Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Die Akteure
2.1 OAO Gazprom und der russländische Staat
2.2 NAK Naftogaz und der Ukrainische Staat
2.3 Zwischenresümee
3. Der russisch- ukrainische Gaskonflikt
3.1 Präludium zu 2009
3.2 Der Gaskonflikt 2009
3.3 Die Vertragslage nach dem 19. Januar 2009
3.4 Vertragserweiterung 2010
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
6. Quellen
1. Einleitung
Der russisch-ukrainische Gasstreit im Januar 2009 führte zum bisher größten Lieferausfall in der Geschichte des ukrainischen Transits russischen Gases. Über zwei Wochen blieb die Versorgung der westlichen Abnehmer mit russischem Gas aus. Die seltsame Verquickung von Politik und Wirtschaft in diesem Konflikt veranlasste die westlichen Medien bald tiefere politische oder gar geostrategische Motive hinter dem Streit zu vermuten. Das bereits im Gasstreit 2006 geprägte geflügelte Wort vom „Gas als Waffe“ wurde abermals diskutiert.1 In folgender Arbeit sollen die Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessen analysiert und ihre Bedeutung für die Akteure im Gasstreit aufgezeigt werden. Dazu sollen zunächst die wirtschaftlichen und politischen Akteure in ihrem Verhältnis zueinander dargestellt werden, bevor anhand des Gasstreites 2009, die konkreten Interessenlagen aufgezeigt werden, die zur Verschärfung des Konfliktes führten, aber auch zu dessen vorläufiger Lösung. Kern dieser Arbeit soll also sein, sowohl die politischen Implikationen für die wirtschaftlichen Akteure, als auch die wirtschaftlichen Implikationen für die politischen Akteure, zu erörtern.
2. Die Akteure
Die undifferenzierte Begriffsverwendung in den Medien lässt eine Identität zwischen den wirtschaftlichen Akteuren „Gazprom“ und „Naftogaz Ukrainy“ mit den ihnen beistehenden politischen Körperschaften vermuten. Die Gaskonflikte werden so, in der medialen Darstellung, häufig zu Machtkonflikten zwischen den beiden Staaten. Inwiefern diese Sicht gerechtfertigt ist, lässt sich anhand der Bedeutung der Unternehmen für ihre Heimatstaaten aber auch der Bedeutung der politischen Einflussnahem für die Unternehmen, aufzeigen. Zu diesem Zweck soll hier eine kurze Vorstellung der Unternehmen im Kontext ihrer politischen Körperschaft erfolgen.
2.1 OAO Gazprom und der russländische Staat
Nach der Auflösung der Sowjetunion und im Rahmen der marktwirtschaftlichen Reformen in Russland kam es zu einer deutlichen Umstrukturierung des Energiesektors. Die dem Staat in Form des sowjetischen Gas und Ölministeriums zuvor gänzlich unterstellten Energiewirtschaft, wurde zumindest Teilprivatisiert. Im Falle der Gasindustrie hatte man anders als bei der Ölindustrie mit einem einheitlichen Unternehmen namens Gazprom nahezu das gesamte Gasministerium in die öffentliche Wirtschaft überführt. Dem Unternehmen schlug man zudem die alten Zulieferbetriebe (Bauunternehmen und Maschinenbauunternehmen) ebenso wie das Gaspipelinenetz, zu, das mit Gazeksport an eine Gazprom-Tochter und also in die Privatwirtschaft überführt wurde. Andere Exportinfrastrukturen, wie Ölpipelinenetz oder die Bahnstrukturen blieben jedoch in staatlicher Hand.2
„Dadurch, dass die russische Gasindustrie anders als z.B. die Ölindustrie des Landes nicht in mehrere Unternehmen aufgeteilt worden ist, entstand mit Gazprom der weltweit größte Gasproduzent und Gasversorger.“3
Da Bodenschätze Staatsbesitz der russländischen Föderation sind, ist ihre Förderung nur über Lizenzen möglich. Mit Lizenzen für 55% der Erdgasfelder und einem Anteil von 85% der Gesamtfördermenge an Erdgas der russländischen Föderation, dominiert Gazprom den Markt und nimmt quasi die Stellung eines Monopolisten ein.4
Das Unternehmen ist seit 1998 eine offene Aktiengesellschaft (Открытое акционерное общество- OAO «Газпром»).5
„The governement of the Russian Federation is the ultimate controlling party of OAO Gazprom and has a controlling intrest (including both direct and indirect ownership) of over 50% in OAO Gazprom.“6 Dabei hält der russländische Staat ca. 38% an Gazprom direkt und weitere 11% über staatlich und halbstaatlich Unternehmen.7
Während der Staat in den neunziger Jahren im Rahmen der neoliberalen Wirtschaftspolitik der Jelzin-Ära als passiver Anteilseigner agierte8, ist seit der Putin-Administration ein deutlich dominanteres und aktiveres Auftreten der Politik in wirtschaftlichen Fragen zu beobachten.9
„Der Präsident und seine Umgebung haben vor, mit einer Stärkung der Präsenz des Staates in der Branche, die massiven Misserfolge bei der Regulierung dieser Branche zu kompensieren, die den Erdöl- und Erdgasfirmen in den 1990er Jahren praktisch freie Hand bei der Ausbeutung von fossilen Brennstoffen ließen.“10
Diese Regulierung wird vor allem, durch die aktive Einflussnahme auf die Besetzung der Aufsichtsräte der halbstaatlichen Konzerne und die Installation von Mitgliedern der Präsidialverwaltung neben den üblichen Staatsvertretern wie Ministern, bewerkstelligt. Dies betrifft neben Gazprom auch weitere halbstaatlich Unternehmen, mit Monopol in den Energie-, Transport und Finanzbranchen.11
Diese Politik ist vor allem vor dem Hintergrund eines Zitates aus Putins Dissertation zu verstehen: „Wer die Energieversorgung und die Infrastruktur eines Staates verkauft, verkauft den gesamten Staat und macht die Politik zur Marionette des Geldes.“12
Die politische Mitbestimmung im Energie und Transportsektor wird also als vitales Interesse des Staates und als Voraussetzung für seine Souveränität betrachtet. Denn allein über die Kontrolle dieser Branchen kann der Staat eine umfassende Wirtschaftspolitik betreiben. So ist Gazprom seit seiner Teilprivatisierung 1992 verpflichtet, den russischen Binnenmarkt zu staatlich fixierten, meist nicht kostendeckenden Preisen, zu beliefern.13 Diese vergünstigten Gaspreise stellen eine Grundvoraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der teilweise schwachen russländischen Wirtschaft dar.
Desweiteren wurde mit den steigenden Steuerbelastungen für die Rohstoffwirtschaft, Steuersenkungen für die übrige Industrie erkauft. „Die summierte Steuerbelastung der Wertschöpfung der Öl- und Gasbranche beträgt 2003 rund 37% gegenüber 30% im Jahre 2000. Die Steuerbelastung der sonstigen Industrie betrug 2003 28% gegenüber 39% im Jahr 2000.“14
Gazprom ist also eine wesentliche Stütze der Wirtschafts- und Sozialpolitikpolitik des russländischen Staates, dessen Ziel die Stärkung der Industrie durch eine Begünstigungspolitik zu sein scheint. Die dem Unternehmen im Binnenmarkt entstehenden Verluste, muss dieses durch die Einnahmen aus Exportgeschäften kompensieren. In diesem Zusammenhang ist auch die Bedeutung Gazproms für den Staatshaushalt nicht zu unterschätzen.
„Die Deviseneinnahmen aus Gasexporten sind nicht nur für Gazprom von entscheidender Bedeutung, sondern auch für den russischen Staat, denn sie machen etwa ein Viertel der gesamten russischen Deviseneinnahmen aus. Auch als Steuerzahler ist Gazprom von Zentraler Bedeutung. Das Unternehmen trägt rund 25% zum Gesamtsteueraufkommen des russischen Staates bei.“15
Die Übergewinne der Ressourcenindustrie werden in einen staatlichen Stabilisierungsfond abgeführt, der den russischen Haushalt seit 2003 zu einer positiven Bilanz verhilft.16
Es zeigt sich also, dass die russländische Föderation als Hauptanteilseigner, sowohl die Möglichkeit, als auch, im Rahmen seiner Wirtschafts- und Steuerpolitik, das Interesse hat, aktiven Einfluss auf das Wirtschaften von Gazprom zu nehmen.
2.2 NAK Naftogaz und der Ukrainische Staat
„ Die Ukrainische Gaswirtschaft ist, stärker als die russische, staatlich dominiert.“17 Anders als in Russland fand in der Ukraine nie eine Überführung der Energiewirtschaft in die freie Wirtschaft statt. Der Ukrainische Gas- und Ölkonzern NAK (Національна акціонерна компанія - staatliche Aktiengesellschaft) Naftogaz Ukrainy befindet sich zu 100% in staatlicher Hand. Die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion an den ukrainischen Staat gefallenen Öl- und Gaspipelineabschnitte des sowjetischen Netzes, überträgt der Staat in einer jährlichen Entscheidung an Naftogaz.18
„Ukrainian law mandates the Governement to identify those companies in strategic industry sectors, the privatisation of which is prohibited. Currently, Naftogaz of Ukraine and its subsidiaries are identified as such companies.”19
Angesichts des Ukrainischen Energiemix´, in dem Erdgas 46% des Primärenergiebedarfs deckt20 und also Hauptenergieträger, sowohl in der Stromerzeugung, als auch auf kommunaler Ebene, ist21, ist nachvollziehbar, warum der Gas- und Ölkonzern als strategisches Unternehmen gilt. Die Eisen und stahlverarbeitende Schwerindustrie ist mit einem Anteil von 40% an den Exporten des Landes der Hauptwirtschaftszweig.22
[...]
1 Bsp.: -Veser, Reinhard, Gaswaffe, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.01.2009, Nr. 5, S. 1. - Kolb, Matthias, "Moskau nutzt seine Energie nicht als Waffe", in: sueddeutsche.de, http://www.sueddeutsche.de/politik/gas-streit-moskau-nutzt-seine-energie-nicht-als- waffe-1.384566. Entnommen: 28.07.2010
2 Vgl.: Pleines, Heiko/Westphal, Kirsten, Russlands Gazprom. Teil I: Die Rolle des Gaskonzerns in der russischen Politik und Wirtschaft, Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien (Hrsg.), Heft: 33, Köln: 1999, S. 6-11.
3 Ebenda, S.6.
4 Vgl.: Götz, Roland, Russlands Ressourcen: Auswirkungen auf die inneren Verhältnisse und die Außenbeziehung, in: Stiftungwissenschaft und Politik (Hrsg.), http://www.swp-berlin.org/de/common/get_document.php?asset_id= 2853&PHPSESSID=118dc63f77d7de7b34606fba3fd5e292, S.4-5. Entnommen am: 23.07.10.
5 Vgl.: О «Газпроме», in: Gazprom, http://www.gazprom.ru/about/. Entnommen am: 28.07.10.
6 OAO Gazprom, IFRS Consolidated financial Statements 31 December 2008, http://www.gazprom.com/f/posts/71/879403/2ifrs.pdf, S.52. Entnommen am: 28.07.10
7 Ebenda: S.52.
8 Vgl.: Pleines, Heiko/Westphal, Kirsten, Russlands Gazprom, S. 12.
9 Vgl.: Götz, Roland, Russlands Ressourcen, S.3.
10 Kyukow, Valery, „Lenkbarkeit“ statt Effizienz. Die Rolle des Staates in der russischen Erdöl- und Erdgaswirtschaft, in: Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e.V. (Hrsg.), Russlandanalysen 55 (2005): http://www.laender- analysen.de/russland/pdf/ Russlandanalysen055.pdf, S. 10. Entnommen am:18.07.10
11 Schröder, Hans-Henning, Putin „Incorporated“?. Die Präsidialadministration in den Aufsichtsgremien russischer staatlicher Unternehmen, in: Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e.V. (Hrsg.), Russlandanalysen 55 (2005): http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/ Russlandanalysen055.pdf, S. 15-16. Entnommen am: 18.07.10
12 Zitiert nach: Rühl, Lothar, Russland als strategischer Partner oder als strategische Herausforderung- Europa und die Energiegroßmacht im Osten, in: Maier-Walser, Reihnhard C. (Hrsg.) Energieversorgung als sicherheitspolitische Herausforderung, München: 2007, S.115.
13 Vgl. : OAO Gazprom, IFRS Consolidated financial Statements , S.52.
14 Götz, Roland, Russlands Ressourcen, S.6.
15 Pleines, Heiko/Westphal, Kirsten, Russlands Gazprom, S. 7.
16 Vgl.:Götz, Roland, Russlands Ressourcen, S.6.
17 Götz, Roland, Energietransit von Russland durch die Ukraine und Belarus. Ein Risiko für die Europäische Energiesicherheit?, , in: Stiftung Wissenschaft und Politik (Hrsg.) (2006), http://www.swp- berlin.org/common/get_document.php?asset_id=3554, S. 17. Entnommen am: 28.07. 10
18 Vgl.:National Joint stock Company «Naftogas of Ukraine ». Consolidated Finance statement 2006, http://www.naftogaz.net/files/Zvity/annual_report_2006_en.pdf, S. 37-38. Entnommen am: 26.07.10
19 National Joint stock Company «Naftogas of Ukraine ». Consolidated Finance statement 2006, S.37.
20 Vgl.:Westphal, Kirsten, Russisches Erdgas, ukrainische Röhren und europäische Versorgungssicherheit, Lehren und Konsequenzen 2009, In: Stiftung Wissenschaft und Politik (Hrsg.) (2009), http://www.swp-berlin.org/common/ get_document.php?asset_id=6144, S.14. Entnommen am: 17.07.10
21 Vgl.: Götz, Roland, Energietransit von Russland durch die Ukraine und Belarus, S.17.
22 Vgl.: Pleines, Heiko, Die Wirtschaftsentwicklung in der Ukraine: Krise in orange?, , in: Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e.V. (Hrsg.),Ukraine-Analysen Heft 9 (2006), http://www.laenderanalysen.de/ukraine/pdf/ UkraineAnalysen09.pdf , S.2. Entnommen am: 28.07.10