Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Einführung: Die frühislamische Historiographie
2.1. Anfänge der frühislamischen Historiographie bis zum 11. Jh. n.Chr
2.2. Leben und Wirken des at-Tabarī
2.3. Leben und Wirken des Miskawayh
2.4. Gesellschaftliche Verortung beider Autoren
3. Quellenarbeit: Strukturen frühislamischer Geschichtswerke
3.1. Miskawayhs Vorwort zu Tağārib al-umam
3.2. Miskawayhs Methodik
3.3. At-Tabarīs Vorwort zu Ta’rīh al-rusul wa’l-mulūk wa’l-hulafā’
3.4. At-Tabarīs Methodik
3.5. Schlussfolgerungen
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Forschungsfeld der frühislamischen Historiographie gilt vielen IslamwissenschaftlerInnen als eine Disziplin, deren Quellenlage so umstritten ist[1], dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Dokumenten, die aus der Zeit ab ca. dem 8./9. Jh. n.Chr. stammen, nur von vergleichsweise wenigen Wissenschaftlern in Angriff genommen wurde. Oftmals wird die Erforschung der frühislamischen Historiographie auch als für den Kontext der modernen Islamwissenschaft wenig relevant abgetan. Dabei erschließt die Beschäftigung mit frühislamischen Geschichtsbänden und besonders deren Verfassern weit tiefer greifende Zusammenhänge als lediglich historische Ereignisse längst vergangener Zeiten – sie zeichnet auch den Fortgang der islamischen Geistesgeschichte nach und gibt über die Entwicklung wichtiger Felder wie Philosophie, Literatur und Politik Aufschluss. Um diese Wertigkeit soll es in dieser Arbeit gehen.
Ausgangspunkt dieser Arbeit ist, dass sich die Werke aus den Anfängen der islamischen Historiographie nicht nur in Bezug auf ihren Aufbau und ihre Themen untersuchen lassen, sondern auch verschiedene Beweggründe der Autoren hergeben, an Geschichte und ihre Niederschreibung heranzutreten. Um auf diese Weise einen tieferen Einblick in die beginnende Geschichtsschreibung und das intellektuelle Milieu dieser Zeit zu erlangen, möchte ich mich nach einer zusammenfassenden Einführung in die Entwicklung der frühislamischen Geschichtsschreibung mit zwei Historikern dieser Zeit befassen: Auf der einen Seite soll es um Abū Ğ‘afar Muhammad b. Ğarīr b. Yazīd at-Tabarī gehen, dessen unumstritten als herausragend anerkanntes Werk ebenso wie eine kurze Biografie vorgestellt werden sollen. Zweitens werde ich mich mit dem etwas weniger bekannten Abū‘Alī Ahmad b. Muhammad b. Ya‘qūb Miskawayh befassen, den ich, ebenso wie seinen Vorgänger at-Tabarī, anhand seines Werkes und einer Biografie vorstellen werde. Anschließend möchte ich die Konzeption der beiden Historiker vergleichen.
Geprüft werden soll in dieser Untersuchung auch die Ansicht, dass der heilsgeschichtliche Ansatz das wissenschaftliche Interesse an Geschichte und der Sammlung und Aufbereitung historischer Informationen in der frühislamischen Zeit überwog. Klier zitiert hierzu in seinen Untersuchungen Gibb, dessen Artikel zum Thema Historiographie aus der Encyclopaedia of Islam 1938 einen ersten Vorstoß auf wissenschaftlichem Neuland bildete:
„Wenn man diese Entwicklungen zusammenfasst [die Entstehung der arabischen Geschichtsschreibung in der Frühzeit des Islam], so springt die Tatsache in die Augen, dass trotz der Feindschaft eines Kreises früher Theologen gegen historische Studien die islamische Gemeinschaft geschichtsbewußt geworden ist[…]. Die historischen Stoffe im Kur'ān, der natürliche Stolz über die ausgedehnten Eroberungen und die Rivalität der arabischen Stämme haben ohne Zweifel hierzu beigetragen. Aber der bemerkenswerteste Zug, dass abgesehen von den Philologen die Sammler der historischen Überlieferung fast ausschließlich Theologen und Muhaddiths waren, lässt vermuten, dass ein tieferer Grund vorlag. Denn nach der theologischen Ansicht war Geschichte die Manifestation eines göttlichen Planes zur Führung der Menschheit. "[2]
Im Folgenden wird auch untersucht werden, inwieweit diese Sichtweise Gibbs zutreffend ist und der Versuch unternommen, das hier angerissene Bild der frühislamischen Historiographie zu präzisieren.
Des Weiteren ist, wie es sich bereits in oben genanntem Zitat ankündigt und sich im Verlaufe dieser Arbeit noch zeigen wird, die europäische Wissenschaft größtenteils sehr darum bemüht, islamische Historiographie in Kategorien wie „modern“, „fortschrittlich“ oder „rückständig“ einzuordnen. Um nicht in das Muster dieses Ansatzes zu verfallen, soll die vorliegende Arbeit auch einen Blick in die Originalwerke der vorgestellten Autoren selbst werfen, statt sich gänzlich auf die Kommentierung durch die zur Verfügung stehenden Standardwerke zu verlassen.
Abschließend soll darauf hingewiesen werden, dass in dieser Arbeit die Umschrift der DMG entsprechend verwendet wird, im Deutschen sehr geläufige Begriffe wie zum Beispiel „Koran“ allerdings in der eingedeutschten Schreibweise belassen sind; es sei denn, es handelt sich um entsprechend gekennzeichnete Zitate. Alle Jahreszahlen entsprechen, soweit nicht anders angegeben, der christlich-gregorianischen Zeitrechnung.
2. Die frühislamische Historiographie
2.1. Anfänge der frühislamischen Historiographie bis zum 11. Jh. n. Chr.
Aufgrund der in der Einleitung bereits angesprochenen schwierigen Quellenlage sind bis heute keine Details darüber bekannt, wie genau sich das Genre der Historiographie (arabische Bezeichnung: ta’rīh [3] ) etabliert hat. Generell geht die Forschung aber davon aus, dass die mündliche Überlieferung anfangs viel populärer war als die schriftliche Aufzeichnung von Ereignissen; der Übergang der mündlichen Tradition zur konsequenten Schaffung schriftlicher Chroniken vollzog sich wohl bereits im 7. und 8. Jh. im Rahmen der immer ausgeprägteren und besser organisierten staatlichen Administration des wachsenden islamischen Reiches[4] sowie durch die beginnende Massenproduktion von Papier im Irak[5].
Über die gesellschaftlichen Ursachen, die in erster Instanz als Anstoßpunkte zu einer historiographischen Tradition der muslimischen Gemeinschaft führten, gibt Donner Aufschluss. Dabei macht er vor allem soziologische Beweggründe aus und nennt Legitimation innerhalb der wachsenden frühislamischen Gemeinde im ersten Jahrhundert nach der Hiğra als einen der Hauptfaktoren für die schriftliche Niederlegung historischer Ereignisse. Beispielhaft erläutert der Autor den Legitimationsmechanismus „Frömmigkeit“[6]: Der Grad der persönlichen Integrität wies einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft nicht nur ihren Platz in dieser zu; das moralische Ansehen war nach Donner auch eine der ausschlaggebenden Faktoren, wenn es um die Anfänge schriftlicher oder biografischer Quellen geht. Donner selbst bezeichnet die allerersten Aufzeichnungen, auch die Struktur des Korans, als ahistorisch; ebenso verhalte es sich mit Biografien, deren Anfertigung die genealogische Legitimation innerhalb der Gemeinde erst möglich machte, deren Aufkommen bald den Faktor Frömmigkeit ablösen sollte. Geschichten und Ereignisse wurden Donners Untersuchungen nach nur zu einem Zwecke gesammelt und notiert: Um die Integrität der beschriebenen Personen herauszustellen und sie somit als Vorbild für die jeden in der Gemeinschaft zu präsentieren, oder um dem Leser zu vermitteln, was demjenigen widerfährt, der nicht fromm handelt[7]. Im Laufe von Konkurrenzen einzelner, aber auch von verschiedenen Gesellschaftsteilen gegeneinander, werden Werte, Normen und Regeln ausgehandelt: Um definieren zu können, wer besonders fromm ist und somit Anspruch auf eine führende Rolle in der Gesellschaft hat, müssen Schranken und Bestimmungen festgelegt werden. Auf diese Weise entstehen neben dem Regelwerk der Scharia mit der Zeit auch die Hadithe[8] und deren Sammlungen, die mit der Entwicklung der Historiographie eng zusammenhängen[9], vor allem in methodologischer Hinsicht. Auf diesen Aspekt, der vor allem auf at-Tabarī, aber auch dessen zeitgenössische Kollegen zutrifft, möchte ich unter Punkt 3.4. näher eingehen.
Die einflussreichste Entwicklung stellt aber im ersten und zweiten Jahrhundert nach der Hiğra das Verlangen dar, durch eine gemeinsame Historie und die Katalogisierung gemeinsamer, nennenswerter Ereignisse den Zusammenhalt der noch jungen Gemeinde zu festigen[10]. Letztlich sieht Donner die Gründe für die ausführlich betriebene und reiche islamische Historiographie und für den Wandel zu einer Gesellschaft, die sich auf das geschriebene Wort konzentriert, darin, dass Historizität und Historie selbst als Machtfaktor in der frühislamischen Gemeinde alle anderen Legitimationsgründe – wie die Gottesfürchtigkeit oder Abstammung - ablösten[11].
Wie aber sah die Umsetzung dieser gesellschaftlich relevanten, aber eher hintergründig ablaufenden Mechanismen in der Praxis aus? Bekannt ist, dass die Historiographie innerhalb der frühislamischen Gemeinde nicht als akademische Wissenschaft galt. Ihre Anfänge fand sie in urbanem Umfeld sowohl in Medina als auch im kulturellen Zentrum des 7. und 8.Jh., in Baghdad[12].
Im Zeitraum der so genannten formativen Periode, die Robinson auf die Zeit zwischen ca. 700 und 900 datiert[13], gilt der Medinenser Ibn Šihāb az-Zuhrī (gestorben 742) als „erster wirklicher Historiker“[14], da er eine umfassende Prophetenbiografie[15] verfasste. Über seine Arbeitsweise, an der sich gut der oben bereits erwähnte Übergang von oraler zu schriftlicher Tradition erkennen lässt, sagt er Folgendes:
"[az-Zuhrī] tells us that he is drawing upon multiple authorities, '...each contributing a part of the story, one remembering more of it than another, and I have to put together for you what the people told me.' " [16]
Aktuelle wissenschaftliche Schwierigkeiten auf diesem Gebiet werden dann deutlich, wenn wie hier exemplarisch in Betracht gezogen wird, dass keines der Werke dieses Autors erhalten ist. Er wird lediglich von seinem Nachfolger Ibn Ishāq (gest. 761)[17] zitiert, dessen Werk wiederum nur über weitere Zwischenschritte in das Werk des Historikers Ibn Hišām (gest. 835) gelangte, der die Inhalte neu editierte[18]. Dieser Umstand weist auch auf eine andere Tatsache hin: Die Autoren der formativen Periode übernahmen die gesammelten Informationen ihrer Vorgänger (Noth bezeichnet sie daher als „Sammler[19] “ und nicht als Historiker), sodass keines der Werke in sich abgeschlossen ist, sondern alle historiographischen Schriften dieser Zeit Verknüpfungen zueinander aufweisen[20]. Dies gilt auch für die Arbeit des at-Tabarī. Insgesamt sind die Namen und einige, meist wenige biographische Daten so vieler Vorgänger at-Tabarīs überliefert, dass deren vollständige Aufzählung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.
Bemerkenswert ist auch, dass diese Vielzahl der Historiker im Laufe der klassischen Periode von ca. 950 bis ca. 1500[21] noch zunimmt, in der die Bedeutung der Historiographie immer noch zu beispielsweise der Jurisprudenz aufholen musste, sodass die meisten Historiker aus finanziellen Gründen oftmals mehrere Positionen innehatten, sodass sie gleichzeitig als Jurist oder Lehrer und Historiker Geld verdienen konnten[22], oder sich in den Dienst eines Herrschers stellten und diverse Werke in dessen Auftrag anfertigten[23]. Aus diesem Grunde müssen sich die am Hofe verfassten Werke den Vorwurf gefallen lassen, sie seien nicht objektiv verfasst, sondern zu Gunsten einer bestimmten Dynastie geschrieben worden. Zu diesem Phänomen gibt es verschiedene wissenschaftliche Meinungen; so sieht Robinson Historiker zu Hofe als diejenigen, die Regierenden zu einer „Selbstdarstellung“ verhalfen, weil die Historiographie das Medium war, durch das „Behauptungen über die Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft verbreitet werden konnten, um sich selbst zu legitimeren und Kritiker zu untergraben“[24]. Rosenthal hingegen beschreibt die Arbeit am Hofe nicht in dieser Art und Weise, sondern meint in den sich wandelnden Formen und Inhalten, die im Auftrag der Regierenden entstanden, die “genaue Reflektion der sich verändernden kulturellen und politischen Atmosphäre[25] ” zu erkennen, in der jeder Historiker lebte.
2.2. Leben und Wirken des at-Tabarī
Den Höhepunkt islamischer Historiographie während der formativen Periode bildete das Werk „Geschichte der Propheten und Könige[26] “ des Abū Ğ‘afar Muhammad b. Ğarīr b. Yazīd at-Tabarī, das einen Zeitraum von der vorislamischen Zeit bis in das Jahr 915 abdeckt[27]. Wenig ist über den tatsächlichen Verlauf des Lebens des at-Tabarī übermittelt, unter anderem ist sein Todesdatum nicht hinreichend belegt; überliefert ist, dass er 923 im persischen Āmul geboren wurde. Die Tatsache, dass die Familie über diverse Ländereien in dieser Gegend verfügte, verschaffte at-Tabarī eine angenehme Ausgangsituation für sein wissenschaftliches Schaffen: Er konnte sich, da er von der Familie finanziert wurde, voll und ganz auf seine - auch vom Hofe unabhängige – Arbeit als Historiker und vor allem als Jurist konzentrieren. Sein Wissensdurst führte in auf Reisen nach Syrien, Palästina und Ägypten, um sich vor Ort mit Gelehrten auszutauschen, und er verbrachte einen großen Teil seines Lebens in Baghdad, der Kulturhaupt seiner Zeit[28].
[...]
[1] Vgl. z.B. NOTH, 1994: 6f. oder ROBINSON, 2007: 18f.
[2] KLIER, 1998: 233.
[3] Zur Herkunft des Begriffes siehe ROSENTHAL, 1968: 11ff.
[4] ROBINSON, 2007: 20f.
[5] Ebd. : 27.
[6] DONNER, 1999: 80.
[7] "The very concept of history is fundamentally irrelevant to the Qur'an's concerns, because all people have been, and will be, confronted with the same eternal moral choice - the choice between good and evil […]. Since the moral choice is presented as eternal, the question of historical change is of no importance to the Qur'ān." Siehe DONNER, 1999: 80.
[8] Überlieferungen über den Propheten Muhammad und seine Anweisungen.
[9] Zum Einfluss der Hadithe auf die Historiographie siehe ROBINSON, 2007: 188 sowie KHAN, 1969: 710.
[10] DONNER, 1999: 114f.
[11] Vgl. Ebd.: 118f.
[12] Die wiss. Meinung darüber, ob es daher auch zur Herausbildung zweier unterschiedlicher Schulen der Historiographie kam, geht auseinander; siehe dazu z.B. NOTH, 1994: 5 und DONNER, 1999: 152f.
[13] ROBINSON, 2007: xiv.
[14] DURI, 1983: 27ff.
[15] Der Begriff für diese Gattung lautete zuerst maġāzī, „Feldzüge“, und später sīra, „Prophetenbiografie“. Zur gesellschaftlichen Bedeutung der terminologischen Änderung siehe ROBINSON, 2007: 29.
[16] Ebd.: 25.
[17] Ebd.: xiv.
[18] Ebd.: 25. Robinson nennt als Grund dafür, dass so wenige Originale der Frühzeit überliefert wurden, dass große Sammlungen wie die at-Tabarīs die „kleineren Werke“, auf die diese sich stützten, ersetzbar machten und man diese, anstatt sie weiter zu kopieren und zu überliefern, dem Verfall überließ. Vgl. S. 30ff.
[19] NOTH, 1994: 7.
[20] Ebd.
[21] ROBINSON, 2007: vx.
[22] Ebd.: 6.
[23] DURI, 1983: 27ff..
[24] ROBINSON, 2007: 119.
[25] ROSENTHAL, 1973: 65.
[26] Originaltitel: Muhtas ar ta’rīh al-rusul wa- ‘ l-mulūk wa- ‘ l-hulafā’; es finden sich aber auch weitere Titelbezeichnungen in der Literatur (siehe diesbezüglich auch den Titel des für diese Arbeit verwendeten Werkes). Aufgrund seiner Berühmtheit wird das Werk meist einfach mit Ta’rīh bezeichnet.
[27] ROBINSON, 2007: 35.
[28] BOSWORTH, 2010. Zuletzt aufgerufen am 21.03.2010.