Gegenstand der hier vorliegenden Arbeit soll sein, eine theoretische sowie praktikable Darstellung des Ansatzes Kritischer Sozialer Kulturarbeit [KSK] nach den theoretischen Vorlagen Theodor W. Adornos und den Werken des Regisseurs David Lynch zu leisten. Der Ansatz soll folglich Inhalte der Sozialen Kulturarbeit mit jenen der Kritischen The-orie [KT] sowie Werken Lynchs verbinden. Hierfür sollen sowohl Berührungspunkte (z.B. Ästhetik und Gesellschaftskritik) wie auch Unterschiede aufgezeigt werden. Das zugrunde liegende Medium des hier dargestellten und erarbeiteten Konzeptes ist – be-zogen vor allem auf David Lynch - der Film.
Zunächst soll jedoch der Ansatz der KSK allgemein dargestellt und begründet werden, was eine grundlegende Erläuterung zentraler Begrifflichkeiten wie Soziale Kulturarbeit und Kulturkritik voraussetzt. Weiter werden anschließend die relevanten, theoretischen Überlegungen von Theodor W. Adorno erläutert, kritisch reflektiert, auf ihre Aktualität hin geprüft und ggf. an die somit neuen Anforderungen und Gegebenheiten angepasst. Hierzu sei bereits an früher Stelle angemerkt, dass viele der in dieser Master-Thesis aufgeführten Begriffe – wie beispielsweise jene der Kulturindustrie, der Kulturkritik und andere theoretische Ausführungen der Frankfurter Schule – zumindest in Teilen einer an die Gegenwart angepassten Neubeurteilung bedürfen, da sie heute teilweise umstritten sind, bzw. als veraltet gelten. Die Frage, ob die Rhetorik von Adorno, Ben-jamin und Horkheimer etwa noch zeitgemäß und für moderne Kulturarbeit anwendbar ist, scheint daher durchaus berechtigt. Dennoch sei bereits in den hier einleitenden Ge-danken angemerkt, dass sowohl Kulturkritik wie auch Kulturindustrie gerade in Zeiten der Ökonomisierung sämtlicher Schutzbereiche der Kultur durchaus die Chance einer Renaissance eingeräumt werden sollte.
Zusätzlich zu Adornos theoretischer Grundlage wurde als methodisches Element der Film und im Genaueren – als Inspirations- und Ideenquelle – das Werk des amerikani-schen Regisseurs David Lynch ausgewählt. Wieso gerade Lynch sich für KSK eignet, wird daher ebenfalls beleuchtet. Sowohl was die Behandlung der Frage nach der Ästhe-tik wie auch der Gesellschafts- bis Kulturkritik anbelangt, kann vermutet werden, dass sich sowohl in Lynchs Werken wie auch in Adornos Theorie durchaus Parallelen finden lassen, die für den hier zu erarbeitenden Ansatz wertvoll sind.
[...]
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung: Kritische Soziale Kulturarbeit
1.1 Kultur und Kulturbegriff
1.2 Soziale Kulturarbeit
1.3 Kulturkritik
1.4 Kulturindustrie
1.5 Kritik, Kritische Theorie und die Soziale Kulturarbeit
2 Methodenreflexion
2.1 Hermeneutik: allgemeine Klärung des Begriffes
2.1 Verstehen, Auslegung und Applikation nach Gadamer
2.2 Der Automatismus der Applikation
3 Kritische Theorie
3.1 Die Dialektik der Aufklärung
3.1.1 Adornos und Horkheimers Begriff der Aufklärung
3.1.2 Die Kulturindustrie und der Massenbetrug
3.2 Ästhetik und Theorie nach Adorno
3.2.1 Der Doppelcharakter der Kunst
3.2.2 Kunst und Utopie
3.2.3 Natur- und Kunstschönes
3.2.4 Das Hässliche
3.3 Frankfurter Schule und der Film: Theodor W. Adorno und Walter Benjamin als Beispiele für eine Kontroverse
3.4 Kritische Reflexion: Adornos Relevanz, Aktualität und Aussagekraft aus heutiger Sicht
3.4.1 Negative Dialektik, Nihilismus und Utopie
3.4.2 Die Manipulationsmacht der Kulturindustrie heute
3.4.3 Emanzipation und pädagogischer Wert Kritischer Sozialer Kulturarbeit
3.4.4 Kulturindustrie und Populärkultur: Erkenntnisse und Ergänzungen durch die Cultural Studies
4 Der Film als Medium Kritischer Sozialer Kulturarbeit
4.1 Weshalb Film?
4.2 Ästhetische Erfahrung und Film
4.3 Bildung und Medien – medienpädagogische Perspektiven
4.4. Filmästhetik und -didaktik
4.4.1. Affektivität und Emotionen
4.4.2 Didaktik der Erzählung: ein medienintegratives Modell
4.5 Filme verstehen: kurze Einführung in die Filmanalyse
4.5.1 Inhaltliche Analyse des Films
4.5.2 Publikum und mehrdimensionales Modell der Filmanalyse
5 David Lynch
5.1 „Lynchville“: einige Fakten und Aspekte
5.2 Schein, Fassade und das Böse in David Lynchs Werken
5.3 Exemplarische Analysen
5.3.1 Twin Peaks: das tragische Ende der zivilisierten Gesellschaft
5.3.2 Dune: über einen gescheiterten Messias und den Faschismus
5.4 Weshalb Lynch?
6 Vergleich: Adorno und Lynch
6.1 Schnittmengen zwischen Kritischer Theorie und David Lynch
6.2 Unterschiede in den beiden Positionen
6.3 Fazit
7 Erträge für Kritische Soziale Kulturarbeit – Gesamtfazit
7.1 Kritische Theorie
7.1.1 Kritische Theorie und ihr Wert für die Kritische Soziale Kulturarbeit
7.1.2 Bedingungen und Einschränkungen
7.2 Das Medium Film
7.2.1 Erträge und Potenziale für Kritische Soziale Kulturarbeit
7.2.2 Ergänzende Anmerkungen
7.3 Kritische Soziale Kulturarbeit mit dem Medium Film und Kulturelle Inklusion
7.3.1 Kulturelle Inklusion und Kritische Theorie
7.3.2 Kulturelle Inklusion und Film
7.3.3 Abschließende Anmerkungen, Ergänzungen
8 Filmverzeichnis diskutierter/erwähnter Werke
9 Kleines Lynch-Stichwortverzeichnis
10 Literatur
11 Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung: Kritische Soziale Kulturarbeit
Gegenstand der hier vorliegenden Arbeit soll sein, eine theoretische sowie praktikable Darstellung des Ansatzes Kritischer Sozialer Kulturarbeit [KSK] nach den theoretischen Vorlagen Theodor W. Adornos und den Werken des Regisseurs David Lynch zu leisten. Der Ansatz soll folglich Inhalte der Sozialen Kulturarbeit mit jenen der Kritischen Theorie [KT] sowie Werken Lynchs verbinden. Hierfür sollen sowohl Berührungspunkte (z.B. Ästhetik und Gesellschaftskritik) wie auch Unterschiede aufgezeigt werden. Das zugrunde liegende Medium des hier dargestellten und erarbeiteten Konzeptes ist – bezogen vor allem auf David Lynch - der Film.
Zunächst soll jedoch der Ansatz der KSK allgemein dargestellt und begründet werden, was eine grundlegende Erläuterung zentraler Begrifflichkeiten wie Soziale Kulturarbeit und Kulturkritik voraussetzt. Weiter werden anschließend die relevanten, theoretischen Überlegungen von Theodor W. Adorno erläutert, kritisch reflektiert, auf ihre Aktualität hin geprüft und ggf. an die somit neuen Anforderungen und Gegebenheiten angepasst. Hierzu sei bereits an früher Stelle angemerkt, dass viele der in dieser Master-Thesis aufgeführten Begriffe – wie beispielsweise jene der Kulturindustrie, der Kulturkritik und andere theoretische Ausführungen der Frankfurter Schule – zumindest in Teilen einer an die Gegenwart angepassten Neubeurteilung bedürfen, da sie heute teilweise umstritten sind, bzw. als veraltet gelten. Die Frage, ob die Rhetorik von Adorno, Benjamin und Horkheimer etwa noch zeitgemäß und für moderne Kulturarbeit anwendbar ist, scheint daher durchaus berechtigt. Dennoch sei bereits in den hier einleitenden Gedanken angemerkt, dass sowohl Kulturkritik wie auch Kulturindustrie gerade in Zeiten der Ökonomisierung sämtlicher Schutzbereiche der Kultur durchaus die Chance einer Renaissance eingeräumt werden sollte.
Zusätzlich zu Adornos theoretischer Grundlage wurde als methodisches Element der Film und im Genaueren – als Inspirations- und Ideenquelle – das Werk des amerikanischen Regisseurs David Lynch ausgewählt. Wieso gerade Lynch sich für KSK eignet, wird daher ebenfalls beleuchtet. Sowohl was die Behandlung der Frage nach der Ästhetik wie auch der Gesellschafts- bis Kulturkritik anbelangt, kann vermutet werden, dass sich sowohl in Lynchs Werken wie auch in Adornos Theorie durchaus Parallelen finden lassen, die für den hier zu erarbeitenden Ansatz wertvoll sind.
Angangs jedoch bedarf es einer näheren Erläuterung vorausgesetzter Begriffe, die dieser Master-Thesis zugrunde liegen, wie etwa den Kulturbegriffen, jenem der Sozialen Kulturarbeit, der Kulturkritik und der Kulturindustrie, bevor anschließend tiefer in die theoretischen Überlegungen der verwendeten Positionen – angefangen mit der KT von Adorno und Horkheimer etc. – eingestiegen wird. Begonnen werden soll mit dem Begriff der Kultur allgemein, in aller Kürze, jedoch unausweichlich als Basis für ein Verständnis von Kulturtheorie und somit Sozialer Kulturarbeit.
1.1 Kultur und Kulturbegriff
Trotz des Umstandes, dass der Begriff Kultur ein quasi omnipräsenter ist, bedarf er in den einleitenden Gedanken zu dieser Arbeit einer zwar kurzen, jedoch genaueren, wissenschaftlichen Betrachtung, was genau mit welchem Begriff von Kultur beschrieben werden soll, bzw. wird. Die Notwendigkeit einer Definition und wissenschaftlichen Erläuterung von Kultur kann anhand einfacher Überlegungen aus dem Alltag belegt werden. Was ist Kultur? Wovon spricht man, wenn von Kultur die Rede ist? Was z.B. manche Personen unter Kultur verstehen, mag für andere als Geschmacklosigkeit oder Kitsch gelten. Bei wissenschaftlicher Betrachtung und der Formulierung eines Ansatzes für professionelle Soziale Kulturarbeit kann also folglich nicht die Rede von einem rein durch Geschmack und Interesse bzw. durch subjektive Bewertung gefärbten Kulturbegriff sein. Im Folgenden sollen daher die in dieser Arbeit vorausgesetzten Begriffe und Definitionen von Kultur bestimmt werden, da sie für das Verständnis der Ausführungen und deren wissenschaftliche Fundierung wichtig sind.
Der Begriff Kultur stammt aus dem Lateinischen (cultura: Pflege, Landbau) und bezeichnet Relationen von zunächst unbestimmtem Handeln zu unbestimmten Beobachtungen. Werden diese Elemente dann jedoch von unbestimmten zu bestimmten Faktoren transferiert, wird die Kultur selbstverständlich.[1] Dieser sehr abstrakte Gedanke, der jedoch in einer gewissen Form allen Kulturbegriffen zugrunde liegt, beschreibt ein wesentliches Element der Kultur: die Festlegung auf eine Bestimmtheit des Handelns, also eine Definition.
Im Laufe der Geschichte können unterschiedliche Definitionen – bzw. Wandlungen dieser - von Kultur entdeckt werden. Von der Antike bis in die Neuzeit hat sich der Begriff immer wieder und weiter verändert. Er wurde von unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen – von der Philosophie bis hin zur Soziologie und den Kulturwissenschaften – unterschiedlich verwendet. So beschrieb etwa Immanuel Kant gemäß seiner „Kritik der Urteilskraft“ die Kultur als die Hervorbringung von Tauglichkeit des vernünftigen Wesens allgemein, wobei der Zweck beliebig ist.[2] Der Soziologe Niklas Luhmann beschrieb Kultur hingegen wie folgt:
„[…]als das Gedächtnis der Gesellschaft, in dem sie festhält, vergleicht und bewertet, aber auch vergisst und wieder erinnert, welche Lebensformen sie dafür befindet, den Menschen würdig und zuträglich zu sein.“ [3]
Während Kant die Kultur also vor allem im Sinne von Vernunft und Zivilisation schilderte, setzte Luhmann an Bewertungsmaßstäben für bestimmte Werte und Normen an, also in Form eines Ansatzes von gesellschaftlich akzeptablen Lebensformen bzw. -weisen. Es wird somit deutlich, dass Kultur unterschiedlich definiert werden kann, globaler und konkreter, vom jeweiligen Interesse und Standpunkt sowie der wissenschaftlichen Nutzung des Kulturbegriffs abhängig. Daher soll sich im Folgenden auf eine relativ simple, für die Soziale Kulturarbeit jedoch praktikable und ausreichende Eingrenzung von drei Kulturbegriffen beschränkt werden. Diese werden im weiteren Verlauf dieser Ausführungen bei Verwendung mit Kultur I, II und III benannt. Es wird sich dabei auf die Kategorisierung des Kulturbegriffs nach Hansen berufen. Dieser nennt zwar vier Kulturbegriffe – wie auch Baecker –, wobei der vierte für Soziale Kulturarbeit aufgrund seiner technischen Natur jedoch weitgehend uninteressant ist und daher in dieser Arbeit unberücksichtigt bleibt.[4]
1. Kulturbegriff I: Dieser bezeichnet den sogenannten „Kulturbetrieb“. Kultur ist demnach das Ergebnis künstlerischen, kreativen und damit kulturellen Schaffens. Kultur I bezeichnet z.B. das Gemälde, die Oper oder auch den Film, also kurz: Kultur als Kunst.
2. Kulturbegriff II: Kultur II beschreibt Kultur als eine Lebensart. Dieser Kulturbegriff kann z.B. in Form von Bewertungen der Lebensstile anderer Menschen („die haben doch keine Kultur, nehmen nicht einmal Messer und Gabel!“) oder auch zur Beschreibung kultureller Zuordnung zu bestimmten Strömungen wie z.B. sogenannten Subkulturen (kann jedoch auch unter Kultur III fallen) gebraucht werden.
3. Kulturbegriff III: Der dritte Kulturbegriff ist der globalste der hier vorgestellten. Er beschreibt die Kultur als Eigenarten, Besonderheiten, Werte, Normen und Sitten einer Gesellschaft. Die Kultur ist also als all jenes, was eine bestimmte Gruppe von Menschen – z.B. eine Gesellschaft – gemein hat, definiert. Der amerikanische Ausdruck way of life kommt der Bedeutung von Kultur III wohl am nahesten.
Müller-Funk beschreibt Kultur III ähnlich, geht aber in seiner Definition noch etwas weiter. Mit seinen Beispielen wie der „Kultur der Mayas“ oder der „Kultur der Griechen“ zeichnet er zwar – ähnlich wie Hansen – ein Bild von Kultur III als Normen- und Sozialstruktur bzw. way of life. Er nennt jedoch zusätzlich die Komponente des Menschgeschaffenen. Dies bedeutet, Kultur als all jenes große Ganze, was der Mensch (z.B. die Griechen) geschaffen, erfunden oder hinterlassen hat.[5]
Obwohl sich Soziale Kulturarbeit zwangsläufig größtenteils an Kultur I orientieren muss, da Kultur II und III durch ihre jeweiligen Exklusionspotenziale für Nichtangehörige der jeweiligen In-Groups problematisch erscheinen können, sollen hier dennoch drei Kulturbegriffe eingeführt werden. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der später erläuterten KT und allgemein jenem der Kulturkritik nötig, da jene ihre Kritik an allen drei Kulturbegriffen ansetzen. Soziale Kulturarbeit jedoch arbeitet als Methode vor allem mit Kunst, im hier zugrunde liegenden Ansatz mit dem Film. Im Folgenden soll nun kurz einleitend eine grobe Veranschaulichung und Einordnung der Sozialen Kulturarbeit selbst erfolgen, also was sich hinter dem Begriff im Wesentlichen verbirgt.
1.2 Soziale Kulturarbeit
KSK setzt sich aus zwei Elementen zusammen: dem Ansatz der Sozialen Kulturarbeit sowie Elementen der Kulturkritik bzw. im spezifischen Fall dieser Ausführungen jenen der KT. Beide Termini sollen nun einleitend genauer betrachtet und erläutert werden. Soziale Kulturarbeit oder auch Kultursozialarbeit geht aus einer Verbindung von Kulturarbeit und Sozialarbeit hervor. Folglich ist eine Kulturarbeit gemeint, die wie auch immer geartete soziale Zwecke zumindest anteilig verfolgt. Diese können je nach Auffassung und theoretischem Selbstverständnis sehr unterschiedlich sein. Je nachdem, ob die Frage nach einer Definition der Sozialen Kulturarbeit eher aus kulturtheoretischer oder aber der Perspektive Sozialer Arbeit erfolgt, können unterschiedliche Ansätze und Schwerpunkte lokalisiert und definiert werden. So reichen die Ideen der Ziele und Inhalte Sozialer Kulturarbeit von ihrer sozialarbeiterisch/sozialpädagogisch präventiven bis kulturkritisch politischen Dimension. Man könnte also durchaus bewusst die These formulieren, der Sozialen Kulturarbeit sei zumindest in Teilen ihrer Protagonisten die Kulturkritik bereits in die Wiege gelegt worden. So werden ihr durchaus emanzipatorische und politische Aufträge zugerechnet, sowie die Bildung einer gar widerständigen, demokratischen Kultur gefordert.[6]
Andererseits kommt Soziale Kulturarbeit nicht umhin, sich auch Überlegungen zum Verständnis von Ästhetik zu stellen. Der Frage nach einem geeigneten Ästhetikbegriff ist in dieser Arbeit anschließend ein eigener Teil gewidmet. Trotz allem existieren schon seit den frühen Tagen der Sozialen Kulturarbeit Befürchtungen, dass durch eine allzu sehr politische Inanspruchnahme der Kulturarbeit, der ästhetische Faktor in den Hintergrund gerät und damit an Qualität zu verlieren droht. Geht man davon aus, das Hauptaugenmerk kulturarbeiterischer Projekte ist lediglich der künstlerisch-ästhetische Aspekt und der soziale Nutzen dieser Arbeit quasi ein Nebenprodukt, wird die Kritik an einer allzu sehr politischen Ausrichtung Sozialer Kulturarbeit zumindest teilweise nachvollziehbar. Die Gefahr der Umdefinition der Kulturarbeit als Methodenlieferant der Sozialen Arbeit ist ein Kritikpunkt, den sich die Soziale Kulturarbeit durchaus gefallen lassen musste bzw. muss. Ihr wird nachgesagt, vorrangig sozialarbeiterische/sozialpädagogische Ziele zu verfolgen und dabei Fragestellungen der Kulturtheorie sowie der Ästhetik zu vernachlässigen und qualitative Einbußen der künstlerischen Tätigkeit zumindest billigend in Kauf zu nehmen.[7]
Aus den dargestellten Positionen zu Sozialer Kulturarbeit wird deutlich, dass Projekte dieser Teildisziplin – trotz unterschiedlicher Standpunkte im wissenschaftlichen Diskurs – stets eine Vereinigung von Zielsetzungen Sozialer Arbeit und Methoden der Kulturarbeit auszeichnet. Die Frage nach einem Qualitätsverlust des künstlerischen Aspekts soll an dieser Stelle durchaus kritisch hinterfragt werden. Die Beurteilung von Laienkunst, welche für große Teile der Sozialen Kulturarbeit entscheidend ist, sowie die mehr oder minder breite Auslegung eines eher instrumentellen oder globaleren Begriffes der Kulturarbeit sind entscheidende Faktoren, die bei der Beurteilung Sozialer Kulturarbeit zu berücksichtigen sind.[8] Für die hier vorliegende Arbeit ist daher festzuhalten, dass weder ein strikt instrumenteller Kulturarbeitsbegriff, noch eine Überbetonung des künstlerisch-ästhetischen als sinnvoll erscheint. Das hier vorliegende Verständnis plädiert daher für einen Mittelweg der Sozialen Kulturarbeit als Symbiose zwischen instrumentell-kulturkritischen/politischen sowie ästhetisch, künstlerisch anspruchsvollen Zielsetzungen und einer daran angeglichenen Theorie- und Methodenwahl. Im Falle der instrumentellen Zielsetzung wird folglich auf das Element der Kulturkritik zurückgegriffen. Künstlerisch anspruchsvolle, ästhetische und damit methodisch angemessene Aspekte werden schließlich anhand des Mediums Film und im Genaueren anhand der Werke von David Lynch und der daraus resultierenden Verwertbarkeit, für Projekte Sozialer Kulturarbeit erläutert.
Nun soll jedoch zunächst noch dargelegt werden, weshalb in dieser Master-Thesis für einen kulturkritischen und damit durchaus politisch-emanzipatorischen Ansatz Sozialer Kulturarbeit plädiert wird. Hierzu folgen einige Anmerkungen (und Schlüsse daraus) zu Kulturkritik im Allgemeinen.
1.3 Kulturkritik
Der Begriff Kulturkritik bezeichnet im Allgemeinen eine Form der Kritik, die sich auf Werte, Umgangsformen, Normen bzw. Sichtweisen und Einstellungen bezieht. Die Kulturkritik unterliegt dabei verschiedenen epochalen Variationen und Auslegungen ihrer selbst. Zusammenfassend haben alle Strömungen die Gemeinsamkeit, den Status Quo, der Gegenstand der Kritik ist, zu verwerfen.[9]
„[…]der Tendenz nach ist sie totalisierend, zielt also eher aufs Allgemeine als auf einzelne Kulturprodukte.“ [10]
Demzufolge richtete sich Kulturkritik an das gesellschaftlich Ganze, Globale und kritisiert nicht einzelne Fragmente der Kulturarbeit als Produkte. Bereits diesem Anspruch an Kulturkritik kann eine politische Relevanz entnommen werden, übertragen auf Soziale Kulturarbeit also durchaus ein emanzipatorischer, sozialpolitischer Auftrag der Kritik als solches, nicht auf das Produkt sondern die Allgemeinheit z.B. des Kulturbetriebs und seine Zielsetzungen bezogen. Reitz nennt weiter als Gegenstände von Kulturkritik verschiedene Möglichkeiten, die je nach Umfang der kulturkritischen Bedeutung unterschieden werden können: ästhetische und diskursive, politische, ökonomische, technische Phänomene oder aber nichtnatürliche, zivilisatorische Einrichtungen.[11]
Der Begriff Kulturkritik als solcher wird, obwohl die Tätigkeit historisch bis ins 18. Jahrhundert rückverfolgbar ist, erst ab dem 20. Jahrhundert explizit geführt und wird mit größter Wahrscheinlichkeit an Rousseau als den frühesten, prominenten Vertreter der dann so genannten Kulturkritik festgemacht. Rousseau formulierte in seiner Kulturkritik wie auch seinen pädagogischen Konzepten eine Kritik an der Zivilisation. Er bedauerte das Verlassen des Naturzustandes durch den Menschen in Form dieser und schrieb neben der Wissenschaft auch den Künsten eine schädliche Wirkung auf den Menschen (durch „Sitten“) zu. Seine Kulturkritik wandte sich insbesondere gegen die ästhetische Kulturvierung in Form des Bühnenschauspiels.[12] Auch was Rousseaus Bedeutung für die frühe Pädagogik anbelangt, sind eben jene Elemente seiner Kulturkritik, insbesondere in Form seiner Kritik an menschlicher Zivilisation und der Gefahr durch sie bereits im Kindesalter verdorben zu werden, prägend.[13] Eine Verwandtschaft zur KT kann hier durch das Thema der Natur bereits festgestellt werden. Auch für die Frankfurter Schule und ihre Kritik spielt dies eine feststellbare Rolle, dazu jedoch an späterer Stelle (siehe 3.).
Folgende Entwicklungen der Kulturkritik beziehen sich vor allem auf Defizite der Entwicklungen von Moral und Werten sowie einer mehr oder minder weit ausgefeilten Kritik an technischer Massenproduktion und Konsumgesellschaft. Genannt werden können z.B. Protagonisten wie Nietzsche, Freud und auch Benjamin (als erster Vertreter der Frankfurter Schule). Theodor W. Adorno unterstützte in seiner Weiterführung der Kulturkritik nach dem Zweiten Weltkrieg Benjamins These des Zusammenhanges zwischen Kultur und Barbarei als quasi zwangsläufig, auch wenn die Diskussion um Kulturkritik dieser Zeit trotz allem vordergründig darum bemüht war, Errungenschaften der Zivilisation überhaupt zu retten. Adorno bezog sich in seiner radikalen Kulturkritik folglich immer wieder auf Thematiken im Zusammenhang mit den Schrecken des Zweiten Weltkrieges. Mit „Zwang und Schein“ verwirft diese Form der Kulturkritik jede Chance auf Befreiung. Sie thematisiert vor allem den Holocaust – in Form des Massenvernichtungslagers Auschwitz als Symbol dafür – als Beleg für das komplette Misslingen jeglicher Kultur im Gegensatz zur beispielsweise von Rousseau und seinen direkten Nachfolgern noch kritisierten Verwerflichkeit der Kultur.[14]
Vor allem jedoch die KT als quasi eigenständige Kulturtheorie muss im Zusammenhang der Kulturkritik und folglich vor dem Hintergrund dieser Arbeit hervorgehoben werden. Voran sei hier bereits angemerkt, dass KT mehr als „nur“ Kulturkritik ist, sondern den Anspruch einer abgeschlossenen Theorie für sich verbucht. Die u.a. von Horkheimer und Adorno formulierte Theorie galt über zwei Jahrzehnte lang – nicht nur im deutschen Raum – als tonangebend unter den Kulturtheorien. Sie wird daher häufig als Schlüsseltheorie des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Allerdings ist sie aus heutiger Sicht aus verschiedenen Gründen in den Hintergrund gerückt, vor allem was die Ausführungen zum Begriff der Kulturindustrie (siehe 1.3) und der Kritik an jenem, ökonomisierten Kulturbetrieb anbelangt. Die komplette Verdammung der populären Massenkultur war nur ein Element, was der KT selbst Kritik einbrachte. Aus heutiger Sicht ist jedoch bereits hier anzumerken, dass auch die überschwängliche Euphorie über jene moderne Popkultur als quasi genau invertiertes Phänomen wiederum längst selbst der Vergangenheit angehört.[15]
Insbesondere daher scheint die KT einer Reflexion wert. Sie soll im mittleren Teil ohnehin inhaltlich ausführlich erläutert und somit für KSK anwendbar gemacht werden. Jedoch bereits an dieser Stelle – die aufgrund ihrer Verdammung der Popkultur teilweise als marxistisch, totalitär und altmodisch verrufene Kulturkritik Adornos und Horkheimers einerseits und die doch längst überwundene Illusion einer glorifizierten, modernen Massenkultur andererseits betrachtet – wird deutlich, welchen Wert eine aktuelle Aufarbeitung der KT für die Soziale Kulturarbeit haben kann und welche Potenziale sie zu bieten hat.
In der Folge und im Hinblick der Entwicklungen des postmodernen Zeitalters kam es vor allem zu gegenseitigen Unterstellungen von Totalitarismus: einerseits an die Kulturkritik selbst und wiederum als Reaktion darauf an eben jenes Urteil über die Kritik an der Kulturkritik gerichtet. Reitz nennt zwei Basisprobleme der Kulturkritik, tatsächlich als solche verbleibend. Zum einen stellt sich für ihn die Frage, inwieweit eine Kulturkritik welche die politische und ökonomische Funktion der Kultur ausblendet, nicht tatsächlich zu stark vereinfacht. Weiter nennt er das Problem, dass auch Kulturkritik ihren eigenen Charakter als Kultur berücksichtigen muss.[16] Für die KSK stellt sich somit die Frage, inwieweit sie sich diesen an die Kulturkritik geäußerten Anschuldigungen stellen, bzw. sie berücksichtigen muss? Eben deshalb gilt es hervorzuheben, dass mit der KT mehr als nur Kulturkritik formuliert ist, sie sich somit als eigenständige Kulturtheorie für KSK als theoretische Grundlage eignet. Trotz allem muss ebenso festgehalten werden, dass KSK die KT kritisch reflektieren muss, dazu jedoch an späterer Stelle. Zuvor soll im Folgenden noch kurz auf den Begriff der Kulturindustrie eingegangen werden, um einleitend ein kurzes Verständnis hiervon zu liefern, bevor an späterer Stelle detailliert auf die damit verbundene Theorie der Frankfurter Schule und vor allem Theodor W. Adornos eingegangen wird.
1.4 Kulturindustrie
Der Terminus Kulturindustrie ist ideologisch und bedingt durch seine Schöpfer eng mit jenem der Kulturkritik bzw. der KT verbunden. Dies trifft vor allem dann zu, wenn sich Kulturkritik auf politische, ökonomische und technische Phänomene bezieht. Genauer betrachtet, zielt der Begriff Kulturindustrie vor allem auf zwei Faktoren ab: Ästhetik und die soziale Funktion von Kultur im Nachkriegskapitalismus, also vor allem in Form von Kultur für die Massen. Geprägt wurde der Terminus vorrangig durch Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Allem voran das Werk „Dialektik der Aufklärung“ verleiht dem Begriff seine Gestalt und räumt ihm einen zentralen Stellenwert innerhalb der Kulturkritik der Frankfurter Schule ein.[17]
Wird von Kulturindustrie gesprochen, so werden verschiedene Entwicklungen der Kultur im Kapitalismus thematisiert, bzw. kritisiert. Zu einen ist mit Kulturindustrie eine weitgehend auf ökonomische Produktion zurückgeführte Standardisierung des Kulturbetriebs gemeint, der die künstlerische Freiheit und Kreativität in weiten Teilen verdrängt bis zerstört. Zum anderen unterzieht die Kritik an der Kulturindustrie eben jene Kulturökonomie einer eigenen Dialektik, nämlich dass sie eben nicht – wie dem ökonomischen Prinzip des Angebots und der Nachfrage gemäß zu erwarten wäre – primär an den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden (des Publikums) interessiert bzw. orientiert ist. Vielmehr ist es das Interesse der Konzerne, die hinter dem Produkt „Kultur“ stehen, welchem eine zentrale Stellung und damit Macht in Form von Entscheidungsgewalt eingeräumt wird.[18]
Außerdem erfüllt die Kulturindustrie einen politischen Auftrag für die Herrschenden, indem durch ihr Angebot vor allem konformes Verhalten gefördert und nonkonformes hingegen unterbunden wird. Eine gewisse Verwobenheit von Begrifflichkeiten der Frankfurter Kulturkritik und einer allgemeinen Kritik am Kulturkonservatismus ist also definitiv zu attestieren und grundlegend charakterisierend für den durch Adorno und Horkheimer geprägten Begriff. Wichtig zu erwähnen ist hier jedoch auch, dass es sich bei Horkheimers und Adornos Verständnis von Kulturindustrie um eine Analyse handelt, mit welchen Mitteln der Ästhetik sich Faschismus und Monokapitalismus gleichermaßen ihre Macht erhalten, also konformes Verhalten generieren. Der Begriff beschreibt daher weder eine konservative Verachtung moderner Massenkultur, noch will er – wie bei Benjamin – eine positive Wirkung der Massenkultur für die Demokratie unterstellen.[19] Die KT erfasst folglich mit ihrem Begriff der Kulturindustrie vor allem die Kulturbegriffe I und III, die jedoch eng miteinander in Verbindung stehen. Kultur I wird als Mittel zum Zweck der Macht somit vor allem als Vorinstanz von Kultur III interpretierbar.
Die kulturindustrielle Theorie lässt sich laut Reitz in drei Schwerpunkte aufteilen:[20]
1. Vereinseitigung der Dialektik autonomer Kunst: Diese bewegt sich wiederholt und gleichmäßig zwischen Stilzwang und Ausdruck, Warencharakter und Selbstzweck, Glücksversprechen und Ersatzerfüllung. Schließlich verbleiben hierdurch nur die Routine im Schaffen, der kalkulierte Gewinn und schließlich das Partizipieren zum Zwecke der reinen Vergnügung.
2. Als vorausgesetzt hierfür gilt die Entwicklung freier Unternehmen hin zu großen, dominanten und mit dem Staat in engem Kontakt stehenden Kulturkonzernen.
3. Im Ergebnis behauptet sich durch die ersten beiden Punkte eine zentralisierte und mechanisierte Produktion von Kulturerzeugnissen. Diese sind von ihrer Struktur her bereits so konstruiert, dass sie nur den Rückgriff auf die neue Form der Produktion kultureller Güter erlauben und Alternativen somit von vorneherein ausschließen.
Der Begriff Kulturindustrie ist heute teilweise schwierig zu gebrauchen und gilt mitunter als altbacken. Grund hierfür ist nicht zuletzt die an ihm geäußerte Kritik. Nicht nur die häufig vorgeworfene und teilweise tatsächliche Vernachlässigung ökonomischer Funktionsweisen des kulturwirtschaftlichen Apparats machte den Terminus letztlich angreifbar. Seinen Erschaffern wurde vor allem unterstellt, eine Manipulation ohne Ausnahmen im gesamten massenkulturellen Bereich zu diagnostizieren, ohne aber auf tatsächliche Analysen der medialen Struktur und der jeweiligen Konsumformen dieses Bereichs zurückzugreifen, geschweige denn, selbst Überlegungen hierzu anzustellen. Ebenso kritisiert wurde die vorgeworfene Propagierung eines elitären Kulturbegriffs gegen niedere Formen der Kunst, was vor allem im Zusammenhang mit Adorno zumindest teilweise nachvollziehbar erscheint. Schließlich wurde durch die Cultural Studies außerdem auf eine sogenannte widerständige Rezeptionshaltung verwiesen, womit nichts anderes als eine gewisse Nichtakzeptanz neuer medialer Übertragungsmittel gemeint ist. Bei aller Kritik ist jedoch anzumerken, dass sie an den zentralen Themen, welche durch den Kulturindustriebegriff angesprochen werden, grundlegend vorbeigeht: der nicht abzustreitenden kapitalorientierten Prägung des Kulturapparats und der Frage, weshalb dieser so viel unhinterfragte und zwangslose Zustimmung erfährt.[21]
Vor allem durch die Ausführungen zur Kritik am Begriff der Kulturindustrie wird klar, dass mit dieser Formulierung vorsichtig umgegangen werden muss. Durch die Nutzung dieser Rhetorik besteht die Gefahr, Reaktionen zu provozieren, welche die Reanimierung verstaubter und ökonomiefeindlicher Theorien bzw. totalitärer bis linker Kulturkritik unterstellen. Insofern muss ein moderner Ansatz der KSK sich dessen bewusst sein und sich auf solche Kritik vorbereiten, wenn er denn den Begriff Kulturindustrie einzubeziehen gedenkt. Dass dieser jedoch gleichzeitig nicht komplett zu verwerfen ist und durchaus noch seine Aktualität besitzt, zeigt sich allein an den oben beschriebenen zentralen Punkten der Theorie, die durch die Kritik an ihr unangetastet blieben und bis heute sind. Insofern ist also eine modernisierte, auf neue Medien, Rezeptionsformen und Publikumsstrukturen abgeänderte Theorie, die auch den Begriff der Kulturindustrie beinhaltet, durchaus interessant bis aktuell, wobei in vielen Bereichen wohl eher von Pop- oder Unterhaltungsindustrie gesprochen werden müsste. Gerade im Hinblick auf das Medium Film ist dies von Interesse, da vor allem mit Hollywood eine beispielslose Kulturindustrie existiert, die in ihren Randbereichen jedoch auch Rückzugsräume zulässt, bzw. diese nach wie vor parallel existieren. Hierzu jedoch an späterer Stelle mehr (à David Lynch).
1.5 Kritik, Kritische Theorie und die Soziale Kulturarbeit
Nachdem in den vorangegangenen Punkten Begriffserklärungen und Definitionen erfolgt sind, soll daraus mit dem so erarbeiteten Hintergrund nun die Begründung des Ansatzes der KSK resultieren. Was bietet also die KT für die Soziale Kulturarbeit? Weshalb sollte Soziale Kulturarbeit überhaupt Elemente der Kulturkritik beinhalten? Ist die von Horkheimer und Adorno geäußerte Kulturkritik überhaupt noch in einen zeitgemäßen Kontext zu übertragen, bzw. weshalb erscheint dieser Schritt als lohnenswert?
Zunächst soll sich mit der Frage nach kritischen Positionen innerhalb der Sozialen Kulturarbeit überhaupt befasst werden. Wie unter 1.2 erläutert, ist Soziale Kulturarbeit immer auch ein Betätigungsfeld, welches mit Elementen von Kritik und politisch Unangenehmen agiert. An dieser Stelle ein Teil der Definition Sozialer Kulturarbeit, wie sie durch Vertreter der Universität Hamburg vorgenommen wurde:
„Die Soziale Kulturarbeit nutzt Kunst als Mittel zur Kommunikation. Sie stellt vor allem kommunikative Strukturen bereit und unterstützt Menschen dabei, aus den Selbstverständlichkeiten des Alltags herauszutreten. Durch Denkanstöße, bis hin zur Provokation, will die Soziale Kulturarbeit mit vielfältigen Wahrnehmungen ein Denken in Alternativen ermöglichen und unterstützen.“ [22]
Geht es also darum, Denkanstöße bis in das Feld der bewussten Provokation vorzunehmen, verdeutlicht sich die Notwendigkeit eines kritischen Elements in der konzeptionellen Arbeit. Sowohl die Provokation als Auslöser für den Denkanstoß, als auch die Distanz zur Selbstverständlichkeit der alltäglichen Wahrnehmung setzen voraus, dass Soziale Kulturarbeit eine Art Alternative zum Status Quo der alltäglichen gesellschaftlichen Wahrnehmung anbietet. Sinnvollerweise kann dies nie ohne ein kritisches Element geleistet werden. Wer etwa ein Betätigungsfeld für Nischenkünste abseits des etablierten Ästhetikbegriffs eröffnen möchte, kommt nicht umhin, zu begründen, weshalb er dies tut. Dies wiederum setzt die Notwendigkeit von Alternativen voraus, die ihre Begründung in einer Kritik am Konsum von Massenkultur erfahren. Sei dies hier nur ein Beispiel, weshalb kritische Positionen in der Kulturarbeit nötig sind, so folgt zwangsläufig auch durch die soziale Komponente ein zweiter Punkt. Soziale Kulturarbeit ist – wie bereits erläutert – sozialarbeiterischen bzw. sozialpädagogischen Zielsetzungen verpflichtet. Hier stellt sich nun die Frage, wie diese aussehen könnten? Ohne vorweg greifen zu wollen, sei hier angemerkt, dass dies auch zwangsläufig immer eine Frage der jeweiligen Zielgruppe ist. Richten sich Projekte z.B. an das ohnehin kulturell interessierte Publikum – beispielsweise eines Jugend- und Kulturzentrums – oder aber haben sie z.B. inkludierenden Charakter, also sollen sie benachteiligte Jugendliche durch ästhetische Bildung vor Ausgrenzung schützen, bzw. diese überwinden oder abmildern? In beiden Fällen setzt die Konzeption des Projekts ein kritisches Moment voraus. Zum einen setzen Konzeption und Markt diese Inhalte beinahe implizit voraus. Projekte der Sozialen Kulturarbeit haben in der Regeln weder kapitalintensiven Charakter, noch nehmen sie ihre Rechtfertigung aus der Bedienung des Breitengeschmacks. Als Konkurrenz zu großen, finanzstarken Veranstaltungsunternehmen könnten sich Träger der Kulturarbeit weder behaupten, noch würde sich daraus eine Rechtfertigung für ihre Arbeit überhaupt ergeben. Bedient man also Nischenkünste, autonome Kunstformen oder sogenannte Laienkunst, ist die Kritik z.B. in Form von Gesellschafts- oder Kapitalismuskritik meist ohnehin in irgendeiner Form vorhanden. Zweitens verbleibt jedoch zu hinterfragen, weshalb es Alternativen zur Massenkultur überhaupt bedarf? Eine Begründung hierfür soll an späterer Stelle die Kulturkritik und im Detail die KT liefern. Im zweiten Fall – gemäß des Beispiels eines inkludierenden Ansatzes Sozialer Kulturarbeit – ergäbe sich folgerichtig eine gesellschafts- bzw. sozialpolitische Position, die eine Kritik an den Exklusionsmechanismen der gegenwärtigen Gesellschaft beinhaltet, bzw. voraussetzt.
Als integraler Bestandteil der Sozialen Kulturarbeit muss außerdem der Begriff der Soziokultur genannt werden. Soziokultur ermöglicht Menschen unabhängig von Einkommen, Geschlecht, Alter etc. den Zugang zu Kunst und Kultur – ist also inkludierend. Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur äußert sich zum Thema Soziokultur wie folgt:
„Soziokultur erleichtert den Menschen den Zugang zu Kunst und Kultur. … Sie bietet Menschen unterschiedlichen Alters, verschiedener sozialer Schichten und Ethnien die Möglichkeit, aktiv am kulturellen Leben teilzuhaben. Sie wählt ihre Themen mit engem Bezug zu gesellschaftlich relevanten Fragen und wirkt in den Lebensalltag der Menschen hinein. So bieten sich Möglichkeiten zur aktiven Teilhabe und Gestaltung.“ [23]
Geht man davon aus, dass Soziokultur die ideale Zielvorstellung der Sozialen Kulturarbeit überhaupt ist, so deutet ein weiterer Aspekt auf die Notwendigkeit kritischer Momente hin, die Korrektur des Irrtums, man könne ein unpolitischer Kulturmensch sein. Allein die Forderung nach einem Bürgerrecht auf Kultur, die Integration des kulturellen Alltags in den gesamtgesellschaftlichen Raum und nicht begrenzt auf eine finanzstarke, (selbst-)definierte Elite etc., all das sind politisch motivierte Ideen und Ansätze, die gleichwohl eine Kritik beinhalten, dass es ohne die integrative Wirkung der Sozialen Kulturarbeit eben nicht selbstverständlich für jeden machbar wäre, am kulturellen Geschehen teilzuhaben. Kreft und Mielenz nennen dies die Korrektur des „Irrtums der deutschen Bürgerlichkeit“, dass Politik und Kultur voneinander trennbar seien.[24]
Als letzter Punkt sei angemerkt, dass Soziale Kulturarbeit die Kunst neben anderen Aspekten vor allem auch als Kommunikationsmedium begreift und nutzt, eben auch zur Kommunikation von Zielsetzungen Sozialer Arbeit. Kultur wirkt dabei als eine Art Katalysator, indem das zunächst Gegensätzliche und im Widerspruch Stehende miteinander in Beziehung gebracht und Kommunikation so ermöglicht wird. Die dadurch bereitgestellten Kommunikationsstrukturen – quasi als gemeinsamer Nenner, mit dem der Diskurs und somit die Kommunikation ermöglicht werden – können in drei wesentliche Kategorien eingeteilt werden, die allesamt Ansatzpunkte für die KSK bieten: [25]
1. Die Herstellung von Bereitschaft, die Selbstverständlichkeit des Alltags hinter sich zu lassen und somit das kritische Hinterfragen thematischer Inhalte möglich zu machen, bzw. anzustoßen oder zu fördern
2. Anstöße bis hin zur Provokation vermitteln, somit den dialektischen Diskurs einleiten und Denkprozesse animieren
3. Vermittlung von Pluralismus in Wahrnehmung, Standpunkten und Denkweisen
Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass Soziale Kulturarbeit einen zumindest teilweise kritischen Ansatz ohnehin mehr oder minder voraussetzt. Denkanstöße vermitteln, Pluralismus, Diskurs etc., all jene Ziele sind nicht umzusetzen, wenn die Adressaten nicht über ein gewisses Ausmaß an Kritikfähigkeit verfügen. Gleichsam ist es fraglich, wie Denkanstöße überhaupt unternommen werden sollen, wenn auf Kritik und Dialektik verzichtet werden würde. Insofern ist KSK also auch immer im Dienste aufklärerischen Denkens zu sehen. Sie soll Adressaten dabei unterstützen, sich zu selbstständig denkenden Individuen zu entwickeln, die sich durch Kritikfähigkeit und argumentatives Talent in der Welt zu behaupten vermögen. Soziale Kulturarbeit ist also auch immer ein Stück Erziehung des Menschen zur Mündigkeit. Folgt man der Definition von Aufklärung, die Kant geliefert hat, schließt sich somit der Kreis und die Beziehung zwischen Kultur – Kritik – dem mündigen Individuum und Aufklärung wird deutlich:
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ [26]
Weshalb bedarf es jedoch einer weiteren theoretischen Basis, um KSK zu ermöglichen? Wie kann Kritik aussehen und wie geäußert werden? Es bietet sich hierfür freilich eine Fülle direkter wie indirekter Methoden, kritisch zu arbeiten. In dieser Arbeit soll dies an späterer Stelle am Beispiel des Films gezeigt werden, Kritik also beispielsweise in Form der Ästhetik oder inhaltlicher Momente geäußert. Aber auch indirekt ist bereits mit der Wahl des Mediums oder der Kunstform die Möglichkeit zur kritischen Position und damit verbundenen Denkanstößen realisierbar, etwa wenn Alternativen zur Kulturindustrie geschaffen werden und diese somit hinterfragt wird.
Für die theoretischen Grundlagen der KT bedarf es jedoch noch eines kurzen Exkurses, was die Bearbeitung und Analyse der zugrunde liegenden Originalliteratur der Frankfurter Schule und anderer Materialien anbelangt. Im Folgenden soll daher nun die Methode der Textanalyse in Form des hermeneutischen Ansatzes erläutert und reflektiert werden, bevor anschließend tiefer in die KT eingestiegen wird.
2 Methodenreflexion
2.1 Hermeneutik: allgemeine Klärung des Begriffes
Der Begriff Hermeneutik wird hier erläutert, um die Analyse der zugrunde liegenden Texte – z.B. jene der KT – methodisch zu erklären. Der aus dem Altgriechischen stammende Terminus beschreibt das im Zusammenhang mit Texten praktizierte Dolmetschen, Erklären oder auch Auslegen. Hermeneutik bezeichnet also stets eine Art der literarischen bzw. wissenschaftlichen Reflexion, in deren Ergebnis immer auch das Verstehen verortet sein soll. Diese bietet sich an, wenn Sinn und Intention des Geschriebenen nicht sofort offensichtlich sind, also z.B. in den meisten philosophischen Publikationen wie auch jenen von Theodor W. Adorno. Hiermit erklärt sich auch ihre Eignung für den dieser Arbeit zugrunde liegenden Kontext, wobei betont werden muss, dass die Auslegung von Texten immer einen Rest an Zweideutigkeit beinhaltet. Diese begründet sich in den Ursprüngen der Hermeneutik, als Übersetzung des göttlichen Willens und ihrem originär erklärenden bis anweisenden Charakter. Insofern verbleibt der Hermeneutik bis in ihre neuzeitlichen Formen mehr der Aufdruck einer Kunstform als einer reinen Wissenschaft. Die Hermeneutik ist wie das Schreiben oder das Reden ein Teil der künstlerischen Lehre und daher nie vollständig objektiv. Sie beinhaltet das Übersetzen, Verstehen und Erklären von Texten, um Unausgesprochenes, Verborgenes oder zunächst schwierig Zugängliches innerhalb der betrachteten Werke zum Ausdruck zu bringen. Im Unterschied zum antiken Begriff liegt dem heutigen Verständnis von Hermeneutik jedoch stets eine wissenschaftliche, theoretische Rechtfertigung zu Grunde, also ein akademischer Methodenbegriff. Der hermeneutisch Tätige besitzt die Kunst der Auslegung und weiß diese theoretisch zu fundieren.[27]
2.1 Verstehen, Auslegung und Applikation nach Gadamer
Die hermeneutische Methodik nach Gadamer lässt sich im Wesentlichen in drei miteinander komplementäre Vorgänge unterteilen, die stets vor dem Hintergrund des historischen Kontextes stehen. Der geschichtliche Bezug ist für Gadamer sehr bedeutend, da er das Verständnis, welches der Leser in einen Text hineininterpretiert, zwangsläufig beeinflusst. Insofern ist der historische Gesichtspunkt – auch was den Autor anbelangt – zu beachten, bei Adorno also z.B. die besondere Situation im Exil und in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg sowie in den 1960er und 1970er Jahren. Für Gadamer ist jedoch nicht nur der historische Bezug von Bedeutung. Er fordert außerdem, diesen zu erneuern und den enthaltenen Wahrheitsgehalt zu aktualisieren. Gerade jener Punkt ist wichtig, da auch die Auslegung und Anwendung von Adornos Theorien aus heutiger Sicht einer kritischen Prüfung und Aktualisierung zumindest teilweise bedürfen.[28]
Gadamers drei Schritte des methodischen Vorgehens der Hermeneutik bezeichnet er als Verstehen, Auslegen und Anwendung bzw. Applikation. Dem Verstehen des Textes als innere Erkenntnis folgt die Auslegung in Form der sprachlichen Erfassung. In der zugrunde liegenden Interpretation und philologischen Erfassung kann eine Haupttätigkeit der Hermeneutik verortet werden.[29]
Zusätzlich zu Verstehen und Auslegen existiert die Anwendung bzw. die Applikation. In der Aplicatio liegt jedoch ein Grundproblem der Hermeneutik, dem Gadamer mit einem quasi revolutionären Ansatz begegnete. In der Methodologik galt die Anwendung vorher als sekundär bis verpönt, das rein kognitive Verstehen des Textes also als primär interessant und ausreichend. Gadamer hingegen kehrt nicht nur zur Trias der Hermeneutik bestehend aus Verstehen, Auslegen und Anwenden zurück. Er räumt der Aplicatio einen zentralen Stellenwert ein.[30]
Des Weiteren ist sie für ihn nicht als dritte Instanz nach Verstehen und Auslegen angeordnet, sondern beginnt bereits mit dem Verstehen. Gadamer zieht aus der Lehre der pietistischen Aplicatio den Schluss, dass ein Verstehen ohne Übersetzung und Anwendung kein richtiges Verstehen sei. Er distanziert sich hierbei vom epistemologischen Ansatz, der die Interpretation der Intention des Autors/der Autorin ausblendet und das Anwendungsmoment bewusst offen lässt. Gadamer orientiert sich an der theologischen und juristischen Hermeneutik. Wenn etwa ein Richter/eine Richterin seine/ihre Lehren aus einem Text gezogen hat, wendet er/sie das gewonnene Wissen schließlich auch auf einen Fall an. Die gelungene Übersetzung des Textes in die jeweils historisch korrekte Sprache ist hierbei von großer Bedeutung. Die beste Übersetzung ist dabei jene, die nicht als solche auffällt. Mit anderen Worten: bemerkt der Leser/die Leserin die Übersetzungsleistung nicht, ist die Übersetzung perfekt.[31]
2.2 Der Automatismus der Applikation
Gadamer kehrt mit seinem Ansatz der Aplicatio nicht zur pietistischen Dreiteilung der Hermeneutik zurück. Ebenso verneint er die Ausklammerung der Aplicatio, bedingt durch die romantische Verschmelzung von Verstehen und Anwenden. Applikation findet ihm zufolge automatisch mit den anderen Prozessen statt. Der Interpret/die Interpretin wendet den Text auf seine/ihre gegenwärtige Situation an. Die Anwendung ist weiter vor allem auch die Intention, weshalb man sich überhaupt mit dem Text beschäftigt. Er/sie versucht, ihn aufgrund seines/ihres konkreten Bedürfnisses der Anwendung heraus für sich zu erschließen und nutzbar zu machen. Insofern wird deutlich, dass die Applikation nicht vom Verstehen und Auslegen zu trennen ist. Sie ist vielmehr mit den anderen beiden Komponenten eng verwoben und quasi Voraussetzung des Verstehens überhaupt:[32]
„Auch wir hatten uns davon überzeugt, daß [sic] die Anwendung nicht ein nachträglicher und gelegentlicher Teil des Verstehensphänomens ist, sondern es von vorneherein und im ganzen [sic] mitbestimmt.“ [33]
Zieht man den Grundgedanken dieses Zitats heran, wird jedoch deutlich, dass die Applikation somit bereits – zumindest teilweise – vorab über die Art der Interpretation durch den Leser/die Leserin entscheidet. Am konkreten Beispiel dieser Arbeit kann dies wie folgt verdeutlicht werden. Die Applikation der theoretischen Schriften von Theodor W. Adorno auf einen Ansatz Sozialer Kulturarbeit hin beeinflusst die Analyse der Texte nahezu zwangsläufig. Soziale Arbeit versucht, sich die Theorie aus ihrem speziellen Blickwinkel und aufgrund ihrer Interessenlagen nutzbar zu machen, interpretiert daher stellenweise jedoch wohl auch in speziell sozialarbeiterischer/sozialpädagogischer Weise. Insofern kann gefolgert werden, dass die methodische Hermeneutik immer die Gefahr beinhaltet, dass die Interpretation als applikatorischer Automatismus den Text ein Stück weit davon entfernt, was die ursprüngliche Intention des Verfassers/der Verfasserin anbelangt. Mit anderen Worten ist als ein Punkt dieser Methodenreflexion festzuhalten, dass Adorno aus der Perspektive der Sozialen Kulturarbeit interpretiert wird, nicht aus philosophischer. Insofern ist es ein Stück weit fatalistisch anzunehmen, dass diese „sozialpädagogische Brille“ die hermeneutische Übersetzung und Applikation der Theorie beeinflusst. Andernfalls ist jedoch auch anzumerken, dass das Bewusstsein über diese Vorbeeinflussung durch die Applikation ein Stück Objektivität zurückholt. Metaphorisch ausgedrückt: Denn wer sich seiner Brille bewusst ist, kann sie auch selbst reflektieren, hinterfragen und auch über ihre Gläser hinwegsehen. Die Geschichtlichkeit des Verstehens und die im Interpreten/in der Interpretin vorhandenen Vorurteile[34] sind also bei der hermeneutischen Behandlung wissenschaftlicher Texte zu berücksichtigen. Dies sei nun abschließend verdeutlicht, da es im folgenden Abschnitt daran gehen wird, die theoretischen Inhalte der KT, Adornos Ästhetik etc. hermeneutisch verstehbar und anwendbar zu machen. Ziel ist dabei folglich die Applikation der Theorie für einen Ansatz der KSK.
3 Kritische Theorie
Im nun folgenden Teil der Arbeit soll sich detailliert mit der zugrunde liegenden Theorie der Frankfurter Schule auseinander gesetzt werden. Herangezogen werden hierfür vor allem die Werke von Adorno, Horkheimer und am Rande Benjamin und Habermas zu den Themen der Kulturkritik, Aufklärung und schließlich der Ästhetischen Theorie. Anzumerken ist, dass – wie bereits unter 2. erklärt – der historische Kontext dieser Schriften von Bedeutung ist. So entstand Horkheimers und Adornos „Dialektik der Aufklärung“ beispielsweise im US-amerikanischen Exil und wurde somit durch die Schrecken des Zweiten Weltkrieges und der sich abzeichnenden Niederlage Nazideutschlands in erheblichem Maße beeinflusst. Wie in der Methodenreflexion bereits ausführlich erläutert, ist also zu bedenken, dass sämtliche Schriften die in diesem Zusammenhang analysiert und dargestellt werden, stets vor ihrem historischen Hintergrund zu sehen sind, bei der methodischen Verwertung an dieser Stelle außerdem stets kritisch betrachtet und aktualisiert werden.
3.1 Die Dialektik der Aufklärung
„Dialektik der Aufklärung“ [DdA] gilt als eines der zentralen Werke der KT überhaupt. Das Buch entstand - wie eingangs erwähnt - in Zusammenarbeit von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno im Exil und erschien erstmals im Jahre 1947. Der historische Kontext kann als stark beeinflussender Faktor angesehen werde, weshalb Horkheimer und Adorno dieses Werk so verfassten. Vor dem Hintergrund der Verbrechen Nazideutschlands beschreibt DdA den Rückfall der zivilisierten Menschheit in eine neue Form der Barbarei. Bereits in der Vorrede des Werkes wird verdeutlicht, weshalb die Aufklärung somit quasi gescheitert ist, Zusammenhänge zwischen Naturbeherrschung, Mystik und ökonomischen Zwängen sowie Fragen nach Kultur, Zivilisation und Fortschritt werden aufgeworfen.[35] Für Soziale Kulturarbeit in diesem Kontext stellt sich zunächst die Frage, welchen Begriff der Aufklärung man der KT entnehmen kann?
3.1.1 Adornos und Horkheimers Begriff der Aufklärung
Adorno und Horkheimer stellen sich im ersten Abschnitt ihres Werkes der begrifflichen Definition des Terminus Aufklärung. Man könnte es auch als das Dilemma der Aufklärung bezeichnen, was nach Horkheimer und Adorno die Dialektik ausmacht: Der befreite, aufgeklärte Verstand des Menschen der die Welt vom Mythos und Zauber in rational fassbare Gedanken einordnen kann, wird selbst patriarchalisch und kennt hierbei auch kaum Grenzen mehr. Sämtliches Wissen, Technik und andere Errungenschaften dienen doch letztendlich nur als Mittel der Herrschaft und in Folge dessen dem Kapital. Somit hat die Aufklärung als der Weg des Menschen aus seiner eigenen Unmündigkeit – wie es Kant sinngemäß formulierte[36] – in dieser Zwiespältigkeit ihr eigenes Scheitern verursacht, da sie nur wieder neue Unmündigkeit hervorbringt. Adorno und Horkheimer beschreiben dies als ein Vorgehen der Aufklärung gegen sich selbst, wobei im Ergebnis nur die Beherrschung und nicht das Ideal des mündigen Bürgers steht.[37]
„Was die Menschen von der Natur lernen wollen, ist, sie anzuwenden, um sie und die Menschen vollends zu beherrschen.“ [38]
Bereits bei der begrifflichen Grobeinordnung der Kritik am Terminus der Aufklärung zeigen sich zwei wesentliche Punkte, die für KSK zu beachten sind. Zum einen ist der Grundtenor der Kritik durchaus in seiner Aktualität zu bestätigen. Unterstellt man einen unweigerlichen, stetigen Fortschritt der Aufklärung, ist auch aus heutiger Sicht eine Dialektik und Widersprüchlichkeit kaum von der Hand zu weisen. Zum Einen kann eine laufende Fortentwicklung der Wissensgesellschaft konstatiert werden, zum anderen jedoch produziert dieser Prozess kontinuierlich Verlierer eben jener, die nichts als Objekte von Beherrschung und Unterdrückung zu werden drohen. In diesem Kontext ist aus sozialpädagogischer Perspektive von nichts anderem als von den Exkludierten die Rede, jene „Überflüssigen“, die am Fortschritt der Wissensgesellschaft scheitern und als quasi entmündigte Objekte abseits des über die Erwerbsrolle definierten Bereichs der inkludierten Gesellschaft am Rande zurückbleiben. Steinert beschreibt diese Problematik in seiner Kritik am Terminus der Überflüssigen, wobei jedoch auch das Grundproblem der Wissensgesellschaft und jener, die von ihr nicht profitieren können, angesprochen wird.[39]
Die Verlierer der Wissensgesellschaft sind nur ein denkbares unter vielen Beispielen, die Adornos und Horkheimers Thesen aktualisiert in die heutige Zeit als immer noch haltbar erscheinen lassen. Weitere Beispiele wären die ökonomische Ausbeutung der Dritten Welt oder aber die schleichende Abschaffung des Datenschutzes und der Bürgerrechte durch die Anwendung moderner Technologien im IT- und Kommunikationsbereich. In all diesen Fällen steht Wissen, Technik, Fortschritt etc. konträr zu den Idealen der Aufklärung. Kritisch reflektiert werden muss bei der Lektüre der DdA jedoch die teilweise marxistisch gefärbte Rhetorik. Zum einen ist festzuhalten, dass weder Kapital noch Arbeiterklasse heute ausreichend deskriptive Reichweite für die moderne Gesellschaft besitzen. Zum anderen ist eben jene marxistische Grundlage ohnehin aus gegenwärtiger Sicht in großen Teilen zwar nicht vollkommen falsch, jedoch auch teilweise widerlegbar. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, anzumerken, dass weder Adorno noch Horkheimer als klassische Marxisten zu bezeichnen wären. Adorno bleibt Dialektiker und unterzieht auch Marx und Engels kritischer Betrachtungen.[40] Darüber hinaus ist klar festzuhalten, dass Adorno als entschlossener Verfechter der individuellen Freiheit als besonders hohes Gut, dem diktatorischen Sozialismus/Kommunismus in keiner Weise nahe stand.[41] Würde man die KT also als negativistischen Ableger des Marxismus bezeichnen, so täte man ihr Unrecht.
Im Kern wird der Aufklärung ein Hang zum Totalitarismus unterstellt. Sie unterdrückt durch diesen jegliches gegen sie gewandte Meinungsgut und akzeptiert keine Alternativen, die sie schließlich nur mit dem Label der Mystik als voraufklärerisches Halbwissen abtut. In diesem Punkt verbirgt sich eine weitere wichtige Erkenntnis aus der Kritik der Frankfurter Schule. Bereits Adorno und Horkheimer beschrieben es als einen Zwang zu Nützlichkeit und Berechenbarkeit. Alles außerhalb dieser Grenzen gilt als verdächtig. Dabei ist die Aufklärung den Mythen – Götterglaube, Dämonologie, Zauberei, Magie etc. –, die sie in ihren Ursprüngen verteufelte, nur scheinbar unähnlich. Beide Ansichten der Welt sind in ihren Ergebnissen und Intentionen durchaus verwandt, indem sie gleichsam die Beherrschung – z.B. der Natur – anstreben, bzw. bezwecken. Nur ist es einerseits das Rationale, Empirische und andererseits die Allmächtigkeit des Übernatürlichen, Mythischen, welches die Herrschaft rechtfertigt. Weitere Unterschiede zeigen sich z.B. in Subjektivierungs- hin zu Objektivierungstendenzen, die jedoch im Ergebnis vergleichbar sind: Auch das Tier im wissenschaftlichen Sinne als Objekt erfährt Beherrschung durch den Menschen. Das Besondere im Falle der Aufklärung ist, dass sie selbst erneut Mythen schafft und rechtfertigt, die zwar zunächst im Widerspruch zu ihr stehen, sich jedoch im Endergebnis komplementär verhalten. Aufklärung erkennt sich demzufolge selbst wider in den Mythen. Wiederum bekennt sich der Mythos in seinem Widerstand, indem er seine Thesen als Argumente vorträgt, zum Prinzip rationalem, aufklärerischem Handelns und macht sich damit spiegelbildlich zu dem, was der Aufklärung eigentlich vorgeworfen wird.[42]
Aus heutiger Sicht kann hieraus nach wie vor viel Nützliches geschlossen werden, wenngleich auch in diesen Punkten eine Aktualisierung und vorherige Betrachtung der Thesen von Adorno und Horkheimer vor dem historischen Hintergrund wichtig sind. Klar ist zunächst, dass die Beherrschung der Natur als oberstes Leitziel modernem, wissenschaftlichem Handelns wie teilweise in DdA umschrieben nicht komplett von der Hand zu weisen ist. Der Mensch versucht durch Technik seit jeher, die Natur zu überlisten, bzw. sie sich nutzbar oder Untertan zu machen. Die Verwandtschaft zum Mythos und der Religion ist somit klar vorhanden. Jedoch muss aus heutiger Sicht auch klargestellt werden, dass ein Großteil der Menschen ein anderes Verhältnis zu eben jener Fragestellung hat. Die Beherrschung aller Dinge kann kaum mehr als Leitmotiv der aufgeklärten Öffentlichkeit angesehen werden. Kritische Stimmen zu Kernenergie, Klimapolitik bis hin zu Tierexperimenten und dem Konsumverhalten vieler Menschen belegen dies. Wesentlich interessanter – vor allem für Soziale Kulturarbeit – ist die These des Zwangs zur Effizienz, Nützlichkeit, Berechenbarkeit etc. :
„Was dem Maß von Berechenbarkeit und Nützlichkeit sich nicht fügen will, gilt der Aufklärung als verdächtig.“ [43]
Seinen Ursprung nimmt dieser Zwang in der Tendenz der Aufklärung, metaphorisch ausgedrückt, die eigenen Kinder zu verspeisen. So wendet sich die Aufklärung seit dem 18. Jahrhundert verstärkt gegen die innere Natur des Menschen und unterwirft ihn dem totalitären Dogma der Rationalität. Das damit vorangetriebene, ausschließlich instrumentalistische Denken, welches vorrangig nur mehr in Mittel und Zwecke einteilt, ist charakteristisch für die moderne Gesellschaft bis heute und – bedeutend für die Soziale Kulturarbeit – auch wesentlicher Einflussfaktor auf das Entstehen und den Fortbestand der Kulturindustrie.[44]
Globaler gesehen, unterwirft dieses Denken übrigens die gesamte Soziale Arbeit dem Instrumentalismus, indem es nach Messbarkeiten, Effizienzstreben und betriebswirtschaftlichen Benchmarks ruft, die alle Bereiche der sozialpädagogischen Tätigkeit messbar, erfassbar und somit nachweisbar ökonomisch nützlich machen. Dies ist auch für Kulturarbeit und im Besonderen Soziale Kulturarbeit von Bedeutung.
3.1.2 Die Kulturindustrie und der Massenbetrug
Der Begriff Kulturindustrie welcher bereits eingangs kurz erörtert wurde, findet sich auch in DdA wieder. Horkheimer und Adorno widmeten ihm ein ganzes Kapitel ihres Buches: „Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug“. Aufklärung im Sinne der KT ist also auch verwoben mit der Kulturindustrie, vor allem was die Ökonomisierungstendenzen der gesamten Gesellschaft, wie sie im letzten Teil des vorangegangenen Abschnitts angesprochen wurden, anbelangt. Wird nun in diesem Rahmen von „Aufklärung“ gesprochen, ist anzumerken, dass sich die folgenden Ausführungen auf jenen Begriff beziehen, wie ihn Horkheimer und Adorno in DdA definiert haben, also einen Begriff der Aufklärung, der eine Kritik an ihren tendenziösen Entwicklungen und nicht an ihrem Fundament vornimmt. Es wird also keine ideologische Distanz zu aufklärerischem Handeln per se gesucht. Weder Adorno noch Horkheimer hätten solches proklamiert, da beide als klare Befürworter einer aufgeklärten, bürgerlichen Gesellschaft zu sehen sind.[45] Vielmehr geht es um die Eigendynamik und Dialektik der Aufklärung, die bereits beschrieben wurde, ihre Tendenzen zum Totalitarismus und die Unterwerfung allen Gedankenguts unter die Aspekte der Nützlichkeit und Messbarkeit, kurz, das Rationale und vor allem ökonomisch Greifbare.
Adorno und Horkheimer beschreiben den ökonomischen Kulturapparat als einen quasi mehr oder minder homogenen Moloch, der sich von seinen Methoden, Idealen und Zwecken her kaum unterscheidet. Es ist also relativ uninteressant, ob die Rede von Rundfunk, Kino oder der Literatur ist. Das Massenprodukt Kultur unterscheidet sich nicht in relevantem Ausmaß von der Sache her. Adorno und Horkheimer beschreiben dies unter anderem anhand von A- und B-Filmen, die sich – was ihre künstlerische Qualität anbelangt – kaum differenzieren, sondern lediglich was eine spezifische Zielgruppe an Konsumenten anbelangt, die sich vor allem anhand des Kriteriums der Zahlungskräftigkeit bildet (Zielgruppe = Einkommensgruppe).[46] Im Kontext dieser Arbeit muss ohnehin an dieser Stelle erwähnt werden, dass der Film bei Adorno und Horkheimer als Paradebeispiel für das industrielle Massenprodukt abseits ästhetischen Anspruchs herhalten musste.
Prägend für die Kulturindustrie sind also nur das ökonomisch Interessante, die Technik der Vermarktung und ein Kreislauf an Manipulationen, den sie ausübt. Dabei ist wiederum die Objektivierung beinahe der gesamten Gesellschaft – wie auch der Kunst selbst, indem sie durch die Industrie von vornherein vereinnahmt wird – von großer Bedeutung. Adorno und Horkheimer beschreiben es am Beispiel des Telefons und des Radios:[47]
„Der Schritt vom Telephon [sic] zum Radio hat die Rollen klar geschieden. Liberal ließ jenes den Teilnehmer noch die des Subjekts spielen. Demokratisch macht dieses alle gleichermaßen zu Hörern, um sie autoritär den unter sich gleichen Programmen der Stationen auszuliefern.“ [48]
An dieser Stelle ist eine kurze Abgrenzung des Begriffes der Kulturindustrie zu jenem der Massenkultur notwendig, die Adorno vornahm. Beide Begriffe behandeln zwar im Kern das gleiche Phänomen der modernen, ökonomisch organisierten Produktion von Kulturgütern, wobei sich der Begriff Produktion nicht anhand der Art und Weise der Herstellung, sondern am Produkt und dessen Warencharakter (Standardisierung der Kultur) herleitet. Jedoch grenzt sich der Begriff der Kulturindustrie ab, indem er betont, dass er nicht das kulturelle Produkt als jenes der Massen beschreibt, sondern jenes, das für die Massen geschaffen wurde.[49] Adorno selbst konkretisiert diese Abgrenzung später in „Kulturkritik und Gesellschaft I“. Der Begriff der Kulturindustrie soll gerade verhindern, dass der Trugschluss entsteht, sie entstünde aus der Masse des Volkes heraus als eine Form von „Volkskunst“. In allen Sparten der Kulturindustrie werden Produkte auf den Konsum durch Massen zugeschnitten, bestimmen jedoch andererseits wiederum eben jenes Konsumverhalten der Zielgruppen, an die sie sich richten. Bei genauer Analyse zeigt sich, dass auf das Generieren von künstlerisch Neuem dabei weitgehend verzichtet wird. Vielmehr wird stattdessen stets auf Altbewährtes gesetzt, dass lediglich mit neuer Qualität vermarktet wird.[50]
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Systemcharakter, der die Kulturindustrie auszeichnet. Er sieht die bewusste Integration des Konsumenten in das System vor. Dabei wird autoritär bzw. manipulativ vorgegangen, die Integration also von oben her angeschoben. Dieser Aspekt der Kulturindustrie ist als besonders bedeutend anzusehen. Im Zuge der Gleichmacherei und unbegrenzten Integration macht sie keinen Unterschied zwischen niederer und hoher Kunst, sondern degradiert sie beide in jeweils unterschiedlichen Formen. Adornos als elitär geltender Kunstbegriff kann somit als solcher nur teilweise bestätigt werden, was sich vor allem an jenen Ausführungen zur Kulturindustrie beweisen lässt. Mit niederer und höherer Kunst sind keine Wertigkeiten in dem Sinne verbunden, als das mit jenen Einstufungen bestimmte Kunstformen degradiert hätten werden sollen. Adorno selbst wertet keineswegs die niedere Kunst statushalber ab. Er kritisiert, dass die Kulturindustrie alles vereinheitlicht, den gleichen Maßstäben unterzieht und dadurch alle Kunstformen Schaden nehmen. Hohe Kunst wird dabei „ihres Ernstes“ beraubt, die niedere Kunst durch ihre „zivilisatorische Bändigung“ um eben ihre charakteristischen Elemente gebracht. Die Massen, an die sich Kulturindustrie wendet, sind dabei nicht tonangebend, sondern nur von untergeordneter Bedeutung. Sie steuern nicht den Markt, sondern werden gesteuert.[51]
„Der Kunde ist nicht, wie die Kulturindustrie glauben machen möchte, König, nicht ihr Subjekt, sondern ihr Objekt.“ [52]
Probleme was die Interpretation Adornos anbelangt, verbergen sich jedoch auch in seinen Ausführungen zum Warencharakter der Kunst. Adorno behauptet keineswegs, dass Kunst in altertümlicher Romantik je komplett ohne diesen hätte existieren können. Insofern ist jegliche Kritik, die ihm einen weltfremden Kulturbegriff unterstellt, klar als kurzsichtig und nicht zutreffend zu verwerfen. Adorno weißt explizit darauf hin, dass Kunst und Kultur seit jeher einen gewissen Warencharakter innehatten. Rein um das Überleben ihrer Schaffer zu sichern, konnte Kunst ohne diesen ohnehin nie wirklich existieren. Die Kulturindustrie erschafft also nicht den Warencharakter der Kunst als solchen neu, sie beseitigt den Autonomiecharakter, der ihr parallel innewohnte. Adorno betont, dass die Autonomie der Kunst nie eine vollkommene war. Jedoch wird sie nun durch die Kulturindustrie radikal abgeschafft und dem Primat des Ökonomischen komplett unterworfen. Was verbleibt, ist die Singularität des Warencharakters, das reine, auf Konsum zugeschnittene und diesen reproduzierende Kulturprodukt, wie man es auch nennen könnte.[53]
Insofern ist die Kulturindustrie also ein Exempel für die Entwicklung der modernen Gesellschaft im Allgemeinen. Dass der Begriff Kulturindustrie heute teilweise als unmodern gilt, kann durch die Kritik Adornos selbst erklärt werden. Kulturindustrie macht zirkulär in eigener Sache Werbung. Sie zu unterschätzen oder abzutun, wäre nach Adornos Ausführungen naiv. Ebenso naiv wäre der Glauben, man könne die kulturindustrielle Entwicklung per se stoppen oder sich zurückflüchten in scheinbar bessere Zeitalter der autonomen Kunst. Kritik an der Kulturkritik selbst verfehlt insofern meist ihr Ziel, als dass die KT und ihre Intentionen im Umgang mit der Kulturindustrie dabei immer wieder fehlinterpretiert wurden und werden. Die bedeutende Sozialisationsrolle der Kulturindustrie wird von Adorno nicht abgestritten. Ebenso wenig wünscht die KT eine fundamentale Bekämpfung und Abschaffung jenes Apparates. Vielmehr ist das Ziel der Kritik das uhreigene Moment der Aufklärung selbst, Kritik. Adorno fordert vor allem ein kritisches Hinterfragen an Stelle des allgemeinen Konformismus, den die Kulturindustrie generiert. Im Zuge dieser möglichen Fehlinterpretation kommt ein weiterer Faktor hinzu, der schnell missverstanden werden kann. Die KT will den Konsumenten kulturindustrieller Produkte – was auf jeden Menschen in mehr oder minder ausgeprägter Art und Weise zutrifft – nicht als dumm oder allgemein verblendet darstellen. Das Konsumverhalten und die individuelle Haltung hierzu unterliegen selbst wiederum einer gewissen Form der Dialektik. Der Konsum ist vielmehr Ausdruck eines Wunsches nach Bedürfnisbefriedigung, nach einer Art heiler Welt, die vor allem in Form des Filmes geliefert wird. Der Kulturindustrie und ihrer sozialisationstechnischen Rolle haftet der Ruf an, ein Stück Ordnung in das weitegehend unübersichtliche Leben der Moderne zu bringen. Die Dialektik besteht darin, dass der Konsument um den Betrug an seiner Person oft durchaus weiß. Anstatt Unwissenheit oder Verblendung ist es also vielmehr das bewusste Verschließen der Augen und die Unterdrückung des kritischen Blicks, die Adorno moniert. Kurz gesagt, die Dialektik der Aufklärung im Bezug auf die Kulturindustrie besteht darin, dass der Mensch sich im Kantschen Sinne Schritt für Schritt in die Unmündigkeit zurückbewegt und sich selbstverschuldet, wissentlich täuschen und beherrschen lässt.[54]
Hier wird der Rückschluss zu Aufgaben und Themen der Sozialen Kulturarbeit nur allzu deutlich. Nicht zuletzt die Ausbildung einer möglichst kritischen Persönlichkeit ist es, was dem Bildungssystem immer noch als Grundauftrag anhaftet. Die dialektische Entwicklung der Aufklärung (bzw. der Moderne) kann jedoch auch anhand dieses Beispiels gezeigt werden. So ist es kaum abzustreiten, dass die kritische Persönlichkeit oft dort zu enden hat, wo das Primat der Ökonomie beginnt. Nichts anderes leistet die Kulturindustrie. Sie beseitigt das Kritische und versucht, durch allgemeine Manipulation antiintellektuell zu wirken. Um es mit Adornos Worten zu bekräftigen: Der sorglose und unhinterfragte Umgang mit der Kulturindustrie ist nichts anderes, als die „Anti-Aufklärung“, die in DdA bereits andeutet und dargelegt wurde. Das Ziel ist vor allem Machterhalt und Konformismus bis hin zur Hörigkeit.[55]
„Der kategorische Imperativ der Kulturindustrie hat, zum Unterschied vom Kantschen, mit der Freiheit nichts mehr gemein. Er Lautet: du sollst dich fügen, ohne Angabe worein; […]“[56]
Bei genauerer Betrachtung weißt die KT und ihre Haltung zu Machtverhältnissen viele Ähnlichkeiten zu anderen soziologischen bzw. philosophischen Theorien, die für die Soziale Arbeit Bedeutungskraft haben, auf. Auch Michel Foucault hat sich in seinen Studien zur Diskusanalyse vor allem mit Machtverhältnissen und deren Erhalt beschäftigt. Foucault grenzt seine Variante des Diskurses zwar klar von den diskursanalytischen Überlegungen der Frankfurter Schule (Habermas) ab. Im Gegensatz zu Habermas sieht Foucault nur den Diskurs in endloser Serie und keine Basis der Verständigung durch diesen. Auch grenzt sich Foucault von der modernen Hermeneutik ab, indem er den Sinn des Dokuments einzig an diskursive Strukturen bindet. Der Diskurs kann als der Algorithmus Foucaults angesehen werden, indem es weniger um den tieferen Sinn der Aussagen geht, sondern vielmehr – ähnlich der Theorie Adornos – um den Systemcharakter des Prozedere. Es ist also vor allem entscheidend, was gesagt werden darf, um das System im Sinne bestimmter Machtstrukturen am Funktionieren zu erhalten.[57] Zu erwähnen ist jedoch an dieser Stelle, dass Adornos Ansatz im Gegensatz zu Foucault eine gewisse Rationalität von Machtverhältnissen bzw. Moral nicht komplett in Frage stellt. Auch hier blieb er quasi Dialektiker, indem er der Moral – ähnlich der Kulturindustrie – auch eine rationale Bedeutung zuwies.[58]
Macht ist für Foucault wie Adorno eine wichtige Komponente. Die Kulturindustrie könnte also auch mittels der Foucaultschen Theorie als ein Element verschiedener Diskurse beschrieben werden, bzw. der Diskurs in Teilen als die autoritäre Angleichung und Anti-Aufklärung der Kulturindustrie.
Der kurze Exkurs zu Foucault diente zur Verdeutlichung, dass die Theorien Adornos und auch Horkheimers nicht als komplett singulär anzusehen ist. Die Fragen nach Macht und Machterhalt wie auch Manipulation sind Gegenstand unterschiedlicher wissenschaftlicher Publikationen und Theorien und verlieren nahezu nie ihre Aktualität. Als Beispiel können auch die Publikationen des Ökonomen Müller gelten, der sich vor allem mit Medien, Manipulation, Politik und Wirtschaft auseinandersetzt. Prinzipiell stünde wohl nichts entgegen, die Ausführungen Müllers in auf die Zeit aktualisierte Schemata der KT oder der Diskursanalyse einzubinden.[59]
Insgesamt kann somit als kurzes Zwischenresümee festgehalten werden, dass der Begriff Kulturindustrie zwar mit Bedacht zu verwenden ist, jedoch trotz allem Aktualität besitzt. Außerdem ist er für einen kritischen Ansatz Sozialer Kulturarbeit unerlässlich. Die Kulturindustrie ist ein zentraler Dreh- und Angelpunkt der KT. Zieht man zum Beispiel die Erkenntnisse der Cultural Studies heran, verdeutlicht sich, dass Adornos Kritik keineswegs gestrig ist, sich also nach einer erfolgten Aktualisierung immer noch als theoretische Grundlage für Kulturarbeit eignet. Hierzu jedoch an späterer Stelle mehr.
Ein weiteres zu behandelndes Feld der Frankfurter Schule ist die Ästhetische Theorie. Ästhetik und ästhetische Erfahrung sind zentrale zu beantwortende Fragestellungen, die sich für Ansätze der Sozialen Kulturarbeit ergeben. Im folgenden Abschnitt sollen daher die theoretischen Grundlagen der Ästhetik erörtert werden, wie sie Theodor W. Adorno formuliert hat.
3.2 Ästhetik und Theorie nach Adorno
Adornos Ästhetik beschreibt sich nicht lediglich in einem, sondern in unterschiedlichen Werken von ihm. Sie ist auch weniger als eigenständige Theorie der Ästhetik, sondern vielmehr im Gesamtkontext und als zentraler Eckpfeiler des gesamten Schaffens von Theodor W. Adorno zu sehen. Als primär relevante Werke können jedoch „Ästhetische Theorie“ [ÄT] und „Minima Moralia“ [MM] angesehen werden, die beide diverse Formulierungen zum Ästhetikbegriff Adornos enthalten. Kunst wird dabei von unterschiedlichen Standpunkten her betrachtet. Zentrale Fragestellungen sind etwa beispielsweise:[60]
Das Ende der Kunst und deren Rettung
Der Fetischcharakter des Kunstwerks
Die Utopie der Kunst
Der Schein der Schönheit
Auf eine umfassende Interpretation der ÄT muss an dieser Stelle verzichtet werden. Problematisch wäre dies nicht zuletzt aufgrund dessen, dass die ÄT ohnehin als in gewisser Weise mysteriöse Hinterlassenschaft von Theodor W. Adorno anzusehen ist. Sie gilt als eines der am schwierigsten zu entschlüsselnden und zweideutigsten Werke seiner Person. Angefangen bei der Frage, wie Theorie und Ästhetik zu vereinen sind, bis hin zum Genitiv des Terminus (ist es eine Theorie der Ästhetik oder eine ästhetische Theorie?) bietet gerade jenes Werk viele Interpretationsmöglichkeiten.[61] Andererseits kann auch festgehalten werden, dass die ÄT durchaus fassbar, kategorisierbar und praktikabel ist. Im Folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, jene Elemente der ÄT herauszuarbeiten, die für den hier dargestellten Ansatz der KSK von Bedeutung und vor allem als nützlich erscheinen. Erinnert werden muss an dieser Stelle nochmals an den Automatismus der Applikation, der unter 2. beschrieben wurde. Im hier zugrunde liegenden Kontext bedeutet dies, dass die ÄT für die Applikation der Sozialen Kulturarbeit ausgelegt wird. Auf eine detaillierte philosophische Interpretation im Sinne der Negativen Dialektik etwa muss aus gegebenem Anlass daher verzichtet werden.
3.2.1 Der Doppelcharakter der Kunst
Kunst ist gemäß Adornos theoretischer Einordnung nie losgelöst von der Gesellschaft zu sehen. Bereits zu Beginn befasst sich die ÄT daher mit der Frage des Verhältnisses von Kunst und Gesellschaft. Der Annahme, Kunst und ihr Verhältnis zur Gesellschaft definiere sich durch den Einschluss bestimmter Momente und Thematiken der Gegenwart, tritt Adorno entgegen. Ihm zufolge ist es vielmehr die Frage ungelöster Gegensätze der dargestellten Wirklichkeit, die das Verhältnis der beiden Positionen bestimmt. Was im Wesentlichen durch diese Unterscheidung benannt wird, ist nichts anderes als eine weitere Form der Dialektik, die Adornos Einordnung der sozialen Rolle von Kunstwerken beinhaltet, die bereits an früherer Stelle angesprochen wurde: der Zwiespalt in Anbetracht künstlerischer Autonomie bzw. der Freiheit des Kunstwerks. Insofern besteht der Antagonismus vor allem darin, dass Kunst ihre Autonomie wahrt und trotz allem gesellschaftliche Realitäten darstellt, sich dabei jedoch auf bestehende Dilemmata bezieht und nicht nur reproduzierend einen wie auch immer definierten Status Quo abbildet. Somit wird deutlich, dass der Begriff der Ästhetik nach Adorno durchaus einen hohen Anspruch an das Kunstwerk stellt. Es soll sich nicht auf Darstellung und Schönheit beschränken, sondern im Aufgreifen des gesellschaftlich Diskursiven auch eine sozial bedeutende Rolle einnehmen, oder kurz, kritisch sein.[62]
Interpretiert man nun jedoch die Kunst als ein Sprachrohr der Gesellschaft, täte man falsch. Kunst und das kritische Moment das ihr in Adornos Theorie innewohnt, ist vielmehr ein zwar integraler, aber trotz allem teilweise vorherrschender Gegenpol zur Gesellschaft. Adorno beschreibt daher die Kunst als nichts Geringeres, als die „gesellschaftliche Antithesis zur Gesellschaft“.[63] Diese Dialektik der Kunst ist als wiederkehrendes Moment in Adornos Theorie insgesamt anzusehen. Kunst ist also zum einen ein gesellschaftliches Produkt und ist es andererseits wiederum nicht. In der ÄT wird dies als fait social einerseits und Autonomiecharakter andererseits bezeichnet. Gemeint ist wiederum der Warencharakter und die Autonomie des Kunstwerks, die bereits an früherer Stelle dieser Arbeit erwähnt wurden.[64] Insofern kann hieraus folgendes interpretiert werden: Adornos Theorie der Ästhetik macht keinen wertenden Unterschied per se zwischen hoher und niederer Kunst, indem sie der niederen einen geringeren ästhetischen Anspruch zuspräche oder sie gar aus dem Raster ihrer eigenen Theorie ausspare. Die niedere Kunst findet in der ÄT wiederholt Erwähnung. Vielmehr ist der ästhetische Anspruch der Kunst darin zu sehen, dass die Dialektik des fait social und der Autonomie nicht komplett zugunsten des Ersteren an Bedeutung verliert. In ihrer Autonomie verbirgt sich immer auch ein Stück Utopie, ohne die Kunst nicht sein kann.
3.2.2 Kunst und Utopie
Der Begriff der Utopie ist für Adornos Ästhetik und dem Selbstverständnis der Kunst von zentraler Bedeutung. Er kann als eines der Charakteristika angesehen werden, was die kritische Rolle der Kunst innerhalb der Gesellschaft anbelangt. Der Terminus Utopie wird jedoch in unterschiedlicher Weise gebraucht. So ist es utopisch, an das „Neue“ in den Künsten zu glauben und sich somit vom Schein der Moderne trügen zu lassen. Ebenso wie es utopisch ist, muss es als falsch klassifiziert werden. Wie bereits im Kapitel zur Kulturindustrie dargelegt, ist die Utopie auch die Irrtümlichkeit im Glauben an die Reproduktion von bereits Gewesenem im neuen Gewand. Grund ist die Manifestation des Bestehenden in Form des utopischen Gewands des scheinbar neuen, autonomen Kunstwerks.[65]
Insofern könnte interpretiert werden, dass Adorno der Kunst insgesamt ein düsteres Zeugnis ausstellt, künstlerischer Fortschritt nicht existiert und eine allgemeine Ablehnung sämtlicher Formen moderner Künste aus ihm zu folgern wäre. Zieht man jedoch die fundamentale Forderung der KT im Hinblick auf die Kulturindustrie heran, dass es stets vor allem um das Beibehalten eines kritischen Moments – mehr als um die aktive Beseitigung der von Adorno und Horkheimer etwa kritisierten kulturindustriellen Tendenzen – geht, wird deutlich, worin der Wert von Adornos Thesen im Hinblick auf den ästhetischen Anspruch des Kunstwerks in der Frage nach Utopien liegt: Utopie ist Kunst. Kunst ohne Utopie bedeutet invers die Abschaffung ihrer selbst und somit das Ende der Kunst.[66]
Dass das Neue also nicht als wirklich Neues gelten kann, ist nicht als repressive Form kulturkonservativer Fundamentalkritik an der modernen Gesellschaft aufzufassen. Vielmehr ist der entscheidende Punkt, dass die Utopie sich als Wunsch nach dem Neuen, Anderen äußert.[67] Insofern zeigt sich auch im Falle der Utopie die Janusköpfigkeit der ÄT als ein begründeter Widerspruch in sich, der für die Kunst jedoch essentiell ist:
„Zentral unter den gegenwärtigen Antinomien ist, daß [sic] Kunst Utopie sein muß [sic] und will und zwar desto entschiedener, je mehr der reine Funktionszusammenhang Utopie verbaut;[…]“ [68]
Gleichzeitig ist jedoch das Utopische ein eher implizites Element der Kunst. Die Dialektik im Charakter der Utopie liegt in der Feststellung, dass Kunst Utopie sein muss und es doch nicht sein darf. Andernfalls droht sie sich selbst an „Schein“ und „Trost“ zu verkaufen. Auch in der letztendlichen Erfüllung der Kunst in Form eben jenes Scheins als Utopie prognostiziert Adorno das sukzessive Ende der Kunst.[69] Die Kunst der Ästhetik liegt also darin, Utopie zu äußern und es gleichzeitig nicht zu tun. Der Widerspruch kann nur durch Ästhetik selbst gelöst werden. Die Utopie darf also keine als Schein und Trost enttarnbare Ästhetik des generell Schönen sein, was die Kulturindustrie ohnehin fortlaufend reproduziert. Vielmehr muss die Utopie darin liegen, Sehnsucht nach dem Neuen zu wecken und ein kritisches Verhältnis zur Kulturindustrie zu begünstigen. Utopie und Ästhetik nach Adornos Verständnis sind also eben nicht die reine Befriedigung des Bedürfnisses nach einer heilen Welt im kulturindustriellen Sinn – die sogenannte Ersatzbefriedigung. Hieraus folgend, muss sich das Kunstwerk also auch in seinen Darstellungsformen, seiner Ästhetik und in Fragen der Aussagekraft vom kulturindustriellen Massenprodukt unterscheiden. Es soll vielmehr den Wunsch nach Utopie wecken, als diese selbst darzustellen.
In Anbetracht dessen lassen sich erste Anforderungen an die ästhetische Gestaltung des Kunstwerks und der Utopie, wie sie Adorno forderte, herauslesen und formulieren. Die Utopie konkret darzustellen, hielt er für unmöglich. Kunst vermag dies ebenso wenig wie Theorie. Die einzige Lösung liegt ihm zufolge in der Darstellung absoluter Negativität, die sich dem Schein der Versöhnung entzieht und den „Untergang“ darstellt. Somit wird die Utopie unaussprechlich und damit auch kaum theoretisch fassbar, verwehrt sich dem Kitsch und damit der kulturindustriellen Versöhnung bzw. des Scheines dieser. Der Untergang ist in diesem Fall eher metaphorisch zu verstehen, wird also nicht abbildhaft sondern als Chiffre gefordert. Diese Form der ästhetischen Darstellung ermöglicht es nach Adorno, die Magie der Kunst dem Bann der Kulturindustrie zu entziehen, ihr somit ihre Autonomie im Dargestellten, absolut Negativen zu retten und beinahe archaisch das Ende der Kunst zu verhindern.[70] Insofern wird bereits an dieser Stelle deutlich, dass Kunst nach Adorno eines besonderen Begriffs von Ästhetik bedarf, sie somit nicht den Regeln des Kunstwerks unterliegen darf, welches den gängigen Klischees der Schönheit Genüge tun würde.
3.2.3 Natur- und Kunstschönes
Was die Frage nach Schönheit anbelangt, widmete sich Theodor W. Adorno vor allem einem Begriff mit besonderem Interesse. Er nannte es „das Naturschöne“. Das von Natur aus Schöne muss als das interpretiert werden, was seine Schönheit alleine durch den Urzustand ohne menschlichem Zutun, also durch die Natur besitzt. Mit der fortschreitenden Aufklärung und der durch den Freiheitsgedanken des Subjekts und seine Autonomiewünsche stetig vorangetriebenen Beherrschung und Unterjochung der Natur wurde das Naturschöne aus der Kunst verdrängt. Adorno betonte, dass die Freiheit des Subjekts seit Kant immer auch die Unfreiheit eines anderen mit sich zog, dem zufolge der Natur. Das Naturschöne stand bei Adorno jedoch für mehr als nur einen Begriff von Schönheit ohne Menschenhand. Die Natur steht für Unschuld, einen Urzustand vor der menschlichen Einmischung und Unterjochung. Adorno spielte dabei wohl vor allem auf das, was er neue Barbarei nannte, an.[71] Wie viele Elemente der KT ist auch der Begriff der neuen Barbarei vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges zu sehen, dessen Schrecken und Gräuel Adorno tief geprägt haben.
Dem gegenüber und das Naturschöne immer mehr einklammernd steht das Kunstschöne. Auch hat die Rückbesinnung auf das Naturschöne in der Kunst für Adorno ebenfalls – wie nahezu alle Positionen der ÄT – eine Kehrseite der Medaille. Sie bedeutet nichts anderes als die Rückbesinnung auf frühere Unfreiheit aufgrund der momentan empfundenen in der modernen Gesellschaft. Oder einfacher ausgedrückt: Der aufgeklärte Mensch im modernen Kapitalismus fühlt sich nicht frei und besinnt sich romantisierend zurück auf frühere Zeiten, in denen die Unfreiheit ohne Zweifel jedoch noch großer war. Am Beispiel des gegenwärtigen Aufschwungs von Mittelaltervereinen, -festivals etc., die für viele der dort engagierten Menschen eine Art Flucht aus dem Alltag darstellen, kann diese These Adornos belegt werden. Das Naturschöne ist darüber hinaus immer eine gewisse Inspirationsquelle für die Kunst und trotzdem nicht wirklich abbildbar. Immer dann, wenn Kunst das Naturschöne versucht darzustellen, entsteht zwangsläufig Kitsch. Adorno nennt hierfür beispielhaft die Landschaftsmalerei.[72]
Die Abhandlungen zum Thema Natur- und Kunstschönheit sind an dieser Stelle deshalb von Belang, da sie Einblicke in Adornos Vorstellungen von Ästhetik und Kitsch bieten. Naturschönheit künstlerisch abbilden hieße somit nichts anderes, als die Versöhnung, die Akzeptanz des Scheins und eine sich selbst interpretierende Form der Kunst. Die Malerei einer schönen Landschaft genügt demnach für die ansprechende Gestaltung des Wohnraums, nicht jedoch für ein Stück Kunst, welches interpretiert werden will und seine Betrachter, Hörer oder wie auch immer gearteten Kulturkonsumenten fordert und somit dem Anspruch der KSK basierend auf KT genügen würde. Folgerichtig muss neben dem Schönen anschließend auch das Hässliche eingeordnet werden.
3.2.4 Das Hässliche
Kunst bedarf zur Erfüllung ihrer Ästhetik zwingend eines Begriffs des Hässlichen als Negativum zum Schönen. Beide Begriffe lassen sich nach Adorno jedoch kaum definitorisch klar einordnen. Vielmehr sind beide Begriffe dynamisch zu sehen und sollen im Idealfall Spannung beim Betrachter erzeugen. Harmonie ohne Spannung hingegen bezeichnete Adorno als dissonant.[73]
Das Hässliche ist bei Adorno eng mit dem Mythos und der Natur verwoben. Es spiegelt die Ehrfurcht vor der Naturgewalt wider:
„Archaische Häßlichkeit [sic], die kannibalisch drohenden Kulturfratzen waren ein Inhaltliches, Nachahmung von Furcht, die sie als Sühne um sich verbreiteten“. [74]
[...]
[1] Vgl. Baecker, D., 2006, Kultur, In: Trebeß, A. (Hrsg.), Metzler Lexikon Ästhetik, Kunst, Medien, Design und Alltag, Stuttgart: J.B. Metzler & Carl Ernst Poeschel, S. 211-214.
[2] Vgl. Kant, I., 2007, Die drei Kritiken, Eine kommentierte Auswahl, Stuttgart: Kröner, S. 348-349.
[3] Baecker, 2006, Kultur, S. 213.
[4] Vgl. Hansen, K.P., 1995, Kultur und Kulturwissenschaft: Eine Einführung, Tübingen und Basel: Francke, S. 9-17.
[5] Vgl. Müller-Funk, W., 2006, Kulturtheorie, Einführung in Schlüsseltexte der Kulturwissenschaften, Tübingen: Narr Francke Attempto, S. 1-7.
[6] Vgl. Hiltmann, G., 1989, Kulturarbeit und die Neubestimmung des Kulturbegriffs, In: Koch, G. (Hrsg.), Kultursozialarbeit, Eine Blume ohne Vase?, Frankfurt am Main: Brandes & Apsel, S. 12-13.
[7] Vgl. Hiltmann, 1989, S. 13-14.
[8] Vgl. Hiltmann, 1989, S. 13-14.
[9] Vgl. Reitz, T., 2006a, Kulturkritik, In: Trebeß, A. (Hrsg.), Metzler Lexikon Ästhetik. Kunst, Medien, Design und Alltag, Stuttgart: J.B. Metzler & Carl Ernst Poeschel, S. 215-216.
[10] Reitz, 2006a, S.215.
[11] Vgl. Reitz, 2006a, S. 215.
[12] Vgl. Reitz, 2006a, S. 215.
[13] Vgl. Raithel, J., Dollinger, B. & Hörmann, G., 2005, Einführung Pädagogik, Begriffe, Strömungen, Klassiker, Fachrichtungen, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 105-111.
[14] Vgl. Reitz, 2006a, S. 215-216.
[15] Vgl. Müller-Funk, 2006, S. 124-125.
[16] Vgl. Reitz, 2006a, S. 216.
[17] Vgl. Reitz, T., 2006b, Kulturindustrie, In: Trebeß, A. (Hrsg.), Metzler Lexikon Ästhetik, Kunst, Medien, Design und Alltag, Stuttgart: J.B. Metzler & Carl Ernst Poeschel, S. 215.
[18] Vgl. Reitz, 2006b, S. 215.
[19] Vgl. Reitz, 2006b, S. 215.
[20] Vgl. Reitz, 2006b, S. 215.
[21] Vgl. Reitz, 2006b, S. 215.
[22] Universität Hamburg, o.J., Soziale Kulturarbeit, [Online], http://www.sign-lang.unihamburg.
de/projekte/slex/seitendvd/konzeptg/l53/l5383.htm, Zugriff: 19.04.2011.
[23] Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur, o.J., Soziokultur, [Online], http://www.mwk.niedersachsen.de/live/live.php?navigation_id=6313&article_id=18723&_psmand=19, Zugriff: 22.04.2011.
[24] Vgl. Kreft, D. & Mielenz, I., 2008, Wörterbuch Soziale Arbeit, Aufgaben, Praxisfelder, Begriffe und Methoden der Sozialarbeit und Sozialpädagogik, Weinheim und München: Juventa, S. 567.
[25] Vgl. Kreft & Mielenz, 2008, S. 568.
[26] Kant, I., 1784, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, [Online], http://www.uni-potsdam.de/u/philosophie/texte/kant/aufklaer.htm, Zugriff: 22.04.2001.
[27] Vgl. Gadamer, H.-G., 1993, Hermeneutik II, Wahrheit und Methode, 2. Auflage, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), S. 92-117.
[28] Vgl. Litde, o.J., Von Gadamer zu Jauß: Hermeneutik und Ästhetik, [Online], http://www.litde.com/literarische-sthetik-auflse/die-rezeptionssthetik-zwischen-hermeneutik-und-phnomenologie/von-gadamer-zu-jau-hermeneutik-und-sthetik.php, Zugriff: 27.04.2011.
[29] Vgl. Litde, o.J. .
[30] Vgl. Grondin, J., 2000, Einführung zu Gadamer, Tübingen: Mohr Siebeck, S. 158-164.
[31] Vgl. Grondin, 2000, S. 158-164.
[32] Vgl. Gadamer, H.-G., 1990, Hermeneutik I, Wahrheit und Methode, 6. Auflage, Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), S. 312-346.
[33] Gadamer, 1990, S. 329.
[34] Vgl. Gander, H.-H., 2007, Erhebung der Geschichtlichkeit des Verstehens zum hermeneutischen Prinzip, In: Figal, G. (Hrsg.), Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, Berlin: Akademie Verlag, S. 105-125.
[35] Vgl. Horkheimer, M. & Adorno, Th.W., 1998, Dialektik der Aufklärung, Philosophische Fragmente, In: Tiedemann, R. (Hrsg.), Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften (Band 3), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 11-18, Im Folgenden abgekürzt mit: DdA.
[36] Vgl. Kant, I., 1784.
[37] Vgl. DdA, S. 19-20.
[38] DdA, S. 20.
[39] Vgl. Steinert, H., 2008, Die Diagnostik der Überflüssigen, Bedauerliche Kosten der Wissensökonomie, In: Bude, H. & Willisch, A. (Hrsg.), Exklusion, Die Debatte über die Überflüssigen, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 110-120.
[40] Vgl. Adorno, Th. W., 1998, Negative Dialektik, Jargon der Eigentlichkeit, In: Tiedemann, R. (Hrsg.), Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften (Band 6), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 41-45.
[41] Vgl. Bevc, T., 2007, Politische Theorie, Konstanz: UVK, S. 49-50.
[42] Vgl. DdA, S. 20-29.
[43] DdA, S. 22.
[44] Vgl. Reijen, W. von, 1980, Adorno zur Einführung, Hannover: SOAK, S. 40-51.
[45] Vgl. Schweppenhäuser, G., 2009, Theodor W. Adorno, Zur Einführung, 5. vollst. überarbeitete Auflage, Hamburg: Junius, S. 142-152.
[46] Vgl. DdA, S. 141-144 & Adorno, Th. W, (1998), Kulturkritik und Gesellschaft I, In: Tiedemann, R. (Hrsg.), Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften (Band 10.1), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 337-345, Im Folgenden abgekürzt mit: KuGI.
[47] Vgl. DdA, S. 141-144.
[48] DdA, S. 143.
[49] Vgl. Schweppenhäuser, 2009, S. 157-175.
[50] Vgl. KuGI, S. 337-345.
[51] Vgl. KuGI, S. 337-345.
[52] KuGI, S. 337.
[53] Vgl. KuGI, S. 337-345.
[54] Vgl. KuGI, S. 337-345.
[55] Vgl. KuGI, S. 337-345.
[56] KuGI, S. 343.
[57] Vgl. Sarasin, P., 2008, Michel Foucault, Zur Einführung, 3. Auflage, Hamburg: Junius, S. 103-114 & Ruoff, M., 2009, Foucault-Lexikon, 2. Auflage, Paderborn: W. Fink, S. 37-45.
[58] Vgl. Schweppenhäuser, 2009, S. 97.
[59] Vgl. Müller, A., 2009, Meinungsmache, Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen, München: Drömer.
[60] Vgl. Lohmann, H.-M., 1980, Adornos Ästhetik, In: Reijen, Adorno zur Einführung, Hannover: SOAK, S. 71-80 & Schweppenhäuser, 2009, S. 116-118.
[61] Vgl. Lohmann, 1980, S. 71-80.
[62] Vgl. Adorno, Th. W., 1998, Ästhetische Theorie, In: Tiedemann, R. (Hrsg.), Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften (Band 7), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 14-18, Im Folgenden abgekürzt mit: ÄT.
[63] Vgl. ÄT, S. 19.
[64] Vgl. ÄT, S. 334-335.
[65] Vgl. ÄT, S. 55-56.
[66] Vgl. ÄT, S. 55-56.
[67] Vgl. ÄT, S. 55-56.
[68] ÄT, S. 55.
[69] Vgl. ÄT, S. 55-56.
[70] Vgl. ÄT, S. 55-56.
[71] Vgl. ÄT, S. 97-103.
[72] Vgl. ÄT, S. 103-105.
[73] Vgl. ÄT, S. 74-78.
[74] ÄT, S. 76.
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- M.A. Philipp Rösel (Autor:in), 2011, Kritische Soziale Kulturarbeit mit dem Medium Film , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/183195
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