Die Gruppe der wiederverheiratet Geschiedenen bzw. der Geschiedenen, die wieder
heiraten wollen, ist mir durch mein direktes Umfeld bekannt. Noch deutlicher wurde
mir die gesamte Problematik der Betroffenen in meiner Praktikumspfarrei. Aus
diesem Erfahrungsschatz möchte ich zwei Beispiele anführen.
Eine Frau ca. 40 Jahre alt, drei Kinder und zum zweiten Mal verheiratet. Ihr
begegnete ich beim Erstkommunionabend zum ersten Mal, da ihre Tochter in diesem
Jahr zur ersten heiligen Kommunion ging. Die Frau bot sich an, eine Tischgruppe zu
leiten, obwohl sie ihrer Meinung nach gar nicht geeignet wäre. In der Zeit der
Vorbereitung traf ich mich regelmäßig mit ihr, um die Erfahrungen in der Tischgruppe
auszutauschen und verschiedene Probleme zu besprechen. Zwischen uns entwickelte
sich dann ein sehr freundschaftlicher Kontakt. Bei einem Abendessen in
ungezwungener Atmosphäre erzählte sie mir, dass sie zum zweiten Mal verheiratet sei
und es aus erster Ehe einen bereits erwachsenen Sohn gibt, zu dem sie nach wie vor
guten Kontakt hat. Sie erzählte, dass sie nicht mehr zur Kommunion ginge, da sie
dies ja nicht mehr dürfe. Allerdings ist es für sie schwierig, das ihrer Tochter zu
erklären. Sie fragt natürlich immer wieder, warum sie nicht zur Kommunion ginge.
Für mich ist es nicht einfach, meine Reaktion zu rekonstruieren. Wir haben uns noch
lange über ihre erste und ihre derzeitige Ehe unterhalten. Nach diesem Gespräch kam
ich zu dem Entschluss, dass es nach sorgfältigen Überlegungen bei ihr läge, ob sie zur
Kommunion gehe. Für mich war die lehramtliche Position (bzw. das was ich damals
von ihr wusste) hinsichtlich dieses Schicksals und dieser Frau nicht vertretbar.
Ein weiteres Beispiel ist das eines geschiedenen Mannes (45J.). Als ich ihn
kennenlernte lebte er mit seiner Freundin und seinem Sohn aus erster Ehe zusammen.
Da beide im kirchlichen Dienst arbeiten, ist es ihnen nicht möglich, ihre Beziehung
offen zu zeigen. Um Zusammenzuleben bedarf es vieler Heimlichkeiten. Mit diesem
Paar hatte ich einige Gespräche, in denen ich spürte, wie hart diese Heimlichtuerei für
sie war. Doch diese Art des Lebens wurde ihnen durch die kirchliche Position
aufgezwungen. Ob dies ein menschlich tragbarer Weg ist, war für mich sehr fraglich!
Zu diesen beiden Schicksalen kamen in meiner Pfarrei noch viele Fälle von
Scheidung und Wiederheirat hinzu. Mir wurde damals bewusst, dass es keine
generelle Lösung für diese sehr unterschiedlich gelagerten Lebensgeschichten geben
kann. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Kein Randproblem, sondern zentrales Thema
- Statistische Daten zu Wiederverheiratet-Geschiedenen
- Ehescheidungsstatistiken
- Wiederheiratsstatistiken
- Soziologische und psychologische Folgerungen aus den Zahlen
- Scheitern am lebenslangen Projekt Treue
- Bedarf an pastoraler Sorge
- Stimmen in der Kirche
- Dilemma der Seelsorge(r)
- Fallbeispiel
- Situation der Seelsorge(r)
- Stellungnahme des Familienbundes der deutschen Katholiken in Bayern
- Der Freckenhorster Kreis
- Anträge des Bamberger Pastoralgespräches
- Fazit
- Lehramtliche Äußerungen
- Das Trienter Konzil
- Geschichtliche Situation
- Kanon 7 der Lehrsätze über das Ehesakrament
- Das II. Vatikanische Konzil
- Das traditionelle vorkonziliare kirchliche Eheverständnis
- Das Eheverständnis in ,, Gaudium et spes"
- Die Würzburger Synode (1972-1975)
- Entstehungsgeschichte des Synodenbeschlusses: Christlich gelebte Ehe und Familie
- Beschluss der gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland
- Familiaris Consortio
- Der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK)
- Der Katholische Erwachsenenkatechismus (Zweiter Band)
- Schreiben der oberrheinischen Bischöfe
- Die Ausgangsposition des Schreibens
- Inhalt
- Rezeption
- Das Schreiben der Glaubenskongregation
- Beginn eines innerkirchlichen Dialoges?!
- Begutachtung des Schreibens
- Reaktion der oberrheinischen Bischöfe
- Die Berichterstattung in den sozialen Kommunikationsmitteln
- Die Enzyklika Veritatis Splendor
- Biblische Perspektiven
- Das Alte Testament
- Im Anfang 1, 26-28
- Im Anfang 2, 18-24
- Das Neue Testament
- Von der Ehescheidung - Mk 10, 1-12
- Von der Ehescheidung - Mt 5, 31f
- Von Ehescheidung und Ehelosigkeit - Mt 19, 3-12
- Vom Gesetz und von der Ehescheidung - Lk 16, 18
- Jesus und die Ehebrecherin - Joh 7, 53-8, 11
- Ehe mit Heiden und Ehescheidung- 1 Kor 7, 10-15
- Resümee
- Kanonisches Eherecht
- Kirchenrechtliche Bestimmungen für wiederverheiratet Geschiedene
- Die Unauflöslichkeit der Ehe
- Das Eheannullierungsverfahren
- Anfragen an das Verfahren
- Fallbeispiel
- Eheverständnis zwischen Vertrags- und Bundesgedanke
- Epikie und die römisch-katholische Praxis
- Begriffsdefinition
- Geschichtliche Entwicklung der Epikie
- Fallbeispiel
- Folgen für die wiederverheiratet Geschiedenen
- Die römisch-katholische und die ostkirchliche Praxis
- Das Eheverständnis in der Ostkirche
- Scheidung und Wiederheirat
- Die Oikonomia-Spiritualität
- Ökumenische Perspektiven
- Moraltheologische Standpunkte
- Eine offenere Sichtweise
- Sittliche Bewertung der Zweitehe
- Schwierigkeiten bei der Urteilsbildung
- Die Bedingungen für eine Aussöhnung mit der Kirche
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Diplomarbeit befasst sich mit dem Thema der Wiederverheiratet-Geschiedenen und ihrer Situation in der katholischen Kirche. Sie untersucht die pastoralen und theologischen Herausforderungen, die sich aus dieser Thematik ergeben, und analysiert die verschiedenen Positionen innerhalb der Kirche.
- Statistische Daten zu Wiederverheiratet-Geschiedenen
- Eheverständnis in der katholischen Kirche
- Theologische und pastorale Aspekte der Wiederverheiratung
- Kanonisches Eherecht und die Praxis der Kirche
- Moraltheologische Standpunkte und Herausforderungen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Darstellung der statistischen Daten zu Wiederverheiratet-Geschiedenen und beleuchtet die soziologischen und psychologischen Folgen der Ehescheidung. Anschließend werden verschiedene Stimmen aus der Kirche, wie z.B. Stellungnahmen des Familienbundes der deutschen Katholiken und des Freckenhorster Kreises, sowie Anträge des Bamberger Pastoralgespräches, vorgestellt.
Im dritten Kapitel werden lehramtliche Äußerungen zum Thema Wiederverheiratung, insbesondere aus dem Trienter Konzil, dem II. Vatikanischen Konzil, der Würzburger Synode und der Enzyklika Familiaris Consortio, betrachtet. Des Weiteren werden Texte des Katechismus der Katholischen Kirche, des Katholischen Erwachsenenkatechismus und des Schreibens der oberrheinischen Bischöfe analysiert. Besondere Aufmerksamkeit wird dem Schreiben der Glaubenskongregation und seiner Rezeption gewidmet.
Kapitel 4 befasst sich mit biblischen Perspektiven auf die Ehe und die Ehescheidung. Es werden verschiedene Bibelstellen aus dem Alten und Neuen Testament untersucht und ihre Bedeutung im Kontext des Themas Wiederverheiratung diskutiert.
Das fünfte Kapitel widmet sich dem kanonischen Eherecht und den kirchlichen Bestimmungen für Wiederverheiratet-Geschiedene. Besonders hervorgehoben werden die Unauflöslichkeit der Ehe und das Eheannullierungsverfahren.
Kapitel 6 behandelt die Epikie und ihre Bedeutung in der römisch-katholischen Praxis. Es werden die Begriffsdefinition, die geschichtliche Entwicklung der Epikie und ihre Folgen für die Wiederverheiratet-Geschiedenen diskutiert.
Im siebten Kapitel wird ein Vergleich zwischen der römisch-katholischen und der ostkirchlichen Praxis bezüglich Scheidung und Wiederheirat gezogen. Es werden das Eheverständnis in der Ostkirche, die Oikonomia-Spiritualität und ökumenische Perspektiven beleuchtet.
Den Abschluss des Hauptteils bildet Kapitel 8, das verschiedene moraltheologische Standpunkte zum Thema Wiederverheiratung vorstellt. Es werden verschiedene Argumente und Herausforderungen der sittlichen Bewertung der Zweitehe diskutiert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit dem Thema der Wiederverheiratung in der katholischen Kirche, wobei Ehescheidung, Eheverständnis, kanonisches Eherecht, Moraltheologie und Epikie zentrale Schlüsselbegriffe darstellen. Die Analyse verschiedener lehramtlicher Äußerungen, insbesondere des Trienter Konzils und des II. Vatikanischen Konzils, sowie die Bedeutung biblischer Perspektiven für die Thematik werden ebenfalls herausgestellt.
- Arbeit zitieren
- Sandra Schmidt (Autor:in), 2000, Wiederverheiratet - Geschiedene und die Kirche - Christliches Lebenswissen als Lebenshilfe in einer bestimmten partnerschaftlichen Umbruchssituation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18330