„Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! […]“ (Ex 20,4-20,5)
Im frühen Mittelalter wurde das zweite Gebot des Alten Testaments als Verurteilung der heidnischen Götzenanbetung gesehen, damit einher ging eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Ablehnung naturalistischer, vor allem plastischer Darstellungen des menschlichen Körpers . Ab dem späten 11. Jh. vollzog sich jedoch ein Wandel dieses Verständnisses, der nicht zuletzt in der neuartigen Verwendung der Grabplastik, zum Ausdruck kam . In vielen Kirchen Europas wurden Grabplatten mit dem Abbild des Verstorbenen horizontal, teilweise direkt über seiner eigentlichen Begräbnisstätte, angebracht. Diese in etwa lebensgroßen Liegefiguren werfen für die moderne Forschung ganz neue Fragen nach den Vorstellungen der Menschen in der Zeit des Mittelalters auf, besonders in Bezug auf das Verständnis von Tod und Jenseits. Mit den lebensgroßen Liegefiguren konnten geistliche und weltliche Herrscher sich ein Andenken für die Ewigkeit schaffen, welches sie bis in die heutige Zeit gegenwärtig scheinen lässt. Besucht ein Mensch des 21. Jh. beispielsweise den Braunschweiger Dom, wird ihm kaum das Grabmal Heinrichs des Löwen entgehen, im besten Fall hat er nun die Person Heinrichs in seinem Gedächtnis verewigt. Ohne das steinerne Bildnis auf der Grabplatte wäre das kaum denkbar.
Nach einer kurzen Ausführung über die Entstehung der Liegefigur, möchte ich die Entwicklung vom 11. bis zum 13. Jh. anhand von vier bezeichnenden Grabmälern nachzeichnen und anschließend erläutern, welche Konflikte sich daraus in kunstgeschichtlicher Hinsicht ergeben, sowie, inwiefern diese mit den im Mittelalter vorherrschenden Vorstellungen des irdischen und jenseitigen Lebens zu klären sind.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Entstehung und Ursprünge
2.1. Der Weg zur Grabplatte
2.2. Vom Relief zur Skulptur
2.3. Vorbilder der Liegefigur
3. Darstellungsformen
3.1. Rudolf von Schwaben im Merseburger Dom
3.2. Friedrich von Wettin
3.3. Heinrich der Löwe
3.4. Siegried III. von Eppstein
4. Formkonflikte und Jenseitsvorstellungen
5. Was bleibt?
6. Quellen und Literaturverzeichnis
6.1. Quellen
6.2. Literatur
1. Einleitung
„Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! […]“ (Ex 20,4-20,5)
Im frühen Mittelalter wurde das zweite Gebot des Alten Testaments als Verurteilung der heidnischen Götzenanbetung gesehen, damit einher ging eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Ablehnung naturalistischer, vor allem plastischer Darstellungen des menschlichen Körpers[1]. Ab dem späten 11. Jh. vollzog sich jedoch ein Wandel dieses Verständnisses, der nicht zuletzt in der neuartigen Verwendung der Grabplastik, zum Ausdruck kam[2]. In vielen Kirchen Europas wurden Grabplatten mit dem Abbild des Verstorbenen horizontal, teilweise direkt über seiner eigentlichen Begräbnisstätte, angebracht. Diese in etwa lebensgroßen Liegefiguren werfen für die moderne Forschung ganz neue Fragen nach den Vorstellungen der Menschen in der Zeit des Mittelalters auf, besonders in Bezug auf das Verständnis von Tod und Jenseits. Mit den lebensgroßen Liegefiguren konnten geistliche und weltliche Herrscher sich ein Andenken für die Ewigkeit schaffen, welches sie bis in die heutige Zeit gegenwärtig scheinen lässt. Besucht ein Mensch des 21. Jh. beispielsweise den Braunschweiger Dom, wird ihm kaum das Grabmal Heinrichs des Löwen entgehen, im besten Fall hat er nun die Person Heinrichs in seinem Gedächtnis verewigt. Ohne das steinerne Bildnis auf der Grabplatte wäre das kaum denkbar.
Nach einer kurzen Ausführung über die Entstehung der Liegefigur, möchte ich die Entwicklung vom 11. bis zum 13. Jh. anhand von vier bezeichnenden Grabmälern nachzeichnen und anschließend erläutern, welche Konflikte sich daraus in kunstgeschichtlicher Hinsicht ergeben, sowie, inwiefern diese mit den im Mittelalter vorherrschenden Vorstellungen des irdischen und jenseitigen Lebens zu klären sind.
2. Entstehung und Ursprünge
2.1. Der Weg zur Grabplatte
Zunächst muss erwähnt werden, dass mit dem Christentum auch der Wunsch der Gläubigen wuchs, in einer Kirche bestattet zu werden, dies blieb jedoch selbstverständlich nur hohen, kirchlichen Würdenträgern und später auch weltlichen Herrschern zuteil[3].
Ab dem 4. Jh. durften, gemäß der christlichen Lehre, Verstorbene nicht mehr in Sarkophagen über der Erde bestattet werden[4], stattdessen erfolgte die Beisetzung in einer Krypta unter der Kirche, darüber wurde dann in vielen Fällen im Inneren der Kirche eine Tumba aufgestellt. Bis ins 11. Jh. hatten die Tumben meist die Form eines Sarkophages mit einem spitz zulaufenden Dach und waren mit zahlreichen Reliefs und Inschriften verziert. Im fortgeschrittenen Mittelalter zeigte sich an Stelle des Spitzdaches nun immer häufiger eine solide Grabplatte als Dach der Tumba. Einige Grabplatten wurden ursprünglich auch direkt in den Boden eingelassen, später dann aber meist herausgehoben und erhöht angelegt oder sogar an der Wand angebracht. Grabplatten mit Inschriften oder Symbolen gab es bereits im frühen Mittelalter, sie waren an verschiedenen Stellen in den Kirchen angebracht und mussten sich nicht zwingend in direkter Nähe zum Aufbewahrungsort des Leichnams befinden. Die großformatigen Grabplatten, die plastische Abbildungen des Verstorbenen zeigten und häufig unmittelbar über der Begräbnisstätte angebracht waren, zeigten eine ganz neue Form des christlichen Grabmals.
2.2. Vom Relief zur Skulptur
Die frühen Liegefiguren waren sehr flache Reliefs, die eher an Buchmalereien als an Skulpturen erinnern, meist aus Bronze gefertigt und mit Edelsteinen besetzt. Im Laufe des 12. Jh. wurden die Grabplatten dann häufig auch aus Stein oder Marmor gearbeitet, die Grabplastiken wurden immer figürlicher und schienen später kaum noch mit der Grabplatte verbunden zu sein. Die anfängliche Zurückhaltung in der Ausarbeitung des Abbildes könnte in der eingangs erwähnten Bibelstelle aus dem 2. Buch Mose begründet sein. Die zu deutliche Ausprägung und naturalistische Darstellungsweise mag den heidnischen Statuen der Götter zu ähnlich gewesen sein. Die Abgrenzung verdeutlichte, dass diese Art Abbild viel mehr zum Andenken als zur Anbetung geschaffen wurde.
2.3. Vorbilder der Liegefigur
Über die Ursprünge der Liegefigur auf mittelalterlichen Grabmälern ist in der Forschung eifrig diskutiert worden. Das früheste bekannte Grabmal dieser Art entstand im Jahr 1080 in Merseburg, etwas Vergleichbares ist für die Zeit vor 1080 weder in Deutschland noch in Frankreich nachzuweisen. Erwin Panofsky verweist auf die frühchristlichen Bodenmosaiken über Gräbern in Nordafrika und meint, diese ganzfigürlichen Darstellungen seien über Spanien nach Nordwesteuropa gelangt und könnten somit als Ursprung der Liegefigur gelten[5]. Kurt Bauch hingegen spricht sich dagegen aus, die zeitliche und geographische Distanz sei zu groß, um eine eindeutige Verbindung herzustellen. Bauch erläutert die Ähnlichkeit zu den römischen und etruskischen Sarkophagen, räumt aber ein, dass diese nur in Italien zu sehen wären[6]. Hans Körner hält Bauchs wie Panofskys These für unwahrscheinlich, da auch Bauch den zeitlichen Abstand außer Acht lässt, des Weiteren setzte die mittelalterliche Grabplastik gerade in Italien erst im 12. Jh. ein. Körner meint, dass die figürlichen, römischen Grabstelen noch zahlreich in den ehemaligen, nördlichen und westlichen Provinzen des Römischen Reichs vorhanden waren und der Liegefigur am Nahesten kamen[7]. Nach Körner ist also nicht zwingend notwendig, dass die Liegefigur ihr Vorbild in einer waagerechten Darstellung haben muss, somit wäre die aufrechte Darstellung auf den Grabstelen einfach auf die horizontale Platte übertragen worden. Wobei Körner den zeitlichen Abstand auch hier wieder als problematisch ansieht, zwar führt er einige mögliche Beispiele als Zwischenstufen an, wie die Grabstele der Bonner Kasernenstraße aus dem 7. Jh. , des Weiteren erläutert er, dass es Hinweise auf byzantinische Grabstelen im 10. Jh. gäbe, welche allerdings nicht erhalten seien[8]. Zu einer befriedigenden Lösung ist die Forschung bisher nicht gekommen, die seit dem 11. Jh. gefertigten, lebensgroßen Abbilder auf Grabmälern unterscheiden sich doch in zu vielen Aspekten von den möglichen Vorbildern. Philippe Ariès spricht sich deshalb dafür aus, dass die horizontalen Grabplatten überhaupt keinen Vorbildern zuzuordnen seien, sondern sich eher aus den Veränderungen, die mit der christlichen Religion einhergingen, entwickelten, wie die Bestattung unter der Erde[9].
[...]
[1] Vgl. Assmann, J. S.119. Ausführliche Angaben sind, soweit nicht anders angegeben, jeweils dem Literaturverzeichnis zu entnehmen.
[2] A. Reinle, 'Grab, -formen, -mal, c. Ikonographie', in Lexikon des Mittelalters, 10 vols (Stuttgart: Metzler, [1977]-1999), vol. 4, cols 1624-1627, in Brepolis Medieval Encyclopaedias - Lexikon des Mittelalters Online)
[3] Vgl. Panofsky S.51
[4] „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.“ (Gen. 3,19)
[5] Vgl. Panofsky S.55
[6] Vgl. Bauch S.353
[7] Vgl. Körner S.101
[8] Vgl. Körner S.106
[9] Vgl. Ariès S.307
- Arbeit zitieren
- Stefanie Begerow (Autor:in), 2010, Mittelalterliche Grabplastik des 11. bis 13 Jh.: Die Liegefigur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/182771
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