische Kaiserreich. Fischerweltgeschichte Band 20. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1968.

2 Jan van Rij. Madame Butterfly. Japonisme, Puccini & the Search for the Real Cho-Cho-San. Berkeley, California: Stone Bridge Press, 2001.

3 Ebd.

4 Pierre Loti. Japan. (Madame Chrysanthème). London: T. Werner Laurie Ltd, kein Datum. S. 7-8.

5 Ebd. S. 18.

6 Ebd. S. 26. 3

7 Ebd. S. 134.

8 ÄExotische Moderne: »Madama Butterfly«“. In Dieter Schickling. Giacomo Puccini. Biographie. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1989. S. 188-200.

9 Ebd. S. 189

10 John Luther Long. Madame Butterfly. Grosset and Dunlap edition, 1903. University of Virginia. American Hypertext project. 08.03.2009. <http://xroads.virginia.edu/~HYPER/LONG/abstract.html>. Kapitel II.

11 Ebd. Kapitel XIV.

12 Ebd. Kapitel XV.

13 Dieter Schickling. ÄExotische Moderne: »Madama Butterfly«“. S. 189.

14 David Belasco. “Madame Butterfly. A Tragedy of Japan.” In Six plays by David Belasco. Boston: Little, Brown & Co., 1928. S. 18. Columbia Univesity. New York Opera Project. 08.03.2009 <http://www.columbia.edu/itc/music/NYCO/butterfly/images/belasco_sm.pdf> 5

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Sozialkritik und Kulturkonflikt in Puccinis 'Madama Butterfly'
Untertitel
Ein Literatur- und Fassungsvergleich
Hochschule
Universität Hamburg  (Musikwissenschaftliches Institut)
Veranstaltung
Puccini
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
19
Katalognummer
V181961
ISBN (eBook)
9783656053163
ISBN (Buch)
9783656064206
Dateigröße
723 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Untersucht die Schritte vom ersten Reisebericht-Roman (1887) bis zu den zwei Fassungen von Puccinis Oper(1904 und 1907). Im Text wird beleuchtet, wie Puccinis ursprünglich starke Sozialkritik durch die Revisionen geschwächt werden.
Schlagworte
Giacomo Puccini, Madama Butterfly, Oper, Japonismus, Pierre Loti, John Luther Long, David Belasco, Japan, Madame Chrysanthème, Madame Butterfly, Lokalkolorit, Leitmotiv-Technik, Amerika
Arbeit zitieren
BA Felisa Kowalewski (Autor:in), 2009, Sozialkritik und Kulturkonflikt in Puccinis 'Madama Butterfly', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/181961

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