Die Transformation des Wohnbausektors der Stadt Chemnitz unter Berücksichtigung der Plattenbausiedlungen


Diplomarbeit, 2010

166 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Problemstellung und Zielsetzung
1.2. Definitionen und Begriffe
1.3. Methodik
1.3.1. Experteninterviews
1.3.1.1. Stichprobe
1.3.2. Fragebogen

2. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
2.1. Ausgewählte Aspekte des Lebens in der DDR
2.1.l.Das Alltagsleben
2.1.2. Die Arbeitswelt
2.1.3. Politik und Geschichte
2.1.4. Der Eiserne Vorhang und die Reisefreiheit
2.1.5. Armee, Staatssicherheit und Polizei
2.1.6. Wirtschaft
2.1.7. Bildung
2.1.8. Sport

3. Städtebauliche Entwicklungsphasen: 1945 bis 2009
3.1. Trümmerbeseitigung und beginnender Aufbau: 1945 bis 1955
3.2. Industrielles Bauen: 1956 bis 1970
3.2.1. Die sozialistische Stadt
3.3. Bauboom derPlattenbausiedlungen: 1971 bis 1989
3.3.1. Die DDR als Spezifikum in Osteuropa
3.4. Phase der Schrumpfung: 1990 bis 2009
3.4.1. WichtigelnstrumentederWohnungspolitik
3.4.1.1. Das Altschuldenhilfegesetz (AHG)
3.4.1.2. Die Eigenheimzulage als umstrittenes Instrument
3.4.1.3. Das Förderprogramm „Die soziale Stadt“
3.4.1.4. Das Förderprogramm „Stadtumbau Ost“
3.4.2. Das Problem der Segregation
3.4.3. Gentrifizierungsprozesse in Ostdeutschland und Chemnitz

4. Die Transformation des Wohnbausektors in Chemnitz unter Berücksichtigung der Plattenbausiedlung „Hutholz“
4.1. Kurzcharakteristik des Untersuchungsgebietes
4.2. Demographische Daten in Chemnitz
4.3. Bevölkerungsprognosenund Wohnungsbedarf
4.4. Bevölkerungssuburbanisierung im Verdichtungsraum Chemnitz
4.5. Demographische Daten im Hutholz
4.6. Das Chemnitzer Stadtentwicklungskonzept (SEKO)
4.6.1. Relevante Inhaltefür den Wohnbausektor
4.6.2. Handlungsräume des Stadtentwicklungskonzeptes
4.6.3. Die Zukunft des SEKO
4.7. „Stadtumbau Ost“ in Chemnitz
4.8. Positive Aspekte der „Platte“
4.9. Infrastrukturelle Einrichtungen
4.9.1. Kultureinrichtungen
4.9.2. Jugendeinrichtungen
4.9.3. Sporteinrichtungen
4.9.4. Kinderbetreuungseinrichtungen
4.9.5. Bildungseinrichtungen
4.9.6. MedizinischeEinrichtungen
4.9.7. Nahversorgungseinrichtungen
4.9.8. Sicherheitsempfinden derBevölkerung
4.9.9. Öffentlicher Nahverkehr
4.10. Mieten- und Leerstandsentwicklung
4.10.1. WirtschaftlicheFolgenvon Wohnungsleerständen
4.11. Haus- und Wohneigentum
4.12. Sozioökonomische Daten
4.13. Politische und soziale Zukunftsperspektiven für die Hutholz­Siedlung
4.13.1. Anregungen für die Zukunftsperspektiven von Plattenbaugebieten und speziellfür die Hutholz-Siedlung
4.13.2. Neue Konzepte und Perspektivenwechsel
4.14. Zusammenfassung

5. Fachdidaktische Einbettung
5.1. Leistungsfeststellung im Geographie- und Wirtschaftskundeunterricht
5.2. Formen der Leistungsfeststellung
5.3. SchriftlicheLeistungsfeststellung
5.3.1. Bezugssysteme der Leistungsfeststellung
5.3.2. GütekriterienbeischriftlichenLernerfolgskontrollen
5.3.3. Anforderungsbereiche
5.3.4. Operatoren
5.3.5. Kompetenzbereiche des Faches Geographie
5.4. DerTest
5.4.1. Fach- und Vorkenntnisse der Schüler
5.4.2. Erwartungshorizont, Bewertungseinheiten undDidaktische Analyse
5.4.3. Notenschlüssel

6. Quellenverzeichnis

7. Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Räumliche Bezugsebenen mit Problemstellung und deren Untersuchungsschwerpunkt

Abb. 2: Methoden und Erkenntnisziele

Abb. 3: Emblem der SED

Abb. 4: Die Berliner Mauer - Blick von Westberlin nach Ostberlin

Abb. 5: Intershop in der DDR

Abb. 6: Die Chemnitzer Innenstadt

Abb. 7: Das Karl-Marx Monument in der Chemnitzer Innenstadt

Abb. 8: Die Chemnitzer Innenstadt: 1962

Abb. 9: Die Chemnitzer Innenstadt: 2002

Abb. 10: unsanierte Plattenbauten in Pratislava

Abb. 11: Privatisierungsquoten staatlicher Mietwohnungen in osteuropäischen Staaten

Abb. 12: WohnungspolitischerRahmen: 1990

Abb. 14: Baufertigstellungen in Sachsen in 1.000 Wohnungen: 1993 bis 1998

Abb. 15: Regionale Verteilung der Leerstände in den neuen Ländern: 2002

Abb. 16: Teilnehmende Kommunen beim Stadtumbau Ost: 2007

Abb. 17: Abgerissene Wohnungen in Ostdeutschland: 1990 bis 2008

Abb. 18: Lage der Stadt Chemnitz in der BRD

Abb. 19: Die Stadtgebiete von Chemnitz

Abb. 20: Die Baugebiete des Wohngebietes „Fritz-Heckert“

Abb. 21: Luftbildaufnahme der Hutholz-Siedlung: 2009

Abb. 22: Horizontaler geschossweiser Rückbau in der Walter-Ranft-Straße

Abb. 23: Absichten der Eigentümer in der Hutholz-Siedlung

Abb. 24: Entwicklung der Einwohnerzahlen Stadt Chemnitz: 1989 bis 2009

Abb. 25: Altersstruktur und Bevölkerungsprognose für die Stadt Chemnitz: 2006 bis 2020

Abb. 26: Einwohnerentwicklung in den Stadtteilen von Chemnitz: 2007 bis 2020 (in %)

Abb. 27: Wanderungsverluste von Chemnitz an später eingemeindeten Orten

Abb. 28: Phasen der Suburbanisierung im Verdichtungsraum Chemnitz: 1990 bis heute

Abb. 29: Entwicklung der Einwohnerzahlen in der Hutholz-Siedlung: 1994 bis 2009

Abb. 30: Altersquotient in der Hutholz-Siedlung: 1999 bis 2008 (in%)

Abb. 31: Geburten/ Sterbefälle und Saldo Geburten/Sterbefälle in der Huholz- Siedlung: 1999 bis 2008

Abb. 32: Zuzüge/ Wegzüge und Saldo Zuzüge/Wegzüge in der Hutholz­Siedlung: 1999bis 2008

Abb. 33: Demographische Entwicklung in der Hutholz-Siedlung: 1999 bis 2008

Abb. 34: Gesamtstädtisches Leitbild von Chemnitz: 2009

Abb. 35: Gesamtstädtische Umsetzungsstrategie- Fördergebiete von Chemnitz

Abb. 36: Fehlende Nachnutzung in der Hutholz-Siedlung auf freien Flächen

Abb. 37: Wohnungsanzeige im Wochenspiegel

Abb. 38: Handlungsräume der Stadtentwicklung von Chemnitz

Abb. 39: Abgerissenes gründerzeitliches Haus in der Palmstraße/ Ecke Reinhardtstraße

Abb. 40: Abgerissenes Haus in der Hans-Sachs-Straße

Abb. 41: Abbruchgrundstück in der Ziechestraße

Abb. 42: Wohnortpräferenzen in der Hutholz-Siedlung: 2009

Abb. 43: Bürgerbewertung der kulturellen Einrichtungen in der Hutholz-Siedlung: 2009

Abb. 44: Bürgerbewertung der Jugendeinrichtungen in der Hutholz-Siedlung: 2009

Abb. 45: Bürgerbewertung der Sporteinrichtungen in der Hutholz-Siedlung: 2009

Abb. 46: Bürgerbewertung der Kinderbetreuungseinrichtungen in der Hutholz-Siedlung: 2009

Abb. 47: Bürgerbewertung der Bildungsseinrichtungen in der Hutholz-Siedlung: 2009

Abb. 48: Turngebäude der Hans-Sager-Grundschule in der Hutholz-Siedlung

Abb. 49: Schulgebäude der Hans-Sager-Grundschule in der Hutholz-Siedlung

Abb. 50: Bürgerbewertung der medizinischen Einrichtungen in der Hutholz-Siedlung: 2009

Abb. 51: Bürgerbewertung der Nahversorgungseinrichtungen in der Hutholz-Siedlung: 2009

Abb. 52: Bürgerbewertung der öffentlichen Sicherheit in der Hutholz-Siedlung: 2009

Abb. 53: Bürgerbewertung des öffentlichen Nahverkehrs in der Hutholz-Siedlung: 2009

Abb. 54: Leerstandentwicklung der WG-Einheit in der Hutholz-Siedlung: 1997bis2008

Abb. 55: Rückbaumaßnahmen der WG-Einheit in der Hutholz-Siedlung: 1999 bis 2008

Abb. 56: Mietpreisentwicklung in der Hutholz-Siedlung: 1989 bis 2008

Abb. 57: Einfamilienhäuser in der Hutholz-Siedlung

Abb. 58: Einfamilienhäuser in der Hutholz-Siedlung

Abb. 59: Eigentumswohnungen in der Max- Opitz Straße

Abb. 60: Fünfgeschossiger Plattenbau in der Max-Opitz-Straße

Abb. 61: Werbetafel der WG-Einheit

Abb. 62: Grundstücksmarktentwicklung in Chemnitz: 1991 bis 2007

Abb. 63: Durchschnittspreise Einfamilien,- Zweifamilien- und Mehrfamilienhäuser: 1991 bis 2007 (erbautnach 1990)

Abb. 64: Anteil der Personen in Bedarfsgemeinschaften mit Leistungsbezug nach SGB II an der Bevölkerung nach Chemnitzer Stadtteilen (Stand: 30.09.2006)

Abb. 65: Bezieher von Sozialleistungen der Gesamtbevölkerung an der Hutholz-Siedlung und der Stadt Chemnitz (in %): 2006 bis 2009

Abb. 66: Die Einkommenssituation der Bewohner der Hutholz-Siedlung: 2009

Abb. 67: Wohnungsgröße pro Haushalt in der Hutholz- Siedlung: 2009

Abb. 68: Warmmiete in der Hutholzsiedlung: 2009

Abb. 69: Stadtstrukturelles Leitbild von Chemnitz: 2020

Abb. 70: Anregungen für eine Attraktivierung der Hutholz-Siedlung

Abb. 71: Anforderungsbereiche und die zugehörige Operatoren

Abb. 72: Kompetenzbereiche des Faches Geographie

Abb. 73: Didaktische Analyse des Tests

Tab. 1: Varianten der Wohnraumbedarfsprognose in Chemnitz: 2006 bis 2020

Tab. 2: Überblick über den Wohnungsbestand in der Hutholz-Siedlung: 1997

Tab. 3: Übersicht über die Leerstandsentwicklung und Rückbaumaßnahmen in der Hutholz-Siedlung: 2000 und 2009

Tab. 4: Übersicht der Wohnungsunternehmer/Eigentümer in der Hutholz-Siedlung: 2000 und 2008

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

„Ja, das ist ja hier alles viel schlechter geworden. In den letzten Jahren haben sieja alles geschlossen, außer den Pennymarkt da oben (...) und hier wohnenja auch nur noch alte Leute, für die Jungen ist hierja nichts da und die sindja alle schon in den Westen gezogen und bis auf eine Schule haben sie alles weggerissen. Das ist ja dann klar, wenn alle wegziehen (...), da können sie restaurieren und rückbauen, das hilft dann auch nichts mehr.

Das ist dann wie ein Teufelskreis, wenn sie alle Einrichtungen schließen.

Das Einzige, was gut ist, sind die Grünanlagen, aber da fehlen dann wieder die Bänke für uns ältere Bürger. Aber wir bleiben hier, wo sollen wir auch hin“ [1].

Mit diesen Worten schildert eine langjährige Bewohnerin des Stadtteils Hutholz in Chemnitz (Ostdeutschland) ihren Eindruck über die Entwicklung ihrer Plattenbausiedlung in den letzten Jahren. Eine zum Teil sehr emotionale Diskussion rund um schrumpfende Städte wird derzeit in Ostdeutschland und Chemnitz geführt, was mich bei der Themenwahl bestärkte.

Seit sieben Jahren komme ich regelmäßig zu Besuchen nach Chemnitz und stelle mit Erstaunen fest, dass die Stadt in den letzten Jahren einer rasanten Entwicklung unterliegt, deren Wandlung von einer Industriestadt zu einem Dienstleistungszentrum nicht zu enden scheint.

Wissenschaftliche stadtgeographische Publikationen gibt es bisher über die sächsischen Großstädte Leipzig (Kabisch 2001) und Dresden (Wiktorin 2000, Glatter 2007). Das Verdichtungsgebiet Chemnitz, als drittgrößte Stadt in Sachsen, war bisher wissenschaftliche Grauzone. Lediglich Schucknecht (2003) untersuchte Segregationserscheinungen in Chemnitz. Ein Argument mehr, sich dem spannenden stadtgeographischen Thema der Transformation des Wohnbausektors zu widmen.

1.1. Problemstellung und Zielsetzung

Die Städte der neuen Bundesländer wachsen nicht wie von Daldrup (2001) propagiert. Sie explodieren auch nicht, sie „implodieren“ und schrumpfen. Sie schrumpfen im Angesicht der enormen Bevölkerungsabwanderung in westliche Bundesländer, eines starken Geburtenrückgang und einer ausgeprägten Stadt-Umland-Wanderung (Suburbanisierung) seit 1990 (Petzold 2001, 1). Die Gesamtzahl der abgewanderten Bevölkerung aus dem Gebiet der ehemaligen DDR wäre mit etwa 2,4 Mio. so groß wie die zweitgrößte Stadt Deutschlands. „Die Diskussion um die Zukunft der Stadt ist somit neu eröffnet“ (Strubelt 2000 zit. in: Hannemann 2002, 7).

Diese Arbeit will versuchen, die Transformation des Wohnbausektors unter Berücksichtigung der Plattenbausiedlungen zu erklären. Das erste Kapitel beinhaltet neben einführenden Worten und Begriffsdefinitionen die Erläuterung der angewandten Untersuchungsmethoden. Im zweiten Teil wird das politische System der Deutschen Demokratische Republik (DDR) von mehreren Gesichtspunkten aus näher betrachtet. Im dritten Teil dieser Ausführungen werden die politischen Geschehnisse seit 1945 erläutert, die zu einer spezifischen Wohnbaupolitik der ehemaligen DDR führten. Der vierte Teil dieser Arbeit beschäftigt sich mit dem Transformationsprozess des Wohnbausektors in Ostdeutschland. Am Beispiel der Plattenbausiedlung „Hutholz“ in Chemnitz werden sozioökonomische Prozesse, Probleme und Folgen der Transformation des Wohnbausektors im Hutholz empirisch untersucht und aufgezeigt. Den Abschluss dieses Kapitels bilden mögliche Zukunftsvisionen für Plattenbausiedlungen und für die Hutholz-Siedlung. Im letzten Abschnitt der Arbeit erfolgt eine thematische Verknüpfung mit der Schule und zur Fachdidaktik. Es wird auf die Leistungsfeststellung im Geographie- und Wirtschaftskundeunterricht näher eingegangen. Dabei wird für eine achte Klasse AHS ein schriftlicher Test zum Thema „Wohnen“ entworfen und didaktisch analysiert.

1.2. Definitionen und Begriffe

Gravierende und schnelle Veränderungen im Planungs-, Wirtschafts- und Gesellschaftssystem werden als Transformationen bezeichnet (Heineberg 2006, 241). Sie sind gekennzeichnet von einer nachholenden Modernisierung ehemals sozialistischer Gesellschaften. Dabei wird ein bekanntes Endziel angenommen und die Zeitspanne des Transformationsprozesses bleibt unbekannt. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob die Transformation in Ostdeutschland als Prozess mit bekanntem Ausgang (Endziel) interpretiert werden kann (vgl. Burdack 2001, 261). Hannemann (2002, 11 und 260) konstatiert dem Transformationsprozess in den neuen Ländern ebenso eine zeit- und ergebnisbezogene Offenheit wie auch, dass die Entwicklungsperspektiven für ostdeutsche Städte „äußerst ungewiss“ sei. Des Weiteren werden Prozesse des Wandels und Umbruchs in ehemals sozialistischen Ländern mit dem Sammelbegriff „Transformation“ bezeichnet (Reißig 1994 zit. in: Schucknecht 2003, 37). Icks (1996 zit. in: Wiktorin 2000, 15) sieht den Transformations-prozess erst dann als beendet an, wenn ein makroökonomisches Gleichgewicht und die gesellschaftliche Integration zweier unterschiedlicher Gesellschaften erreicht sind. Dieser Zustand besteht in Ostdeutschland noch nicht und wird auch in absehbarer Zeit nicht eintreten.

Die Transformation in Ostdeutschland und speziell die des Wohnbausektors stellt im Vergleich zu anderen Transformationsgesellschaften einen Sonderfall dar. Die Übertragung von Institutionen (Mehrparteiendemokratie, Marktwirtschaft, Rechtssystem, Verwaltungsstrukturen) in sehr kurzer Zeit, ohne eigene Such- und Lernprozesse, barg ein erhöhtes Konfliktpotenzial, was zwangsläufig zu Anpassungskrisen fuhren musste (Schucknecht 2003, 37ff). Ziebura (1998 zit. in: Hannemann 2002, 260) formulierte, dass die Übertragung des „Modells Westdeutschland auf die ehemalige DDR ohne Bereitschaft zur Selbsterneuerung damit bezahlt wurde, dass zwei Gesellschaften unter einem staatlichen Dach existieren“. Vielfach findet man in der relevanten Literatur den Begriff der „nachholenden Transformation und Modernisierung“, der den Anpassungsprozess nach westlichem Muster bezeichnet.

In Ostdeutschland und in Chemnitz brachen ganze Wirtschaftszweige weg, die Einwohnerzahl sank aufgrund von Abwanderung rapide ab, die Arbeitslosenquote schnellte in die Höhe und enorme städtebauliche und umweltbelastende Probleme wurden akut. Die Besitzverhältnisse waren lange Zeit unklar und das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland wurde innerhalb kürzester Zeit ubernommen.

Ein besonderes Spezifikum sind die hohen Leerstandquoten in den Städten Ostdeutschlands und in Chemnitz ab 1990. Ein geschichtlich einmaliger Angebotsüberhang an Wohnungen führte zu komplexen Problemgebieten (vgl. Kabisch 2002, 31).

1.3. Methodik

In diesem Kapitel werden die Untersuchungsmethoden, das Auswerteverfahren und weitere Forschungstätigkeiten der Erhebungen in Chemnitz-Hutholz dokumentiert.

Die vielschichtige Bedeutung der Transformation des Wohnbausektors in Chemnitz erfordert eine Betrachtung auf unterschiedlichen Maßstabsebenen. Die vorliegende Untersuchung betrachtet hauptsächlich auf der Makro- und Mesoebene (vgl. Abb. 1) die Prozesse der Transformation In Anlehnung an Wiktorin (2000, 7) und Heineberg (2006, 23) gibt es folgende räumlichen Bezugsebenen:

- die Metaebene, auf der sich der Blick auf gesamtgesellschaftliche Strukturen und Prozesse richtet;
- die Makroebene, auf der Steuerungsmechanismen und Entwicklungen auf nationaler Ebene im Sinne einer raumwirksamen Staatstätigkeit Beachtung geschenkt wird;
- die Mesoebene, auf der raumwirksame Handlungs-, Planungs- und Entscheidungsprozesse im Mittelpunkt stehen, die sich innerhalb der Kommunen, zwischen den dortigen Akteuren vollziehen;
- die Individualebene, auf der das Individuum, beispielsweise das Verhalten einzelner Nutzer, Mieter oder Eigentümer, in den Vordergrund des Forschungsinteresses gestellt wird.

Abb. 1: Räumliche Bezugsebenen mit Problemstellung und deren
Untersuchungsschwerpunkt

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eig. Entwurf

Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht die Transformation des Wohnbausektors, die nicht auf einige eindeutige Kausalitäten und wenig griffige Hypothesen reduziert werden kann. Um hierüber Erkenntnisse zu gewinnen, erschien neben den bei geographischen Untersuchungen üblichen Methoden wie Beobachtung, Kartierungen, Auswerten von Statistiken und des Literaturstudiums eine Anwendung so genannter qualitativer Methoden geographischer Stadtforschung angebracht (vgl. Siebel 1984 und Mayring 1996 zit. in: Wiktorin 2000, 18). So baut das Untersuchungskonzept neben der Auswertung der Sekundärliteratur auf die in Abb. 2 dargestellten Methoden auf, die jeweils einem spezifischen Erkenntnisziel zugeordnet werden können.

Abb. 2: Methoden und Erkenntnisziele

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eig. Entwurf

In den folgenden Kapiteln wird auf die Untersuchungsmethode des Experteninterviews und der Fragebogenerhebung näher eingegangen.

1.3.1. Experteninterviews

Die Interviews wurden entlang von Leitfaden im Juli/August 2009 durchgeführt. In Anlehnung an Keller (2005, 204 ff) enthielten sie vier Themenblö>- Siedlungssichtweisen und Nutzung der Siedlungen,

- Wohnkarriere und Wohnleitbilder,
- Lebenslagenänderung seit der „Wende“,
- Perspektiveneinschätzung.

Mittels Experteninterviews wird versucht, die Problematik zu erfassen. Durch intensive Gespräche kann man während eines Experteninterviews den eigenen Erfahrungsbereich erweitern. Um die ganze Bandbreite des Themas zu erfassen, wurde ein Grundkern an Fragen (halb standardisiertes Interview) mit offenen Antwortmöglichkeiten verwendet. Maßgebliche Gütekriterien der Untersuchung sind nach Brunner (2007) deren Reliabilität, Validität, Objektivität und dessen Utilität (Genauigkeit, Gültigkeit, Unabhängigkeit, Nutzbarkeit).

Ein Leitfadeninterview ordnet das Hintergrundwissen des Forschers thematisch und kann ihm als Gedächtnisstütze dienen. Trotz eines Leitfadens handelt es sich um ein flexibles Erhebungs­instrument, da der Forscher die Möglichkeit hat, nachzufragen, was bei schriftlichen Erhebungen, wie Fragebögen, nicht möglich ist. Aber auch die interviewten Personen können von sich aus neue Perspektiven und Aspekte ansprechen, die den Horizont des Interviewers erweitern. Die Reihenfolge der Themenbereiche und der Frageablauf sind nicht als starr anzusehen, sondern können geändert und in entsprechender Situation angepasst werden. Somit besitzt der Interviewer ein hohes Maß an Verantwortung und Überblick über das bereits Gesagte (vgl. Flick 1995 zit. in: Kaufmann 2003, 55).

Probleme und Gefahren des Experteninterviews liegen darin, dass der Interviewer erwartete Antworten durch Mimik und Gestik bestätigt und auf unerwartete oder überraschende Antworten ablehnend oder gar nicht reagiert. Um eben solch einer Beeinflussung vorzubeugen, wurden die Befragten vor dem Interview über die Problemstellung des Interviews aufgeklärt und der Interviewer versuchte eine neutrale Einstellung anzunehmen (vgl. Gutjahr 1985). Ein weiterer Nachteil eines Experteninterviews ist die Problematik der Auswertung, da die Fülle an Antworten nur schwer zu kategorisieren und einzuordnen sind.

Die durchgeführte Methode mittels Experteninterview erhebt nicht den Anspruch repräsentativ zu sein, im Sinne einer empirischen Sozialforschung, bei der Merkmale der Grundgesamtheit in der Stichprobe möglichst genau abgebildet werden sollten. In Anlehnung an Kaufmann (2003, 60) bedeutet „repräsentieren“ aber auch darstellen. Demnach stellen die vier interviewten Personen aus dem Hutholz die Meinungen der Bewohner im Hutholz dar und vergegenwärtigen ihre Sichtweise. In Anlehnung an Bohnsack (1991 zit. in: Kaufmann 2003, 69) handelt es sich bei der Auswertung der Interviews um eine Mischform und einen „Methodenmix“. Die Interviews wurden verschriftlicht und relevant erscheinende Textpassagen werden im Text dieser Arbeit 1:1 wiedergegeben.

1.3.1.1. Stichprobe

Interviewt wurden insgesamt sieben Personen. Drei Experten arbeiteten für folgende Institutionen: Sozialamt Chemnitz, Chempirica Markt- und Meinungsforschungsinstitut und Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge. Die Interviews fanden in den jeweiligen Büros der Institutionen statt. Vier Personen sind ansässige Bewohner des Hutholz. Sie leben bereits jahrzehntelang in diesem Stadtteil und kennen das Wohngebiet wie kaum ein anderer. Während ein Interview auf offener Straße stattfand, wurden drei Personen in nahe liegenden Einkehrmöglichkeiten interviewt.

1.3.2. Fragebogen

Um einen breit gefächerten Überblick über die Thematik zu bekommen, wurden im gesamten Hutholzgebiet 62 anonyme Fragebögen (siehe Anhang) verteilt und ausgefüllt. Dies entspricht etwa 1% der ansässigen Bevölkerung des Hutholz (Stand: 30.05.2009). 100 Personen wurden im genannten Zeitraum kontaktiert, was einer Rücklaufquote von 62% entspricht. 33 Personen waren weiblich und 29 männlich. Das Durchschnittsalter der 62 befragten Personen betrug 36 Jahre. Nach einer kurzen Einleitung zum Thema wurde in den ersten drei Fragen nach demographischen Daten (Geschlecht, Alter, Anzahl der Wohnjahre im Hutholz) gefragt. In der vierten Frage mussten die Befragten ihre Wohnungsgröße angeben. In den folgenden 10 Fragen (geschlossene Fragestellung) mussten die Probanden ihre graduelle Zustimmung von 1 (sehr gut) bis 4 (mangelhaft) ankreuzen. Der Vorteil einer geschlossen Fragestellung liegt vor allem in einer einfachen statistischen Auswertung. In Häufigkeitstabellen beziehungsweise mittels Prozentangaben werden die Ergebnisse ab Kap. 4 dargestellt und erläutert.

Die letzten zwei Fragen des Fragebogens wurden in einer offenen Fragestellung formuliert, da man einen Gesamtüberblick über die Verbesserungsvorschläge für das Wohngebiet und eine Begründung der eigenen Wohnlage der Befragten erfahren wollte. Eine offene Fragestellung hat den Vorteil, dass es durch das Weglassen von Vorgaben zu keinerlei Beeinflussung der Befragten kommt. Umso schwieriger gestaltete sich hingegen die Auswertung der offenen Fragestellungen, weshalb aufgrund der verschiedenartigsten Antworten der Bewohner diese für eine sinnvolle Auswertung in Kategorien eingeordnet werden mussten.

Um die Transformation des Wohnbausektors in Chemnitz verstehen zu können, ist es erforderlich, auf der Metaebene auf die Auswirkungen des politischen Systems der DDR auf räumliche Strukturen im folgenden Kapitel näher einzugehen.

2. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

2.1. Ausgewählte Aspekte des Lebens in der DDR

2.1.1. Das Alltagsleben

Das Gefühl der Geborgenheit, das viele DDR-Bürger bestätigen, hatte mit dem sicheren Arbeitsplatz und dem Lohn zu tun. Bildung und Kultur gab es fast umsonst. Das kleine Glück war planbar, da alles „seinen sozialistischen Gang“ ging. Gerade das hat aber manchen Bürger gestört, denn wer das Abenteuer, das Wagnis und das Scheitern suchte, der fühlte sich eingeschränkt. Es fehlte gänzlich an bunter und marktschreierischer Werbung in kräftigen Signalfarben wie in der Bundesrepublik Deutschland (BRD). Hersteller und Verbraucher hatten ihren Platz in der Planwirtschaft und die Waren reichten ohnehin kaum aus (vgl. Bentzien 2003). Notorische Schwäche und Rückständigkeit des Handelsapparates, dem es vielfach nicht gelang, die produzierten Güter bedarfsgerecht und kontinuierlich dort anzubieten, wo die Nachfrage herrschte, zwang die Menschen dazu, Findigkeiten zu entwickeln und Beziehungen aufzubauen, um spezielle Wünsche zu verwirklichen. Das Phänomen der westlichen „Wegwerfmentalität“ war in der DDR unbekannt (vgl. Fischer 2004, 241ff).

2.1.2. Die Arbeitswelt

In der DDR hatten alle eine Arbeit, die arbeiten konnten, aber nicht immer die Arbeit, die man am liebsten machen würde und für den Lohn, den man sich wünschte. Jedoch ließ es sich mit einem Einkommen leben, denn die Grundnahrungsmittel, Mieten, Fahrpreise und Kultur- und Sozialleistungen wurden staatlich gestützt und kosteten sehr wenig. 90 % der Frauen waren berufstätig und das nicht als Hilfskräfte mit Niedriglohn. 79 % aller Frauen hatten eine abgeschlossene Berufsausbildung, 36% aller Hochschüler und 60 % aller Fachschüler waren Frauen. Für Jugendliche gab es über 300 verschiedene Ausbildungsberufe. Das „Recht auf Arbeit“ stand als Grundrecht in der Verfassung. Für gleiche Leistung gab es das gleiche Geld. Der Kündigungsschutz, der Unfallschutz und die Fürsorge für Mütter und Kinder wurden streng beachtet. Wer keiner geregelten Arbeit nachging, fiel unangenehm auf und wurde vermittelt, denn es herrschte ein chronischer Arbeitskräftemangel in der DDR, vor allem im Dienstleistungsbereich. Der Aufwand an menschlicher Arbeitskraft war aufgrund fehlender Rationalisierungsmaßnahmen und Automatisierung zu hoch. Allgemein stieg die Arbeitsproduktivität zu langsam.

Aufgrund des Mangels an natürlichen Rohstoffen wurden wenig ergiebige Rohstoffquellen und Fabriken mit einem hohen Kosten- und Personalaufwand weiter genutzt, obwohl sie keinen Gewinn mehr schrieben, aber die Weiterbeschäftigung der Arbeiter garantierten, und auch, um nicht von schwankenden Weltmarktpreisen oder Liefersperren aus dem Westen abhängig zu sein. Dies kann keine Volkswirtschaft lange aushalten und funktionierte in der DDR nur, weil aus anderen Wirtschaftszweigen Gewinne „umverteilt“ wurden, da 70% des produzierten Nationaleinkommens aus der volkseigenen Industrie kamen.

Der vordere Rang der Arbeiter und der Arbeit in der DDR hatte auch ideologische Gründe. Die Marxisten sagen, dass die Arbeit die „Quelle der Menschwerdung“ ist und dass die Arbeiter „Schöpfer aller Werte“ sind. Darum wurden in der DDR die Tüchtigsten als „Helden der Arbeit“ verehrt. Der Staat nannte sich Arbeiter-und-Bauern-Staat. Menschen proletarischer Herkunft hatten die Mehrheit in allen Parlamenten (vgl. Bentzien 2003, 18ff).

2.1.3. Politik und Geschichte

Ihre Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone einschließlich des sowjetischen Sektors von Berlin erfolgte vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf Betreiben der Sowjetunion, nachdem zuvor mit Unterstützung der drei West­Alliierten auf dem Gebiet ihrer Besatzungszonen („Trizone“) die Bundesrepublik Deutschland gegründet worden war. Die DDR hatte ein Staatsvolk, ein Staatsgebiet, eine Staatsgewalt und eine Staatsverfassung. Diese Tatsache wurde seit ihrer Gründung von der BRD bestritten. Die BRD reklamierte für sich, ganz Deutschland völkerrechtlich allein zu vertreten. Zu Staaten, die die DDR anerkannten (ausgenommen die UDSSR), wurden diplomatische Beziehungen abgebrochen. Erst unter Willy Brand (SPD) wurde diese Politik aufgegeben, und die Aufnahme von DDR und BRD in die UNO 1973 bedeutete nach außen hin das Ende des Alleinvertretungsanspruches der BRD. Mehr als 130 Staaten schlossen mit der DDR international rechtsgültige Verträge (vgl. Bentzien 2003, 142).

Für die offizielle Ideologie der DDR war das kapitalistische Streben nach Maximalprofit die Wurzel allen Übels und führte ihrer Meinung nach zu den zwei Weltkriegen (1914-1918 und 1939-1945). Deshalb gab es gleich nach Kriegsende Volksentscheide zur Enteignung von Großunternehmen, die am Völkermord verdient hatten. Ein Großteil der Betriebe wurde verstaatlicht oder in Volkseigentum überführt. Bislang utopische anmutende Vorstellungen einer sozial gerechten Gesellschaft sollten realisiert werden. Gemeinnutz vor Eigennutz hieß die Parole. Das ging vor allem auf Kosten derjenigen, die besonders viel Eigentum besaßen. Die Verfassung der DDR ermöglichte eine Enteignung von privatem Grund- und Boden, von Naturschätzen und Produktionsmitteln zum Zwecke der Vergesellschaftung. Die Wahlbeteiligung war in der DDR, auch aufgrund gesellschaftlichen Drucks, sehr hoch. Die Wahlen selbst waren ein Votum für Parlamentskandidaten. Eine hohe Wahlbeteiligung galt als Kriterium für eine hohe Zustimmung für das System. Jeder, der sich weigert zur Wahl zu gehen, musste dafür Gründe angeben. Die aus KPD und SPD 1946 hervorgegangene sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) entwickelte sich zur Staatspartei. Aufgrund der umfassenden Durchdringung der Organe aller drei Gewalten mit SED-Mitgliedern wird das politische System der DDR heute oftmals als „Parteidiktatur“ bezeichnet. Dieser Begriff bezieht sich auf die theoretische marxistische Definition von der „Diktatur des Proletariats“ als höchste Form der Demokratie.

Abb. 3: Emblem der SED

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: http://anstalt.files.wordpress.com/2008/05/sed_logo.jpg, (14.02.10)

Die fünf großen Länder der DDR wurden1952 aufgelöst und in 14 Bezirke eingeteilt. Die DDR kopierte dabei das zentralistisch geführte Gesellschaftsmodell der Sowjetunion. Um 1990 einen Anschluss an die BRD zu ermöglichen, wurden die Bezirke aufgelöst und die alten Länder wieder gebildet. Am 03.10.1990 endete die Existenz der DDR mit der Deutschen Wiedervereinigung (http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Demokratische_Republik [16.02.10]).

2.1.4. Der Eiserne Vorhang und die Reisefreiheit

Die Grenzsicherungsmaßnahmen im August 1961 wurden in Moskau beschlossen und vom SED- Regime als kollektive Entscheidung der Staaten des Warschauer Vertrages ausgegeben. Die Westgrenze der DDR war nicht nur eine deutsch-deutsche Grenze, sondern auch die Trennlinie zwischen den beiden mächtigsten Militärbündnissen der Welt, von NATO und Warschauer Pakt. Zwischen diesen Bündnissen herrschte „kalter Krieg“. Die Sowjetunion wollte klare und übersichtliche Verhältnisse schaffen, da auch die Westberlin-Frage noch ungeklärt war. Von 1945 bis zum Mauerbau verließen durch westliche Abwerbung, aus politischen Gründen und auf der Suche nach schnellem Wohlstand etwa drei Millionen Bürger die DDR. Diese „Republikflucht“ war für die Volkswirtschaft der DDR ein belastender negativer Faktor. Vor allem hoch qualifizierte Fachkräfte verließen die DDR und dies führte zur Schwächung des sozialistischen Wirtschaftssystems und zur Stärkung der BRD (vgl. Bentzien 2003, 167ff).

Die Errichtung der „Mauer“erfolgte zuerst durch Straßensperren und später durch Panzersperren, Stacheldrahtzäune und Betonmauern. Auf Kontrolltürmen wurde Tag und Nacht die nähere Umgebung beobachtet. Einem zehn Meter breiten Kontrollstreifen an der Grenze schlossen sich ein 500-Meter-Schutzstreifen und eine fünf Kilometer tiefe Sperrzone an, die nur mit Sondergenehmigung betreten werden durften und von Grenzsoldaten, Volkspolizisten sowie Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes bewacht wurden. Unter dem Decknamen „Aktion Ungeziefer“ wurden 1952 zudem knapp 10.000 DDR-Bürger, die als politisch unzuverlässig galten, aus dem Grenzgebiet ausgesiedelt.

Abb. 4: Die Berliner Mauer - Blick von Westberlin nach Ostberlin

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: http://mauerstuecke.files.wordpress.com/2009/02/mauer16.jpg (08.03.10)

Parallel zum Mauerbau in Berlin wurde auch die innerdeutsche Grenze zwischen Lübeck und Hof immer stärker befestigt. Neben Stacheldraht, Metallgitterzäunen, Mauern und Hundelaufanlagen wurden 1,3 Millionen Bodenminen verlegt. Hunderte Flüchtlinge wurden in den Minenfeldern verstümmelt, etliche verbluteten. Eine neue Dimension erreichte die Grenzsicherung im Herbst 1970 mit den Selbstschussanlagen SM 70 und ihren meist tödlichen Metallsplittem und Wälzlagerkugeln. Bis Mitte 1983 waren rund ein Drittel des 1.378 Kilometer langen Eisernen Vorhangs mit etwa 55.000 SM-70-Anlagen bestückt. In einer Dienstanweisung von 1973 heißt es:

„Zögern Sie nicht mit der Anwendung der Schusswaffe, auch dann nicht, wenn die Grenzdurchbrüche mit Frauen und Kindern erfolgen, was sich die Verräter schon oft zunutze gemacht haben“ (http://www.focus.de/ politik/deutschland/20-jahre-wende/tid-16040/eisemer- vorhang- 180-000-tonnen-beton- 1-3-millionen-minen_aid_449697.html [15.02.10]) .

In andere Quellen gilt die Schusswaffenanwendung nicht für Frauen und Kinder:

„Stete Aufmerksamkeit, vorausschauend und taktisch klug im Gelände bewegen, um jeden Schusswaffeneinsatz zu vermeiden. Ein Einsatz der Schusswaffe nur als allerletztes Mittel und ausschließlich parallel zum Grenzstreifen. Personen anrufen und mindestens einen Warnschuss abgeben. Keine Schusswaffenanwendung gegen Frauen und Kinder (ND, 16.08.2010, 43).

Die Anzahl der Opfer, die bei einem Fluchtversuch aus der DDR ums Leben kamen, ist nicht genau bekannt, schwankt jedoch in den Angaben von einigen hundert bis 1.000. Am Eisernen Vorhang quer durch Berlin wurde die Opferzahl jedoch genau dokumentiert und wird mit 136 beziffert. Durch die Errichtung des Eisernen Vorhanges 1961 wurden Reisen für die Bürger der DDR nahezu unmöglich. Nur auf Antrag und zu bestimmten Anlässen durfte man in das nicht sozialistische Ausland reisen, wenn eine Rückkehr wahrscheinlich war (Zurücklassen von Familienangehörigen, keine Westverwandtschaft). Lediglich Rentner durften ab 1964 einmal im Jahr zu ihrer Westverwandtschaft reisen. In den 80er Jahren wurden die Reisebeschränkung etwas gelockert. Heute sind nur mehr Reste der Berliner Mauer erhalten und quer durch Deutschland entsteht aktuell ein „Grünes Band Europa“, das anstelle des früheren Eisernen Vorhangs Naturräume verbinden soll (vgl. http://www.focus.de/ politik/deutschland/20-jahre-wende/tid- 16040/eiserner-vorhang-180- 000-tonnen-beton- 1-3-millionen-minen_aid_449697.html [15.02.10]).

Die Reiseintensität der DDR-Bürger wird als allgemein gut bezeichnet. Für gut die Hälfte der Bevölkerung war eine Urlaubsreise im Ausmaß von mindestens 14 Tagen zur Gewohnheit geworden. Etwa Zwei Drittel der Urlaubsreisen fielen auf das Inland und dort vor allem in die Ferienheime des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) und auf Campingplätze im Sommer. Bevorzugtes Reiseländer waren die CSSR und Ungarn (vgl. Fischer 2004, 241ff) .

2.1.5. Armee, Staatssicherheit und Polizei

Innere Unterdrückungs- und Überwachungsmechanismen, die in der Deutschen Volkspolizei (DVP) und in den Organen des Ministeriums für Staatssicherheit (MIS) ihre Ausprägung gefunden haben, erklären, dass die DDR bis heute als „Polizeistaat“ bezeichnet wird. Fischer (2004, 157) bezeichnet dabei die Steuerung, Disziplinierung und Kontrolle der Staatssicherheit und der Polizei durch die SED als „systemtypisch“ und führende Positionen sind mit „politisch zuverlässigen Kadern“ besetzt. Unter diesen Voraussetzungen war es möglich, dass die SED die Polizei- und Sicherheitsorgane in der DDR als Instrumente zur inneren Sicherung ihrer Herrschaft einsetzen konnte.

Das MfS zählte bis zu 200.000 Mitarbeiter, von denen 100.000 hauptberuflich und etwa 100.000 als so genannte „Inoffizielle“ tätig waren. Je nach Literatur spricht man dabei von „Überwachung“ oder „Schutz der DDR“ (vgl. Bentzien 2003, 32). Der Feind wurde nicht nur im westlichen Kapitalismus gesehen, sondern auch in den eigenen Reihen vermutet. Lauschangriffe, Postkontrolle, Sicherheitsüberprüfungen und das Einschleusen von „V-Leuten“ in Organisationen und Vereine, welche intensiv und gründlich kontrolliert wurden, standen an der Tagesordnung. Die Nationale Volksarmee (NVA) bestand Anfang der 80er Jahre aus 172.000 Soldaten. Da die DDR im Falle eines Krieges Frontzone zwischen den Bündnissen gewesen wäre, besaß die sie zusätzlich bis zu 40.000 Grenzsoldaten (vgl. Bentzien 2003 und Fischer 2004).

2.1.6. Wirtschaft

Die DDR galt im RGW (wirtschaftlicher Zusammenschluss sozialistischer Staaten zum Rat der gegenseitigen Wirtschaftshilfe) als das Land mit dem höchsten Lebensstandard. Unter dem Einfluss der Sowjetunion wurde das System einer zentralen, sozialistischen Planwirtschaft errichtet. Grundlegend befanden sich alle Produktionsmittel in sozialistischem Eigentum. Es gab keine selbstständige, wirtschaftlich unternehmerische Tätigkeit mit unbedeutenden Ausnahmen im Handwerk und im Gaststättengewerbe. Das sozialistische Eigentum trat als Staatseigentum („gesamtgesellschaftliches Eigentum“) auf, in der Landwirtschaft und im Handwerk als „Kollektiveigentum“ in Form von Produktionsgenossenschaften. Die wirtschaftliche Tätigkeit wurde zentral geplant und für eine bestimmte Periode vorausbestimmt. Dadurch wurden die Elemente des Marktes und des Wettbewerbs ausgeschaltet. Die Preise wurden administrativ festgelegt und nicht durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Das Machtzentrum für wirtschaftspolitische Entscheidungen waren das Politbüro der SED, das Sekretariat für Wirtschaft des Zentralkomitees und die staatliche Planungskommission. Der Einfluss der SED war durch mannigfaltige Institutionen auf allen Ebenen der Wirtschaft gesichert. Der Ministerrat der DDR war in erster Linie ausführendes Organ für Beschlüsse der Parteiführung und somit war der politische Einfluss auf die Wirtschaft im System der DDR weit stärker als in der BRD. Wirtschaftliche Fünfjahrespläne sollten die ökonomische Abhängigkeit von der BRD verringern. Die Planbürokratie der DDR-Wirtschaft erwies sich jedoch als zu starr und hemmend und verhinderte die Entfaltung ideenreicher kleiner Warenproduzenten und führte gerade bei Massenbedarfsgütern zum Fehlen von Menge, Qualität und Vielfalt. Die einzige primäre Energiequelle der DDR war die Braunkohle. Demzufolge wurde der Braunkohlebergbau stark forciert, was jedoch zu erheblichen Umweltschäden führte. Die Außenhandelsstruktur lässt erkennen, dass die DDR hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Kategorie der hoch entwickelten Länder gehörte. Je nach Vergleichsmethode gehörte die DDR zu den am höchsten entwickelten sozialistischen Ländern, im Vergleich zu westlichen Ländern und der BRD jedoch zu einem rückständigen Land. Die Preise für wichtige Nahrungsmittel, Artikel des Alltagsbedarfs und für kommunale Dienstleistungen sowie die Verkehrstarife wurden aufgrund staatlicher Subventionierung seit 1970 nicht verändert und waren sowieso sehr niedrig. Trotzdem wird von einer „verdeckten Inflation“ und von einer „ständigen Verteuerung der Lebenshaltungskosten“ gesprochen, da bestimmte Güter der gehobenen Preisklasse nur sehr teuer zu kaufen waren. In Spezialläden wie Intershop, Delikat und Exquisit bekam man den Zugang zu überteuerter Alltags- und Spezialware, was aber aus ideologischer Sicht als „Fremdkörper“ angesehen wurde, da Bezieher überdurchschnittlicher Einkommen Vorteile beim Zugang zu schwer erhältlicher Ware hatten (vgl. Fischer 2004, 120ff und Bentzien 2003, 37ff).

Abb. 5: Intershop in der DDR

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: http://www.mdr.de/IZ1239891-high.jpg (17.02.10)

2.1.7. Bildung

Ziel der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung war die Neugestaltung eines einheitlichen Bildungswesens, welches keine Tendenzen der sozialen Differenzierung aufweist und keine Chancen mehr zur Klassifizierung der Menschen in „höher“ und „nieder“ Gebildete bieten sollte. Fundament für die Zielerreichung war die zehnjährige, allgemein bildende, polytechnische Oberschule als Pflichtschule ab 1965. Die erweiterte Oberschule (EOS) galt der Abiturbildung und dem anschließenden Studium an einer Hochschule oder Universität und war der Anfang für ein lebenslanges Bildungsstreben. Die große Mehrheit sollte nach der zehnjährigen polytechnischen Oberschule in eine Berufsausbildung eintreten, die den Anfang eines weitergehenden beruflich orientierten Lernens markierte, wobei nicht nur die berufliche Weiterbildung im Vordergrund stand, sondern sie sich auch auf die Fachschulausbildung und auf die technischen Fächer der Hochschulen erstrecken konnte. Die Förderung des Bildungswesens geschah zum Nutzen der Gesellschaft, deren Auftraggeber die Gesellschaft und somit die SED war. Nach Beendigung des Studiums wurde den Absolventen ein Arbeitsplatz zugewiesen. Kern der schulischen und universitären Erziehung war die Vermittlung eines ideologischen Bewusstseins, dass von der Identität der individuellen und der kollektiven Interessen überzeugt ist. Die Pionierorganisationen gewannen ab den 70er Jahren an Bedeutung. Sie beteiligten sich an Pioniermanövern, die die FDJ (Freie Deutsche Jugendorganisation) und GST (Gesellschaft für Sport und Technik- paramilitärische Jugendorganisation) gemeinsam mit Bildungsinstitutionen organisierten. Vor allem in den letzten beiden Schuljahren der polytechnischen Oberschule wurde von den Jungen frühzeitig ein aktives Bekenntnis zu ihrer Armee verlangt. (vgl. Fischer 2004, 186ff).

Der Besuch aller Bildungseinrichtungen war unentgeltlich. Die Bildungsinstitutionen waren streng durchorganisiert und „Experimente“ mit antiautoritären Erziehungsmethoden gab es nicht. Die Studienplatzvergabe wurde gesteuert und gelenkt und orientierte sich am realen Bedarf der Volkswirtschaft, was heißt, dass nicht jeder die gewünschte Fachrichtung einschlagen konnte, was aber auch eine Überfüllung von Modefächern verhinderte. Die Aufnahmekriterien für die Zulassung zu einem Studium orientierten sich am Notendurchschnitt und an der politischen Einstellung und den gesellschaftlichen Aktivitäten des Bewerbers. Gab es Zweifel an der sozialen Einstellung und der Loyalität des Bewerbers, so wurde die Studienzulassung verweigert. Bevorzugt behandelt wurden Männer, die die Wehrpflichtzeit von anderthalb Jahren absolviert und sich darüber hinaus zeitlich länger in den Dienst der NVA (Nationale Volksarmee) verpflichtet hatten. Die Teilnahme an universitären Lehrveranstaltungen war Pflicht, zahlreiche Versäumnisse konnte die Exmatrikulation bedeuten. Der Arbeitsplatz nach Studienabschluss wurde oftmals von einer Einsatzkommission vermittelt. Dabei ging es nicht um die individuellen Wünsche des Absolventen, sondern um die Erfordernisse der Volkswirtschaft. Da „wurde ein Pädagogikstudent schon einmal auf ein Dorf vermittelt, obwohl Berlin sein Wunschziel war“.

Die DDR trennte Staat und Kirche konsequent, deshalb gab es in keiner Bildungsinstitution Religionsunterricht, sondern nur in kirchlichen Organisationen. 1978 wurde in den Schulstufen Neun und Zehn das Fach „Wehrkunde“ eingeführt. Die Unterrichtung von Schülern in militärischen Fächern trug zum Verlust an Glaubwürdigkeit des Staates bei, da der erklärte Friedenswille der DDR damit nicht in Einklang zu bringen war (vgl. Bentzien 2003, 51ff).

2.1.8. Sport

Die Begriffe Sport und Körperkultur sind im Sozialismus der DDR nur im Rahmen der gesellschaftlichen Zusammenhänge begreifbar. Der Bereich des Sports war in der DDR ein hoch entwickeltes Teilsystem und wurde für die Ziele der SED instrumentalisiert. Sport wurde als Instrument zur Sicherung des Machtmonopols und zur Steigerung der Arbeitsproduktivität verstanden und diente dem internationalen Ansehen der SED und der DDR. Spitzensportler sollten bei internationalen Wettkämpfen die Überlegenheit des sozialistischen Systems demonstrieren und vom Leistungswillen des Staatsvolkes zeugen. Die Konzentration auf Spitzensport in der DDR fiel zu Lasten des Breiten- und Gesundheitssports. Ein lückenloses System der Talentfindung setzte bereits im Vorschulalter ein. Seit 1965 gab es Kinder- und Jugendspartakiaden, die Breitensport und Talentfindung verbanden.

Im Spitzensport sah die SED ein wissenschaftliches Prüffeld, auf dem Leistungssteigerungen gemessen und auch durch Doping beeinflusst werden können. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse dienten der physischen Vervollkommnung der DDR-Bürger (vgl. Fischer 2004, 221ff). Insbesondere im Schwimmsport waren die Anzeichen von Doping durch Veränderung der Stimmen bei Frauen und einem zunehmend männlichen Aussehen augenscheinlich. Bis heute wird vor Gerichten über Schadenersatzforderung geklagt, da auch Kindern und Jugendlichen Dopingmittel verabreicht wurden (http://www.on-dope.de/doping-in-der-ddr [22.02.10]). Zwischen 1968 und 1988 waren die Olympiamannschaften der DDR mit einer Ausnahme im Medaillenspiegel bei Olympischen Sommer- oder Winterspielen immer unter den besten fünf Ländern vertreten, wozu neben Dopingmitteln natürlich auch großer Eifer, Begeisterung, Trainingsfleiß und Trainingsmeth- denkompetenz erforderlich ist. (http://de.wikipedia.org/wiki/Sport_in_der_DDR#Medaillenspiegel der_ DDR_bei_ 01ympischen_Spielen [22.02.10]).

Im folgenden Kapitel sollen städtebaulichen Entwicklungsphasen in der ehemaligen DDR auf der Makroebene genauer beschrieben werden.

3. Städtebauliche Entwicklungsphasen: 1945 bis 2009

In diesem Kapitel werden Zusammenhänge, Ursachen und Erscheinungsformen für die Entstehung großer Neubaugebiete und Plattenbausiedlungen erläutert. Der Städte- und Wohnbausektor lässt sich in vier historische Phasen gliedern. Die erste Phase, 1945 bis 1955, galt dem Wiederaufbau der Kriegszerstörungen, die zweite Phase, 1956 bis 1970, ist durch das industrielle Bauen, die Dritte Phase, 1971 bis 1989, durch einen Bauboom von Plattenbausiedlungen gekennzeichnet und die Phase der Schrumpfung setzte ab 1990 ein und hält bis heute an.

3.1. Trümmerbeseitigung und beginnender Aufbau: 1945 bis 1955

Nach der Kapitulation Hitlerdeutschlands am 8. Mai 1945 wurde Deutschland in vier Besatzungszonen eingeteilt. Chemnitz befand sich in der russischen Besatzungszone. Unter schwierigsten Bedingungen entwickelten sich das Bauwesen, der Städtebau und die Architektur im Sinne einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung. Im Zweiten Weltkrieg wurden 50 % des städtischen Wohnraumes vernichtet. Von rund 5 Millionen Wohnungen auf dem Gebiet der DDR (1939) waren 1,3 Millionen total zerstört und 800.000 schwer beschädigt (vgl. Ott 1997, 43). Ein extremer Mangel an Fachkräften und Baumaterialien schränkte den Aktionsradius des Bauwesens stark ein. Verschärft wurde die Situation durch die Demontage, der in Kriegszeiten auf Rüstung umgestellten Industrie. Gemäß dem Potsdamer Abkommen wurden 600 Rüstungsbetriebe als Wiedergutmachungsleistung demontiert und für den Wiederaufbau in Polen und der damaligen Sowjetunion verwendet (vgl. Sieber 2006, 9).

In Chemnitz wurde 1945 die zerstörte Überbrückung des Gablenzbaches und des Pleißenbaches wiederhergestellt, um den innerstädtischen Straßenverkehr wieder aufnehmen zu können. Im zweiten Halbjahr 1945 wurde mit der Beseitigung von Trümmern begonnen, um erste Häuser wieder bewohnbar zu machen. Vor allem die Mitteldeutsche Baugesellschaft (MIBAG) beteiligte sich an diesen Aktivitäten und setzte vor allem Zementersatz und gewölbte Decken zur Sicherheit der Gebäude ein. Nach Kriegsende wurden Unmengen an gefundener Munition in das Staubecken der Talsperre Muldenberg geworfen. Am 13. Mai 1945 kam es dann zu einer Detonation dieser „entsorgten“ Munition, woraufhin die Staumauer schwer beschädigt wurde. Die Folge waren schwere Überschwemmungen, Materialschäden und Wassernot im Chemnitzer Gebiet. Die städtischen Bauverwaltungen organisierten den Einsatz der Bauarbeiten, wobei der Schwerpunkt auf der Wiederherstellung von Wasserwerken, Kraftwerken, Energieversorgungsstellen, Wasserleitungen, Entwässerungsanlagen und Straßen- und Schienenverkehr lag und somit ein Wohnungsneubau kaum betrieben werden konnte. Der akute Fachkräfte- und Bauarbeitermangel konnte durch die Mithilfe vieler Frauen ausgeglichen werden. Sie schrieben als „Trümmerfrauen“ Geschichte.

Im Juni 1946 wurden 202 der 600 zu demontierenden Betriebe in der russischen Besatzungszone belassen und in sowjetisches Eigentum überführt. Seit Januar1954 verzichtete die Sowjetunion auf weitere Reparationsleistungen gegenüber der inzwischen entstandenen DDR. 1946 fanden erste Städtebauwettbewerbe statt, wobei die Aufbaupläne für Chemnitz durch eine enge Bindung an das historische Straßen- und Platzgefüge der kriegszerstörten Altstadtkerne bestimmt waren. Ab 1946 orientierte sich die Bauverwaltung vermehrt an der Sicherung des lebensnotwendigen Bedarfs an Wohnraum. Große Wohnungen von ehemaligen Nazis, Militärs oder geflohenen Unternehmern wurden geteilt und an Wohnungssuchende vergeben. Die Einführung eines sozialen Mietrechts half, den wenigen Wohnraum gerecht zu verteilen. Entscheidend waren die sinnvolle Verwertung von Trümmermassen und die Neuproduktion von Zement, Stahl und Ziegeln, um die akute Wohnungsnot zu mildern. Mit dem so genannten „Zweijahresplan“ von 1945/50 gelang es, das Bauwesen und damit den Wohnungsbau in die einheitlichen wirtschaftlichen Planungen einzubeziehen (vgl. Sieber 2006, 9ff).

Im Mai 1949 wurde aufgrund eines Beschlusses der Deutschen Wirtschaftskommission die Hauptverwaltung Bauwesen, gebildet, die es sich zur Hauptaufgabe machte, volkseigene Betriebe mit zonaler Bedeutung zu schaffen und die Organisation der Investitionsbautätigkeit zu steuern.

Mit der Spaltung Deutschlands (Staatsgründung der Bundesrepublik Deutschland, Währungsreform in den westlichen Besatzungszonen) und der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik im Oktober 1949 konzentrierte man sich auf den Ausbau der Schwerindustrie und auf die Verbesserung der Wohnbedingungen der Bevölkerung in der ehemals russischen Besatzungszone. Ab 1950 war es möglich, den Städtebau und die Volkswirtschaft gemeinsam zu koordinieren. Die Verabschiedung der „16 Grundsätze des Städtebaus“ am 27. Juli 1950 und des „Gesetzes über den Aufbau der Städte“ am 6. September 1950 waren für den Städtebau der DDR von großer theoretischer und praktischer Bedeutung. Durch diese zwei Gesetze waren ein planmäßiger, zentral gesteuerter Aufbau und eine Neugestaltung der Städte möglich, da in den Gesetzen das Verfügungsrecht von Grund und Boden geregelt wurde. Der Produktionsfaktor Boden verlor seinen Wert und jeglicher Grund gehörte dem Staat. Es wurden 53 „Aufbaugebiete“ erklärt, für die eine „komplexe Aufbauplanung“ vorgesehen war. Den Auftakt bildeten neben den Städten Leipzig und Dresden ab 1951 auch Chemnitz, in denen „Sonder-Wohnungsbauprogramme“ durchgeführt wurden. Das größte Bauvorhaben, bei dem die „16 Grundsätze des Städtebaus“ eine modellhafte Verwirklichung fanden, war der 1951 begonnene Bau der Stadt Stalinstadt (seit 1961 Eisenhüttenstadt) für die Werktätigen des Eisenhüttenkombinates. Ursprünglich für 30.000 Einwohner geplant, wies die Stadt zum Teil sogar 50.000 Einwohner auf. Erste einheitliche Typisierungen des Massenwohnbaus spiegelten die systematische Entwicklungsarbeit wieder. Typengrundrisse wurden unter anderem vom Ministerium für Aufbau 1950 festgelegt, obwohl die „16 Grundsätze des Städtebaus“ „nicht eine monotone Wohnhausarchitektur“ schaffen wollten. Der erste Fünfjahresplan (1951-1955) der DDR unter dem Generalsekretär der SED, Walter Ulbricht, galt dem Wiederaufbau und der Beseitigung der Kriegsschäden. Durch die Gründung der Bauakademie am 8. Dezember 1951 entstand eine Forschungseinrichtung des Bauwesens der DDR. Die Akademie führte Grundlagenforschung durch, die das Baukastensystem (Standardisierung und Typisierung der Plattenbauten) der DDR unterstützte (vgl. Sieber 2006, 13ff).

Die in den „16 Grundsätzen des Städtebaus“ formulierten Leitbilder, wie zum Beispiel ein Neuaufbau in Anlehnung an regionale Architekturformen in Harmonie mit Neuem und Gewachsenem, waren schon Anfang der 50er Jahre nur mehr theoretischer Natur. Die Praxis zeigte, dass entstehende Musterprojekte sich als zu aufwendige Bauvorhaben erwiesen, angesichts der noch auszuführenden Bauvorhaben. Bereits mit dem Ablauf des ersten Fünfjahresplanes kam es zur Abkehr von formulierten Leitbildern hin zu einer standardisierten Massenproduktion mit dem Ziel, die Baukosten zu senken (vgl. Sieber 2000, 59) und neue Städte für eine sozialistische Gesellschaft zu schaffen, ohne die Rekonstruktion kapitalistischer Strukturen (vgl. Ott 1997, 33). Ziel war die „Überwindung derkapitalistischen Wohnstrukturen“ (vgl. Hannemann 1996, 10).

3.2. Industrielles Bauen: 1956 bis 1970

Der zum Teil bis 1955 aufwendige Baustil mit hohen Baukosten und die daraus resultierenden langen Bauzeiten sowie die akute Wohnungsnot führten zur Hinwendung zum industriellen Wohnbau. Industrielles Bauen ist gekennzeichnet durch den Einsatz technischer Hilfsmittel, organisatorischer Konzepte, Methoden und des vorhandenen Kapitals, mit dem Ziel, die Leistung und Produktivität zu verbessern (vgl. Hannemann 1996, 24).

Sämtliche Baubetriebe und die Baustoffindustrie wurden verstaatlicht. Die Knappheit der Bauressourcen führte zu einer Konzentration der Wohnungsbaumittel auf bestimmte Standorte, wobei die Prioritätenliste sich nicht nach der Kriegszerstörung richtete, sondern nach der Bedeutung der Städte für den wirtschaftlichen Aufbau. Eine direkte Folge der Einführung der industriellen Typenbauweise war die Vernachlässigung der Stadtzentren. Auf freiem, unbebautem Gelände war es einfacher und billiger zu bauen (vgl. Ott 1997, 37).

Schon 1955 sah die Bauakademie der DDR die Plattenbauweise als einzige zukünftige technisch­konstruktive Lösung an. Erste Plattenbausiedlungen wurden bereits 1957 in Hoyerswerda und in Berlin errichtet, jedoch galten sie noch als „Erprobungsfeld“. Von 1961 bis 1990 wurde der vorgefertigte Plattenbautyp P2 (Im Wohnungsgrundriss gab es keine tragenden Wände mehr, im Badbereich kamen komplett eingerichtete Sanitärzellen mit vorgefertigten Rohrbündeln zum Einsatz) mit einem Gesamtumfang von 363.600 Wohneinheiten gebaut. Durch die Einführung dieser Konstruktion war es möglich, bis zu 20-geschossige Hochhäuser zu bauen. Dies führte zu einer verdichteten Bebauung mit Monostrukturen und so zu Monotonie. Zwischen 1961 und 1975 wurden 1,3 Millionen Wohnungen neu errichtet und lediglich 322.000 modernisiert (vgl. Sieber 2006, 29).

Exkurs Plattenbausiedlungen:

Großwohnsiedlung, Neubaugebiet, Plattenbausiedlung, Satelliten­stadt, Wohnkomplex, Trabantenstadt und randstädtische Großsied­lung werden häufig in der Literatur synonym für ein und dasselbe Phänomen verwendet. Man versteht unter den genannten Begriffen Teilräume mit einer Größe von mehr als 1000 Wohneinheiten, die nach dem zweiten Weltkrieg errichtet wurden und einem einheitlichen Städtebaukonzept zugrunde liegen. Ein einheitlicher homogener Bebauungsplan mit Grün-, Verkehrs- und Infrastruktur lässt diese Siedlungen sich deutlich von ihrer Umgebung abgrenzen (Fuhrich und Mannert 1994 und Breuer 1997 zit. in: Heinneberg 2006, 237).

3.2.1. Die sozialistische Stadt

Über mehrere Jahrhunderte hinweg entwickelten sich die osteuropäischen Städte vor dem gleichen gesellschaftlichen Hintergrund wie die westeuropäischen. Bürgerliches und feudales Erbe prägten die innere Struktur und die funktionalen Zuweisungen der Städte. Ab den 1920er Jahren bildete sich die Ost-Westdifferenzierung in der Sowjetunion heraus und ab den 1940er Jahren in Osteuropa. Die bauliche Umgestaltung „profitierte“ von den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges. Carter (1995 zit. in: Bähr und Jürgens 2005, 141) spricht hierbei von einem „pragmatischen Wiederaufbau“. Die fortschreitende Umgestaltung zu sozialistischen Städten setzte unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Wohnraum wurde als ein „Soziales Gut“ definiert und die Versorgung der

Bevölkerung mit Wohnungen als staatliche Aufgabe gesehen. Dafür wurde Grund und Boden „sozialisiert“ (vgl. Karger und Werner 1982, 520) oder enteignet. Es herrschte eine strikte Vergabe der Wohnungen vor, in denen die Menschen unabhängig von ihrem sozialen Status wohnten. Die theoretische Leitvorstellung ging von einer Einebnung der Unterschiede mit gleichwertigen Lebensbedingungen für das gesamte Volk aus. Die Stadt solle im Sozialismus als eine Erziehungsanstalt auf die Menschen wirken, in der sie ihre „neuen Verhaltensweisen und Lebensgefühle“ ausleben können. Das Kollektivinteresse war individuellen Bedürfnissen übergeordnet und die Produktion rangierte weit vor dem Konsum, wobei dadurch der Wohnungsbau vernachlässigt wurde (vgl. Karger und Werner 1982, 519f).

Die bewusste Aufhebung von sozialer Segregation durch standardisierten Wohnungsbau gelang jedoch nicht zu 100 %. Es kam zu einer Konzentration beruflich höher qualifizierter und besser ausgebildeter Gruppen in Plattenbaugebieten wie in Chemnitz- Heckertgebiet und Leipzig- Grünau (vgl. Burdack und Rudolph 2001, 262-263 und Schuckknecht 2003). Die politische Führungsspitze der DDR konzentrierte sich auf eine abgeriegelte Villengegend am Majakowskiring in Berlin Pankow-Niederschönhausen und später auf die Waldsiedlung Wandlitz (http://www.berliner- mieterverein.de/magazin/online/mm0209/hauptmm.htm?http://www.berliner-mieterverein.de/maga zin/online/mm 0209/ 020922.htm.[18.05.10]).

Typische physiognomische Kennzeichen der sozialistischen Städte waren die Magistrale und der zentrale Platz. Die Magistrale war in der Regel auf die Industriebetriebe ausgerichtet und leitete den Strom der Arbeiter zu ihrem Betrieb und nach der Schicht zurück in ihre Wohnquartiere. Des Weiteren diente die Magistrale als Aufmarsch- und Paradestraße auf der Demonstrationen im sozialistischen Sinne durchgeführt werden konnten. Der zentrale Platz diente ebenso wie die Magistrale als Ort für Aufmärsche, Demonstrationen und für Volksfeiern an Festtagen (vgl. Wiktorin 2000, 58). Das Zentrum wird häufig durch ein Hochhaus hervorgehoben (vgl. Abb. 6).

Abb. 6: Die Chemnitzer Innenstadt

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: http://static.panoramio.com/photos/original/11107852.jpg (12.02.10)

In unmittelbarer Nähe des Zentrums befanden sich politische, administrative und kulturelle Einrichtungen (vgl. Heineberg 2000, 232 und Burdack und Rudolph 2001, 263). Leuchtreklamen wurden durch Propagandasprüche ersetzt, ganze Straßenzüge umbenannt (Wolgograder Alle) und sozialistische Denkmäler (Karl-Marx-Monument) im öffentlichen Raum errichtet (Ott 1997, 17ff).

Abb.7: Das Karl-Marx Monument in der Chemnitzer Innenstadt

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eig. Aufnahme August 2009

Am Stadtrand entstanden vor allem ab I960 neue Wohngebiete (Heckertgebiet, 2003 die sechst- größte Siedlung Deutschlands, vgl. Schucknecht 2003, 65) in standardisierter Plattenbauweise, was zum Rückgang der Einwohnerzahlen der Alt- und Innenstadt führte (vgl. Gornig 1995, 53ff). Typisch für sozialistische Städte sind die so genannten „Datschen“. Diese kleinen Häuser wurden in kleinen Schrebergärten, vorwiegend am Stadtrand errichtet und dienten der wohlhabenderen Bevölkerung als Wochenenddomizil (vgl. Karger und Werner 1982, 528).

3.3. Bauboom der Plattenbausiedlungen: 1971 bis 1989

Die Einführung der Anwendung der Massenproduktion auf Konsumgüter mit dem Machtantritt Honeckers 1971 ebnete den Weg zum Bau von standardisierten Plattenbauten. Mit der Doktrin des VII. Parteitags von der „Einheit von Sozial- und Wirtschaftspolitik“ wurde versucht, gesellschaftspolitische Interessen mit wirtschaftlichen Interessen zu vereinen. So entstanden drei Viertel der 2,2 Millionen Wohnungen, die in der DDR bis 1989 errichtet wurden in industrieller Bauweise. Dies bedeutet, dass jeder vierte Bewohner der DDR in einem Neubaugebiet wohnte (im Vergleich dazu war es in der BRD jeder 60ste.) Der Wohnbausektor der DDR war in den 70er und 80er Jahren durch eine intensive Neubautätigkeit geprägt. Trotzdem gab es je nach verwendeter Literatur zwischen 300.000 und einer Million Wohnungssuchende 1990. Vor allem in Klein- und Mittelstädten (Wolfen, Eisenach, Schwedt, Bitterfeld) entstanden ab 1970 für die Arbeiter und deren Familie in den Industriebetrieben große Plattenbausiedlungen, in die man sich abends nach der Arbeit zurückzog. Keller (2005, 22) spricht in diesem Zusammenhang von einem „Privatismus, der nicht dem offiziellen Ideal eines sozialistischen Menschen entspreche“. Die Einführung der „Wohnbauserie 70“ (WBS 70) seit den 70er Jahren bedeutete eine endgültige Standardisierung der Neubauwohnungen. Das Leitbild der „sozialistischen Kleinfamilie“ mit berufstätigenm Ehepaar und zwei Kindern spielte eine bedeutende Rolle in diesem Zusammenhang, denn die Wohnungen waren bis auf wenige Ausnahmen mit 50-60m2 Größe und durchschnittlich drei Räumen für diesen Haushaltstyp konzipiert. Das Wohnen in solch einer Neubauwohnung wurde als neue sozialistische Wohnform propagiert und stellte oftmals die einzige Möglichkeit dar, relativ komfortabel mit zentraler Warmwasserversorgung und Fernheizung zu leben (vgl. Schucknecht 2003, 28).

Zwischen 1975 und 1989 wurden in der DDR 100.000 Wohnungen fertig gestellt und lediglich 12.000 Wohnungen im Eigenheimbau. Dies lag vor allem am Mangel an Baumaterial und an der restriktiven Baugenehmigungshandhabung der Politik. Ziel war es, bis 1990 jeden Haushalt mit einer Wohnung zu versorgen, was jedoch nicht gelang. Zu keiner Zeit konnte in der DDR die Nachfrage nach Wohnraum, trotz der Ausweitung des Bestandes an Wohnungen durch das Wohnbauprogramm von 1972, befriedigt werden (vgl. Schucknecht 2003, 30). Trotzdem bezeichnet Hubert (1994, 53) die Versorgung der Menschen mit Wohnraum im Vergleich zu anderen kommunistischen Staaten als „durchaus gut“. Der Blick auf die Theaterstraße (Abb. 10 und 11) verdeutlicht, dass von der alten Bausubstanz der Chemnitzer Innenstadt nach dem Krieg so gut wie nichts erhalten wurde und im Zentrum Plattenbauten errichtet wurden.

Abb. 8 und 9: Die Chemnitzer lnnenstadt:1962 und 2002

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Lindner 2006, 142 und 143

3.3.1. Die DDR als Spezifikum in Osteuropa

Die Situation in Ostdeutschland ist ein Spezifikum im europäischen Raum, wenn nicht sogar weltweit und unterscheidet sich auch grundlegend von der Situation in Osteuropa, die nach Hannemann (2002, 157) sich durch folgende Merkmale von den ostdeutschen Bundesländern unterscheidet:

- Bisher nicht existierende Probleme des Leerstandes;
- Besonders in Städten vorherrschender Wohnungsmangel;
- Eine relativ hohe Akzeptanz der Plattenbausiedlungen, wobei erste Tendenzen der Ausdifferenzierung sichtbar werden;
- Eine relativ breite soziale Mischung der Bewohnerschaft, die auf den Mangel an bezahlbaren Alternativen am erst entstehenden Wohnungsmarkt zurückzuführen ist;
- Hohe Eigentumsrate in den Plattenbausiedlungen, was zum Teil zu einer Verhinderung der

Modemisierungsmaßnahmen fährt, da sich die einzelnen Wohnungsbesitzer aufgrund fehlendem Kapitals nicht einigen können, welche Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen durchgeführt werden sollen und dadurch ein schleichender, nicht auf haltbarer, baulicher Verfall der Großwohnsiedlungen in Osteuropa befürchtet wird;

Abb. 10: unsanierte Plattenbauten in Pratislava

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eig. Aufnahme 2008

- Generell ist von einer Trägheit der Raum- und Sozialstrukturen die Rede, da mangelndes Kapital und eine fehlende Oberschicht zu keiner hohen Wohnmobilität von großen Teilen der Bevölkerung führt.

Des Weiteren unterschied sich die DDR hinsichtlich der Privatisierungsraten von Wohnraum. Abb. 11 zeigt deutlich, dass eine Vielzahl osteuropäischer Staaten sehr wohl Wohnungseigentum zuließen.

Abb. 11: Privatisierungsquoten staatlicher Mietwohnungen in osteuropäischen Staaten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Banse 2002, eig. Entwurf

3.4. Phase der Schrumpfung: 1990 bis 2009

Durch den Bau der Plattenbausiedlungen wurde laut Hannemann (1998, 92) das Wohnungsproblem in der DDR gelöst. Dem widerspricht Banse (2002, 11), die von 800.000 Wohnungssuchenden 1990 spricht, wobei gleichzeitig 300.000 bis 500.000 Wohnungen in heruntergekommen Altbauten leer standen. Kabisch (2002, 89) publiziert ähnliche Zahlen. Sie beziffert die leer stehende Wohnungszahl vor allem im Altbaubestand im Jahr 1990 auf 400.000 und spricht von 500.000 unerledigten Wohnungsanträgen. Beermann (2006, 32) hingegen spricht wiederum von 781.000 Anträgen für eine Wohnungszuweisung 1989, und es konnte zu keiner Zeit in der DDR von einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage am Wohnungsmarkt gesprochen werden. Es bestand anhaltend hoher Bedarf. Ein Grund für die abweichenden Datenangaben der Autoren liegt im wenig sorgfältigen Umgang mit eigentumsbezogenen Daten der DDR Verwaltung (vgl. Wiktorin 2000, 17). Seit 1981 wurden wohnungsbezogene Daten in der DDR lediglich fortgeschrieben, mehrfach korrigiert und im Sinne des Sozialismus „bereinigt“, und Wertungen, die auf diesen Daten gegründet sind, solle man nach Schwandt (1994, 1) „mit einiger Skepsis begegnen“. Einer Studie über den Baumarkt der DDR nach, galt 1990 jede dritte Wohnung der DDR nach westlichen Maßstäben als unbewohnbar. Dies betraf vor allem die Altbaubestände (vgl. Banse 2000, 45).

Durch die Ausrichtung des Wohnungsbaus in der DDR auf randstädtische Neubaugebiete wurden die Innenstädte vernachlässigt. Die Altbauten galten als „Relikte kapitalistischer Stadtentwicklung“ (Hannemann 1998, 91) und die Bürger wandten sich von den unattraktiven Innenstädten und den Altbauten ab. Weiske ( 1997, 121) bezeichnet den Aktionsraum der Neubaubewohner zwischen Arbeitsplatz, Wohnung und Datsche (Schrebergärten mit kleinen Häuschen) als „Bermudadreieck“.

Der Sozialismus verlor spätestens Ende der 1980er Jahre seine Legitimation. Der Konsumgütersek­tor, inklusive des Wohnungsbaus, wurde im Wesentlichen auf Pump finanziert, bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Modernisierung der Produktionsstätten und Altbauten. Versorgungsengpässe und wachsende soziale Ungleichheiten, hervorgerufen durch einen einseitigen Städtebau sowie die ökonomischen und moralischen Kosten des Überwachungsapparats waren die entscheidenden Gründe für den Untergang der DDR. Mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 zerbrach das standardisierte Modell der Plattenbauten und das Wohnungswesen erlebte einen tief greifenden Umbruch. Der Aufstieg und Fortschritt, für den die Plattenbausiedlungen standen, endete mit dem ökonomischen Strukturbruch und der Wegzugswelle in den Westen, wo neue Möglichkeiten warteten. Eine erste Wegzugswelle aus den Plattenbauten entstand durch die strukturelle Massenarbeitslosigkeit unmittelbar nach der Wende und eine zweite,

Mitte der 90er Jahre einsetzende Welle durch die Wegzüge in das städtische Umland. Abb. 12 zeigt die wohnungspolitischen Aufgaben kurz nach dem Zusammenbruch der DDR 1990.

Abb. 12: Wohnungspolitischer Rahmen: 1990

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eig. Entwurf

Die sozial selektiven Wegzüge (junge und finanzkräftige Haushalte) ziehen zum größten Teil ins städtische Umland auf die „Grüne Wiese“. Gleichzeitig ziehen untere Statusgruppen und „Wendeverlierer“ (Keller 2005, 52) in die leer gewordenen günstigen Plattenbauten ein. Angezogen werden sie durch die ohnehin billigen Mieten, die durch den hohen Leerstand weiter gedrückt werden. Das Errichten von Eigenheimen, auf der „Grünen Wiese“ wird durch großzügige Baulandflächenausweisung eigenständig gewordener Kommunen gefördert. Niedrige Bodenpreise locken zahlreiche finanzkräftige junge Personen an. Dieser Prozess wird in zahlreichen Quellen als „nachholende Suburbanisierung“ bezeichnet.

Im Einigungsvertrag zwischen der BRD und der DDR von 1990 wurde zwar festgelegt, dass Plattenbausiedlungen nicht als sozialer Wohnraum dienen sollten, jedoch behielten die Kommunen ihre Belegungsrechte, denn aufgrund von ungeklärten Besitzverhältnissen und Privatisierung hatten die Kommunen nur stark eingeschränkt Zugriff auf die Altbauten und mussten sich Belegungsrechte in den Plattenbauten sichern. Die eigentumsrechtliche Ausnahmesituation, die nach der Wende eintrat, stellte die Behörden, Politiker und Verwalter vor ungeheuer schwierige Aufgaben. Es galt 2,2 Millionen Restitutionsanträge zur Klärung des enteigneten Grundvermögens zu bearbeiten. Es bestand zunehmend die Auffassung, dass für eine funktionierende Marktwirtschaft die Schaffung stabiler Eigentumsverhältnisse Voraussetzung sei:

„Nur dann, wenn die Eigentumsverhältnisse definiert und gesichert sind, können die Marktpartner in Effizienz verbessernde Tauschgeschäfte eintreten, und nur dann werden Investitionen gewagt, von denen die künftigen Einkommens­und Beschäftigungschancen aller abhängen. Ohne den Respekt vor dem Eigentum hätte sich die Marktwirtschaft im Systemwettbewerb nicht als überlegen erwiesen“ (Wiktorin 2000, 30).

In Chemnitz wurden die letzten Eigentumsfragen erst im Jahr 2000 geklärt. Diese Ausnahmesituati­on führte dazu, dass der Bodenmarkt in den Anfangsjahren nach der „Wende“ eingeschränkt war. Die von der Rückgaberegelung betroffenen Grundstücke wurden mit einer Änderungssperre belegt. Da es sich oft um Grundstücke und Gebäude in Innenstadtlage handelte, wurden dringend notwendige Sanierungsmaßnahmen durch die Änderungssperre verhindert und dies wiederum führte zu Investitionen im Wohnbausektor auf der „Grünen Wiese“ im suburbanen Raum. Dadurch entstanden Einkaufszentren und „Konsumtempel“ weit abseits der Stadtzentren (vgl. Wiktorin 2000, Iff).

Für die Entwicklung der Eigentumsfrage verabschiedete die Volkskammer der DDR einige wichtige Gesetze:

- Das Treuhandgesetz (17.06.1990) war die Grundlage für die Privatisierung volkseigener Betriebe und Kombinate und Voraussetzung für die Beseitigung des Volkseigentums.
- Das Zivilrechtsänderungsgesetz (28.06.1990) ermöglichte, dass Volkseigentum an Grund und Boden den gleichen Regelungen wie Privateigentum unterlag und somit nicht mehr existent war.
- Das Kommunalvermögensgesetz (06.07.1990) ermöglichte eine kostenlose Übertragung des Volkseigentums an Immobilien und Boden auf die Städte, Gemeinden und Landkreise, die diese dann den Besitzern zuordneten.

Die Abb. 13 zeigt in Anlehnung an Wiktorin (2000, 35) die Entwicklung der Eigentumsform auf dem Gebiet der ehemaligen DDR von vor 1945 bis heute.

Abb. 13: Entwicklung der Eigentumsform: 1945 bis 1990

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: eig. Entwurf

Sämtliche Wohnungsunternehmen nahmen 1993 die Altschuldenhilfe in Anspruch (vgl. Altschuldenhilfegesetz 1993 Kap. З.4.1.1.). Durch dieses Gesetz wurde den Wohnungsunternehmen etwa die Hälfte ihrer Altschulden aus den Zeiten der DDR erlassen. Das Gesetz wurde 2001 dahingehend geändert, dass Wohnungsunternehmen die Schulden für abgerissene Gebäude erlassen wurden. Dies führt bis heute in Chemnitz zu willkürlichem und planlosem Abriss von Gebäuden (vgl. Monitor TV-Bericht „Wie eine Stadt mit Fördermitteln zugrunde gerichtet wird“ 14.05.2009). Die Regelung durch das Altschuldenhilfegesetz läuft 2013 aus.

Banse (2000, 48) deckte schonungslos die Fehlplanung des Deutschen Mieterbundes auf, der im Dezember 1999 auf rapide sinkende Zahlen im Mietwohnungsneubau hinwies. Es wurden Knapp­heiten auf dem Wohnungsmarkt prognostiziert und politische Gegenmaßnahmen gefordert. Dies betreffe, nach Banse, westdeutsche Großstädte, setze aber für Plattenbausiedlungen im Osten „falsche Signale“, wo man von „schrumpfenden Städten“ ausgehen müsse. Die leer stehenden Wohnungen werden auch nicht durch externe Zuwanderer gefüllt, wie in Amerika und in Kernstädten Westeuropas zu beobachten war. Die wirtschaftliche Entwicklung ist in Sachsen und Chemnitz so schwach, dass es zu keiner externen Zuwanderung kommt und die Abwanderungstendenzen überwiegen (vgl. Banse 2000, 49). Spätestens seit 1995 galt der Bedarf an Wohnraum in Sachsen als gedeckt (vgl. Banse 2001, 43), doch es flossen bis Mitte der 90er Jahre trotz erster Leerstandquoten und sinkender Bevölkerungszahlen „gewaltige Fördermengen“ (Beermann 2006, 55) durch steuerliche Anreize (vgl. Reichart 2001, 21) in den Wohnungsbau, wodurch die Leerstandquoten weiter angestiegen sind. Fälschlicherweise sprechen 1996 noch Häußermann (1996) und Hinrichs (1999) von einer neuen Wohnungsnot in Ostdeutschland mit einem Fehlbestand von ca. 200.000 Wohnungen, und es wurden demzufolge Schlussfolgerungen für die Politik formuliert. Bis Ende der 90er Jahre wurde das gesellschaftliche Problem und die Brisanz des Themas Wohnungsleerstand nicht erkannt und erfuhr nicht die notwendige Beachtung, obwohl erste Studien schon viel früher Rückbaunotwendigkeiten von einem Drittel des Gesamtbestandes einforderten. Die mit dem Bevölkerungsschwund einsetzende Wohnungsnachfrage wurde ignoriert, auch weil die Zahl der Haushalte nicht synchron mit der Einwohnerzahl verlief. Die Zahl der Haushalte, als wohnungsmarktrelevante Größe, wies während der 90er Jahre eine steigende Tendenz auf. Vor allem die Anzahl der Einpersonenhaushalte stieg seit 1989 stark an (vgl. Kabisch 2001, 121 und 2002, 31).

Die Zahl der Haushalte stieg in den 90er Jahren um 300.000 an. In der gleichen Zeit wurden 690.000 Wohnungen neu errichtet und von 1996-1999 wurden 210.000 Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern errichtet, soviel wie in der DDR zwischen 1970-1990 (vgl. Kabisch 2002, 37).

Abb. 14: Baufertigstellungen in Sachsen in 1.000 Wohnungen: 1993 bis 1998

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Reichart 2001, 20, eig. Entwurf

Abb. 14 zeigt, dass 1993 sehr wenige Wohnungen neu errichtet wurden. Die Angaben in der Literatur schwanken diesbezüglich stark (Hinrichs 1999, 19). Die allgemeine Entwicklung mit dem Höchststand an Wohnungsfertigstellungen 1997 istjedoch in allen Publikationen zu finden. Die Daten von Reichart (2001, 20) seien deshalb in Abb. 14 exemplarisch dargestellt.

In den neuen Ländern mussten nach 1990 erst die institutionellen Rahmenbedingungen für einen funktionierenden Grundstücksmarkt geschaffen werden und die Baukapazitäten wurden eher in Westdeutschland gebraucht, wo tausende Zuwanderer aus dem Osten Wohnraum benötigten. Ab 1994 erreichte das sächsische Bruttosozialprodukt jährliche Wachstumsraten von 10 %, dadurch ebbte die Abwanderung etwas ab und führte zur Wiederbelebung der Bautätigkeit. Durch die steuerlichen Anreize kam ein „Heer von Investoren und Bauträgern“ (Reichart 2001, 21) aus Westdeutschland auf den Plan, die Wohnbautätigkeit erreichte 1997 einen Boom und führte zu „einer massiven Stärkung des Bausektors“ (Kabisch 2002, 33). Jedoch fiel die Wohnbautätigkeit nach dem Auslaufen der Landesfördermittel 1997 und dem Wegfall der Sonderabschreibungen 1998 wieder stark ab. Durch diesen Bauboom kam es zu sichtbaren Veränderungen des Stadt- und Landschaftsbildes. Das suburbane Umland wurde in kurzer Zeit attraktiver Wohnstandort. Aufgrund der enormen Bautätigkeit Mitte der 90er Jahre, bei gleichzeitiger starker Bevölkerungsab­wanderung, standen zum Ende des Jahres 2000 etwa eine Million Wohnungen auf dem Gebiet der neuen Länder leer, dies entsprach 13 % des Gesamtbestandes (vgl. Petzold 2001, 1). Dieser Bauboom konjunktureller Art führte zu Überkapazitäten und Leerständen von unbekannten Dimensionen und ist ein Spezifikum ostdeutscher Städte im Transformationsprozess. Erschwerend hinzu kam die strukturelle Suburbanisierung der Bevölkerung. Der Wunsch nach Eigentum in Form eines Einfamilienhauses am Stadtrand führte zu hohen innerstädtischen Wanderungszahlen (nach Reichart 2001, 27).

Spätestens 1995 war der Bedarf an Wohnraum in Ostdeutschland gedeckt (vgl. Kabisch 2002, 88). Die höchsten Leerstände auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sind in Sachsen und dort im westsächsischen Verdichtungsraum (Chemnitz, Zwickau, Plauen) zu finden (vgl. Abb. 15) und es betrifft vor allem die Drei- und Vierraumwohnungen (vgl. Banse 2000, 55). Im Vergleich dazu betrug in den alten Bundesländern die Leerstandquote 2002 im Schnitt 6,5%. Den höchsten Wert verzeichnete Berlin-West mit 8,4%, wobei regional starke Unterschiede anzutreffen sind (vgl. Beermann 2006, 39).

Abb. 15: Regionale Verteilung der Leerstände in den neuen Ländern: 2002

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Beermann 2006, 37, eig. Entwurf

[...]

Ende der Leseprobe aus 166 Seiten

Details

Titel
Die Transformation des Wohnbausektors der Stadt Chemnitz unter Berücksichtigung der Plattenbausiedlungen
Hochschule
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck  (Fakultät für Atmosphärenwissenschaften)
Veranstaltung
Diplomarbeit
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2010
Seiten
166
Katalognummer
V183299
ISBN (eBook)
9783656080060
ISBN (Buch)
9783656080176
Dateigröße
5025 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
siehe Abstract
Schlagworte
Transformation, Plattenbausiedlung, Schrumpfung, Geburtenrate, Stadt, Chemnitz, Ostdeutschland, Wende, 1989, Wohnbau, Wohnbausektor, Stadtumbau Ost, Karl-Marx Stadt, Städtebauliches Entwicklungskonzept, Leerstand, Soziale Stadt, Suburbanisierung, Heckertgebiet
Arbeit zitieren
Mag. Stephan Glöckner (Autor:in), 2010, Die Transformation des Wohnbausektors der Stadt Chemnitz unter Berücksichtigung der Plattenbausiedlungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/183299

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