Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Frau in der Ehe
2.1. Berichte europäischer Reisender über die Stellung der Frau in der Ehe
2.2. Die Ideale für die Ehe im Domostroj und in der Kirche
2.3. Eherealitäten
3. Die Sexualität der Frau
3.1. Eindrücke europäischer Reisender
3.2. Einfluss der Kirche und des Domostrojs auf das Sexualverhalten der Frau
3.3. Vergewaltigung der Frau
4.Fazit
5. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Während meines Referates zum Thema „Stände“ im Proseminar „ Herrschaft und soziale Ordnung im vorpetrinischen Russland“ stellte sich mir die Frage, welche Stellung die Frau in der patriarchisch geprägten Ständeordnung inne hatte und wie die Beziehung zwischen Mann und Frau aussah. Daher habe ich mich entschieden meine Hausarbeit diesem Thema zu widmen und im Verlauf der Arbeit die Fragestellung unter verschiedenen Aspekten zu beleuchten. Dabei stehen die Bereiche Ehe und Sexualität im Vordergrund, da anhand derer die sozialen Erwartungen an die Frau am besten aufgezeigt werden können.
Im Hauptteil der Arbeit werde ich zunächst das Leben der Frau im Bereich der Ehe vorstellen und dabei den Einfluss der Kirche bzw. des Domostrojs und des Mannes einbeziehen. Anschließend werde ich eine Darstellung der damaligen Eherealitäten hinzufügen. Im Anschluss erfolgt ein erstes, kurzes Fazit aus den gesammelten Erkenntnissen.
Darauf folgend wird das zweite Hauptthema „Sexualität“ erläutert. Hierbei möchte ich einerseits das damalige Badeverhalten der russischen Gesellschaft skizzieren, auf der anderen Seite werde ich anhand unterschiedlicher Quellen das Sexualverhalten der Frau darstellen. Desweiteren erfolgt auch hier eine erste Zusammenfassung der Ergebnisse.
Der Versuch einer abschließenden Beantwortung der Frage sowie ein Fazit des Ganzen beendet meine Arbeit.
Zur Quellen- und Literaturlage lässt sich sagen, dass die meisten Werke vor allem über die Zeit der Sowjetunion geschrieben wurden. Während meiner Recherche habe ich viele Bücher entdeckt, die über die Situation der Frauen ab der Oktoberrevolution anfangen zu berichten. Generell findet man zum Thema Frauen im 17. Jahrhundert Literatur, meistens ist diese vom Russischen ins Englische übersetzt worden. Trotzdem gibt es neben den Reiseberichten von europäischen Reisenden auch Werke in deutscher Sprache.
Die grundlegendsten Themen im Leben der Frau wie z.B. die Heirat, Familie oder die Rechtslage sind weitestgehend erforscht. Trotzdem gibt es immer noch Begriffe wie auch zentrale Fragen, die aufgrund der Rarität der Quellen bis heute ungeklärt bleiben.
2. Die Frau in der Ehe
Die Schließung der Ehe wurde schon ab dem 16. Jahrhundert nur noch von der Kirche vollzogen.[1] Der Grund dafür liegt darin, dass die Kirche so die Kontrolle über alle Ehen hatte und so bestimmen konnte, wer mit wem die Ehe eingeht.
Die Historikerin Nada Boškovska schreibt in ihrem Buch, dass vor allem die Frauen, die mit ihrem Lebenspartner schon Kinder hatten die Ehe schließen wollten, damit dieser seiner Versorgungspflicht nachkam[2]. Das geläufigste Heiratsalter der Mädchen betrug 12 Jahre, und bei Jungs 15, wobei sich dies auch in den verschiedenen Regionen unterschied. Da die Kinder in diesem Alter noch keine Entscheidungsgewalt inne hatten, wird hier deutlich, dass die Hochzeit, vor allem in der Oberschicht, von den Eltern arrangiert wurde. Die Schließung der Ehe galt als „moralische Pflicht“[3], was auch begründet, dass wenige Männer und Frauen unverheiratet blieben.
2.1. Berichte europäischer Reisender über die Stellung der Frau in der Ehe
Vergleicht man die Reiseberichte von europäischen Reisenden mit den Forschungen einiger Historikerinnen wie Nada Boškovska , so erkennt man im Bezug auf die Darstellung der Eheverhältnisse einen Unterschied: Der westeuropäische Reisende Sigmund von Herberstein schreibt in einem Bericht[4], dass das „Leben der Weiber erbärmlich“ wäre. In anderen Berichten erzählt er, dass sie „daheimen eingeschlossen“ sind[5]. Es galt als „nicht fromm oder schamhaft“, wenn Frauen von Fremden gesehen wurden. Vor allem reiche Männer ließen ihre Frauen zu Hause Handarbeiten tätigen. Auch sind Berichte vorhanden, in denen von häuslicher Gewalt die Rede ist. Viele Männer schlugen ihre Frauen und Kinder.[6]
Der Reisende Adam Olearius geht in einem seiner Reiseberichte sogar so weit, dass er behauptet, „die Weiber“ werden „in den Kammern behalten und kommen nicht viel unter die Leute“. Auch in der Dissertation von Claire Claus wird von der Einsperrung der Frau im „Terem“ berichtet. Jedoch wird in den Berichten von Adam Olearius, im Gegensatz zu den Berichten von Herberstein auch ersichtlich, dass es Frauen an Feiertagen auch erlaubt war, sich außerhalb des Hauses aufzuhalten: „An ihren Festtagen sieht man sie solch Spiel am meisten treiben“.[7]
2.2. Die Ideale für die Ehe im Domostroj und in der Kirche
An dieser Stelle möchte ich erstmals die Widersprüche zwischen den Reiseberichten und den Forschungen der Historikerinnen wie Boškovska darstellen.
Sie stellt in ihren Forschungen heraus, dass der Begirff des „Terems“ wie er in einigen Reiseberichten benutzt wird, ihrer Meinung nach falsch verwendet wird. Gründe dafür sind zum einen, dass der Begriff „Terem“ in der „Kiever Zeit[8] “ benutzt wurde, aber nicht zu der Zeit, in der die Reisenden ihre Berichte verfassten. Zum anderen findet man diesen Begriff in den Dokumenten aus dieser Zeit nicht[9]. Auch aus anderen Reiseberichten wie z. B. jenen von Samuel Collins, findet man keinen direkten Verweis auf die Einsperrung der Frau in einem Terem. Zwar kann man den Reiseberichten entnehmen, dass wie oben geschildert, die Frauen nicht oft das Haus verlassen haben, was allerdings nicht bedeuten muss, dass sie eingesperrt waren.[10]
Im Domostroj[11] sind einige Regeln für die Ehe aufgeführt. Beispielsweise in Kapitel 29:„Es geziemt dem Manne, sein Weib liebevoll und wohlüberlegt zu unterweisen. Die Frau befrage ihren Mann nach jeglichem Anstand, wie sie ihre Seele erretten, Gott und und dem Manne wohlgefällig dienen und ihr Haus in guter Ordnung halten soll. Sie sei ihrem Manne in allem gehorsam, nehme in Furcht und Liebe an, was er sie heißt und tue nach seiner Vermahnung.“[12]. Der gewählte Textauszug zeigt ganz deutlich die Erwartungen der Gesellschaft an die Frau. Sie soll ihrem Mann gehorchen und hat seine Entscheidungen zu akzeptieren. Man sieht sehr deutlich, dass in diesem Ausschnitt ein Ideal des Zusammenlebens von Mann und Frau gezeigt wird.
Weitere Regeln finden sich im Domostroj. Wie beispielsweise in Kapitel 34, in dem die Frau sich vom Mann in „allen häuslichen Dingen“ seinen Rat holen soll. An dieser Stelle wird deutlich, dass die Frau sich sogar in ihrem eigenen Aufgabenbereich besprechen muss.
Das letzte Beispiel, was ich aus diesem Hausbuch anführen werde, befindet sich ebenfalls im gleichen Kapitel des Buches. Es handelt sich hier um einen Brief von einem Vater an seinen Sohn. Zum Thema Frauen äußert sich der Vater auf Seite 122: „Vermahne sie stets unter vier Augen […]“. Der Mann hatte in der Ehe das Recht seine Frau nicht nur zu erziehen, sondern sie auch zu Recht zu weisen. Boškovska interpretiert in diese Aussage eine mögliche Gewaltanwendung des Mannes gegenüber seiner Frau[13]. Auch wird aus diesem Textausschnitt ersichtlich, dass in jedem Falle „die glückliche Ehe“ vor der Gesellschaft vermittelt werden sollte. Auf die Ehe bezogen soll sie seine Anweisungen befolgen, darf beispielsweise keine alleinigen Entscheidungen treffen. Desweiteren soll sie ihre Aufgabe als Haushälterin erfüllen. Nur so kam die, wie Zeitgenossen sie beschreiben „eheliche Eintracht“ zu Stande.
Auch die Kirche unterstützte die Vorstellungen des oben genannten Domostroj. So sollten die Frauen ihre Männer „ehren, fürchten und ihnen gehrochen. In allem sollte sich eine Frau mit ihrem Mann beraten, denn er war ihr Haupt.“[14]
In ihrem Zeitschriftenaufsatz berichtet auch Carmen Scheide über das Leben der Frauen in patriarchalische Strukturen: “Die Unterordnung wurde mit dem von Bequemlichkeiten, der Liebe Gottes und einem ewig langen Leben nach dem Tod schmackhaft gemacht“.[15]
2.3. Eherealitäten
Im Folgenden möchte ich der Frage nachgehen, ob diese Ideale mit der Realität vereinbar waren und ob die Frau diese befolgte.
Der Alltagshistoriker Carsten Goehrke hat hierzu Korrespondenzen von adligen Moskoviterinnen untersucht. „Wegen der Badehütte hast Du noch nicht zu schreiben geruht, und bis jetzt hat es in dieser Sache noch keine Verhandlungen gegeben und ich habe den Bauern noch nicht befohlen, die Badehütte zu zimmern, weil auch ohne dies die Bauern im Verzug sind.“ [16] Hier wird deutlich, dass die Frau unter bestimmten Umständen auch Entscheidungsgewalt besaß. Sie nutzt ihre Stellung, um den Bautermin mit dem Bauern festzulegen.
Auch im nächsten Zitat zeigt sich, dass die Frau, anders als in den westeuropäischen Reiseberichten dargestellt wird, die Macht besaß eigene Entscheidungen in Abwesenheit des Mannes zu treffen. „Der Priester aber will unbedingt fortgehen. Und ich habe abgemacht, daß den Fedot [ihren Sohn] jener Knecht Andrjuška unterrichtet, der bei Zachar gelebt hat“[17]. Die Frau hatte so nicht nur die Aufgabe als Hausfrau zu agieren, sondern die Interessen ihres Mannes „gegenüber den Behörden zu vertreten. Dies geschah keineswegs nur vom stillen Frauenkämmerlein (dem „Terem“) aus;“[18]. Aufgrund dieser Ergebnisse fordert Goehrke am Ende seines Aufsatzes, „das Bild der russischen Frau für die vorpetrinische Ära grundsätzlich neu zu zeichnen“[19].
Diese Beispiele gelten jedoch nur für die höhere Gesellschaft. Dies wird ersichtlich daraus, dass die angeführten Korrespondenzen nur bei adligen Moskoviterinnen üblich waren.
An dieser Stelle möchte ich nochmal ausdrücklich auf die Widersprüche zwischen den Reiseberichten und den Darstellungen von Goehrke verweisen.
Auch Nada Boškovska fand in ihren Forschungen Belege dafür, dass es ihrer Meinung nach Verbundenheit zwischen den Eheleuten gegeben haben muss. Ihre Darstellungen beruhen ebenfalls, wie bei Goehrke auf Korrespondenzen. Sie zitiert an einer Stelle in ihrem Buch eine Frau (Dar´ja Larionova), die ihrem Mann während seines Einsatzes im Azov-Feldzug Briefe schreibt. In diesen drückt sie ihre Sehnsucht nach ihrem Mann aus: „Von deiner alten, abgetragenen Kaftane, mein Freund, die du in Azov hast, trenne ein Stück Damast vom Kragen ab, mein Freund und schicke es mir, und ich werde diesen Damast, mein Freund, bis zu deiner Rückkehr bei mir tragen und mir vorstellen, ich sähe dich“[20]. Weitere Anzeichen von Zuneigung sieht Boškovska in der Verwendung von Kosenamen wie z.B. „mein Licht“ oder „mein Herzensfreund“. [21]
[...]
[1] Vgl. Levin, Eve, Sex and Society in the World of the Orthodox Slavs 900-1700, Ithaca, London 1989, S. 84-85.
[2] Vgl. Boškovska, Nada, Die russische Frau im 17. Jahrhundert , Köln; Weimar;Wien; Böhlau 1998, S. 27.
[3] Vgl. Pietrow-Ennker, Bianka, Rußlands >> neue Menschen<<, Die Entwicklung der Frauenbewegung von den Anfängen bis zur Oktoberrevolution, Frankfurt/Main, New York 1999, S. 86.
[4] Vgl. Von Herberstein, Sigismund, Das alte Russland, Zürich 1984, S. 51f .
[5] Vgl. Walter Leitsch: Das erste Russlandbuch im Westen – Sigismund Freiherr von Herberstein. Hrsg. v. Mechthild Keller. München 1985, S. 118-149.
[6] Vgl. Scheidegger, Gabriele, Perverses Abendland- barbarisches Russland, Zürich 1993.
[7] Vgl. Olearius, Adam, Moskowitische und Persische Reise, Berlin 1959, S. 121.
[8] Zeitspanne vor dem 17. Jahrhundert.
[9] Vgl. Boskovska Leimgruber, Nada(Hrsg.), Die Frühe Neuzeit in der Geschichtswissenschaft, Paderborn; München; Wien; Zürich 1997, S. 187.
[10] Ebd., S .188.
[11] Altrussisches Hausbuch, Gesetzesbuch mit Regeln für das Zusammenleben.
[12] Vgl. Ebd., S. 53
[13] Auch Pietrow- Ennker berichtet in ihrem Buch von Gewaltakten gegen die Frau, Vgl. S. 88.
[14] Vgl. Boskovska, Die russische Frau im 17. Jahrhundert, S. 53.
[15] Vgl. Carmen Scheide: Neue Forschungen zur Geschichte von Frauen in Russland und der Sowjetunion, In: Neue politische Literatur, 45, 2/2000, Frankfurt/Main, 2000, S. 258.
[16] Vgl. Goehrke, Carsten, „Mein Herr und Herzensfreund!“, In: Slavistische und slavenkundliche Beiträge für Peter Brang zum 65, Geburtstag. Hrsg. v. Carsten Goehrke, Robin Kemball, Daniel Weiss. Bern, Frankfurt/am Main, New York, Paris 1989, S.666.
[17] Ebd., S.666.
[18] Ebd., S. 668.
[19] Ebd., S. 670.
[20] Vgl. Boskovska, Die russische Frau im 17. Jahrhundert, S. 58.
[21] Ebd., S. 58.