Leseprobe
Gliederung
I. Einleitung
II. Begriff der Jugend
III. sozial / geschichtlicher Hintergrund
1. Jeunesse dorée
2. Die Generation der Jugendbewegung
3. Die Generation der politischen Jugend
4. Jugend zwischen den Ideologien
5. Zusammenbruch der Illusionen
IV. Die Jugend in Kriegs- und Nachkriegszeit
V. Die skeptische Generation
VI. Westdeutsche Jugend der Zeit nach 1945
VII.Vergleich der beiden dargestellten Jugenden
I. Einleitung
Die Studie von Helmut Schelsky „Die skeptische Generation“ und die Studie von Wilhelm Roessler „Jugend im Erziehungsfeld“, haben jeweils eine andere Darstellungsweise aus verschiedenen „wissenschaftlichen Räumen“.
Schelsky hat eine soziologische Studie verfasst, in der westdeutsche Jugendliche der Jahre 1945- 1955, vornehmlich die arbeitenden Jugendlichen, ihm das empirisches Material liefern, verfasst und Roessler einen erziehungswissenschaftlichen Beitrag, in dem er anhand von Selbstzeugnissen besonders die Schüler näher untersucht.
Im Folgenden werde ich zuerst auf die Vorworte bzw. die Einführungen eingehen, um die Ansatzpunkte beider Studien festzuhalten.
Schelsky versucht im Rückgriff auf eine Fülle jugendsoziologischer Studien, anhand des sich daraus ergebenden Materials, ein Gesamtbild der deutschen Jugend zu erstellen. Er beabsichtigt eine Synthese der empirischen Untersuchungen. Beeinflusst wird seine Arbeit zusätzlich durch viele, von ihm und seinen Mitarbeitern, bereits verfasste Studien. Die Aussagen, die er innerhalb der Studie gibt, werden grösstenteils anhand empirischer Ergebnisse belegt.
Jugendkriminalität und -verwahrlosung, sowie das sexuelle Verhalten der Jugendlichen, werden in Schelskys Arbeit ausgelassen oder nur am Rande erwähnt; zum einen aus Gründen des speziellen Themas, welches den Ansatzpunkt des Gesamtbildes verfälschen würde, und zum anderen durch wenig vorhandenes aufschlussreiches empirisches Material.
Pädagogische Aspekte werden bewusst vermieden.
Seine Studie ist eine Analyse der berufstätigen Jugendlichen zwischen 14-25 Jahren. „Weil uns der junge Arbeiter und Angestellte, und nicht der Oberschüler und Hochschüler, die strukturleitende und verhaltensprägende Figur dieser Jugendgeneration darzustellen scheint“. (Schelsky, Helmut: Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend. 1963. S. 8) Zeitlich und regional ist die Studie eingeschränkt. Interkultureller Vergleiche der Jugend werden fast gar nicht aufgegriffen, da die Gefahr der Überinterpretation als Außenstehender sehr groß ist. Daher beschränkt sich die Studie auf die westdeutsche Jugendgeneration.
Roesslers „[...] Plan zu der vorliegenden Arbeit erwuchs nach Ende des zweiten Weltkrieges aus der im unmittelbaren täglichen Umgang gewonnenen Einsicht, dass die in der Gegenwart Heranwachsenden nur noch sehr bedingt mit den überkommenen Anschauungen in ihrer Eigenart erfaßt werden können.“ (Roessler, Wilhelm: Jugend im Erziehungsfeld. Haltung und Verhalten der deutschen Jugend in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der westdeutschen Jugend der Gegenwart. 1957. S. 7)
Sein empirisches Material hat er zum einen in Schulen im Bereich Köln-Bonn, durch angeleitete Selbstzeugnisse erhoben und zum anderen, durch Rückgriff auf bereits vorhandenes Material aus der Schulabteilung im Kultusministerium, von Nordrhein-Westfalen ausgehend über alle Bundesländer ausgeweitet, bearbeitet. Die eigentliche Forschung konnte so, nach den Vorarbeiten 1948, im Institut für Erziehungswissenschaft an der Universität Bonn ab 1949 betrieben werden. Insgesamt kamen 19970 Selbstzeugnisse zustande, von 5018 Schülern und Schülerinnen im Alter von 10-20 Jahren, von denen 122 sechs Jahre und 25 fünf Jahre beobachtet wurden. „Die angeführten Dokumentationen sind bewußt so ausgewählt, daß einerseits die für den Durchschnitt bezeichnenden Einstellungen deutlich werden, und daß andererseits idealtypische Aussagen die Richtung der vorhandenen Tendenzen scharf profiliert hervortreten und die pädagogischen Möglichkeiten, welche sich bei der heutigen Situation ergeben, sichtbar werden lassen.“ (ebd. S. 504)
Die Ergebnisse werden in Form von kurzen Ausschnitten anonym widergegeben.
Hier sei noch angemerkt, dass auch diese Studie sich nur auf westdeutsche Jugendliche bezieht, da, seit der Trennung Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg, keine Materialien mehr vorhanden sind. Nur die Vorbedingungen, auf die noch näher eingegangen wird, können für ganz Deutschland gesehen werden.
II. Begriff der Jugend
Schelsky betont, dass es den Jugendlichen nicht gibt und zu einer Verallgemeinerung der Begriff stärker differenziert werden muss. Daher „gilt [es] also nur die Ebene der >mittleren Allgemeinheit< (Hegel) zu bestimmen, auf der diese Aussagen über den Jugendlichen gelten sollen und wissenschaftliche Wahrheit beanspruchen.“ (Schelsky S. 5)
Durch willkürliche Festlegung der Altersspanne, wird versucht die Jugend als ein festes Konstrukt allgemeingültig zu bestimmen. Somit wurde das Ende der Schulzeit gleichzeitig als Ende der Kindheit angesehen, was zu der Zeit um 1950 herum, das 14. bzw. 15. Lebensjahr betraf. Der Eintritt in das Berufsleben stellte die Schwelle dar.
Die psychologische Definition des Begriffes der Jugend geht von der Änderung des kindlichen Verhaltens, ausgelöst durch die Pubertät aus, hin zu einer Charakterverfestigung. „Vielleicht ist diese psychologische Definition der Spanne >Jugend< die umfassendste, da wir den Abschluß der spezifisch jugendlich-plastischen Charakterentwicklung heute im allgemeinen, insbesondere bei der männlichen Jugend, wohl bis an das Ende der 20er Lebensjahre verlegen müssen.“ (ebd. S.14) „Somit bedeutet der Begriff >Jugend< im soziologischen Sinne ...die Verhaltensphase des Men- schen, in der er nicht mehr die Rolle des Kindes spielt (dessen Leben sozial wesentlich innerhalb der Familie wurzelt oder von Institutionen gehalten wird, die wie Heime, Kindergarten, Elementar- schulen, Spielplatz usw. primär Familienersatz oder institutionell ausgeweiteter Familienraum sind) und in der er noch nicht die Rolle des Erwachsenen als vollgültigen Trägers der sozialen Institu- tionen, also z.B. der Familie, der Öffentlichkeit und politischen Ordnung, der Rechts- und Wirt- schaftsordnung usw. übernommen hat.“ (ebd. S. 15/16)
„Unsere soziologische Definition der >Jugend< bestätigt also nicht nur die Tatsache, daß in den verschiedenen Gesellschaften oder gar in den verschiedenen Epochen ein und derselben Gesell- schaft die soziale Rolle der Jugend nicht immer gleich ist, sondern erweitert diese Voraussetzung dahin, daß offensichtlich in den verschiedenen gesellschaftlichen Zuständen ein unterschiedlicher Grad der Ausgeprägtheit oder Selbständigkeit der sozialen Altersrollen besteht.“ (ebd. S. 19) Auch Roessler stellt aus der Fülle von Begriffsdefinitionen heraus, dass „...fast allen Bedeutungs- gehalten lediglich [gemeinsam bleibt, J.S.], daß Jugend einen bestimmten Abschnitt des menschlichen Werdens bezeichnet, der zwischen Kind- und Erwachsensein mit unscharfer Grenze nach unten und oben liegt.“ (Roessler S. 9/10)
Oft begegnet ihm auch eine Wertung welche den Begriff Jugend mit der >>Blüte des Lebens<< beschreibt. Darin schwingt eine Bandbreite an Interpretationen wie „Reinheit der Morgenfrühe“ oder eine gewisse Opferbereitschaft, die der Jugend von Außenstehenden angedichtet wird. Roessler distanziert sich von diesem Verständnis des Begriffs.
Er nimmt bei seiner Studie keine Alterszuordnung vor, da er diese als sehr problematisch ansieht, weil das geistige Niveau, unabhängig des Alters, varriieren kann.
Daher unterscheidet er nach Schulart, Schuljahr bzw. Lehrjahr und Geschlecht. Diese Unterschei- dung nimmt er jedoch erst ab dem Kapitel fünf vor, auf das noch näher eingegangen wird.
„Der Begriff Jugend bedeutet ... gleichzeitig ein Nichtmehr -nämlich Kindsein- und ein Noch- nicht - nämlich Erwachsensein. Jugend in diesem Sinne hat also keine eigentliche Selbständigkeit, bleibt aber dennoch als Lebensabschnitt unterscheidbar und beschreibbar.“ (ebd. S. 10) Roessler betont, dass der soziale Kontext hierbei nicht ausser acht gelassen werden darf, da zwischen den verschiedenen sozialen Hintergründen gleichzeitig auch der Begriff, auf welche >>Altersgruppe<< er sich bezieht, jeweils varriieren kann. Im Sinne von Spranger hat er in zwei allgemeinen Prinzipen festgehalten, dass es weder den männlichen Jugendlichen noch die weibliche Jugendliche gibt. Denn 1. ist „... die Seelenstruktur immer von der Umweltstruktur mitbestimmt ... und 2. ist „... der Rahmen für jede Schilderung einer Seelenart nicht ... : >>der Mensch in der Welt <<, sondern nur >>der Mensch in seiner Welt<<, d. h. der Mensch in der zu ihm gehörigen, mit ihm verwachsenen, ihm zunächst allein zugänglichen Sonderwelt.“ (ebd. S. 12)
So kann man abschliessend festhalten, dass beide Studien in der Begriffsdefinition recht deutlich übereinstimmen, und einen vom Sinngehalt her gleichen Begriff der Jugend bei ihren Untersuch - ungen zu Grunde legen. Da „der Ertrag eines jeden Wissenschaftszweiges, der sich mit dem Men - schen beschäftigt, ... jeweils der Ergänzung durch die Berücksichtigung der Ergebnisse anderer Zweige [bedarf, J.S.], die ebenfalls den Menschen zum Gegenstand haben, da jede wissenschaftliche Disziplin die menschlichen Phänomene immer nur in ihrer systemspezifischen Sicht erfaßt“ (ebd. S. 13), bilden die beiden Studien eine gute Ergänzung der jeweiligen Sichtweise.
III. Sozial / geschichtlicher Hintergrund
„Schon seit langem treten überkommene, früher von allen anerkannte, als verbindlich geltende Lebens- und Erziehungsnormen mehr und mehr zurück, und der erzieherische Umgang mit dem jungen Geschlecht kann sich nicht mehr so weitgehend wie noch vor den beiden Weltkriegen auf überlieferte Institutionen, Formen und Vorstellungen stützen, wenn bestimmte Erziehungsziele verwirklicht werden sollen.“ (Roessler S. 9)
Die Jugendlichen entwickeln ihr Selbstbild und ihr Verhalten immer im Kontext der Zeitgeschichte.
Durch die Kriegsjahre ist die für uns relevante Zeitgeschichte weitaus komplexer und wechsel- hafter gewesen, als für manch andere Generationen. „...erblicken wir in ihr aber nicht nur ein zeitgeschichtliches Geschehen von historischer Faktizität und Konkretheit, sondern eine Reihe von Lösungsversuchen der durch die epochale Sozialstruktur der Jugend gestellten Grundaufgabe der Verhaltensformierung, so können wir die wechselnden zeitgeschichtlichen Lagen und Handlungsformen der Jugend als eine strukturelle Entwicklungslinie und -tendenz in der Anpassung der Jugend an die moderne Gesellschaft begreifen.“ (Schelsky S. 46)
Die Gesellschaft ist seit ca. 150 Jahren in einer Phase der Umformung von einer „statischen zu einer dynamischen Sozialstruktur“ (ebd. S. 47). Diese Entwicklung wurde durch die beiden Weltkriege jedoch sehr stark beschleunigt, so dass sich die Gesellschaft um 1920 in einem Zustand der Mischung aus beidem befindet, d.h. im Alltag werden so Elemente aus beiden Strukturen vermischt. Die Kinder der Bauern, die sogenannte Landjugend, und die Kinder der Handwerker wuchsen bisher in die Lebens- und Arbeitswelt der Erwachsenen hinein, da Leben und Arbeit nicht räumlich getrennt wurden. So lebten die Lehrlinge oft bei ihrem Meister im Haus mit. In der Stadt allerdings ist die Entwicklung hin zu der etwas anonymeren Arbeitsweise, schon etwas länger im Gange, so dass bereits eine Art Schonraum für die Jugend auszumachen ist, der je nach sozialem Stand und Schulausbildung sich unterschiedlich äußert. Bis zum ersten Weltkrieg drang die Industrialisierung nur langsam in die traditionelle altbürgerliche Gesellschaft ein, und wurde eher als das „Moderne“ oder auch „Unnormale“ empfunden, so dass der Alltag noch nicht von ihr bestimmt wurde. Dieses Verhältnis hat sich nun gewandelt, „eine im wesentlichen industriell-bürokratische Gesellschaft wird in all ihren Lebensäußerungen vorwiegend von den dynamischen und abstrakten Strukturen des sozialen Geschehens her geformt und empfindet die statisch-vorindustriellen sozialen Kräfte und Verhältnisse - übrigens mit sehr verschiedener Bewertung - nur noch als Überbleibsel und Reste.“ (ebd. S. 48)
„Im Zuge der beschleunigten Bevölkerungsvermehrung und der wachsenden Industrialisierung beginnen sich auch Landschaft und Gesellschaft in erhöhtem Maße umzugestalten. Schon um die Jahrhundertwende lassen sich in einzelnen Bereichen Symptome, die wir als für die Großstadt charakteristisch bezeichneten, deutlich unterscheiden. Unter >>großstädtisch<< wird dabei u. a. eine Form des öffentlichen Lebens verstanden, die weniger durch überkommene Sitte und selbstverständlich geformtes Brauchtum geformt wird, als vielmehr durch eine rational durchdifferenzierte Organisation.“ (Roessler S. 89/90)
Sitte, Gebräuche und Gewohnheiten sind verbindliche Normen der Umwelt, die, ob bewusst oder unbewusst, das Verhalten sehr stark prägen. So wirken die Zeitgeschichte, wie auch diese Normen zusammen. Diese Umwelt ist teilweise von den vorherigen Generationen geschaffen geworden und kann dementsprechend auch beeinflusst und verändert werden, so dass die Elterngeneration eine andere Umwelt als ihre Welt bezeichnet als ihre Kinder.
Der industrielle Betrieb ist der leitende Faktor, nach dem das Leben ausgerichtet wird und geprägt ist. Der Lebensstandard, den er als >normal< integriert hat, greift auch in die Lebensbereiche der Bauern und Handwerker ein, geht also über die Arbeiterschaft hinaus.
Die soziale Mobilität und Horizonterweiterung wurde als positiv bewertet und begrüsst, es entste- hen jedoch durch sie „... entgegengesetzte Bedürfnisse nach Stabilität, Sicherheit und Ordnung der sozialen Verhältnisse “ (Schelsky S. 49) Durch die überaus schnelle Änderung der Gesellschaft- struktur ist ein Mißstand in der Übergangsphase entstanden, der dadurch versucht wird zu kompen- sieren, indem man die Entwicklung noch mehr vorantreibt, im Hinblick auf die Verbesserung nach der kompletten Anpassung, also die gewünschte Stabilität nach der Umformung der Gesellschaft- struktur.
Die Instabilität und die dadurch resultierende Unsicherheit wird jedoch zum Dauerzustand, so dass eine Art Rückbesinnung auf die alten Strukturen stattfindet, die die alten sozialen Handlungsmotive in Bezug auf die Sicherheitsvorstellungen wieder hervortreten lässt. Armut, Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Unsicherheit sind allgegenwärtig. In der Suche nach Verhaltenssicherheit der Jugendlichen wird dies sehr deutlich. Die Einsicht, dass die neuen Strukturen nicht fähig sind, diese Sicherheit zu bieten, bewirkt die Forderung nach Disziplin und Stabilität, und zwar radikaler als vorher das Gegenteil gefordert wurde, so dass es der Elterngeneration wie ein neuer Zwang erscheint.
In der Zeit des allgemeinen Umbruchs lassen sich verschiedene Jugendgenerationen unter- scheiden, die für die unterschiedlichen Haltungen der für uns relevanten Jugend von Bedeutung sind.
Die Jugend, die vor dem ersten Weltkrieg aufgewachsenen ist und ihre prägenden Erlebnisse erfahren hat, nennt Roessler die Vorweltkriegsgeneration. Die Jugend, die durch beide Weltkriege geprägt wurde, bezeichnet er als Zwischenkriegsgeneration, und die nach dem zweiten Weltkrieg aufwachsende Jugend, die Jugend nach dem zweiten Weltkrieg. (Wobei auch der Begriff Nachkriegsjugend hätte verwendet werden können)
Die Daten der Kriegsanfänge sowie -enden sind hierbei nicht ausschlaggebend, sie stellen lediglich den ungefähren zeitlichen Rahmen dar, so dass die Grenzen nicht scharf gezogen werden können. Es treten dementsprechend auch Übergänge auf, die aber nicht eindeutig festzulegen sind und daher von Roessler auch nicht weiter erwähnt werden. „Wer demnach z.B. mit vollem Bewußtsein im Deutschland vor dem ersten Weltkrieg seine entscheidende Prägung erfahren hat, der nennt eine andere Gegenwart sein eigen als derjenige, welcher die prägenden Erlebnisse nach der Katastrophe des zweiten Weltkrieges erfährt. Der letztere kennt entscheidende Kräfte des Erlebnisfeldes aus der Zeit vor dem ersten Weltkriege unmittelbar nicht mehr, sondern nur noch in der Form, wie sie in Erinnerung der Vorweltkriegsgeneration vorhanden sind; vorhanden jedoch, umstrukturiert durch die Geschichte, welche die betreffende Generation an sich erfahren hat.“ (Roessler S. 37/38)
Diese Generationen lassen sich innerhalb der Zeitgeschichte wiederum zu verschiedenen sozialen Gruppen zuordnen. Die Jugend im bäuerlichen, handwerklichen und Arbeiterbereich lassen sich, wie schon kurz erwähnt, prinzipiell von der im bürgerlichen Raum aufwachsenden Jugend trennen. Innerhalb dieses Raumes bestehen noch weitere Unterschiede. Roessler bezeichnet sie zum einen als die Jugend die im altb ü rgerlichen Lebenskreis aufwächst, und noch der alten ständischen Ord- nung mit ihrer hierarchisch patriarchalischen Welt verbunden ist, und zum anderen als die Jugend die im neub ü rgerlichen Lebenskreis aufwächst, welcher geprägt ist durch die industrielle Welt der Stadt und den Versuch eine neue Lebensweise zu finden. Innerhalb des Neubürgertums kann weiterhin zwischen Besitzb ü rgertum, neuem Mittelstand und Kleinb ü rgertum unterschieden werden. Das Besitzbürgertum erstrebt den Aufstieg zur adeligen höfischen Welt, während das Kleinbürgertum den Anschluß an die altbürgerliche Bildungswelt sucht. Die Jugend des Besitzbürgertums erfährt die allmähliche Auflösung der höfisch-bürgerlichen Gesellschaft, fördert diesen Prozess weiter auf der Ebene der Publizistik und tut dies aus Gründen des Kampfes gegen die Väter. Den Jugendlichen des neuen Mittelstandes stehen weder die finan- ziellen Mittel noch die Bildungsmittel des Besitzbürgertums zur Verfügung. Sie suchen in der Hinwendung zur >>Natur<< und zum >>Volkstum<< eine neue Lebensweise, die das Gegenteil der Welt der Väter sein soll. Die Jugend des Kleinbürgertums wird sich erst spät darüber klar, dass die überholte Welt geändert werden muss. Der Kampf gegen die Väter bleibt hier aus, da diese fast nie auf einem Führungsanspruch bestanden haben. Diese Jugend wendet sich vermehrt dem >>einfachen Leben<< zu und sieht es als eine Art Schatz an, der ihrer Welt durch den Aufstieg verloren ging. „Die Klammer, welche also bis Kriegsausbruch die neubürgerliche Jugend verbindet, bildet das Bewußtsein, im Elternhause nicht mehr das Vorbild des künftigen Lebens finden zu können.“ (ebd. S. 94)
Nach Kriegsende sind die Menschen gezwungen sich in einer anderen fremden Welt zurechtzufin- den, und bekommen dadurch ein verändertes Verhältnis zu ihrer Vergangenheit. Die Auflösung der alten Normen bewirkte nach dem 1. Weltkrieg einen Autoritätsverlust der Eltern, welcher durch die allgemeine Ratlosigkeit der Erwachsenen noch verstärkt wurde und den >>jugendbewegten Geist<< noch weiter verbreitete. Die Jugendlichen gerieten in eine Art Leerraum, den die diversen Jugendbewegungen nicht füllen konnten, und so gerieten viele in den politischen Bereich, der auf den jugendbewegten Zielen fußte und sehr ansprechend wirkte. Dieser Prozess gipfelte im Übergang von der bündischen zur Hitlerjugend.
Zum weiteren Verständnis der Situation werde ich kurz einige wichtige Jugendbewegungen skizzieren, da sie zum Nachvollziehen der Haltungen der Elterngeneration wichtig sind und deutlich machen können, wie es zu der Einstellung der für uns relevanten Jugend kam. Ich behalte die von den Autoren benutzten Titel überwiegend bei, da sie recht deutlich sind.
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