Talenterkennung und Talentförderung im Fußballsport


Examensarbeit, 2001

79 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2 Theoretische Grundlagen
2.1 Talentbegriff
2.1.1 Statischer Talentbegriff
2.1.2 Dynamischer Talentbegriff
2.2 Fußballtalent

3 Abgrenzung der Kernbegriffe
3.1 Talentsichtung
3.1.1 Talenterkennung und -prognose
3.1.2 Leistungsdiagnostik im Fußball
3.1.3 Eigene Stellungnahme
3.2 Talentauswahl
3.2.1 Fluktuation
3.2.2 Eigene Stellungnahme

4 Talentförderung
4.1 Training und Wettkampf
4.1.1 Das Mehr-Komponenten-Modell
4.1.2 Methoden Akzeleration und Enrichment
4.1.3 Eigene Stellungnahme
4.2 Altersthematik
4.3 Talentförderung in der DDR

5 DFB-/NFV-Talentsichtung
5.1 Vorbemerkungen
5.2 Talentsichtung U 10
5.2.1 Vorsichtung: „Tag des Talents“
5.2.1.1 Organisation
5.2.1.2 Spielmodus
5.2.2 Hauptsichtung
5.3 Talentsichtung U 11 - U 19
5.4 Eigene Stellungnahme

6 DFB-Nachwuchs-Konzept „Talente fordern und
6.1 Hintergründe
6.2 Die drei Bereiche des Konzepts „Talente fordern und fördern“
6.2.1 Juniorennationalmannschaften
6.2.2 Nachwuchszentren in den Lizenzvereinen
6.2.3 Das DFB-Talentförderprogramm
6.2.3.1 Die Talentsichtung
6.2.3.2 Die Spezialförderung
6.2.3.2.1 Die Spieler
6.2.3.2.2 Das Training
6.2.3.2.3 Die Trainer
6.2.3.2.4 Statistische Angaben
6.3 DFB-Talentförderprojekt

7 Talentsichtung und Talentförderung bei Ajax Amsterdam
7.1 Das Talentsichtungssystem
7.2 Anforderungsprofil eines Ajax-Talents
7.3 Leitlinien der Nachwuchsausbildung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In Deutschland wird schon seit einigen Jahren viel diskutiert, ob die Jugendarbeit im Fußball erfolgreich und zukunftsweisend ist. Maßstab hierfür sind die Erfolge der Bundesligamannschaften auf der europäischen „Fußballbühne“ und die der Nationalmannschaft. Sie hat gerade aufgrund ihres weniger erfolgreichen Auftretens bei der Europameisterschaft 2000 Diskussionen über eine Nachwuchsproblematik im deutschen Fußball ausgelöst (Vgl. PFEIFER/RÖSER 2000, S. 14-15). Obwohl sich der deutsche Nachwuchs im internationalen Vergleich weit vor England, Frankreich und Italien befindet (Vgl. PFEIFER 1999, S. 16-17), werden besonders die Nachwuchskonzepte der europäischen Nachbarn mit wohlwollender Anerkennung gesehen. Dabei werden besonders die Konzepte des Europa- und Weltmeisters Frankreich und die der Niederlande hervorgehoben.

Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, eine aktuelle Situationsbeschreibung der Talenterkennung und Talentförderung im Fußballsport zu liefern. Als Einstieg in diese Arbeit dient die Bestimmung des Talentbegriffs in den theoretischen Grundlagen (Vgl. Kap. 2). Im Anschluss werden weitere Abgrenzungen der in der Arbeit verwendeten Kernbegriffe vorgenommen (Vgl. Kap. 3), bevor die Talentförderung mit wichtigen Aspekten wie die des Trainings und des Wettkampfs, die der Altersthematik und die der Talentförderung in der ehemaligen DDR beschrieben werden.

Nach dieser theoretischen Einführung bildet im Kapitel 5 die Talentsichtung des Niedersächsischen Fußballverbandes (NFV) und des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) einen weiteren Schwerpunkt dieser Arbeit. In Kapitel 6 wird das Konzept der Talentförderung des DFB vorgestellt, dass in den letzten Jahren deutlich modifiziert wurde, um im internationalen Vergleich weiterhin eine gewichtige Rolle zu spielen. Die Veränderung des Konzepts erfolgt in mehreren Stufen, wobei die vorerst letzte Stufe erst im Jahr 2002 in die Praxis umgesetzt wird.

Das Konzept des niederländischen Vereins Ajax Amsterdam hat aufgrund der erzielten Erfolge weltweit Anerkennung gewonnen und wird daher in Kapitel 7 erläutert. Abschließend wird eine Bewertung in Form einer Schlussbetrachtung vorgenommen (Vgl. Kap. 8).

2 Theoretische Grundlagen

Vor einer Auseinandersetzung mit dem Themengebiet der Talenterkennung und Talentförderung wird zunächst im folgenden Kapitel eine Definition der im Text verwendeten Kernbegriffe erfolgen.

2.1 Talentbegriff

Der Begriff „Talent“ ist als umgangssprachliche Bezeichnung in verschiedenen Handlungsfeldern geläufig. So wird neben einem sportlichen Talent auch von mathematischen, künstlerischen und handwerklichen Talenten gesprochen. Damit sind Personen mit herausragenden spezifischen Veranlagungen oder Fertigkeiten gemeint. Man geht bei ihnen von der Annahme aus, dass sie bei entsprechender Förderung überdurchschnittliche bis herausragende Leistungen vollbringen können (vgl. CARL 1988, S. 11).

In der Literatur lässt sich keine einheitliche, allgemeingültige Definition des Talentbegriffs finden. Eine häufig gewählte Definition bezieht sich auf eine „überdurchschnittliche Begabung auf einem bestimmten Gebiet“ (MORELL 2000, S. 319). Begabung wird laut sportwissenschaftlichem Lexikon als „die vorhandene komplexe Struktur von Fähigkeiten zu qualifizierten Leistungsvollzügen in verschiedenen Lebensbereichen“ (RÖTHIG 1992, S. 61) bezeichnet.

In der Talentdiskussion im Sport existieren verschiedene Kataloge, die angeben, welche Merkmalsbereiche und Voraussetzungen ein sportliches Talent besitzen oder sich aneignen sollte. JOCH erwähnt einen entsprechenden Katalog von HAHN: „ (...)

- Anthropometrische Voraussetzungen wie Körpergröße, Körpergewicht, Verhältnis von Muskel- und Fettgewebe, Körperschwerpunkt, Harmonie der Proportionen u.a.;
- physische Merkmale wie aerobe und anaerobe Ausdauer, Reaktions- und Aktionsschnelligkeit, Schnelligkeitsausdauer, statische und dynamische Kraft, Kraftausdauer, Gelenkigkeit und Feinstkoordination von Bewegungen u.a.;
- technomotorische Bedingungen wie Gleichgewichtsfähigkeit, Raum-, Distanz- und Tempogefühl, Ball-, Klingengefühl, Musikalität, Ausdrucksfähigkeit, rhythmische Fähigkeiten, Gleitvermögen u.a.;
- Lernfähigkeit wie Auffassungsgabe, Beobachtungs- und Analysevermögen, Lerntempo;
- Leistungsbereitschaft wie Trainingsfleiß, körperliche Anstrengungsbereitschaft, Beharrlichkeit, Frustrationstoleranz;
- kognitive Steuerung wie Konzentration, motorische Intelligenz, Kreativität, taktisches Vermögen;
- affektive Faktoren wie psychische Stabilität, Stressbewältigung, Wettkampfbereitschaft u.a.;
- soziale Bedingungen wie Rollenübernahme, Mannschaftseinordnung u.a.

So könnte man Talent als eine Gruppe unterschiedlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten aus unterschiedlichen Bereichen umschreiben, die der Athlet in höherem oder geringerem Maße besitzt“ (HAHN 1982, S. 82 zit. nach JOCH 1997, S. 89).

CARL berücksichtigt in seiner Definition des Sporttalents die ererbten und die neu erworbenen Leistungsfaktoren und bezeichnet das sportliche Talent „a ls (...) eine Person (...), von der man aufgrund ihres Verhaltens oder aufgrund ererbter oder erworbener Verhaltensbedingungen annimmt, dass sie für sportliche Leistungen eine besondere Begabung oder Hochbegabung besitzt“ (1988, S. 11). Hinsichtlich der Leistungskategorien lassen sich nach CARL „allgemeine (nicht auf eine bestimmte Sportart bezogene) und spezielle (sportart- oder sportdisziplinspezifische) Talente unterscheiden“ (Ebd.). In dieser Arbeit nimmt das sportdisziplinspezifische Talent eine entscheidende Rolle ein, da in den folgenden Kapiteln das Fußballtalent im Blickpunkt des Interesses stehen wird.

Von CARL wird weiterhin berücksichtigt, dass sich die Kinder und Jugendlichen auf unterschiedlichen Leistungsniveaus bewegen. Die Relativierung der Bewertung des sportlichen Talents wird von ihm an folgendem Beispiel verdeutlicht:

Ein Schüler, der innerhalb seines Klassenverbandes als sportliches Talent angesehen wird, muss nicht auch für die Vereinstrainingsgruppe oder den Verbandskader als Talent gelten, denn die Kriterien, die etwa auf der Ebene der Schulklasse zur Bewertung eines Talents herangezogen werden, sind andere als auf der Ebene von Auswahlmaßnahmen (vgl. 1988, S. 13).

Demnach muss nach CARL in der Talentthematik zwischen einem Sporttalent und einem Spitzensporttalent unterschieden werden:

„Ein Talent für den Spitzensport (Spitzensporttalent) ist eine sich noch in der Entwicklung zur Höchstleistungsfähigkeit befindende Person, von der man aufgrund bisher erbrachter sportlicher Leistungen oder diagnostizierter personinterner Leistungsbedingungen begründet annimmt, dass sie, falls sie sich einem nach neuesten Erkenntnissen durchgeführten Training unterzieht und unter leistungsfördernden Umweltbedingungen aufwächst, im Höchstleistungsalter in einer Sportart/Sportdisziplin ein Leistungsniveau erreichen kann, das größte sportliche Erfolge ermöglicht“ (1988, S. 13).

2.1.1 Statischer Talentbegriff

Im Gegensatz zu CARL nimmt JOCH in der Talentdiskussion eine Unterscheidung zwischen einem statischen und einem dynamischen Talentbegriff vor.

Zum statischen Talentbegriff zählen vier Begriffe, die als Voraussetzung einer Talentdefinition gelten können und die Zustandsebene eines Talents charakterisieren. Es sind nach JOCH die

- Dispositionen, die das Können betonen,
- Bereitschaft, die das Wollen hervorhebt,
- soziales Umfeld, das die Möglichkeiten bestimmt und
- Resultate, die das wirklich erreichte (Leistungs-)Ergebnis dokumentieren.

In diesem Zusammenhang ist es zwar relativ bedeutungslos, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen wirksam werden, die Aufmerksamkeit liegt allerdings im frühen Kindes- und Jugendalter (vgl. 1997, S. 90).

Unter Dispositionen sind individuelle Voraussetzungen somatischer (körperlicher), psychischer und motorischer Art zu verstehen, die für das Erreichen von hohen sportlichen Leistungen benötigt werden. Im Kontext mit der Disposition, hohe sportliche Leistungen vollbringen zu können, gehört für JOCH zur Definition des Talentbegriffs auch die Bereitschaft, derartige Leistungen vollbringen zu wollen und dafür die notwendigen Investitionen zu unternehmen. Die Entfaltung des sportlichen Talents ist davon abhängig, welche Umwelteinflüsse auf das Talent einwirken. Das Individuum ist daran gebunden, in welcher sozialen Umwelt es aufwächst und lebt, wie groß die Akzeptanz ist, das Talent zu würdigen und es als förderungswürdig anzuerkennen. Für JOCH ist es eindeutig, dass ein Talent zudem Leistungsresultate hervorbringt, die mindestens über dem Durchschnitt liegen. Ein Talent ohne Leistung kann es somit nicht geben (vgl. 1997, S. 90-93). Daraus ergibt sich für JOCH eine Talentdefinition, die eher die statischen Komponenten betont:

„Als (sportliches) Talent kann eine Person bezeichnet werden, die über (vorwiegend genetisch bedingte) Dispositionen zum Erreichen von hohen sportlichen Leistungen verfügt, die Bereitschaft mitbringt, solche Leistungen auch zu vollbringen, die Möglichkeiten dafür in der sozialen Umwelt vorfindet und letztlich mit den erzielten Leistungsresultaten den Eignungsnachweis dokumentiert“ (1997, S. 93).

2.1.2 Dynamischer Talentbegriff

Der dynamische Aspekt verweist auf den Prozesscharakter und auf den Entwicklungsvorgang, der ein erweitertes Talentverständnis dokumentiert. Die perspektivische Komponente besitzt also in der Diskussion des Talentbegriffs eine besondere Bedeutung (vgl. Kap. 3.1.1). Die mögliche Endleistung eines Individuums ist das Ziel der Talentförderung. Unter Berücksichtigung des Entwicklungsaspekts wird der dynamische Talentbegriff von JOCH wie folgt definiert:

„Talententwicklung ist ein aktiver, pädagogisch begleiteter Veränderungsprozess, der intentional durch Training gesteuert wird und das Fundament für ein später zu erreichendes hohes (sportliches) Leistungsniveau bildet“ (1997, S. 94).

JOCH stellt dazu drei Bestimmungskriterien heraus: den aktiven Veränderungsprozess, die Steuerung durch Training und die pädagogische Begleitung. Der aktive Veränderungsprozess umfasst alle Bereiche der Persönlichkeit gleichermaßen. Allerdings verläuft die Ausprägung in einer unterschiedlichen Intensität. Der Veränderungsprozess bezieht sich im Rahmen der Thematik über das Sporttalent insbesondere auf die Motorik und die sportliche Leistungsentwicklung. Nach diesem Definitionsansatz ist ausgeschlossen, dass möglichst wenig in den Entwicklungsprozess eingewirkt wird, so dass sich ein Talent fast von alleine weiterentwickelt (vgl. 1997, S. 94-95).

„Die Talentförderung ist keine primär pädagogische Veranstaltung. Aber sie sollte, weil die Adressatengruppen Kinder und Jugendliche sind, pädagogisch begleitet werden“ (Ebd., S. 353). Die Talentförderung, die in der Regel mit Kindern durchgeführt wird, braucht Pädagogik mit dem Verständnis, dass Wettkampf und Leistung im Sport positive Werte darstellen (vgl. u.a. Jugendfußballmodell der Schweiz; PFEIFER 2000c, S. 13-14). Weiterhin müssen Anstrengungsbereitschaft, Zielstrebigkeit und Dauerhaftigkeit erstrebenswert sein. Mit pädagogischen Ansprüchen muss zudem vereinbar sein, dass Talentfördertraining individuelle Grenzerfahrungen, Erfolgsstreben und Leistungsfähigkeit beinhaltet (vgl. JOCH 1997, S. 95-96).

Die Talentdefinition nach JOCH benennt zwei Komponenten, eine statische und eine dynamische. Beide gehören zusammen und bedingen einander. Zusammenfassend ergibt sich eine Definition, die er als vollständige Talentdefinition bezeichnet:

„Talent besitzt, oder: ein Talent ist, wer auf der Grundlage von Dispositionen, Leistungsbereitschaft und den Möglichkeiten der realen Lebensumwelt über dem Altersdurchschnitt liegende (möglichst im Wettkampf nachgewiesene) entwicklungsfähige Leistungsresultate erzielt, die das Ergebnis eines aktiven, pädagogisch begleiteten und intentional durch Training gesteuerten Veränderungsprozesses darstellen, der auf ein später zu erreichendes hohes (sportliches) Leistungsniveau zielstrebig ausgerichtet ist“ (1997, S.97).

Gerade aus den Ausführungen von JOCH zum Talentbegriff wird deutlich, dass es erforderlich ist, zur Bestimmung eines Talents viele unterschiedliche Kriterien zu berücksichtigen (vgl. Kap. 4.1.1). Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt im Fußballsport. Deshalb wird im nächsten Gliederungspunkt ausgeführt, welche sportartspezifischen Merkmale ein Fußballtalent auszeichnen.

2.2 Fußballtalent

Der Fußballsport gehört zu der großen Gruppe der Sportspiele, die sich deutlich von anderen Sportarten abgrenzen lassen. Sportspiele stellen aufgrund ihrer komplexen Struktur eine besondere Anforderungskonstellation dar. Zu ihrer Bewältigung und Gestaltung bedarf es spezieller Fähigkeiten und Fertigkeiten, die besonders im Leistungs- und Spitzensport erforderlich sind. Demgemäß lässt sich nach HAGEDORN das Sportspiel-Talent für den Leistungs- und Spitzensport wie folgt bestimmen:

„Ein Talent für Sportspiele im Leistungs- und Spitzensport ist durch Anlagen und wird durch Umfeldbedingungen befähigt, die besonderen Anforderungen der Sportspiele und eines besonderen Sportspiels in überdurchschnittlichem Maße zu bewältigen und selber mitzugestalten. Überdurchschnittlich sind dabei die Anstrengungsbereitschaft, das Lerntempo, die motorische Aktivität, die spielsituativen Wahrnehmungs- und Endscheidungsleistungen sowie der spielerische Einfallsreichtum“ (1999, S. 191).

Sportartspezifisch stellt sich nun die Frage, welche leistungsbestimmenden Faktoren ein Fußballtalent besitzen sollte bzw. wie ein solches zu definieren ist. In der vorhandenen aktuellen sportwissenschaftlichen Literatur lassen sich nur Merkmalsauflistungen finden. Auch im Bereich des Deutschen Fußballbundes (DFB) und des Niedersächsischen Fußballverbandes (NFV) ist mir in persönlich geführten Gesprächen mit Herrn Rutemöller, dem Chefausbilder des DFB (vgl. Anhang Mündl. Auskunft 2001a), Herrn Barutta, dem verantwortlichen Leiter der Jugendausbildung beim DFB (vgl. Anhang Mündl. Auskunft 2001b) und Herrn Hartwig, Verbandssportlehrer des NFV (vgl. Anhang Mündl. Auskunft 2001c) bestätigt worden, dass keine entsprechende Literatur beim DFB und NFV zur Verfügung steht.

Zur Charakterisierung eines Fußballtalents haben GERISCH/RUTEMÖLLER einen Katalog aufgestellt, der die Merkmale bzw. Merkmalsbereiche zur Talentbestimmung aufzeigt:

a) Körperliche (konditionelle) Merkmale:

- Konstitution (anthropometrische Voraussetzungen)
- Motorische Grundeigenschaften
- Kraft
- Schnelligkeit
- Ausdauer
- Beweglichkeit

b) Motorische (spieltechnische) Merkmale:

- Motorische Lernfähigkeit
- Koordination (Gewandtheit, Geschicklichkeit)
- Ballgefühl
- Balltechniken

c) Kognitive (spieltaktische) Fertigkeiten:

- Allgemeine Intelligenz
- Spielintelligenz
- Wahrnehmungsfähigkeit
- Raum-Zeit-Gefühl
- Peripheres Sehen
- Konzentrationsfähigkeit
- Antizipationsfähigkeit

d) Psychische (motivationale) Merkmale:

- Motivationsstruktur
- Leistungsmotivation im Zusammenhang mit anderen Persönlichkeitsdispositionen

- Anspruchsniveau
- Selbstbewusstsein
- Zielstrebigkeit
- Einsatzfreude
- Kampfbereitschaft
- Psychische Stabilität (vgl. 1989, S. 274-275)

Diese Aufzählung der Talentbestimmungskriterien beansprucht keine Vollständigkeit. Sie dient der Orientierung bei der Talentsuche und -sichtung (vgl. Kap. 3.1). Die kognitiven Leistungsvoraussetzungen, wie unter c) aufgeführt, umfassen die Fähigkeit der Informationsaufnahme, -verarbeitung, -speicherung und -umsetzung, also das Spektrum an Eigenschaften wie Kreativität, Spielwitz und Antizipation. Der Begriff „Spielintelligenz“ fasst diesen Bereich zusammen (vgl. ebd., S. 273-275).

Da bislang nur wenige fundierte wissenschaftliche Aussagen zur Bestimmung eines Fußballtalents vorliegen (vgl. Kap. 4.1.1), sind die Praktiker in den Verbänden und Vereinen auf eigene pragmatische Entscheidungen angewiesen. Im Folgenden ist zu klären, wie die Talentauswahl, -sichtung, -erkennung und -förderung im Fußball praktiziert wird und welche wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Unterstützung vorhanden sind.

3 Abgrenzung der Kernbegriffe

Wie im vorherigen Kapitel bereits dargestellt, ist weder in der sportwissenschaftlichen Literatur noch in Publikationen der Sportverbände eine einheitliche Definition des Talentbegriffs zu erkennen. Daher verwundert es nicht weiter, wenn in der Talentthematik identische Begriffe mit unterschiedlichen Inhalten versehen werden. Die einzelnen Sportverbände haben eine eigene Sprachregelung entwickelt. Diese Tatsache ist mir von Herrn Prof. Dr. Winfried Joch in einem persönlichen Gespräch bestätigt worden (vgl. Anhang Mündl. Auskunft 2001d).

Für JOCH ist der zentrale Begriff der Talentthematik derjenige der Talentförderung. Begründet wird dies dadurch, dass die Talentsuche, -erkennung, -auswahl und -bewahrung ihre praktische Wirksamkeit, ihre besondere Qualität und inhaltliche Bedeutung erst im Zusammenhang mit dem Förderaspekt erhalten. Dabei spielt das Talentfördertraining eine entscheidende Rolle. Erst in dem langfristig orientierten Trainingsprozess erscheint es möglich, Talente zu sichten, erkennen und auszuwählen (vgl. 1997, S. 343).

Ein Unterschied hierzu lässt sich bei den Ausführungen von GERISCH/RUTEMÖLLER feststellen, die eher der verbandlichen Sprachregelung zuzuordnen sind. Hier sind die Talentbestimmung und die Talentauswahl die Säulen, von denen die Talentsuche, Talentsichtung und Talentförderung ausgehen. Die Talentauswahl (vgl. Kap. 3.2) behandelt die Frage, mit welchen Verfahren die Ausprägung der sportartspezifischen Voraussetzungen der bestimmten Talente ermittelt werden soll. Im Mittelpunkt des Interesses stehen bei der Talentsuche und -sichtung in erster Linie die organisatorischen Maßnahmen, während die sportliche und pädagogisch-psychologische Betreuung der erfassten Talente den Kern der Talentförderung bilden (vgl. 1986, S. 272).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass kein Begriff der Talentthematik isoliert für sich steht, sondern dass sie alle einander bedingen und nur verknüpft miteinander betrachtet werden dürfen. Im Folgenden wird auf die für mich entscheidenden Elemente bzw. Merkmale der einzelnen Talentbegriffe eingegangen. Zudem wird versucht, eine inhaltliche Beziehung zum Fußballsport herzustellen.

3.1 Talentsichtung

In der sportwissenschaftlichen Literatur werden die Begriffe Talentsuche und -sichtung von Wissenschaftlern wie CARL synonym verwendet. Diesem schließe ich mich in den weiteren Ausführungen an. CARL definiert als Talentsuche alle Maßnahmen, „die mit dem Ziel durchgeführt werden, eine hinreichend große Anzahl von Personen (in der Regel Kinder oder Jugendliche) zu finden, die zur Aufnahme einer Allgemeinen Grundausbildung oder eines (sportartspezifischen) Nachwuchstrainings bereit sind“ (1988, S. 17).

An Möglichkeiten einer systematischen Talentsuche können nach CARL unterschieden werden:

- Sichtung über Sportzensur
- Auswertung schulischer Wettkämpfe
- Spezielle Sichtungswettkämpfe der Vereine und Verbände
- Sichtung über standardisierte Tests
- Subjektive Beobachtung sporttreibender Kinder und Jugendliche durch Lehrer, Übungsleiter und Trainer

Welche dieser Maßnahmen unter welchen Bedingungen am effektivsten sind, darüber gibt es bisher keine wissenschaftlich abgesicherten Erfahrungen (vgl. 1988, S. 18).

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es wegen der Autonomie der Sportvereine und –verbände kein abgestimmtes System der Talentsuche. Dagegen wurde in der ehemaligen DDR seit Mitte der siebziger Jahre eine einheitliche und umfassende Talentsuche bei den Kindern des 1. und 3. Schuljahres durchgeführt (vgl. Kap. 4.2).

Der Zeitpunkt der Talentsuche bzw. –sichtung kann sportartspezifisch sehr unterschiedlich sein. Er wird vor allem bestimmt durch die Anforderungen an sportliche Höchstleistungen und die damit verbundene Struktur des Nachwuchstrainings, durch die entwicklungsspezifischen Besonderheiten und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Heranwachsenden (vgl. RÖTHIG 1992, S. 497).

Eine Talentsichtung ist die organisatorische Maßnahme, in der Talente erkannt werden sollen. Wie im nächsten Kapitel aufgeführt, dienen bei einer zu sichtenden Person neben den aktuellen Fähigkeiten in entscheidendem Maß die Entwicklungsmöglichkeiten als Sichtungskriterium.

3.1.1 Talenterkennung und -prognose

Die auf den ersten Blick plausibelste Strategie der Erkennung von Talenten bezieht sich auf ein überdurchschnittliches und auffälliges Leistungsvermögen. Dieses Kriterium ist mit begründeter Skepsis zu bewerten, denn im Vordergrund des Interesses steht eine mögliche hohe Endleistung. Der Beziehungszusammenhang zwischen der Anfangs- und der Endleistung ist geringer als zu vermuten wäre (vgl. JOCH 1997, S. 62). Dieser Sachverhalt lässt sich anhand von verschiedenen Untersuchungen belegen (vgl. COMI 1985, S. 1211-1214; vgl. FEIGE 1973 u. 1978; vgl. JOCH 2000b, S. 26-31; vgl. WITT 1970, S. 593). Der Veränderungsprozess und damit die Talentperspektive und -prognose ist die tragende Säule der Talentförderung (vgl. JOCH 1997, S. 344). Unter Talentprognose „wird im Spitzensport die begründete Vorhersage des individuell erreichbaren höchstmöglichen Erfolges in einer Sportart/Sportdisziplin bezeichnet“ (RÖTHIG 1992, S. 496).

Der Entwicklungs- und Prozesscharakter muss also bei der Talentdiagnostik (vgl. Kap. 3.1.2). Berücksichtigung finden. In der Praxis, speziell auch im Fußballsport, bezieht sich die Talentdiagnostik allerdings oftmals auf einen Sichtungspunkt oder ein Sichtungsereignis, wie es ein Test oder eine Wettkampfbeobachtung sein können. Hierbei bleibt der perspektivische Charakter der Talentthematik unberücksichtigt. Aus diesem Grund ist die punktuelle Fixierung auf ein Ereignis für die Talenterkennung relativ bedeutungslos. Erst die Integration der Talenterkennung in Maßnahmen der Talentförderung, die langfristig geplant und trainingsmäßig organisiert sind, gewährleistet eine hinreichende Diagnosesicherheit. Talenterkennung ist damit von Talentförderung nicht zu trennen (vgl. JOCH 1997, S. 64-65).

3.1.2 Leistungsdiagnostik im Fußball

„Leistungsdiagnostik beinhaltet das Erkennen und Benennen des individuellen Niveaus der Komponenten einer sportlichen Leistung oder eines sportlichen Leistungszustandes“ (RÖTHIG 1992, S. 277).

Die Leistungsdiagnostik stellt zusammen mit der Trainingsplanung die entscheidende Voraussetzung für die Trainingssteuerung dar. An leistungsdiagnostischen Verfahren können unterschieden werden:

- Befragung, Interview
- Beobachtung (durch Trainer/Berater; mit Dokumentation, Raster, Video/Film, Computer u.ä.)
- Sportmotorische Tests
- Sportpsychologische Verfahren
- Sportmedizinische (kardiologische, physiologische und biochemische) Verfahren
- Funktionell-anatomische Verfahren
- Biomechanische Verfahren

(vgl. WEINECK 1997, S. 51)

Bei der Durchführung von leistungsdiagnostischen Tests ist zum einen auf entsprechende Gütekriterien, zum anderen auf ihre Durchführbarkeit zu achten. Unter den Aspekt der Durchführbarkeit fallen die Praktikabilität, der organisatorische Aufwand und die eventuell anfallenden Kosten. Aus sportwissenschaftlicher Sicht wird zwischen Hauptgütekriterien (Exaktheitskriterien) und Nebengütekriterien unterschieden. Nebengütekriterien sind vor allem bezüglich der praktischen Umsetzbarkeit von Bedeutung.

Hauptgütekriterien:

- Die Gültigkeit (Validität) eines Tests gibt an, in welchem Ausmaß er wirklich das erfasst, was er entsprechend seiner Fragestellung erfassen soll.
- Die Zuverlässigkeit (Reliabilität) eines Tests gibt den Grad der Genauigkeit an, mit der das entsprechende Merkmal gemessen wird (Messgenauigkeit).
- Die Objektivität eines Tests drückt den Grad der Unabhängigkeit der Testleistung von der Person des Untersuchers, des Auswerters und des Beurteilers aus.

Nebengütekriterien:

- Ökonomie (Wirtschaftlichkeit)
- Normiertheit
- Nützlichkeit
- Vergleichbarkeit

(vgl. WEINECK 1997, S. 51-52)

Bei der Leistungsdiagnostik, auch als Leistungskontrolle bezeichnet, wird in eine direkte und indirekte unterschieden. Als direkte Leistungskontrolle wird dabei die Registrierung der komplexen sportlichen Leistung bzw. deren interessierende Merkmale in Verbindung mit einem Wettkampf bezeichnet. Unter indirekter Leistungskontrolle wird hingegen die Registrierung einzelner Leistungskomponenten verstanden, die während der Trainingszeit oder zusätzlich zum Training in speziellen Situationen (mit besonderen Aufgabenstellungen) erhoben werden (vgl. GROSSER/NEUMAIER 1988, S. 20).

Die aufgeführte Tabelle zeigt die Möglichkeiten der direkten und indirekten Leistungskontrolle am Beispiel des Fußballspiels.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Darstellung 1:

Übersicht zu Möglichkeiten der direkten und indirekten Leistungskontrolle im Fußball

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an GROSSER/NEUMAIER 1988, S.22)

3.1.3 Eigene Stellungnahme

Die Talentsichtungsmaßnahmen im Fußball werden von mir sehr genau beobachtet, denn aus ehemaligen praktischen Erfahrungen als Spieler habe ich ein großes Interesse an diesem Thema und als aktueller DFB-Stützpunkttrainer beschäftige ich mich wöchentlich mit diesem Themengebiet.

Aus meinen Erfahrungen heraus ist festzustellen, dass die Maßnahmen der Talentsichtung des NFV und DFB zu einem hohen Anteil punktuelle, auf ein Ereignis beschränkte Sichtungsaktivitäten sind. Dazu dienen extra für die Sichtung durchgeführte Beobachtungsturniere wie der „Tag des Talents“ (vgl. Kap. 5.2.1) und später Spiele von Auswahlmannschaften oder höherklassig spielenden Vereinsmannschaften. Das Vereinstraining stellt die Basis für alle Nachwuchsmaßnahmen da. Nicht in allen Vereinen sind Vereinstrainer mit einem fundierten Wissen über den Jugendfußball tätig. Leider wird viel zu oft nur das Erwachsenentraining auf das Jugendtraining kopiert. Daher eröffnet erst der Eintritt in das Talentjugendfördertraining des DFB (vgl. Kap. 6) oder die Berufung in die Juniorenniedersachsenauswahl (vgl. Kap. 5) den als talentiert geltenden Fußballern die Möglichkeit des intensiven und gezielt ausgerichteten Trainings. Aber auch viele Kreisauswahltrainer bieten ein regelmäßiges Training für die jeweiligen Talente des Kreises an. Dieses geschieht aber von Kreis zu Kreis in einer unterschiedlichen Regelmäßigkeit und ist somit sehr stark vom persönlichen Engagement der im Kreis zuständigen Trainer abhängig. Nur im regelmäßigen Trainingsprozess kann meines Erachtens die Entwicklung der Jugendlichen wesentlich besser als bei punktuellen Sichtungen beobachtet und gefördert werden. Leistungssteigerungen sind bei den ausgewählten Spielern zwar stetig zu erkennen, aber die Entwicklungsphasen jedes einzelnen sind sehr unterschiedlich. Das ist neben der Leistungsbereitschaft und dem Lernvermögen auch auf die unterschiedliche körperliche Entwicklung zurückzuführen. Während einige Spieler bereits früh entwickelt (akzeleriert) sind, steht anderen der Wachstumsschub noch bevor, es wird hier von Retardierten gesprochen. Die Gefahr, dass bei der Talentsichtung, speziell wenn es um ein punktuelles Sichtungsereignis geht, motorische Begabung mit Akzeleration verwechselt wird, darf nach meinem Verständnis nicht unterschätzt werden, denn dann würden nicht die förderungswürdigsten Talente in die Talentförderprogramme aufgenommen werden (vgl. Kap. 4.2).

[...]

Ende der Leseprobe aus 79 Seiten

Details

Titel
Talenterkennung und Talentförderung im Fußballsport
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
79
Katalognummer
V18275
ISBN (eBook)
9783638226585
ISBN (Buch)
9783638698986
Dateigröße
4358 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Talenterkennung, Talentförderung, Untersucht, Beispiel, Fußballsports
Arbeit zitieren
Mirko Friedrich (Autor:in), 2001, Talenterkennung und Talentförderung im Fußballsport, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18275

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