Leseprobe
Gliederung:
Einleitung
A. Kulturspezifische Entwicklung der Leitbilder von Männlichkeit
I. Das australische Verständnis von Männlichkeit
a) Die Schaffung eines Männlichkeitsideals auf Grundlage des bushman
b) Der Australier der Zukunft, der Coming Man
II. Männlichkeit und Geschlechterverhältnis in Japan
a) Die andere Grundlage für Männlichkeit: Der tugendhafte samurai
b) Das japanische Geschlechterverhältnis aus westlicher Sicht
B. Kriminalität und Gewalt im Kulturvergleich
I. Sexuelle Gewalt vor dem Hintergrund kulturspezifischer Leitbilder von Männlichkeit
II. Kriminalität in Jugendgangs
Zusammenfassung
Literatur- und Quellenverzeichnis
Einleitung
Gewaltverbrechen sind heutzutage in allen Industrienationen noch immer an der Tagesordnung. Auffällig ist dabei stets, dass laut vorliegender Kriminalitäts- und Viktimisierungsdaten vor allem Vertreter des männlichen Geschlechts das Gewaltmonopol auf ihrer Seite haben. Gewalt ist dabei nicht nur gegenüber Frauen, welche somit zu Opfern hegemonialer Männlichkeit werden, auffällig, sie dient Männern auch zur Kontrolle anderer Männer. Geschlecht, Kriminalität und die Kontrolle derselben sollten hierbei nicht im traditionellen Verständnis einer männlichen Geschlechtsrolle oder der männlichen Sozialisation aufgefasst werden, schließlich gibt es bei weitem nicht nur die eine Dimension von „Geschlecht“, sondern derer viele verschiedenartige und nicht selten widersprüchliche Formen. Daher erscheint es wichtig, unterschiedliche kulturelle Traditionen miteinander zu vergleichen, in denen Männlichkeit ihren Ausdruck in Form von Gewalt verschiedenster Art findet.1
Dabei lassen sich bestimmte Funktionen von Männlichkeit im Patriarchat schon von vorneherein festhalten: Die Fortpflanzung, der Schutz der Familie oder Gruppe sowie die Versorgung derselben, wobei darauf aufmerksam zu machen ist, dass für jede Funktion auch ein abweichendes Gegenüber anführbar ist, welches die vormals positive Rolle des Mannes negativiert. In seiner Funktion des Erzeugers von Nachwuchs erscheint der Mann im Individualbild so einerseits als „Geliebter“ und „Vater“, im Kollektivbild als „Patriarch“ oder „Ältester“, während er im Negativbild zum „Vergewaltiger“ und „Kinderverführer“ verkommt.2 Zwar scheinen diese Formen des kriminellen Mannes, die nicht in die Gesellschaft integriert sind, teilweise etwas weit hergeholt, doch sind sie nicht ganz unbegründet. Männliche Kriminalität lässt sich nämlich nicht selten auf das Geschlechterverhältnis und damit der Rolle des Mannes in der Gesellschaft zurückführen. Gründe für männliche Gewalt sind vor allem Eifersucht, Besitz- und Territorialansprüche, gekränkte Eitelkeit und verletzter Stolz und haben einigermaßen häufig Mord, Totschlag oder schwere Körperverletzung zur Folge. Zahlenmäßig lassen sich bei vielen Tötungs- und Gewaltdelikten, beidgeschlechtlich, geschlechtsbezogene Erklärungsmuster finden. Dabei übernimmt die Darstellung von Männlichkeit gegenüber anderen Personen eine besondere Rolle. Allerdings lässt sich die Darstellung von Männlichkeit auch bei der, der Kriminalität entgegengesetzten Seite erkennen: Der staatlichen Kontrollmacht.
Illegitime Gewalt wird so oft mit rechtlich legitimierter Gewalt vergolten. Laut einer Untersuchung über die Bedeutung von Machismo in verschiedenen Kulturen ist Männlichkeit dabei immer in ihrem kulturellen Kontext zu betrachten.3
In der vorliegenden Hausarbeit habe Ich mir daher das Ziel gesetzt, existierende Formen hegemonialer Männlichkeit mit Hinblick auf die Männlichkeitsdarstellungen und Leitbilder von Männlichkeit verschiedener Kulturen im Hinblick auf deren Beeinflussung von Kriminalität und Gewalt, vor allem gegenüber dem weiblichen Geschlecht, zu untersuchen. Dabei werden, von Deutschland ausgehend, Japan und Australien als Kulturbeispiele dienen, um der grundlegenden Frage ob und inwiefern Gewalt und Kriminalität in verschiedenen Gesellschaften durch die kulturspezifischen Darstellungen von Männlichkeit beeinflusst bzw. hervorgerufen werden. Dazu werde Ich zunächst die historischen Grundlagen für die Männlichkeitsbilder der beiden Vergleichsländer untersuchen, bevor Ich vor allem das japanische Geschlechterverhältnis näher betrachte und damit in Verbindung stehende, weit verbreitete Fehleinschätzungen aus Sicht der westlichen Welt offenzulegen gedenke. Anschließend sollen Kriminalität und Gewalt, besonders sexueller Natur, näher betrachtet werden, um der Beantwortung der anfangs gestellten Frage näher zu kommen. Ein besonderes Exempel für gewalttätige Männergemeinschaften in heutigen Gesellschaften sollen hierbei Jugendgangs bilden.
Ferner bleibt zu erwähnen, dass Ich in meiner Hausarbeit die neue deutsche Rechtschreibung und die hepburnsche Schreibweise (Romajikai) der japanischen Begriffe verwende, d. h. alle Eigennamen wie zum Beispiel Shimpôtô (“Fortschrittspartei”) werden großgeschrieben, alle anderen wie zum Beispiel tennô (“Kaiser”) oder meiji (“erleuchtete Regierung”) kleingeschrieben, da in Japan nicht zwischen Groß- und Kleinschreibung unterschieden wird. Die Großschreibung der Eigennamen ist lediglich ein Kompromiss an die deutsche Rechtschreibung. Um die japanischen wie englischen Begriffe besser herauszuheben sind sie zudem kursiv dargestellt.
A. Kulturspezifische Männlichkeit im Rückblick
I. Das australische Verständnis von Männlichkeit
a) Die Schaffung eines Männlichkeitsideals auf Grundlage des bushman
Mit dem Verlust Nordamerikas im Jahre 1783 sah sich die britische Krone genötigt, eine neue Stätte für ihre zu deportierenden Strafgefangenen zu finden und wählte dafür die Botany Bay in New South Wales im heutigen Australien aus. Ab 1787 verschiffte Großbritannien schließlich unerlässlich straffällig gewordene Untertanen nach Australien, das alsbald zu einer riesigen Strafgefangenenkolonie verkam. Als Zwangsarbeiter zum Bau von Regierungsgebäuden, der Infrastruktur und der Regierungsfarmen eingesetzt, halfen diese überwiegend männlichen Deportierten dabei, das Land zu erschließen und spielten so in der Besiedelung Australiens im Gegensatz zu der der USA eine weitaus wesentlichere Rolle. Bald beanspruchte man aufgrund von Platzmangel ganz Australien. Insgesamt deportierte Großbritannien bis zur Einstellung dieser Praxis im Jahre 1868 etwa 160.000 Gefangene, während sich zudem noch etwa 1,6 Millionen freie Siedler auf dem neuen Kontinent niederließen.4
Trotz der großen Anzahl freier Siedler trug vor allem das Bild des im outback lebenden Ex- Sträflings, des bushman, zu der Bildung des kulturellen Leitbildes von Männlichkeit bei. Auf den ersten Blick dem nordamerikanischen Cowboy oder Trapper bzw. dem südamerikanischen Gaucho ähnelnd, unterschied sich der bushman jedoch nicht nur in Details von diesen. Die genannten Beispiele dienen wie der bushman als Vorlagen für den Entwurf eines freien, unabhängigen und ungebundenen Mannes der frontier society, wobei die Gestalt des australischen bushman jedoch durch seine Sträflingsherkunft sowie seine nomadisierende und bindungslose Existenz in einer Männergemeinschaft geprägt ist. Zunächst von der neuen Oberschicht Australiens als unzivilisiertes und kriminelles Proletentum verabscheut, repräsentierten diese Landproleten ab dem Ende des 19. Jahrhunderts für viele, meist radikale Autoren den Ausgangspunkt des weiß-australischen Nationalbewusstseins. Die ein entbehrungsreiches Leben führenden, in einer männlichen Gemeinschaft, in sogenannten huts, lebenden bushmen und ihre totale Bindungslosigkeit auf sozialer, familialer und kultureller Ebene, die als Ungebundenheit uminterpretiert wurde, bilden die Grundlage des australischen Männlichkeitsmythos.5
Die meist aus der Arbeiterschicht stammenden, als Zwangsarbeiter eingesetzten Sträflinge dürften vielfältige Fähigkeiten gehabt haben und durch die lange Zeit im männlich dominierten Straflager so stark geprägt worden sein, dass sie in der Folgezeit diese erträgliche Lebensform schließlich bevorzugten und so fortlebten. Anstatt sich also niederzulassen und Herden sowie Grundbesitz zu erwerben, lebten die meisten ihre erlangte relative Freiheit in der Männergemeinschaft aus. Dabei war anerkannt und verehrt, wer große Entbehrungen hatte auf sich nehmen müssen, vor allem aufgrund der Unterdrückung durch die Aristokratie und Staatsgewalt, aber auch durch das schlichte Überleben im outback als Männlichkeitsbeweis. Letztlich hält sich der Mythos von der freien Männlichkeit des australischen Landarbeiternomaden bis in die Gegenwart, obwohl er eine Umdeutung von sozialen und ökonomischen Bedingungen des Mangels und der Unfreiheit in ein Konstrukt der kulturellen Einzigartigkeit der unabhängigen Männlichkeit des waschechten Aussie darstellt. Der einstige Zwangsarbeiter und Sklave wird so zum Sinnbild des freien Mannes hochstilisiert und zur Urform australischer Männlichkeitskultur.6
Die typischen Funktionen von Männlichkeit im Patriarchat, so die Fortpflanzung, das Beschützen der Familie und die Versorgung derselben, sind für den bushman außer Kraft gesetzt, weshalb dieser sich selbst als frei erachtend auch das Recht herausnimmt, die Frauen der Ureinwohner Australiens zum Zwecke der sexuellen Befriedigung heranzuziehen. Zwar gibt es bei den Aborigines den Brauch die eigenen Frauen als Akt der „Befriedung“ mit Fremden sexuell verkehren zu lassen, doch werteten die weißen Eindringlinge diese traditionelle Vorgehensweise, die man als eine Art Selbstschutz verstehen könnte, als unmoralisch und verachtenswert, obwohl eben sie es waren, die den größten Gebrauch davon machten. Zu Untermenschen herabgesetzt, dienten die weiblichen Aborigines so lediglich der sexuellen Befriedigung, nicht jedoch der Gründung neuer Familien, womit die Funktionen des Mannes als Erzeuger, Beschützer und Versorger umgangen werden konnten. Die extreme männliche Überrepräsentation in den squatting districts Australiens im 19. Jahrhundert (1841 betrug der Männeranteil etwa 83,5%; 1851 noch 69,4%7 ) enthob die Männer aufgrund des Mangels an „guten weißen Frauen“ aber demgegenüber der „freien Verfügbarkeit“ von „schlechten“, aber für die sexuelle Befriedigung ausreichende, Frauen, von den Verbindlichkeiten und Lasten der Sicherstellung von Nachwuchs. Die männliche Funktion des Schutzes reduzierte sich auf die Sicherstellung des Schutzes der männlichen Gemeinschaft, dass Eintreten füreinander unter Ausschluss jeglicher Homosexualität. Letztlich werden der Stil, die Wertevorstellungen, insbesondere die Solidarität unter den respektlosen Proleten des outback, zum kulturellen Material des australischen Nationalbewusstseins. Die nach außen hin sichtbare „wortkarge männliche Härte“ vereint mit einer fast schon „weiblichen“ Kameradschaftsliebe bilden so ein geschlechtsübergreifendes Kulturgut. Der weiße Landarbeiter wird schließlich zum eigentlichen native Australiens ernannt. Dabei werden Themen wie die Enteignung der wirklichen natives, der australischen Ureinwohner, ihre Verseuchung durch Krankheiten, die Routine ihres Missbrauchs, die gewaltsame Niederschlagung ihres Widerstandes durch die weißen Eindringlinge und die allmähliche Zerstörung ihrer Kultur von der radikalen Literaten- und Intellektuellenszene gegen Ende des 19. Jahrhunderts schlicht ausgeblendet. Dagegen werden der Ausschluss und die Verobjektivierung von Frauen gutgeheißen. Lediglich kleine Kreise der frühen australischen Frauenbewegung üben Kritik am Männlichkeitskult und der Mystifizierung des bushman.8
b) Der Australier der Zukunft, der Coming Man
In der Folgezeit wird der bushman zum Vorbild der heranwachsenden Australier und der sich herausbildenden australischen Männlichkeit. Dabei wird in der Beteiligung an fernen Kriegen, nicht etwa gegen den Unterdrücker England, sondern entgegen jeder Logik an dessen Seite, die Geburt des eigenen Landes angesehen und dementsprechend gewürdigt und gefeiert. Die Beteiligung am Ersten Weltkrieg sowie an früheren Kriegen, wie dem Krieg im Sudan, die Unterdrückung des Boxeraufstandes in China und dem Burenkrieg, werden als wichtiger Schritt der Nationwerdung verstanden, wobei besonders das Massensterben junger Australier am militärisch völlig bedeutungslosen Küstensteilhang von Gallipoli herausragt. Neben dem bushman als einer Grundlage für die Herausbildung einer nationalen Männlichkeitsfigur trugen auch die Konstrukte von digger und bushranger zu der Gestaltung einer nationalen Identifikationsfigur bei. Mit digger wird heute meist die Figur des Soldaten der ANZAC9 assoziiert, welcher im Ersten und Zweiten Weltkrieg im Einsatz war und an der Seite Englands kämpfte. Dabei ist zu beachten, dass die Australier in beiden Kriegen jeweils die höchsten Verlustraten aller Commonwealth-Länder zu beklagen hatten, was dem australischen Nationalismus eine hervorragende Vorlage für die Konstruktion der Figur des tragischen Kriegshelden bescherte. Ursprünglich bezeichnet der Begriff aber den australischen Goldgräber, der ähnlich dem Landarbeiter ein Nomadenleben in einer Männergemeinschaft führte und der demnach eine ähnliche Lebensweise wie der bushman bevorzugte. Diesen zwei Figuren folgte schließlich die des bushrangers, der ebenfalls in männlichen Gruppen operierend und oft irischer Abstammung als Sträfling oder Ex-Sträfling sein Leben durch Raubüberfälle bevorzugt auf Kosten der freien protestantischen Siedler bestritt. Bekannt wurden diese Buschbanditen besonders durch die extreme Dezimierung des Känguruhbestands und die völlige Ausrottung der Aborigines in Tasmanien. Wieder werden die bushranger ganz wie bushman und digger zuvor und entgegen der historischen Realität zu einem australischen Männlichkeitsideal hochstilisiert, zu Volkshelden, zu einer weiteren Grundlage für die Gestaltung des australischen Nationalcharakters. Der eigentliche bushranger-Terrorismus wird hier in den Widerstand einer Gemeinschaft ausgestoßener und der bösartigen Willkürherrschaft Englands unterworfener, aber freiheitsliebender Männer umgedichtet. Die bushranger werden somit zum Sinnbild für den rechtmäßigen Aufstand einer untergeordneten Männlichkeit, die heldenhaft den Widerstand gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit einleiteten und so die australische Tapferkeit schlechthin repräsentieren. Die erstrebte Freiheit ist im Vergleich zu den USA jedoch niemals erkämpft worden, ja es wurde nicht einmal öffentlich zum Widerstand aufgerufen. Es wird hierbei lediglich versucht, den Aussie in seiner Männlichkeit dem Engländer überzuordnen. Die angeführten Beispiele sollen deutlich machen, wie unverdorben, widerstandsfähig, ausdauernd und gestählt durch das Leben in der gefährlichen australischen Wildnis der Aussie geworden ist, der vom Engländer verbannt und verkannt wurde. Durch diese für den australischen Nationalcharakter hergeleitete männliche Überlegenheit gegenüber den ehemaligen Unterdrückern entsteht ein neuer Typ Aussie, der Coming Man.10
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1 Vgl. Joachim Kersten, Gut und (Ge)schlecht, Männlichkeit, Kultur und Kriminalität. Berlin/New York 1997, S. 3f.
2 Die Funktion des Beschützers verkommt vom Individualbild Krieger und Kollektivbild Polizei/Verteidigungskräfte zum Negativbild Schläger/Amokläufer/Gangmitglied mit starker Angstbesetzung, während der Versorger so vom Individualbild Arbeiter/Jäger/Bauer und Kollektivbild des arbeitenden Mannes zum Negativbild eines Mitglieds in Subkulturen/gangs mit ausgeprägter Angstbesetzung verkommt. Vgl. dazu: Joachim Kersten, Männlichkeitsdarstellungen in Jugendgangs. Kulturvergleichende Betrachtungen zum Thema »Jugend und Gewalt«. In Otto/Merten (Hrsg.), Rechtsradikale Gewalt im vereinigten Deutschland, Bonn 1993, S. 228.
3 Vgl. Kersten, Jugendgangs, S. 227ff.
4 Vgl. Elfi H. M. Gilissen, KulturSchock Australien, Bielefeld 2004, S. 14ff.
5 Vgl. Kersten, Gut und (Ge)schlecht, S. 101f.
6 Vgl. Kersten, Gut und (Ge)schlecht, S. 105f.
7 Vgl. Russel Ward, The Australian Legend, Melbourne 1993, S. 94.
8 Vgl. Kersten, Gut und (Ge)schlecht, S. 106ff.
9 = Australian and New Zealand Armed Corps.
10 Vgl. Kersten, Gut und (Ge)schlecht, S. 111ff.